»Tag der nationalen Arbeit«

von Sascha Schmidt
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 171 - März 2018

#Rückblick

Jahr für Jahr rufen Neonazis am 1. Mai zu Aufmärschen auf. Doch die Mobilisierungsfähigkeit hat in den letzten Jahren abgenommen.

der rechte rand Magazin Ausgabe 171

1. Mai 2006:
Zum Wahlkampfauftakt der Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern marschierten 2.000 Neonazis unter der Führung der NPD durch Rostock.
© Mark Mühlhaus / attenzione

Erste Bemühungen der extremen Rechten, am 1. Mai mit eigenen Aufmärsche auf die Straße zu gehen, gab es 1978 und 1979. Den Aufrufen der NPD folgten damals jedoch nur einige Dutzend SympathisantInnen. Erfolgreicher verlief der Aufmarsch der Neonazis 1990. Rund 100 Personen nahmen in Leipzig an einer Veranstaltung der »Mitteldeutschen Nationaldemokraten« unter dem Motto »100 Jahre 1. Mai« teil.
Von 1992 bis 1994 rief die »Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei« (FAP) unter dem Motto »Deutsche Arbeitsplätze für deutsche Arbeitnehmer« zu Aufmärschen nach Berlin auf. Zwischen hundert und zweihundert Personen nahmen an diesen teil, die die FAP in die Tradition der nationalsozialistischen Aufmärsche zum »Tag der nationalen Arbeit« stellte. Nach dem Verbot der FAP 1995 übernahmen zunächst die »Jungen Nationaldemokraten« (JN) die Mobilisierung. Ihrem Aufruf »Gegen System und Kapital – unser Kampf ist national – Sozialabbau stoppen – Massenarbeitslosigkeit bekämpfen« folgten 1996 rund 300 Personen nach Berlin-Marzahn. Nach der Wahl von Udo Voigt zum NPD-Bundesvorsitzenden im März 1996 setzte eine Neuausrichtung der Partei ein. Mit ihrem »Kampf um die Straße« und einer stärkeren Akzentuierung der sozialen Frage erhielt der 1. Mai für die Neonazipartei einen höheren Stellenwert. Der Versuch der NPD 1997 15.000 Menschen am Leipziger Völkerschlachtdenkmal zu einem »bundesweiten Deutschlandtreffen am 1. Mai« zu versammeln, scheiterte aber an einem Verbot. Begleitet von massiven antifaschistischen Protesten feierte die Szene jedoch im folgenden Jahr ihren ersten großen Erfolg: Rund 4.000 Neonazis folgten 1998 dem gemeinsamen Aufruf von NPD und »Freien Kameradschaften« (FK) nach Leipzig.

Der 1. Mai etabliert sich
Zwar scheiterten die NPD und »Kameradschaften« auch 1999 mit dem Vorhaben einer bundesweiten Veranstaltung in Bremen an einem Verbot. Dennoch entwickelte sich der Tag in den kommenden Jahren zu einem der wichtigsten Aufmarsch-Termine der neonazistischen Szene. Zwischen den Jahren 2000 und 2003 nahmen rund 2.700 bis 3.000 Menschen an dezentralen Veranstaltungen teil. Aufgrund des Scheiterns von 1997 und 1999 sowie Differenzen zwischen NPD und »Kameradschaften« mobilisierte die extreme Rechte jedoch zumeist nicht an einen zentralen gemeinsamen Ort. Zwar kam es in diesen Jahren auch zu gemeinsamen Veranstaltungen mit Teilnehmendenzahlen von bis zu 1.300 Personen, doch der Kampf um die Vorherrschaft im »nationalen Lager«, persönliche Eitelkeiten und das Verhältnis zur Gewalt am Rande von Aufmärschen verhinderten vielfach eine Zusammenarbeit.
2003 traten im Rahmen der 1. Mai-Aufmärsche in Berlin erstmals »Autonome Nationalisten« (AN) mit einem »nationalen schwarzen Block« in Erscheinung. Mit ihrem militanten Auftreten, ihrer völkisch-antikapitalistischen Rhetorik und der Forderung nach einem »Nationalen Sozialismus« prägten sie in den kommenden Jahren zahlreiche Auftritte der Szene.
2004 begann die Hochphase der Mobilisierungserfolge zum 1. Mai. Nachdem NPD und »Kameradschaften« im Frühjahr 2004 schon erfolgreich zu Protesten gegen die Hartz-Gesetze mobilisiert hatten, beteiligten sich an dezentralen Veranstaltungen rund 3.500 Neonazis. Bis 2010 gelang es NPD und FK, jährlich bis zu 4.200 Teilnehmende (im Schnitt 3.600) auf die Straße zu bringen.
Nach dem Jahr 2011 konnten die FK und die neu entstandenen Kleinstparteien »Die Rechte« und »Der III. Weg« gegenüber der NPD an Einfluss gewinnen. Unter der damit verbundenen Zersplitterung der extremen Rechten litt auch die Mobilisierung zum »Tag der nationalen Arbeit«. Konnten in den Jahren 2011 und 2012 noch mehr als 2.000 Teilnehmende bundesweit mobilisiert werden, fiel die Zahl seit 2013 unter 2.000.

