»Die weiße Rasse ist (…) die am Geistigen schaffende Rasse«

von Peter Bierl
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 189 - März / April 2021

#Anthroposophie

Rassismus, Antisemitismus und Verschwörungsdenken als Grundlagen der Anthroposophie

antifa Magazin der rechte rand
Rudolf Steiner © Oliver Rautenberg

Die Anthroposophie ist ein Zweig der Naturschutz- und Umweltbewegung in Deutschland, seit ihr Begründer Rudolf Steiner (1861-1925) beschloss, nicht nur sein Karma-Konto zu pflegen, sondern praktisch tätig zu werden. Daraus entstand die biologisch-dynamische Landwirtschaft, deren Vertreter*innen später mit dem Nationalsozialismus kollaborierten bis hin zu Experimenten in der Kräuterplantage im Konzentrationslager Dachau. Anthroposophische Kreise um Joseph Beuys gehörten dann Ende der 1970er Jahre zu den Gründungszweigen der Grünen. Im »Collegium Humanum« in Vlotho von Werner Georg Haverbeck (1909-1999), einem Altnazi und vormaligen Pfarrer der anthroposophischen »Christengemeinschaft«, fanden dazu erste bundesweite Koordinationstreffen statt. Heute gehören Unternehmen wie Hauschka und Weleda, die GLS-Bank und demeter, der Verband der biologisch-dynamischen Landwirtschaft, Waldorfkindergärten und Waldorfschulen sowie Einrichtungen für Alte und Behinderte zur anthroposophischen Subkultur.

»Menschheitsführer«


Die Methode, mit der Steiner dieses Paralleluniversum begründete, war schlicht. Er griff Reformideen auf, kombinierte sie mit seiner okkulten Weltanschauung und präsentierte das Ergebnis als Frucht seines »geistigen Schauens«. So schuf er 1924 die biodynamische Landwirtschaft, indem er Warnungen vor zerstörerischen Tendenzen der industriellen Landwirtschaft mit Obskurantismus paarte und über »Offenbarungen des Stickstoffs« oder »geistigen Mist« aus Kuhhörnern schwadronierte. Seine Getreuen feierten ihn als »Menschheitsführer«, als Reinkarnation von Aristoteles und Thomas von Aquin. Zunächst leitete Steiner die deutsche Sektion der »Theosophischen Gesellschaft«, überwarf sich aber mit der internationalen Führung. Vor dem Ersten Weltkrieg spaltete er die Sektion ab und gründete die »Anthroposophische Gesellschaft«. Seine Lehre sampelte er aus Versatzstücken von Hinduismus und Buddhismus wie Karma und Wiedergeburt, dazu Evolutionsideen plus christliche Elemente. Daraus entstand etwa die Idee von Christus als inkarniertem Sonnengeist.

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Völkischer Nationalismus


Den völkischen Nationalismus samt Antisemitismus und Rassismus saugte Steiner bereits in seiner Kindheit und Jugend in Österreich auf, als Student in Wien schrieb er für deutschnationale Zeitungen. Aus dieser Zeit stammt sein Diktum, das Judentum habe »keine Berechtigung innerhalb des modernen Völkerlebens, und dass es sich dennoch erhalten hat, ist ein Fehler der Weltgeschichte, dessen Folgen nicht ausbleiben konnten. Wir meinen hier nicht die Formen der jüdischen Religion allein, wir meinen vorzüglich den Geist des Judentums, die jüdische Denkweise«.
Nach seiner Wende zur Esoterik übernahm Steiner von den Theosoph*innen die Lehre von den Wurzelrassen. Demnach treten auf diesem Planeten sieben Wurzelrassen mit je sieben Unterrassen auf, in denen sich die spirituelle Evolution des Individuums und der Menschheit ausdrückt. Spirituell hoch entwickelte Wesen inkarnieren (»verkörpern sich«) in fortgeschrittenen Rassen, entwicklungsunfähige Wesen in niederen Rassen. Jüdinnen und Juden inkarnieren immer wieder als Jüdinnen und Juden, solange sie sich weigern, Christus anzuerkennen.
In einigen Jahrtausenden würden die Rassen verschwinden, wenn alle Wesen spirituell so weit fortgeschritten seien, dass sie aus dem Jenseits ihre Körper selber formen, prognostizierte Steiner. Diese Stelle zitieren Anthroposoph*innen gerne, wenn sie mit dem Vorwurf des Rassismus konfrontiert werden. Nicht zu Unrecht, denn der anthroposophische Rassismus unterscheidet sich dadurch fundamental vom nazistischen Rassismus. Den Nationalsozialist*innen ging es in Theorie und Praxis immer nur um die Versklavung sogenannter minderwertiger Rassen und die Vernichtung der Jüdinnen und Juden. Anthroposoph*innen hingegen wollen mit ihrer Lehre alle Menschen von der Bindung an die Materie erlösen.

