Das »Ein Prozent« Recherchenetzwerk

von János Neumann


Magazin "der rechte rand" Ausgabe 169 - November 2017

Zwischen Hetze und peinlicher Inszenierung

Mitte November 2015 gab Götz Kubitschek im Blog der »Sezession« die Gründung der Initiative »Ein Prozent« als »‹NGO› für Deutschland« bekannt. Deren Aufgabe sei es, zu »dokumentieren, vernetzen, recherchieren und klagen«. In ihrer Selbstbeschreibung bezeichnet sich das Projekt als »professionelle Widerstandsplattform für deutsche Interessen« und ist auch personell eine Schnittstelle für zahlreiche rechte Spektren. Werden mittlerweile nur noch der Burschenschafter und Autor Philip Stein und Helge Hilse als Vorstand aufgeführt, waren zuvor als Verantwortliche außer Kubitschek noch Jürgen Elsässer, Karl Albrecht Schachtschneider und Hans-Thomas Tillschneider von der »Alternative für Deutschland« (AfD) genannt. Damit war »Ein Prozent« von Anfang an eine Vernetzungsplattform der »Neuen Rechten« und der AfD. Daneben finden sich einige Mitarbeiter der Initiative, die bis vor kurzem noch in der Neonazi-Szene aktiv waren. So nahm der offizielle Mitarbeiter Simon Kaupert noch im Mai 2015 an einem Pfingstlager der NPD-Jugendorganisation »Junge Nationaldemokraten« (JN) teil. Und die sogenannte Beobachtungskampagne zur Bundestagswahl 2017 leitete der ehemalige Kameradschafter und JN-Chef Michael Schäfer.

antifaschistisches Magazin der rechte rand Ausgabe 169

15. Dezember 2014: Aufmarsch von PEGIDA in Würzburg mit Simon Kaupert
© Robert Andreasch

Die Aktionen der Initiative decken ein weites Feld ab, um im Sinne einer »kulturellen Hegemonie« Proteste am rechten Rand zu unterstützen und zu vernetzen. Laut eigenen Angaben verfügt »Ein Prozent« mittlerweile über 40.000 UnterstützerInnen, habe 166.000 Euro in rechte Projekte geleitet, 450.000 Flugblätter verteilt und erreiche monatlich rund eine halbe Million Menschen online. Besonders die selbsternannte »Recherchegruppe« hat ihren Output in den vergangenen Monaten vergrößert. Dabei sind die angeblichen »investigativen« Recherchen nicht viel mehr als das Weiterklicken der Google-Suche bis auf Seite 3. Die ans Lächerliche grenzende Selbstinszenierung entspricht dabei in weiten Teilen dem Vorgehen der »Identitären Bewegung«. Neben der Recherche beispielsweise über FlüchtlingshelferInnen gibt es immer wieder auch Artikel zu Personen oder Initiativen im Stil der klassischen Anti-Antifa-Arbeit, die bereits Morddrohungen nach sich zogen.

