Der Bundestag mit brauner Fraktion

von Kai Budler


Magazin "der rechte rand" Ausgabe 169 - November 2017

92 Abgeordnete zählt die Fraktion der »Alternative für Deutschland«, die im neu gewählten Bundestag vertreten ist. Bereits einen Tag nach der Wahl entstand erneut ein Spaltprodukt.

Antifaschistisches Magazin der rechte rand Ausgabe 169

Konstituierende Sitzung des 19. Deutschen Bundestages am Dienstag, den 24. Oktober 2017.
AfD-Abgeordnete fotografieren sich vor der Anzeigetafel des Bundestages
© Christian Ditsch

Mit der konstituierenden Sitzung Ende Oktober fiel auch der Startschuss für die Arbeit der Bundestagsfraktion der »Alternative für Deutschland« (AfD) in Berlin, die – wie erwartet – mit ihren ersten Anträgen scheiterte. Erst wollte sie die Sitzung nicht wie vorgesehen vom Alterspräsidenten leiten lassen, sondern von einem anderen Versammlungsleiter. Auch mit ihrem Antrag, den Alterspräsidenten nach dem Alter zu bestimmen, scheiterte die Fraktion. Das Parlament hatte zum Ende der letzten Legislaturperiode festgelegt, dass derjenige die repräsentative Funktion übernimmt, der am längsten dem Parlament angehört. AfD-Parlamentsgeschäftsführer Bernd Baumann verglich die neue Regelung mit dem Vorgehen der Nationalsozialisten und setzte seine Fraktion mit den Opfern Hermann Görings als Reichstagspräsident gleich. Doch dies sei nun vorbei, sagte Baumann im Plenum und drohte: »Das Volk hat entscheiden, nun beginnt eine neue Epoche«. Bei der anschließenden Wahl des Bundestagsvizepräsidenten fiel AfD-Kandidat Albrecht Glaser in allen drei Wahlgängen durch. Mit 123 Stimmen im zweiten Wahlgang aber stimmten mindestens 31 Abgeordnete, die nicht zur AfD gehören, für Glaser.

»AfD-Fraktion sucht Mitarbeiter«
Vorsitzende der AfD-Fraktion im Bundestag sind Alice Weidel und Alexander Gauland, die auf der konstituierenden Fraktionssitzung mit 86 Prozent in ihre Ämter gewählt wurden. Zu ihren StellvertreterInnen bestimmten die AfD-Abgeordneten Roland Hartwig aus Nordrhein-Westfalen, Peter Felser aus Bayern, Tino Chrupalla aus Sachsen, Leif-Erik Holm aus Mecklenburg-Vorpommern und die Europaabgeordnete Beatrix von Storch aus Berlin. Zu den gewählten Parlamentarischen Geschäftsführern gehören Jürgen Braun aus Baden-Württemberg, Michael Espendiller aus Nodrhein-Westfalen, Hansjörg Müller aus Bayern und Bernd Baumann aus Hamburg. Letzterer, der auch Fraktions- und Landeschef der AfD in der Hansestadt ist, suchte vor der konstituierenden Sitzung auf dem »Schwarzen Brett« im Intranet des Bundestages nach Personal für die neue Fraktion. Zwischen einer »funktionalen Buchenkommode« für 10 Euro und einem »schönen Trenchcoat« für 35 Euro steht die Notiz »AfD-Fraktion sucht Mitarbeiter«, in der er um aussagekräftige Bewerbungsunterlagen bittet. Als Fraktionsgeschäftsführer wurde der Jurist Hans-Joachim Berg eingestellt. Das frühere CDU-Mitglied war früher unter anderem Referatsleiter in der Bundestagsverwaltung und bei der Deutschen Welle tätig, außerdem ist er kulturpolitischer Sprecher der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und stellvertretender Landesvorsitzender. Ihre Büros haben die AfD-Abgeordneten im ehemaligen DDR-Justizministerium und Reichsinnenministerium in der Berliner Dorotheenstraße, das zuvor Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung beherbergte.
Der Einzug in den Bundestag bietet der AfD nicht nur neue personelle Möglichkeiten, er ist auch ein wahrer Geldregen. Neben der regulären Abgeordnetendiät von rund 9.541 Euro erhält jede und jeder Abgeordnete monatlich eine Pauschale in Höhe von knapp 9.000 Euro. Dazu kommt ein monatlicher Sockelbetrag von 411.313 Euro für die Fraktion. Noch mehr Geld bekäme die AfD, wenn sie eine parteinahe Stiftung auf Bundesebene gründen würde, weil ihr spätestens nach einer Legislaturperiode im Bundestag dafür jährlich Steuermittel in zweistelliger Millionenhöhe zustünden. Solch einen Plan hatte die AfD bereits auf ihrem Parteitag 2014 in Erfurt gefasst, doch erst knapp drei Jahre später wurde die »Desiderius-Erasmus-Stiftung« (DES) wirklich ins Leben gerufen. Vorstandsvorsitzender des Vereins ist inzwischen Rainer Groß aus Bayern, zu den Mitgliedern gehören die Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Alice Weidel, und Parteichef Jörg Meuthen. Groß folgte auf Konrad Adam, der im April aus dem DES-Vorstand abgewählt wurde. Mit ihm schieden auch Victoria Tuschik, Justiziarin der Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt, und Rainer van Raemdonck, AfD-Abgeordneter in Brandenburg, aus dem Vorstand aus. Inzwischen ist Tuschik die Vorstandsvorsitzende der kürzlich gegründeten »Akademischen Erasmus Stiftung e. V.« (AES), Raemdonck fungiert als Schatzmeister. Auch der völkische »Flügel« ist darin vertreten, wie Tuschik erklärt: »Wir sind gleichmäßig und offen besetzt. Daher haben wir auch Mitglieder aus dem Flügel in unseren Reihen. Auch der Flügel hat Anspruch, vertreten zu sein.« Die neu gegründete Stiftung wartet gar nicht erst auf ein Votum der AfD-Mitglieder, sondern stellt schon vor einer Entscheidung fest: »Die Akademische Erasmus Stiftung e. V. ist die einzige rechtsfähige AfD-parteinahe Stiftung auf Bundesebene«. Damit ignoriert sie einen Beschluss der Parteispitze, in dem es heißt: »Der Bundesvorstand stellt fest, dass der Verein Akademische Erasmus Stiftung e. V. nicht als parteinahe Stiftung des AfD-Bundesverbandes anerkannt wird.«

