Lieber Humanität
von Andreas Speit
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 188 - Januar / Februar 2021
Die Angriffe kamen mit Ansagen. Seit Jahrzehnten forcieren verschiedene Akteur*innen eine »Kulturrevolution von rechts«. Die massiven Anfeindungen richten sich gegen Künstler*innen aus dem engeren Kunstspektrum, das von Ausstellungen über Konzerte und Literatur bis Theater reicht. Dekadenz und Diversität werden beklagt und bejammert. Denn Kunst soll eine nationale Identität für eine homogene Gemeinschaft bilden. Eine Kunst-Kritik, die mit einer Lifestyle-Kritik einhergeht. Dieser Ansturm trifft vor allem Kunstschaffende, die andere Werte als neue Option auf die Bühne oder Leinwand bringen, in Romane oder Songs fassen. Doch gemeint sind alle, die strenge Formen und homogene Ideale ästhetisch und politisch belächeln und brechen.
Das laute Gejammer von rechts ist nachvollziehbar. In seinem Longseller »Kulturrevolution von rechts« ruft Alain de Benoist nicht bloß zum Kampf im vorpolitischen Terrain auf, er markiert auch den Hauptfeind: den Liberalismus als Lebensmentalität. Zwischen Kunst und Lifestyle hat die Rechte viel Raum verloren. Romeo und Julia nackt auf der Bühne, wen schockiert das noch? Mann oder Frau, wen interessiert das jetzt? Bitte nicht falsch verstehen: Die Sittenwächter*innen, Anstandshalter*innen und Hasser*innen sind da – sie verletzen viele und beschränken noch viele mehr. In seiner Geschichte war dieses ›Kaltland‹ jedoch noch nie so liberal und libertär – trotz der andauernden Abwertung von »Minderheiten« und der Abschottung gegen Geflüchtete.
Mit künstlerischen Mitteln wurden seit der Entstehung der 68er-Bewegung die bestehenden Verhältnisse jedoch zum Tanzen gebracht, Freiräume erkämpft. Die Diktion von Theodor W. Adorno – »es gibt kein richtiges Leben im falschen« – gilt weiterhin. Die Zeile der Band Blumfeld »Offen gesagt haben wir vor, weiter zu machen (…) in Sachen Selbstverwirklichung – offensichtlich halten welche nicht soviel davon wie wir«, ist weiterhin virulent.
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Ein selbstbestimmtes Ich, ein selbstzusammengesuchtes Wir jenseits von Herkunft, Abstammung, Gender und Religion: Das ist für die Rechte die Apokalypse, die auch beim Bundessprecher der »Alternative für Deutschland« (AfD), Jörg Meuthen, als »links-rot-grün-versifftes 68er-Deutschland« durchklingt. Ihre apokalyptischen Reiter*innen versuchte die AfD-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt durch das Streichen von Kulturförderungen für Theater zu stoppen. In Hamburg wollte die AfD-Bürgerschaftsfraktion einen Auftritt der Band Slime unterbinden. Erfolge erzielten die Rechten nur, wo Angefeindete zurückwichen. Vor zwei Jahren zog die Stiftung Bauhaus Dessau eine Zusage für ein Konzert der Band Feine Sahne Fischfilet wegen rechter Proteste zurück. Ein Pyrrhussieg für die Rechte. Wenige Wochen später startete die Kampagne »Erklärung der Vielen« für Kunstfreiheit und gegen völkisch-nationale Kultur.
