Schulterschluss im Dorfgasthof

von Martin Steinhagen
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 166 - Mai 2017

Zum 17. Mal hat sich im Februar die Neue Rechte in Schnellroda zur »Winterakademie« des »Instituts für Staatspolitik« getroffen: Es geht um Gewalt. Vor Ort zeigt sich, wie verschiedene Strömungen der extremen Rechten in der Dorfgaststätte zusammenrücken.

Schnellroda, Sachsen-Anhalt, eine gute Dreiviertelstunde Autofahrt südwestlich von Halle. Ein Dorf entlang 700 Metern Hauptstraße: Kirche, Friedhof, ein alter Wasserturm, Häuser mit gehäkelten Gardinen hinter den Fenstern, ein Fußballplatz, rund 200 EinwohnerInnen. In der gelb gestrichenen Dorfgaststätte »Zum Schäfchen« stehen am vorletzten Wochenende im Februar die ganz großen Themen auf dem Programm: Das »Institut für Staatspolitik« (IfS) um Verleger Götz Kubitschek hat zur 17. »Winterakademie« geladen. Es geht um Gewalt.
Zentrale Figuren der neu-rechten Szene waren da: In Schnellroda treffen sich an diesen Tagen Kader der »Identitären Bewegung« (IB) aus Deutschland und Österreich, zwei sachsen-anhaltische Landtagsabgeordnete der »Alternative für Deutschland« (AfD), Burschenschaftler, Autoren von Kubitscheks Antaios-Verlag, einschlägige Publizisten – darunter einige Frauen.