»Sozial geht nur national«
Die am häufigsten formulierte Forderung der Neonazi-Szene am »Tag der nationalen Arbeit« in den vergangenen 25 Jahren war die nach »Arbeitsplätzen zuerst für Deutsche«. Die Schuld am Abbau von Arbeitsplätzen wurde dabei stets MigrantInnen (»Fremdarbeiter«), dem internationalen Kapital oder der Globalisierung zugesprochen. »Kampf der Globalisierung heißt Kampf der deutschen (!) Arbeitslosigkeit«, stand beispielsweise im Aufruf zu einem Aufmarsch der »Kameradschaften« 2001 in Frankfurt/Main. Ein Blick in die Reden und Aufrufe zum 1. Mai verdeutlicht, dass Rassismus, völkischer Nationalismus und Antisemitismus ideologischer Kern der Globalisierungs- und Kapitalismuskritik der extrem Rechten sind. So hieß es im Aufruf der FK 2001 in Frankfurt/Main weiter: »Die herrschenden internationalen Finanzkartelle in den Metropolen der kapitalistischen Welt besitzen keinerlei Bindung zu Volk und Heimat. Profit ist ihr einziges Streben.« Demzufolge visiere »der Kapitalist, und mit ihm der Liberalismus« die »Atomisierung jeder nicht-materiellen Bindung an«. Das Ziel der »One World-Internationalisten« sei die »Zerstörung der Völker Europas und ihrer Kulturen«. Der NPD-Anwalt Horst Mahler bezeichnete 2002 in Göttingen die Bundesrepublik als »Vasallenstaat« der »amerikanischen Ostküste«. 2007 marschierten schließlich Mitglieder der NPD und »Kameradschaften« in Dortmund unter dem Motto: »Gemeinsam gegen Kapitalismus – Heraus zum 1. Mai«. Auf einem Transparent der AN war zu lesen: »Ob Dortmund, Erfurt oder Buxtehude – Der Feind ist & bleibt der Kapitalismus«. Es ist mehr als offensichtlich, dass hier statt »Kapitalismus« eigentlich ein anderes Wort gemeint war: »Jude«. Offener Antisemitismus äußerte sich auch wiederholt in Form von Hetze gegen den »Zentralrat der Juden in Deutschland«. Beispielsweise bezeichnete NPD-Chef Udo Voigt diesen bei einer Rede am 1. Mai 2008 in Nürnberg als »eine Ansammlung von Verbrechern« und rief: »Deutsche wacht auf. Schickt die Politiker dorthin, wo sie hingehören: in die Arbeitslager!«

