Apathie gegenüber Grenzüberschreitern

von Andreas Speit


Magazin "der rechte rand" Ausgabe 170 - Januar 2018

Das Alter dürfte vermutlich dem Traum des Fraktionsvorsitzenden der »Alternative für Deutschland« (AfD) zuwider laufen: Im Bundestag wird Alexander Gauland im Plenum sitzen bleiben und die »Regierung jagen«, sich aber nicht auf die Regierungsbank setzen und die Republik lenken können. Auch Alice Weidel wird der 76-Jährige nicht als Vizekanzlerin begrüßen können – sollte die Entwicklung hierzulande wie in Österreich verlaufen. Die Genugtuung wird Gauland wohl nicht mehr erleben.

Ein absurdes Gedankenspiel über politische Verläufe? Warum? Im südlichen Nachbarland lief die Regierungsbildung von »Österreichischer Volkspartei« (ÖVP) und »Freiheitlicher Partei Österreichs« (FPÖ) ohne große Erschütterung. Kaum waren die Wahlen gelaufen, stellten binnen zwei Monaten Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) ihr Regierungsprogramm und -personal vor. Gelassen und zufrieden schauten sie am 16. Dezember 2017 in die Kameras. Die »First Ladies« boten dem Boulevard bereits am Wahlabend Mitte Oktober ein harmonisches Bild. Wir machen das, wir schaffen das, war die Botschaft. Ein Team, eine Linie, die in Europa, Deutschland oder Österreich kaum Kritik auslöste. Hier und da begrüßte man die wirtschaftspolitischen Ideen von Schwarz-Blau, hier und da bemängelte man die einwanderungspolitischen Vorstellungen. »Österreich rückt nach rechts«, titelte die »Tagesschau« am Abend der Regierungsvorstellung – breite Kritik löste der Regierungsantritt nicht aus. Kein Vergleich zur ersten Regierungsbildung von ÖVP und FPÖ vor 18 Jahren.

Im Februar 2000 verkündete Wolfgang Schüssel (ÖVP) die Regierungsbildung mit Jörg Haider (FPÖ). Die Zusammenarbeit wurde als Tabubruch kritisiert. In Europa löste die Regierungsbildung fast einhellig Empörung aus. Österreich war in Europa isoliert, den Regierungsmitgliedern wurde in Brüssel nicht die Hand gereicht. Jetzt, 18 Jahre später, wird ein Aufruf ehemaliger Außenminister und Intellektueller zur Ächtung wenigstens der FPÖ-MinisterInnen kaum wahrgenommen. »Wir wenden den Blick nicht ab: Dies sind die Erben des Nationalsozialismus, die in der neuen österreichischen Regierung an die Macht gekommen sind«, schrieben unter anderem der ehemalige französische Außenminister Bernard Kouchner, der Friedensnobelpreisträger José Ramos-Horta sowie die Unesco-SonderbotschafterInnen für Bildung über den Holocaust und die Verhinderung von Völkermorden, Beate und Serge Klarsfeld. In Wien gingen am 13. Januar auch rund 20.000 Menschen gegen die Regierung auf die Straße. Die von Kouchner und den Klarsfelds beklagte »schuldhafte Stille und Apathie« wurde jedoch nur kurz unterbrochen. Solche Regierungsbeteiligungen in Skandinavien oder Osteuropa regen schon länger ebenso wenig auf. Längst läuft die Charme-Offensive von Kurz – auch in Deutschland.

Am 17. Februar 2018 begrüßte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Bundeskanzler von FPÖs-Gnaden. Zu seiner Koalitionsentscheidung soll er hier keine Kritik erfahren haben. In der TV-Sendung »Maischberger« durfte der 31-Jährige sich am selben Tag präsentieren. Ein Vorstellungstermin den er – ganz Medienprofi und BürgerInnenliebling – nutzte, um darzulegen, dass die FPÖ keine »Erben des Nationalsozialismus« seien, »sonst hätten wir keine Regierung gebildet«. Die Verbindungen von FPÖ-Politikern zu extrem rechten Organisationen seien nur Einzelfälle, wiegelte er ab und betonte: »jede Partei hat eine Vergangenheit«. Dass die FPÖ mit dem »Front National« die Fraktion »Europa der Nationen und der Freiheit« im Europaparlament bildet, ist wohl auch nur so ein Einzelfall – und für ihn offenbar unerheblich. Zur extrem rechten Vergangenheit seines Vize merkte er an: »Jugendsünden sollte man auch als solche sehen, wenn sie solche sind«. Und er bat ganz höflich, dass man dieser Koalition eine Chance gebe.

Dieser Bitte kam die deutsche Kanzlerin nach: Beim Besuch erklärte sie die Regierung Österreichs nach ihren Taten beurteilen zu wollen. Pragmatismus vor Programm. Jein! Kurz wird nicht nur in der AfD geschätzt. Auch in der Union sehen ihn viele als neuen Heilsbringer. In diesem Milieu stört nicht, dass sich Kurz politisch Strache immer mehr näherte – was dieser ihm im Wahlkampf auch vorhielt. Der österreichische Kader der »Identitären Bewegung«, Martin Sellner, mit Hang zur Selbstglorifizierung, überschätzt den Einfluss von Strache nicht, wenn er auf der Konferenz »Opposition heißt Widerstand« des rechten Magazins »Compact« erklärte: Kurz hat »den Wahlkampf nicht gegen die FPÖ gewonnen, sondern mit den Themen der FPÖ« und die einzige Möglichkeit von Kurz, »Strache als Kanzler zu verhindern, war es, selbst zu Strache zu werden«. Für Sellner ist das kein Grund für Kritik. Im Gegenteil: »Das ist der Effekt, den das Klima des patriotischen Widerstands auf die Regierung ausübt«. Ein Effekt, den auch die AfD in Deutschland längst auslöst.

Mittlerweile sind auch in der Union Stimmen zu hören, die weniger auf Distanz zur AfD gehen wollen. Spekulationen über mögliche Koalitionen waren auf Landesebene bereits zu vernehmen. Getrennt und doch gemeinsam wurde bereits gegen Anti-Rechts-Projekte und Alternative-Initiativen vorgegangen. Und die neu-rechte Wochenzeitung »Junge Freiheit« berichtete am 5. Januar 2018, dass »eine Gruppe Unionsabgeordneter im Bundestag« bereit sei, mit den Stimmen der AfD »die weitere Aussetzung des Familiennachzuges für Flüchtlinge, mit subsidiärem Schutzstatus« durchzusetzen. Kurz versicherte, auch für ihn gebe es eine »rote Linie«. Nur wo liegt diese bei einem sich als konservativ Verstehenden, der selbst Grenzen überschreitet? Das konservative Milieu muss endlich seine Grenzen abstecken. Auch um den Grenzüberschreitungen aus den eigenen Reihen Einhalt zu gebieten. Wenn das nicht passiert, könnte Gaulands Traum doch noch Wirklichkeit werden – zu Lebzeiten.