Antifaschistisches Magazin der rechte rand Ausgabe 166

Polizei schützt in Schnellroda Kubitschek und seine Gäste

Treffpunkt im Dorf
Der Name des kleinen Dorfes, in dem Kubitschek und Ellen Kositza wohnen, ist längst zur Chiffre geworden. Die Neue Rechte trägt dazu nach Kräften bei, nutzt Schnellroda als eine Art Werbeslogan zur Propagierung eines neu-rechten Lebensgefühls: Zur »Hauptstadt von Kekistan« machen »Identitäre« den Ort auf Twitter – eine Anspielung auf die Meme-Kultur der amerikanischen »Alt-Right«, die von der IB zuletzt häufig adaptiert wird. Marc Jongen, der Co-Vorsitzende der AfD Baden-Württemberg, raunt von der Dorfkneipenbühne, er freue sich über seinen Auftritt im »fast schon mythischen Schnellroda« und habe das Gefühl, hier »zu Freunden im Geiste zu sprechen«. Das abgelegene Dorf verklärt der promovierte Philosoph gar zum »exterritorialen Ort in der heutigen BRD«. Wenn von der Neuen Rechten die Rede ist, wird immer wieder das Sprachbild von der Scharnierfunktion bemüht, von deren Vermittlerrolle zwischen der extremen Rechten und konservativen Kreisen. In Schnellroda ist dies ganz praktisch zu beobachten – gerade an Wochenenden wie im Februar. Die »Akademien« des IfS richten sich an TeilnehmerInnen unter 35 Jahren; wer dabei sein will, muss 100 Euro zahlen, ermäßigt kostet es noch 50 Euro. Dieses Mal sind mehr als 120 Personen angereist. Es werden Vorträge geboten, eine gemeinsame Jogging-Runde steht auch auf dem Programm. Und das Netzwerken beim Bier scheint gut zu funktionieren.
Melanie Schmitz und Mario Müller der IB-Gruppe »Kontrakultur Halle« jedenfalls fühlen sich sichtlich wohl: Sie laufen am Freitagmittag mit großen Kameras um den Hals durch Schnellroda und fotografieren GegendemonstrantInnen. Rund 150 protestieren später gegen das IfS-Treffen in der Provinz, es ist nur eine Handvoll AnwohnerInnen darunter. Wenn man sich im Dorf umhört, ist die Stimmung durchaus geteilt. Aber viele wollen vor allem eines: ihre Ruhe. Insbesondere für IB-Kader ist Schnellroda ein Fixpunkt, sie fühlen sich hier wie zu Hause, das macht das selbstbewusste Auftreten deutlich: Aus Mecklenburg-Vorpommern sind Hannes Krünägel, Daniel Funke und Daniel Fiß gekommen, aus Sachsen der Videoblogger Tony Gerber. Im Garten von Kubitscheks Rittergut postieren sich IB-Youtuber Philip Thaler und der Hallenser Till-Lucas Wessels, als die Demo daran vorbeizieht.
Aus Österreich sind unter anderen Martin Sellner, Jörg Dittus und die IB-Aktivistin, die sich gerne Alina von Rauheneck nennt, angereist. Auch der ehemalige WÜGIDA-Redner Simon Kaupert ist in Schnellroda dabei, genau wie der Kleinverleger Philip Stein. Der Pressesprecher der »Deutschen Burschenschaft« und Mitglied der »Germania Marburg« ist zugleich »Projektleiter« des Neue-Rechte-Netzwerkprojekts »Ein Prozent«, in dem außer Kubitschek selbst auch Hans-Thomas Tillschneider aktiv ist. Der Vorsitzende der »Patriotischen Plattform« und AfD-Landtagsabgeordnete in Sachsen-Anhalt, Tillschneider, ist bei der »Winterakademie« mit seinem Fraktionskollegen Jan Wenzel Schmidt anwesend. Sie diskutieren später mit Sellner auf der Bühne, geben sich dort als Opfer linker Gewalt und der Medien. Schmidt hat seinen umstrittenen Wahlkreisbüromitarbeiter und Ex-NPD-Mann Stefan Träger mitgebracht.
Als die Gegendemo vor der Gaststätte vorbeizieht, postiert sich auch ein Grüppchen Neonazis aus der Region auf dem Gehweg neben einigen AnwohnerInnen und den Akademie-TeilnehmerInnen. Zu stören scheint das die Neu-rechten nicht, die eigentlich auf eine Abgrenzung zur klassischen Neonaziszene stets bedacht sind. Deren Vorträge wollen die teilweise im klassischen Glatze-Bomberjacke-Outfit auftretenden Neonazis aber offenbar auch nicht hören und verschwinden nach dem Ende der Demo wieder aus dem Dorf.
Was an den langen, dunkelbraunen Holztischen im Saal der Dorfkneipe an jenem Wochenende besprochen wird, ist nur aus zweiter Hand zu erfahren. Die Presse ist bei der Akademie nicht erwünscht, einzelne Vorträge werden aber später auf Youtube veröffentlicht – ohne die darauf folgende Diskussion. Insgesamt sprechen laut Programm acht Referenten, ausschließlich Männer. Abends wird ein Film gezeigt: »A Clockwork Orange« – der kontroverse Film von Stanley Kubrick gilt auch als einer der Kult-Filme der Skinhead-Szene.