Erneute Flügelkämpfe – große Austrittswelle
Ein Blick auf den Vorstand der Bundestagsfraktion zeigt, dass er fast ohne bekennende VertreterInnen und AnhängerInnen des völkischen »Flügel« um den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke auskommt. Dessen AnhängerInnen drängen jedoch auf mehr Einfluss und fordern nach wie vor, dass das gegen Höcke eingeleitete Parteiausschlussverfahren wegen seiner Rede von Dresden ausgesetzt wird. Immerhin könnte die Partei mit einem Ausschluss bis zu ein Drittel der Mitglieder verlieren. Auch Gauland steht auf Höckes Seite und bezeichnet ihn im Interview mit Jürgen Elsässers Magazin »Compact« als »Teil der Seele der AfD, weil 20 bis 30 Prozent der AfD-Mitglieder zu seiner Anhängerschaft zählen«. Gauland steht jetzt vor dem Problem, das Spektrum um Höcke bedienen zu müssen, ohne einen anderen Teil der Partei damit zu brüskieren. Elsässer selbst mahnt scharf zu »klare[r] Opposition und Absage an das Polittheater« – dazu müsse die Fraktion »gerade den Eindruck der Reputierlichkeit vermeiden (…) ohne gleichzeitig in der Öffentlichkeit einen zerstrittenen Eindruck zu machen«. Ziel sei es »Symbolpolitik in Machtpolitik zu überführen, die die Realität ändert und nicht nur die Diskurse«. Als Warnung druckt »Compact« gleich noch Auszüge aus der »Dresden-Rede« ab, in der Höcke der AfD die Rolle als »Bewegungspartei« und »Fundamentalopposition« zuschreibt, denn »es gibt keine Alternative im Etablierten«.
Doch als die neue Nummer der »Compact« ausgeliefert wurde, hatte die vermeintliche Etablierten-Vertreterin Frauke Petry bereits einen öffentlichkeitswirksamen Coup gelandet. Auf einer Pressekonferenz am Tag nach der Bundestagswahl erklärte die bisherige Parteichefin, dass sie nicht Teil der AfD-Fraktion im Bundestag sein werde. Nach der Ankündigung ließ sie den Co-Vorsitzenden Jörg Meuthen und das Spitzenduo Alice Weidel und Alexander Gauland verdutzt zurück. In einer Stellungnahme schreibt Petry: »Da ich diesen Exodus an politischem Know-How und Personal aus meiner Position heraus nicht mehr aufhalten kann, habe ich mich nach langem Ringen entschlossen, der neu zu bildenden AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag NICHT anzugehören.« Nach dem Rücktritt von ihren Ämtern als AfD-Chefin, Vorsitzende der Dresdner Landtagsfraktion und sächsische Parteichefin folgte der Austritt aus der AfD selbst. Zeitgleich verließ auch Petrys Ehemann Marcus Pretzell, Europaabgeordneter und bisheriger Vorsitzender der Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen, die Partei. Sie behalten aber jeweils ihre Mandate in beiden Parlamenten und könnten damit künftig zwischen etwa 18.000 und 21.000 Euro kassieren. Pretzells Beispiel folgten zwei weitere Abgeordnete in NRW und traten aus der Partei aus, so dass die AfD im dortigen Landtag hinter den Grünen künftig die kleinste Fraktion darstellt. Zwar hat die Partei in allen Landesparlamenten bisher schon 26 Abgeordnete verloren.Sollte Petry nach ihrem Schritt aber auf eine Austrittswelle in der Bundestagsfraktion gehofft haben, wurde sie bitter enttäuscht. Ihrem Beispiel folgte lediglich Mario Mieruch, der über die nordrheinwestfälische Landesliste in den Bundestag eingezogen war und dem Parlament künftig als fraktionsloser Abgeordneter angehört. An eine neue Fraktion brauchen Petry und Mieruch gar nicht zu denken und auch für die Bildung einer Gruppe braucht es mindestens fünf Abgeordnete. Als Begründung für ihren Austritt erklärte Petry scheinheilig, die AfD sei zu weit nach rechts außen abgedriftet. Dabei hatte vor allem die ehemalige Vorsitzende die Partei selbst immer weiter nach rechts geführt und die Tür für das rechtsradikale Lager im EU-Parlament geöffnet.