Anti-Antifa-Arbeit und deren Folgen
Bereits im Januar 2016 formulierte »Ein Prozent«, der »Auf- und Ausbau einer wirksamen Gegenöffentlichkeit« mache einen nicht unerheblichen Teil der Arbeit aus. Bereits hier wurden »Beiträge und Reportagen« angekündigt, die angeblich auf »exklusiven Informationen« fußen sollten. Neben wenigen Artikeln zum Thema Asyl, die kaum mehr als das Zusammenschreiben von Presseberichten waren, folgten seit 2016 vor allem Vorstellungen von extrem rechten Gruppierungen, Kampagnen zur Wahlbeobachtung oder Artikel, die schlicht auf öffentlich einsehbaren kleinen Anfragen der AfD zu Projekten gegen »Rechtsextremismus« basierten. Im Februar 2017 berichtete »Ein Prozent« dann über »Linksextreme Strukturen in Halle« und rief dabei gleich die neue Blog-Kategorie »Investigativ« aus. Dabei wurden schlicht Projektgelder einzelner studentischer Initiativen an der Universität Halle/Saale aus öffentlich einsehbaren Protokollen zusammengeschrieben, die im Kampf gegen Rechts oder für Workshops im Themenfeld Feminismus ausgegeben worden waren. Gleichzeitig wurde die Teilnahme des Sohnes des SPD-Politikers Ralf Stegner an Protesten gegen die rechte Szene in und um Halle publik gemacht. In verschiedenen Netzwerken fand der Artikel eine weite Verbreitung und die Folge waren Morddrohungen gegen Stegners Sohn, die dann polizeiliche Ermittlungen zur Folge hatten. Ähnliche »Recherchen« legte die Initiative dann über einen Kongress des Twitter-Projektes »Straßengezwitscher« aus Sachsen vor, auf dem es ein breites Workshop-Angebot rund um das Thema extreme Rechte und Gegenstrategien gab. Grund dafür dürfte vor allem gewesen sein, dass Martin Schulz als Hauptredner des Kongresses auftrat. So verfolgte der Artikel auch das Ziel, Schulz´ angebliche Verstrickungen zum »Linksextremismus« zu belegen. Auch hier: Außer einer kleinen AfD-Anfrage aus dem Landtag in Sachsen und öffentlich einsehbaren Informationen über anwesende ReferentInnen keine »investigativen« oder gar »exklusiven« Informationen. Nach einem Farb- und Buttersäureanschlag im Oktober 2017 auf das von »Ein Prozent« zusammen mit der Gruppe »Kontrakultur Halle« betriebene Haus in Halle veröffentlichte die Initiative dann einen längeren Artikel über Personen, die als »Geistige Brandstifter« dargestellt werden und denen damit eine Mitschuld an der Aktion eingeräumt wird. Man wolle an vier Beispielen zeigen, wie »der rote Terror organisiert und legitimiert« wird, heißt es im Text. Die mit Namen, teils mit Bildern und am Arbeitsplatz angefeindeten Personen wurden damit an den öffentlichen Pranger gestellt und zur Zielscheibe des digitalen rechten Mobs. Wohl auch, weil »Ein Prozent« keinen wirklichen Einblick in antifaschistische Strukturen vor Ort hat. Für die Betroffenen, denen keinerlei Beteiligung am Angriff nachgewiesen werden kann, folgten in den Tagen nach der Veröffentlichung teils erhebliche Anfeindungen in den sozialen Netzwerken bis hin zu Mordaufrufen. Verantwortlich für die Auswahl dürfte schlicht das öffentliche Engagement der Betroffenen gegen Rechts sein.

Google-Recherche und Falschinformationen
Im Mai 2017 begann »Ein Prozent« dann – wohl in Vorbereitung der »Defend Europe«-Aktion der »Identitären Bewegung« – mit einer mehrteiligen, natürlich »investigativen« Reihe über Seenotrettung im Mittelmeer. In den Berichten wurden die krude Selbstinszenierung und die Verbreitung von Falschinformationen nochmals zugespitzt. Ein Beispiel: »Dem ‹Ein Prozent›-Recherchenetzwerk liegen nun unglaubliche Bilder vor, die belegen, dass die inszenierte ‹Seenotrettung› durch die Mittelmeer-NGOs von Anfang an mit einkalkuliert wurde: Alle Migranten tragen – wie in der Seefahrt üblich – leuchtende Schwimmwesten, um so gut sichtbar für andere Schiffe zu sein und auf dem Wasser aufzufallen.« Die »unglaublichen Bilder« sind 12 öffentlich einsehbare Fotografien des Reuters-Fotografen Darrin Zammit Lupi, der Anfang 2017 für drei Tage die Seenotrettung begleitete. Für die »Recherche-Gruppe« reichten die wenigen Bilder für die Behauptung, »alle Migranten« würden bei der Überfahrt Schwimmwesten tragen. Der Tenor: Hier besteht keine Gefahr, alles nur Erzählungen. Ohnehin nennen die Autoren das Massensterben im Mittelmeer mit fast 4.000 toten Flüchtlingen im Jahr 2016 eine »dreiste Lüge«.
Eine weitere Strategie ist die unvollständige Darstellung bestimmter Inhalte, obwohl die dort fehlenden Informationen vorliegen. So berichtet die Initiative in ihrem ersten Artikel über NGOs im Mittelmeer vom 31. Mai 2017:
»Der sizilianische Staatsanwalt Carmelo Zuccaro hat nach umfangreichen Nachforschungen und Beobachtungen Ermittlungen gegen einige Schlepper-NGOs eingeleitet. Er legte beweiskräftige Indizien für eine aktive Zusammenarbeit zwischen libyschen Menschenhändlern und den Mittelmeer-NGOs vor, zwischenzeitlich musste das Verfahren jedoch aus juristischen Gründen eingestellt werden.«
Die angeblichen Beweise, die hier erwähnt werden, hat der Staatsanwalt nie vorgelegt. Vielmehr berichtete die Agentur Reuters bereits am 3. Mai 2017, Zuccaro habe vor einer parlamentarischen Kontrollkommission seine Behauptungen zurückgezogen: »An Italian prosecutor who began an investigation into possible ties between humanitarian organizations that rescue migrants at sea and Libya-based people smugglers said on Wednesday he had no proof of any wrongdoing.«
Die Behauptungen sind also nicht nur falsch, sondern wurden hier wohl gezielt trotz aktuellerer Informationen veröffentlicht. Sogar noch Mitte Juni 2017 werden dann die Behauptungen des italienischen Staatsanwaltes erneut in einem Artikel ins Feld geführt, diesmal aber mit dem Zusatz, die Ermittlungen seien unter »mysteriösen Umständen« eingestellt worden.
Und auch zu den rechtlichen Rahmenbedingungen verbreitet »Ein Prozent« Falschinformationen. So behauptet die Initiative in ihrer Artikelserie über Seenotrettung, die humanitären Organisationen ignorierten die »gesetzliche Pflicht«, »die angeblichen Schiffbrüchigen in den nächstgelegenen Hafen zu bringen«. Eine kurze Recherche zeigt, auch diese Behauptung ist schlicht falsch. In einem Rechtsgutachten des deutschen Bundestages vom 31. Juli 2017 heißt es: Es gehe nicht darum, die Geretteten in den nächsten Hafen, sondern »innerhalb einer angemessenen Zeit an einen ‹sicheren Ort› zu bringen«. Als sicher gilt ein Ort, »an dem das Leben der Überlebenden nicht mehr weiter in Gefahr ist und an dem ihre menschlichen Grundbedürfnisse (wie zum Beispiel Nahrung, Unterkunft und medizinische Bedürfnisse) gedeckt werden«. In Libyen ist dies nicht der Fall.
Ähnlich wie bei den anderen Beiträgen der »neu-rechten« Sammelorganisation sind auch zahlreiche als Recherche-Leistung verkaufte Informatio­nen schlicht öffentliche Online-Quellen. Zu den finanziellen Ressourcen der NGOs im Mittelmeer heißt es: »Das ‹Ein Prozent›-Recherchenetzwerk ist der Spur des Geldes gefolgt«. Schwierig war dies indes nicht. Die Homepage openmigration.org stellt alle Informationen über finanzielle Ressourcen der aktuell im Mittelmeer agierenden Seenotretter öffentlich zur Verfügung. Die ganze Arbeit für die Recherche-Gruppe: »copy and paste« einer abrufbaren Grafik und noch einmal googeln der eingebundenen Stiftungen. Aber alles im Duktus investigativer Recherche und gefolgter Empörung über die zutage geförderten Informationen.

