Festsetzen in der Fläche

von Tilo Giesbers
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 192 - September | Oktober 2021

#Kommunalwahl

Die radikale Rechte hat bei den Kommunalwahlen in Niedersachsen verloren. Doch die AfD konnte ihre Präsenz in der Fläche ausweiten und „dieBasis“ zog in eine Reihe von Kommunalparlamenten ein. Eine erste Analyse der Ergebnisse.

Antifa Magazin der rechte rand
Landkreise in Niedersachsen @ niedersachsen.de

Am 12. September 2021 fanden in Niedersachsen Kommunalwahlen statt. Auch wenn es nach den noch nicht überall bestätigten, endgültigen Wahlergebnissen noch Verschiebungen geben kann und erst mit den Konstituierungen der neuen Gremien im November die endgültigen Zusammensetzungen feststehen werden, ist eine erste Analyse der vorläufigen Ergebnisse möglich.

AfD: Verluste und Siege

Sicher kann die AfD die Wahlen nicht als großen Sieg verkaufen. Dass diverse Medien nun aber von einem Desaster für die Partei sprechen, ist Augenwischerei. Die AfD verliert auf Kreisebene und auch in vielen Städten und Gemeinden. Besonders schmerzen wird sie, dass ihr mit dem Verlust von Sitzen auch einige Fraktionen verlorengehen. Damit verliert sie in größeren Kommunen und bei Kreistagen auch Fraktionsgelder, Büros und Mitarbeiter*innen. Allerdings gewinnt die extrem rechte Partei auf der anderen Seite an Präsenz, weil sie nun in deutlich mehr Gremien vertreten sein wird.

Die Gesamtzahl der AfD-Mandate im Bundesland bleibt nahezu unverändert. Waren es aus den jeweils letzten Wahlen[1] 449 Sitze, werden es ab November 2021 nach vorläufigen Zahlen nun 429 sein, also nur zwanzig weniger. Zählt man die aktuell 60 und zukünftig dreizehn unbesetzten Mandate nicht mit, werden aus den aktuell 389 Sitzen sogar 27 mehr, nämlich 416. Die 429 künftigen Mandatsträger*innen in Niedersachsen sind durchschnittlich 54,6 Jahre alt[2], also etwas jünger als der Durchschnitt der Kandidierenden. Nur 55 von ihnen (12,8 Prozent) sind Frauen. Damit sinkt der Frauenanteil im Vergleich zu den Kandidaturen um 2,3 Prozent. Das liegt vor allem daran, dass die aussichtsreichen Listenplätze in der Regel eher an Männer vergeben wurden.

Da viele Kandidat*innen gleich in mehrere Gremien – etwa in einen Kreistag und einen Gemeinderat – einziehen, verteilen sich die Sitze auf real nur 304 Personen von durchschnittlich 54,8 Jahren. Der Anteil der weiblichen Vertreter*innen steigt von 35 vor fünf Jahren auf nun 42 (13,8 Prozent).

In den Kreisen und Städten

Auf der Ebene der Landkreise[3] kommt die Partei in diesem Jahr auf 116 Mandate und verliert gut ein Drittel ihrer 2016 erzielten 183 Sitze. Die neuen Rät*innen sind durchschnittlich 55,4 Jahre alt, ein Plus von rund vier Jahren. Sechzehn von ihnen (13,8 Prozent) sind Frauen – ein leichtes Plus von 1,8 Prozent. Bei einer gestiegenen Wahlbeteiligung verlor die AfD in Niedersachsen nun rund 330.000 Stimmen – das sind 2,4 Prozent weniger.

Der Partei gelang es diesmal, auch in den kreisfreien Städten Osnabrück und Salzgitter anzutreten, für den Kreistag Wesermarsch dagegen dieses Jahr nicht mehr. In zehn der 37 Kreistagen konnte sie ihren prozentualen Stimmenanteil und in fünfzehn Kreisen die absoluten Stimmen steigern. Die Ergebnisse auf dieser Ebene liegen zwischen nur 1,9 Prozent in der Stadt Osnabrück und 10,4 Prozent in Salzgitter. Die 1,7 Prozent im Kreis Rotenburg sind zwar der eigentlich niedrigste Wert, allerdings waren dort nur die Hälfte der Wahlbereiche mit Kandidierenden der AfD besetzt.