Antikapitalistisch? Nationalsozialistisch!
Mottos, wie »Volksgemeinschaft statt Globalisierungswahn!« und die nur aus strafrechtlichen Gründen verklausulierte Forderung eines »Nationalen Sozialismus«, machen unmissverständlich deutlich, welche gesellschaftlichen Modelle die Neonazis favorisieren. Immer wieder bekannten sich Redner zu ihren historischen Vorbildern und deren vermeintlichen Errungenschaften. Der Klassiker: Die Behauptung, Adolf Hitler habe den 1. Mai als erster zum »arbeitsfreien Tag« erklärt. Ebenfalls klassisch werden Lobreden auf »sozialpolitische Maßnahmen« der Nationalsozialisten gehalten. So behauptete der Holocaust-Leugner Jürgen Rieger in einer Rede 2003 in Berlin, dass »es in den dreißiger Jahren gelang, in nicht einmal vier Jahren sechs Millionen Arbeitslose zu Lohn und Brot zu bringen«. Dass der »deutsche Arbeiter« unter der Führung der NPD ebenso »frei« wäre, wie unter dem 1935 eingeführten »Reichsarbeitsdienst«, behauptete der damalige NPD-Spitzenfunktionär Holger Apfel in seiner Rede im Jahr 2010 klar: »In einem nationalen Volksstaat«, so Apfel, werde es »für Deutsche« ein Recht, aber auch eine »Pflicht zur Arbeit geben!«. Apfel veranschaulichte, dass in der Ideologie der Volksgemeinschaft gesellschaftliche, ökonomische Interessengegensätze – und somit auch Arbeitskämpfe – keinen Platz haben dürften. Der »ewige Krieg« zwischen »Arbeitern« und Unternehmen müsse beendet werden. Die auf rechten 1.-Mai-Aufmärschen verbreitete Losung »Volksgemeinschaft statt Klassenkampf« zierte auch bei dieser Veranstaltung ein Transparent.
Insbesondere »Freie Kameradschaften« verwenden an diesem Tag das Logo der »Deutschen Arbeitsfront« (DAF), die ab 1933 als Einheitsverband von ArbeitnehmerInnen und Arbeitgebern fungierte. Die ihrem Selbstverständnis nach antikapitalistischen »Autonomen Nationalisten« beziehen sich mit der Verwendung von »Hammer und Schwert« auf den »nationalrevolutionären« Flügel der NSDAP, die »Schwarze Front« um Otto Strasser. Seit einigen Jahren lässt sich ein Bezug auf die Arbeiter-Ästhetik des NS in Form eines muskulösen »deutschen Arbeiters« feststellen. Einig sind sich die unterschiedlichen Neonazi-Strömungen in einem: In ihrer konsequenten Ablehnung der Gewerkschaften, die sich regelmäßig in verbalen und tätlichen Angriffen auf Kundgebungen der DGB-Gewerkschaften an diesem Tag widerspiegelt. Diese Angriffe und die ihnen zugrunde liegende Ideologie machen deutlich, dass auch heute Neonazis mit der ursprünglichen Idee des 1. Mai und den Interessen der Arbei­terInnenbewegung ebenso wenig gemein haben wie ihre historischen Vorbilder.

Schwindende Anziehungskraft
Als bundesweiter Aktionstag hat der 1. Mai mit weniger als 2.000 Teilnehmenden in den vergangenen Jahren deutlich an Anziehungskraft für die Szene verloren – nicht zuletzt auch aufgrund der mangelnden Bereitschaft zur Zusammenarbeit von NPD, »III. Weg« und »Die Rechte«. Während die NPD mittlerweile Aufmärsche mit nur noch 400 Teilnehmenden schon als Erfolg feiert, erhielt die Konkurrenz zuletzt größeren Zuspruch. Mit 400 bis zu 700 Teilnehmenden blieben jedoch auch ihre Aufmärsche hinter den Zahlen vor 2011 zurück. Allerdings waren die Aufmärsche der Splitterparteien »Der III. Weg« und »Die Rechte« Anlaufpunkte militanter Neonazis, insbesondere aus dem Spektrum der AN. Gerade von diesen gingen in Saalfeld (2015), Plauen (2016) und Gera (2017) zahlreiche Angriffe gegen AntifaschistInnen, JournalistInnen und Beamte aus. Seit 2017 muss sich die extreme Rechte zudem mit einer neuen Konkurrenz auseinandersetzen: Rund 1.200 Menschen folgten am 1. Mai dem Aufruf der AfD Thüringen zu einer Kundgebung nach Erfurt. Das Motto »Sozial ohne rot zu werden!«