Donovan
Aber nicht nur vor der Kneipe, sondern auch beim Akademie-Thema »Gewalt« zeigen sich Berührungspunkte unterschiedlicher Szenen. Dies zeigt besonders der Auftritt des US-amerikanischen Autors Jack Donovan – kurz geschorene Haare, Tätowierungen auf den durchtrainierten Armen, Motivationstrainer-Stimme. Der 42-Jährige inszeniert sich gern als Hyper-Mann, posiert für seinen Instagram-Kanal nackt neben einer Nietzsche-Statue in Weimar oder mit einem abgeschlagenen Wildschweinkopf in der Hand. In den USA ist er als Publizist und Podcaster und in einem Männerbund namens »Wolves of Vinland« aktiv – einer etwas überdreht wirkenden Mischung aus Rocker-Machokult, Neuheidentum und »White Nationalism«. Donovan, dessen Buch »Der Weg der Männer« der österreichische IB-Vordenker Martin Semlitsch (Martin Lichtmesz) für den »Antaios-Verlag« übersetzt hat, dürfte in der deutschen Neuen Rechten nicht nur aufgrund seines Auftretens und seiner Homosexualität nicht gerade unumstritten sein.
In Schnellroda stellt Donovan nichtsdestotrotz seine mit Nietzsche-Vokabeln garnierten Thesen zu Gewalt vor (»Violence is Golden«). Für ihn ist Gewalt ein grundlegendes Prinzip, auf dem auch der demokratische Rechtsstaat, das »empire of nothing« ruht, obwohl es das stets leugne. Gewalt sei dementsprechend nicht böse, sondern so elementar wie Feuer, an dem man sich schließlich sowohl wärmen als auch verbrennen könne. Donovan wirbt dafür, den vermeintlichen Wert der Gewalt anzuerkennen, die er als schöpferisch preist und als Mittel in der Verteidigung der eigenen Identität gegen »die Anderen«: Es sei zwar verlockend, sich stets als Opfer von gewalttätigen politischen Gegnern darzustellen, aber man spiele so im Narrativ von der bösen Gewalt mit, akzeptiere die »Sklavenmoral«. Für Donovan ist das strategisch in Ordnung, solange man nicht selbst daran glaubt. Er formuliert seine eigene Version der neu-rechten Mimikry-Strategie, bei der stets je nach Gesprächspartner die Argumente gewechselt werden: Wir schulden dem Staat und den Fremden keine Wahrheit, nur unserem »Stamm, unseren Brüdern, unserem Volk«, sagt er.
Für den »edlen Barbar« stelle sich die Frage, ob Gewalt gegen Leute, die nicht seine Leute sind, gut oder böse sei, schlicht gar nicht. Entscheidend sei, ob der Einsatz von Gewalt erfolgversprechend ist. Falls ja: »Press play!«, rät Donovan. Meistens sei das unter den gegebenen Umständen wegen der zu befürchteten strafrechtlichen Verfolgung aber nicht ratsam, warnt er. Donovan propagiert, als Widerstandsstrategie »interne Kulturen« abseits des Mainstreams aufzubauen, »die Stärke, Dominanz, und die Fähigkeit, Gewalt erfolgreich anzuwenden als goldene Werte anzuerkennen«. Die »beste Revolte gegen eine Kultur der Schwäche ist es eine Kultur der Stärke zu schaffen«, ruft er von der Bühne des »Schäfchen« – und lobt diejenigen, die das bereits in schlagenden Verbindungen praktizierten. Einen simplen Rat hat er auch noch parat: Ab und an brauche jeder einmal einen Schlag in die Fresse.

Sellner
Für einen strategischen Umgang mit Gewalt argumentiert in Schnellroda auch Martin Sellner – allerdings für eine strategische Gewaltlosigkeit. Sellner, der noch immer als Entwicklungshelfer der deutschen »Identitären« gehandelt wird, stellt heraus, dass gewaltfreier Protest für die Neue Rechte zielführender sei. Die »alte Rechte« verwechsele Macht und Gewalt, träume von einem militärischen Sieg und lenke sich so von der eigenen Handlungsunfähigkeit im »Infokrieg« ab. Auf den komme es aber an, erklärt Sellner, und bezieht sich dabei wie üblich auf den italienischen Marxisten Antonio Gramsci: Die eigentliche Macht, das sei die »metapolitische Macht«, die den »Raum des Sagbaren« definiert. Diesen könne man aber nicht effektiv mit Gewalt verändern, sondern nur durch Subversion. Sellner bedient sich bei dem amerikanischen Politikwissenschaftler Gene Sharp und dem serbischen Aktivisten Sr?a Popovi?: Wer gewaltfrei agiere, müsse nicht konspirativ vorgehen, könne Gesichter und Menschenmassen zeigen, bringe sich nicht in Konflikt mit dem Staat, müsse sich nicht vermummen. Die Repression des Staates wirke zudem mobilisierend, weil sie gegenüber gewaltfreien Aktivisten stets überzogen erscheine. Es sei stets der politische Gegner, der versuche, einen zur Gewalt zu verführen.
Das Ziel, das Sellner für Deutschland und Österreich vorgibt, beschreibt er als »Orbanisierung«, eine »radikale und drastische Änderung der öffentlichen Meinung, die andere Gesetze und andere Politik ermöglichen wird«. Eine »Maidanisierung« sei hierzulande kaum zu erreichen. Sellner wirbt abschließend für »Wehrhaftigkeit« im Umgang mit Gewalt des politischen Gegners, aber dafür nicht selbst solche Auseinandersetzungen zu suchen. Die Wort- und Bilderwelten der IB – die er auch mit seinem Versandhandel, der ja nicht nur aus Einfallslosigkeit »Phalanx Europa« heißt, verbreitet – sind indes voller militärischer und gewaltverherrlichender Codes: Von der »Reconquista« bis zum Märtyrerkult um die spartanischen Krieger und dem angeblich verzweifelten Abwehrkampf der letzten Generation »ohne Migrationshintergrund«. Für sich selbst sieht Sellner angeblich nur einen Weg: Entweder gelänge es, Staat und die Hegemonie nach rechts zu verschieben oder die Repression werde zunehmen. In Schnellroda, wo Pathos nicht gerade ein unbeliebtes Stilmittel ist, nennt er das: Gefängnis oder Reconquista.