Petrys blaue Partei
Doch schon vor der Bundestagswahl hatten Petry und Co bereits ein neues Modell in Reserve, mit dem sie hofften ihre politische Karriere fortsetzen zu können. Hinweise darauf gab es schon im Juli 2017, als sich Petry die Domain »www.dieblauen.de« sicherte. Nach ihrem Austritt kündigte sie an, eine neue Partei zu gründen, die für einen »realpolitischen Kurs mit marktwirtschaftlicher Ausrichtung« stehe. Ein ähnliches Ziel hatte auch der ehemalige AfD-Vorsitzende Bernd Lucke, der mit seiner neuen Partei »Liberal-konservative Reformer« (LKR) krachend scheiterte und in der Bedeutungslosigkeit versank. Auch Gauland spottete nach Petrys Abgang: »Das hat schon Bernd Lucke lernen müssen – zwischen CDU, FDP und uns ist kein Platz für eine weitere Partei.« Dennoch haben die Petry-Getreuen am 17. September 2017, also noch vor der Bundestagswahl, die »Die blaue Partei« gegründet. Vorsitzender ist Michael Muster aus dem sächsischen Moritzburg. Er ist der Ehemann von Kirsten Muster, einer engen Vertrauten von Petry, die mit ihr die sächsische AfD-Landtagsfraktion verließ. Stellvertreter sind die Sachsen Hubertus von Below, der sein Amt im Landesvorstand niederlegte, und Thomas Strobel. Auf Listen dieser Partei sollen Mitstreiter der »Blauen Wende« zu Wahlen antreten. Bei Veranstaltungen und Stammtischen dieses »Bürgerforums« wollen Petry und Co ihnen genehme »fähige Köpfe für bevorstehende Wahlen auf allen politischen Ebenen finden, vernetzen und vorbereiten«. Starten soll das »Bürgerforum« in Sachsen, Testlauf der neuen Partei soll die dortige Landtagswahl 2019 sein. Ihre Mandate im Bundestag und im sächsischen Landtag will Petry als parlamentarische Basis für Veranstaltungen des »Bürgerforums« nutzen. Im Internet begleiten AfD-UserInnen Petrys Projekt mit Hass, Hohn und Spott: Petry sei eine »Verräterin«, »blöde Mistsau« und ein »Wendehals« heißt es dort, unter anderem verbunden mit der Aufforderung »Verschwinde aus Deutschland!«.
Auch von der neu gegründeten und vermeintlich liberalen Interessengemeinschaft »Alternative Mitte« in der AfD kann sie keinen Zuspruch erwarten. In einem offenen Brief heißt es, zwar »haben auch die heutigen Differenzen das Potential für eine weitere Spaltung der AfD. WIR als Alternative Mitte (AM) wollen keine erneute Spaltung der Partei. Darum haben wir nicht die Partei verlassen, sind nicht Frauke Petry gefolgt«. Das sehen offenbar viele so, denn vier Wochen nach ihrem Austritt haben lediglich 80 weitere Mitglieder der AfD den Rücken gekehrt.