Rassistisch und kolonialistisch


In einem Bericht in einem internen Waldorf-Rundbrief von 1997 über die anthroposophisch orientierte Teeplantage Sekem, die hierzulande von Medien als Musterprojekt gefeiert wurde, heißt es, die Ägypter*innen lebten ganz in der »Empfindungsseelenzeit« wie fast alle Völker und Kulturen im Sonnengürtel der Erde. Sie ließen sich treiben, lebten nicht zielgerichtet, deswegen sei der Autoverkehr in Kairo chaotisch und alles überall unglaublich dreckig. Im Unterschied dazu sei es in Sekem ordentlich und sauber, es herrsche eine arbeitsame, sinnerfüllte Atmosphäre. Der Verfasser führt dies darauf zurück, dass die Führungsstruktur einer der Empfindungsseele der Einheimischen angemessenen »pharaonischen Hierarchie« gleiche und die »meist europäischen Mitarbeiter die Verhältnisse aus der Bewusstseinsseele heraus zielvoll führen«. Diese Bewusstseinsseele ist nach Steiner ein höheres geistiges Wesensglied, über das nur Europäer*innen verfügen.
Selten kommt die Herrenmenschenattitüde so unverblümt zum Ausdruck, die sich hinter ätherischem Gutmenschentum verbirgt. Anthroposophischer Rassismus ist nicht eliminatorisch, aber paternalistisch, er konserviert die kolonialistische Ideologie seiner Entstehungszeit um 1900, als Europäer*innen bis weit hinein in die Sozialdemokratie von der »Bürde des weißen Mannes« sprachen, um die Aufteilung der Welt, das Plündern, Foltern und Morden zu rechtfertigen. Es geschehe zum Wohle der »Wilden« und »Barbaren«, denen man die Segnungen der »Kulturvölker« bringe, hieß es damals.
Mit Liebe zum Detail schilderte Steiner die Eigenschaften vermeintlicher Rassen und bewertete diese. Chines*innen, Japaner*innen oder Koreaner*innen schmähte er als entwicklungsunfähig, andere Gruppen als spirituell minderwertig oder dekadent. Schwarze diffamierte er als von der Hitze der Sonne gesteuerte Triebwesen, was rassistisch-sexistischen Stereotypen entspricht. Slaw*innen wertete er als kindlich und roh ab, ihnen müssten die Deutschen erst Kultur und Zivilisation beibringen.

»Rassenlehre«


Eine Grundregel dieser evolutionär-okkulten Rassenlehre besagt, dass »Rassen« bestimmte Aufgaben haben. Ist deren Mission erfüllt und ihre Zeit abgelaufen, haben diese »Rassen« keinen Wert mehr für die weitere spirituelle Evolution. In diesem wahnhaften Schema sollten die Jüdinnen und Juden den Monotheismus schaffen und ein Gefäß, einen Körper für die Reinkarnation von Christus hervorbringen. Demnach wäre ihre Mission mit dem Jahr Null der christlichen Zeitrechnung zu Ende gegangen. Aufgrund dieser wirren Logik gelangte Steiner zu dem Verdikt, das heutige Judentum sei erstarrt und überlebt. Während Steiner die Weißen als »am Geistigen schaffende Rasse« pries, wies er den Deutschen die wichtigste Mission im Weltenlauf zu: Sie seien von höheren Mächten ausersehen, die Respiritualisierung der Welt voranzutreiben. Vor diesem Hintergrund behauptete Steiner, der Erste Weltkrieg sei ein geheimes Manöver angloamerikanischer, freimaurerischer, jüdischer und theosophischer Kreise, die sich gegen Deutschlands Mission verschworen haben. Diese Verschwörungsideologie wurde von Renate Riemeck, einer Galionsfigur der Ostermarschbewegung, Anthroposophin und Ex-NSDAP-Mitglied, 1965 wiederholt.