Spenden für Lächerlichkeiten – auf Tour mit »Defend Europe«
Kurz vor dem Start der am Ende völlig bis in die Lächerlichkeit gescheiterten Kampagne »Defend Europe« (s. drr Nr. 168) kündigte auch »Ein Prozent« an, ihren »Mitarbeiter Simon Kaupert« mitschicken zu wollen und rief zu Spenden für dessen Reise auf. Kaupert berichtete dann in einigen Videos und Texten von seiner Reise mit »Defend Europe«. Schon bei der Ankunft in Catania begann Kaupert mit dem Dreh kleiner Selfie-Videos. So berichtet er: »Als wir direkt in den Hafen reingegangen sind – natürlich auffällig mit einer Kamera – hat uns die örtliche Hafenpolizei direkt kontrolliert.« Kaupert schlussfolgert scharfsinnig: »Scheinbar hat man hier was zu verbergen.« Ende der Situationsbeschreibung. Das zweite Video des Reisetagebuches ist dann ähnlich tiefgründig. Kaupert entdeckt am Hafen, wo die Schiffe der Seenotrettung einlaufen, Busse: »Was wir auch schon gesehen haben, sind diese ominösen Busse, die wir bereits gestern gesehen haben. Diese Busse sollen die Migranten direkt vom Hafen wegbringen und über ganz Sizilien verstreuen.« Wieder ordnet Investigativ-Leiter Kaupert seine Beobachtungen im Nachsatz ein: »So wird der Taxiservice der NGOs geheim gehalten und so wird auch diese Massenmigration hier regelrecht vertuscht«. Der absurden Stilisierung der eigenen Berichte als Investigativ-Recherche folgt natürlich, wie auch bei der »Identitären Bewegung«, die völlig haltlose Einordnung des Erfolges der eigenen Arbeit.
Auf Twitter verkündete Kaupert Anfang Oktober 2017: »Durch Hintergrundrecherche und effektive Kampagnenarbeit konnte massive mediale Aufmerksamkeit i.R. (in Richtung) Mittelmeer gelenkt werden« und weiter »das Resultat war ein messbarer Einbruch der illegalen Migration, der allein unserer Arbeit zuzuschreiben ist«. Diese Selbstinszenierung sowohl der »Identitären Bewegung« als auch von »Ein Prozent« ist ursächlich auch im Überschreiten des Zenits der eigenen Strategie zu sehen.