Samtgemeinden

Bei den Wahlen zu 30 Samtgemeinderäten trat die AfD an, in 23 davon zum ersten Mal. Hier zog sie überall ein, wo sie antrat: Die Ergebnisse lagen zwischen 2,3 Prozent in Selsingen (Landkreis Rotenburg/Wümme) und 8,4 Prozent in Wesendorf (Landkreis Gifhorn). Im Durchschnitt erhielt sie in den Samtgemeinden 4,5 Prozent – etwas weniger gegenüber als bei den letzten Wahlen, wo sie etwa fünf Prozent holte. Für neun weitere Samtgemeinderäte kandidierte die Partei diesmal nicht wieder. Die Zahl der Mandate in den Samtgemeinderäten stieg von 33 auf 41. Die Neugewählten sind im Schnitt 53,8 Jahre alt, also gut zwei Jahre älter als bei den letzten Wahlen. Acht von ihnen sind Frauen, womit sich ihr relativer Anteil von sechs auf 19,5 Prozent mehr als verdreifacht.

Kreisangehörige Städte und Gemeinde

In den 148 Räten dieser Ebene mit Kandidaturen der AfD lagen die Ergebnisse zwischen knapp einem Prozent in Farven (Landkreis Rotenburg/Wümme) und 10,5 Prozent in Wagenhoff (Landkreis Gifhorn), durchschnittlich bei 4,7 Prozent. In mehr als fünfzig Kommunen verlor die Partei bis zu neun Prozent, in einigen gewann sie gegenüber den Vorwahlen leicht hinzu. Zu achtzig weiteren Gremien trat sie dieses Jahr neu an – für vierzehn weitere dagegen nicht mehr an. Insgesamt verlor sie in den Städten und Gemeinden gegenüber 2016 rund 4 Prozent der Stimmen. Die Zahl ihrer Mandate auf dieser politischen Ebene blieb mit 202 nahezu unverändert, ebenso das Durchschnittsalter von 54,3 Jahren. Der Frauenanteil stieg leicht von 21 auf 24 oder von 10,2 auf 11,8 Prozent.

Bezirks- und Ortsräte

Die Zahl der Vertretungen von Gemeindeteilen mit AfD-Kandidatur stieg von 30 auf 89 und die mit AfD-Mandaten von 20 auf nun 60. Die Ergebnisse liegen zwischen 0,5 Prozent in Avendshausen/Vardeilsen (Stadt Einbeck im Landkreis Northeim) und 15,1 Prozent in Salzgitter-Nord, im Durchschnitt bei 5,7 Prozent. Fast in allen Gremien, zu denen die AfD auch bei den letzten Wahlen antrat, musste sie Verluste hinnehmen, am stärksten mit einem Minus von 7,4 Prozent beim Ortsrat der Kernstadt Neustadt am Rübenberge (Region Hannover). Für zwölf Stadtbezirks- und Ortsräte trat sie nicht wieder an, für 71 andere dafür neu. Von den künftig 70 AfD-Sitzen dieser Ebene werden sieben von Frauen gehalten, was bei bisher einer Frau einer Verdreifachung von 3,4 auf zehn Prozent entspricht.

Ehemalige der AfD

Die Partei „Liberal-Konservativen Reformer“ (LKR), eine Abspaltung der AfD, gewann bei den Wahlen nun nur noch zwei Sitze in der Samtgemeinde Tostedt und der Gemeinde Handeloh. Andere ehemalige AfD-Funktionär*innen konnten mindestens drei Mandate holen, darunter für die FDP in Delmenhorst Elvira Czaja , die 2016 – damals noch unter dem Namen Jurk – für die AfD in den Rat der Stadt einzog.

NPD

Die Neonazipartei NPD kann in ihrem früheren Stammland Niedersachsen nur noch zwei Mandate erreichen. Manfred Börm behält seine Sitze im Samtgemeinderat Bardowick und im Gemeinderat Handorf.