Jongen
Marc Jongen, der eher den Staat umbauen als hinter Gefängnismauern wollen dürfte, scheint zunächst einen ganz anderen Blick auf Gewalt zu haben als die anderen Redner, deren Vorträge nachträglich im Internet zugänglich gemacht wurden. Jongen widmet sich in seinem Vortrag einem »Akt der Gewalt« gegen die »psycho-soziale Integrität« des deutschen Volkes, wie er sonst nur in Kriegszeiten zu beobachten sei: der »Migranteninvasion«. Für den wissenschaftlichen Mitarbeiter für Philosophie und Ästhetik der staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe ein »historisches Verbrechen« der politisch Verantwortlichen. Welche Assoziationen er mit dieser Wortwahl auslöst, dürfte ihm bewusst sein.
Jongen wirbt in Schnellroda für seine Theorie von der »Thymosschwäche« der Deutschen. Im Auftritt ganz dem akademischen Habitus verpflichtet, zeigt er dabei aber durchaus Nähe zu den plakativen Thesen Donovans, mit dem er etwa die Prämisse von der Gewalt als Ursprung aller Kultur teilt.
»Thymos«, das ist für Jongen der Begriff für Stolz, Zorn, Mut, aber auch Hass und Ressentiment. Ein »wohltemperierter Thymos« sorge für »Beherztheit« und »Selbstachtung«, an denen es der Mehrheit der Deutschen selbstverständlich fehle, was zu mangelndem nationalen Stolz und »Selbsthass« führe (der Thymos der Antifa-DemonstrantInnen vor der Tür sei hingegen bloß fehlgeleitet, erklärt er en passant). Die »Migranteninvasion« ist in Jongens Weltbild deshalb ein Akt der Gewalt, weil er den Islam als eine »thymotisch hoch aktive Kultur« charakterisiert, die auf die als schwach und wehrlos dargestellte deutsche trifft. In der Beschreibung der Anderen, die sich aus der typischen Projektion, aus der gewohnten Mischung aus Angst vor und Neid auf vermeintliche Potenz, Männlichkeit oder eben »Thymosspannung« zusammensetzt, darf natürlich auch der Verweis auf die »leicht bekleideten Refugee-Welcome-Mädchen« nicht fehlen, die aber »nach Köln« nun doch umdenken würden.
Jongens Rat für die Praxis bleibt sicherlich aus guten Gründen besonders schwammig. Wer gegen die angebliche »Selbstabschaffung« vorgehen wolle, müsse die eigenen Selbstbehauptungskräfte verjüngen, »indem man sich auf die genetischen Grundlagen der Kultur« besinnt, sagt er schließlich. Das sei freilich »gar kein intellektueller Akt« und passiere ja jetzt bereits. Von diesem »Thymostraining« erhofft sich Jongen einen neuen Zusammenhalt der Deutschen. »Es ist hoffentlich so, dass es nicht zu Krieg und Bürgerkrieg wieder kommt« bei diesem »Hinabsteigen in die Zone, wo Kultur formiert wird«, sagt Jongen. Aber das vermeide man nicht, indem man »die gewaltsamen Quellen der Kultur verleugne und mit illusionären Scheinwerten überkleistere«, sondern indem man ihnen ins Auge blicke, sie einhege und in eine »zivile Wehrhaftigkeit« überführe. Was diese ausmacht, und vor allem was das Zivile daran sein soll, das führt er allerdings nicht mehr aus.