Jene Kultur des Eigenen besingen die Götz Kubitscheks und Ellen Kositzas im Chor. Und sie rezipieren auch das ewig-rechte Credo der Klassik gegen die Moderne. Im Wilhelminismus fühlten sich schon rechte Publizisten berufen, Dichter der Klassik und Romantik auf rechte Töne zu reduzieren. Im völkischen Klassiker »Rembrandt als Erzieher« führte August Julius Langbehn aus, Friedrich Schiller habe nicht »den Menschen«, sondern »den deutschen Menschen« erziehen wollen. Und Johann Wolfgang von Goethe mit einbeziehend schrieb der Philosoph Langbehn 1890, dass »ihre (…) Tätigkeit im Wesentlichen eine nationale, (…), deutsche war«. Die Reduktion wird nur den Reduzierenden gerecht. »Deutschland! Aber wo liegt es?«, hatte Friedrich Schiller 1796 gefragt und vorgeschlagen, lieber Humanität als Nationalismus zu wählen. Und Goethe meinte 1808: »Deutschland ist nichts, aber jeder Deutsche ist viel, und doch bildet sich letzteres das Umgekehrte ein.«
Diese Positionen zu ignorieren, resultiert aus einem Dilemma der Rechten. Ihnen fehlt renommiertes Personal aus dem eigenen Milieu, das Tabus brach, Ästhetik setzte – einst wie jetzt, vom 18. bis ins 20. Jahrhundert. Über Ausnahmen darf freilich gestritten werden. Wer rezipiert über ihre Szene hinaus aber Ernst Moritz Arndt ohne kritische Kontextualisierung? Wer Wilhelm Vesper? Wer Ernst Jünger? Ihre eigenen Autor*innen haben gegenwärtig kaum politische Relevanz jenseits ihrer selbst, nicht auf den Bühnen, nicht in der Literatur und nicht im Feuilleton. Ihre ästhetischen Formen und politischen Inhalte von Heroismus und Sezession oder Naturalismus und Nationalismus sind kaum en vogue. Innovativ, kreativ? Selbst die »metapolitische Avantgarde«, die »Identitäre Bewegung«, erfand keine Aktion und Ästhetik, sie kopierte bloß.
Einer ihrer Rap-Stars, »Chris Ares«, ist derweil schon verglüht. Dass Verhältnisse kippen können, zeigt die deutsche Geschichte. Anfang der 1930er Jahre lief die Party in der künstlerischen Boheme noch, alle lässig, alles cool, alles queer. Im Musical und späteren Film »Cabaret« wird der Kipp-Punkt vorgeführt, wenn die Protagonistin im damaligen Berlin auf der Bühne mit Sex spielend Songs vorträgt und im Keller bereits SA-Männer ihre Opfer zusammenschlagen. Die Geschichte belegt ebenso: Erst mit dem Kippen der gesellschaftlichen Mitte kippen die Verhältnisse. Im aktuellen Diskurs müssen auch Literat*innen wie Botho Strauß oder Satiriker*innen wie Lisa Eckhart ihre rechten Ressentiments vorgehalten werden. Sie werden breit gelesen und gehört. Aus einem Grund: Sie haben keine extrem rechte Biographie. Das ist ihr Alibi, nicht ihr Œuvre. Der Wandel beginnt, wenn die Intellektuellen aus Trotz einer Barbarei huldigen oder aus Lust eine Antihumanität kultivieren, warnte Hannah Arendt. In ihrer Kritik am sogenannten Meinungskorridor haben sich unlängst Uwe Tellkamp oder Monika Maron verrannt. Sie alle stört, dass Kritik auf ihre Kritik erfolgt. Schnell wird sie – auch in Feuilletons – als »Cancel Culture« abgewehrt, um sich der Debatte zu entziehen. Vielleicht bringt es die Band Neonschwarz kurz und klar auf den Punkt: »Will dir nichts verbieten, will nur sagen, dass du scheiße bist.« In »Cabaret« sitzt die Queere-Kunst-Group irgendwann in einem Ausflugslokal, ein Junge mit HJ-Uniform stimmt »Der morgige Tag ist mein« an, am Ende steht die Gemeinschaft stramm. Die Group ist irritiert. Heute ist das anders. Die Betroffenen leisten nicht bloß mit den Mitteln der Kunst Gegenwehr – sie greifen auch an.