„dieBasis“

Mit ihrem ersten Antritt bei Wahlen in Niedersachsen holte die neue, verschwörungsgläubige Partei „dieBasis“ bei den Wahlen der Kreistage und Räte kreisfreier Städte Stimmenanteile zwischen 0,1 Prozent im Landkreis Stade und 1,8 Prozent im Landkreis Lüchow-Dannenberg – im Durchschnitt sind das für die Regionen, wo sie antrat, 0,7 Prozent. Die Ergebnisse wäre in einigen Fällen deutlich höher ausgefallen, wenn nicht viele der Wahlbereiche ohne Kandidat*innen der Partei geblieben wären. Von den 33 Gremien dieser Ebene, für die sie kandidierten, konnten sie in jedes dritte mit je einem Sitz einziehen, darunter den Stadtrat von Braunschweig und neun Kreistage sowie die Regionalversammlung Hannover. Drei der elf Mandatsträger*innen sind Frauen. Das Durchschnittsalter liegt bei 55,6 Jahren. In den sechzehn Samtgemeinden, in denen „dieBasis“ antrat, kam sie auf Anteile zwischen 1 Prozent in Hemmoor (Landkreis Cuxhaven) und 3,1 Prozent in Ostheide (Landkreis Lüneburg), im Mittel auf 1,9 Prozent. In acht Samtgemeinderäten sitzt zukünftig je ein*e Vertreter*in der Partei „dieBasis“, darunter drei Frauen. Das Altersmittel liegt bei 60,3 Jahren. In den 65 kreisangehörigen Städten und Gemeinden, in denen die Partei auf den Stimmzetteln stand, erreichte sie zwischen gut 0,2 Prozent in Gifhorn und 12,9 Prozent in Wilstedt im Landkreis Harburg, im Durchschnitt 1,4 Prozent. In 21 Kommunen reichte das für je einen Sitz, von denen sieben an Frauen gehen. Der Altersdurchschnitt liegt hier bei 57,4 Jahren. In den Gemeindeteilen lagen die Stimmenanteile für „dieBasis“ zwischen 0,5 Prozent in Salzgitter-Nord und 7,5 Prozent in Bülten (Ilsede, Landkreis Peine). Nur in vier der insgesamt 26 Gremien erreichte die Partei je einen Sitz. Die vier Männer sind im Schnitt 52,8 Jahre alt. Die insgesamt 44 Mandate der Partei gehen laut Wahlergebnis an 25 verschiedene Männer und 12 Frauen (32,4 Prozent), die im Schnitt 57,2 Jahre alt sind.

Verankerung vor Ort

Noch ist nicht klar, wo sich möglicherweise Fraktionen oder Zählgemeinschaften von AfD und der Partei „dieBasis“ miteinander oder auch mit anderen Parteien und Listen bilden werden, um stärkeren Einfluss in den kommunalen Gremien zu bekommen. Auch kommunal muss sich beweisen, wie weit es mit der vielbeschworenen „Brandmauer“ nach rechts her ist, ob es also eine klare Abgrenzung nach rechts geben wird.

Auch wenn die AfD auf Kreisebene landesweit bei unter fünf Prozent der Stimmen blieb, ihre besten prozentualen Ergebnisse nur auf den niedrigsten Ebenen einfuhr und durch die Partei andere rechte Listen verdrängt wurden, muss das Ergebnis ein Warnsignal sein. Denn die AfD konnte ihre Präsenz in der Fläche deutlich ausweiten. Ausschlaggebend für einen langfristigen Erfolg ist nicht unbedingt der Sprung in die Landtage, wie frühere Beispiele der zeitweise erfolgreichen Parteien „Die Republikaner“ (REP), „Deutsche Volksunion“ (DVU) oder NPD zeigen. Denn gerade die kommunalen Mandate bringen Ansprechbarkeit und Wirksamkeit vor Ort und sorgen so potentiell für eine langfristige Verankerung. Im Herbst 2022 stehen in Niedersachsen Landtagswahlen an. Ob die AfD, die in Umfragen hier seit langem nur knapp über der 5%-Hürde steht, den Wiedereinzug in das Landesparlament schafft ist bisher nicht ausgemacht und wird auch vom antifaschistischen Widerstand abhängen.

[1]    In der Regel 11.09.2016, außer: Geestland, Wüster Nordseeküste, Elm-Asse (jeweils 2014) und Helmstedt (2017), Walsrode (2020), nicht mitgezählt ist das 2020 mit Walsrode fusionierte Bomlitz.

[2]    Da nur Geburtsjahre bekannt sind, wird hier hilfsweise davon ausgegangen, dass alle am Wahltag Geburtstag haben.

[3]    Inkl. der Städte Göttingen und Hannover, die zwar zum Landkreis Göttingen bzw. der Region Hannover gehören, gleichzeitig aber kreisfreien Städten gleichgestellt sind.