Antisemitismus


Marie von Sivers, Steiners zweite Ehefrau, glaubte an eine jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung. Der Gründer der Christengemeinschaft »Erzoberlenker«, Friedrich Rittelmeyer, verdammte Internationalismus und Pazifismus als abstrakte und blutlose Produkte des jüdischen Geistes. Er verlangte wie die nationalsozialistischen deutschen Christen eine »Reinigung« des Christentums vom »semitischen Wesenscharakter« und predigte ein »germanisches Christentum«, das seinen »semitischen Wesenscharakter« abstreift. Der Anthroposoph Karl König, Begründer der Camphill-Bewegung, behauptete 1965, der Holocaust sei ein karmischer Ausgleich für den Gottesmord, den die Jüdinnen und Juden begangen hätten. In vielen Waldorfschulen führen Schüler*innen sogenannte Oberuferer Weihnachtsspiele auf, die Steiner bearbeitet hatte. Im Dreikönigsspiel treten drei Juden auf, Kaiphas, Pilatus und Jonas, hohe Priester, die König Herodes die Geburt des Kindes in Bethlehem deuten, woraufhin dieser den biblischen Knabenmord anordnet. Den Regieanweisungen Steiners zufolge werden die Juden stereotyp, servil und schmeichlerisch dargestellt.

Anti-Aufklärung


Gegen Aufklärung sind Anthroposoph*innen immun: »Daß es verschiedene konstitutionelle Merkmale einerseits zwischen den Rassen gibt, andererseits dann aber auch innerhalb der einzelnen Rassen, lehrt die schlichte Anschauung«, schrieb der Waldorffunktionär Stefan Leber 1993 in einem Standardwerk der Waldorfpädagogik. Er verwies »auf die Leiblichkeit und die darin eingebundenen seelischen Eigenschaften« und meint, es gebe »vom evolutiven Gesichtspunkt Merkmale, die einem früheren oder späteren Entwicklungsstadium angehören; in dieser Hinsicht gibt es dann auch eine Wertigkeit von höher oder niedriger, von fortgeschritten und zurückgeblieben«.
In einer Broschüre der anthroposophischen Zeitschrift »Info 3« hieß es 2007: »Grundlage ihres Weltverständnisses ist die Vorstellung einer immerwährenden Höherentwicklung.« Darum sei Anthro­posophie nach Steiner eine »evolutionäre Spiritualität«, das bedeute, »dass es ein Vorne, eine Mitte und ein Hinten gibt, ein Oben und Unten, fortschrittliche und rückständige Zustände«. Alle diese Zustände hätten ihren eigenen Wert: »Sie sind jeweils Bedingung für den nächsten Zustand.« Entwicklung bedeute nicht nur, »dass die Menschheit vom Einfachen und Grundlegenden zum Speziellen und Bedeutsamen fortschreitet. Es bedeutet auch, dass viele der Entwicklungsstadien gleichzeitig existieren können. Nicht die ganze Menschheit und alle Menschen entwickeln sich im Gleichschritt«.
In der »Stuttgarter Erklärung Waldorfschulen gegen Diskriminierung« von 2007 wird unterstellt, Anthroposophie als »Grundlage der Waldorfpädagogik richtet sich gegen jede Form des Rassismus und Nationalismus«. In Steiners Gesamtwerk fänden sich »vereinzelte Formulierungen«, die »nach dem heutigen Verständnis nicht dieser Grundrichtung entsprechen und diskriminierend wirken«. Dieser »Persilschein« zielt darauf ab, Steiner als Kind seiner Zeit darzustellen, was peinlich ist für einen Hellseher. Die Ausrede ist aber vor allem irreführend: Denn es gab damals schon klügere Köpfe als diesen Scharlatan, etwa den Anthropologen Franz Boas oder Rosa Luxemburg, die solchen menschenfeindlichen Ansichten widersprachen.