Drei Jahre Prozess

Interview
mit dem Rechtsanwalt und Nebenklagevertreter Björn Elberling

Magazin "der rechte rand" - Ausgabe 162 - September 2016

der Anklagepunkte Mitgliedschaft beziehungsweise Unterstützung des NSU darüber hinausgehen und etwa die Rolle weiterer möglicher UnterstützerInnen aufklären. Das hat es zwischendurch ansatzweise getan, etwa die Verbindungen zu »Blood & Honour« begonnen aufzuklären; aber inzwischen macht das Gericht überdeutlich, dass es an jeder Aufklärung in dieser Richtung gar nicht mehr interessiert ist.

Warum? Wieso hat das Gericht kein Interesse?
Darüber kann ich wirklich nur spekulieren. Es kann sein, dass das Gericht sich eben auf seine Rolle als Staatsschutz-Senat besinnt und bestimmte Dinge gar nicht thematisiert haben will – das betrifft vor allem die Rolle der V-Leute und des Verfassungsschutzes allgemein. Es kann aber auch sein, dass sie einfach zum Ende kommen und ein Urteil zu der Anklage schreiben wollen – da kommen wir ihnen mit unseren Versuchen, weitere Aspekte zu thematisieren, natürlich in die Quere.

Wie hat sich die Neonazi-Szene im Laufe des Verfahrens zu den Angeklagten verhalten? Gibt es aktuell Solidaritätsbekundungen oder -aktionen?
Es gab ja in der Bundesrepublik nie besonders ambitionierte Solidaritätskampagnen von Nazigruppen für wegen Gewalttaten inhaftierte Mitglieder, sondern die Szene hat eher die Distanz zu Gewalttätern gesucht, um die Existenz ihrer legalen Arbeit nicht zu gefährden. So auch hier: Es sind immer wieder Neonazis auf der Publikumstribüne, es gibt auch die Kampagne »Freiheit für Wolle« für den NPD-Funktionär Wohlleben, aber insgesamt ist die Reaktion eher verhalten. Andererseits ist es ja auch so, dass etwa der Angeklagte André Eminger nicht in Untersuchungshaft sitzt und daher nach dem Prozesstag in München noch auf der Bagida-Demo (Anm. d. Red.: »Bayern gegen die Islamisierung des Abendlandes«) mitlaufen kann – das mag sich auf die Einschätzung der Szene, wieviel Solidarität hier nötig ist, durchaus auswirken.
In jedem Fall erwähnen sollte man in diesem Zusammenhang die ganze Szene um den Blogger »Fatalist«, der mit Hilfe einer verschwörungstheoretischen Deutung der Akten und des Prozesses versucht, den NSU als Staatskonstrukt darzustellen – was natürlich die hier Angeklagten und auch die bundesdeutsche Neonazi-Szene entlastet. Kein Wunder also, dass diese Szene das ganze Spektrum von VerschwörungstheoretikerInnen und RechtspopulistInnen bis hin zu Neonazis abdeckt.

Das Bundeskriminalamt ermittelt aktuell laut der Nebenklage zu wenig. Was genau ist damit gemeint und was sind die Gründe?
Nicht nur aktuell, sondern von Anfang an – es ist an den Akten zu sehen, dass sich die Ermittlungsbehörden wenige Wochen nach der Selbstenttarnung des NSU auf die Linie von der kleinen Gruppe dreier Durchgeknallter festgelegt haben und diese seitdem verfolgen. Was in den Verfahren gegen einzelne Personen passiert, denen Unterstützung vorgeworfen wird, wissen wir nicht, weil die BAW diese Akten nicht herausgibt. Es ist aber zu befürchten, dass die Verfahren nach dem Ende des Münchner Prozesses einfach eingestellt werden. Und das »Strukturverfahren«, das eigentlich Fragen der Struktur der Gruppe und der Involvierung weiterer Kreise behandeln sollte, scheint vor allem dazu genutzt zu werden, ZeugInnenvernehmungen zu »parken«, die man nicht in die Akten des Münchner Verfahrens geben will.
Man hätte zum Beispiel fragen müssen, wer die weiteren UnterstützerInnen des NSU waren, welche Rolle Neonazi-Netzwerke wie »Blood & Honour« und die »Hammerskins« spielten, ob die für die 1990er geschilderten Verbindungen zu westdeutschen Neonazikadern der »Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front« sich auch in den 2000ern fortsetzten, wer in den einzelnen Städten die Opfer der Morde und Bombenanschläge ausspähen half, welche Bedeutung und Funktion den diversen V-Leuten im Netzwerk des NSU zukam, und so weiter. Ich fürchte, diese Ermittlungen lassen sich wohl jetzt, fünf Jahre später, auch nicht mehr wirklich nachholen.
Zu den Gründen: