Mit Putin gegen Multi-Kulti und Gender

von Kai Budler
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 196 - Mai | Juni 2022

#Corona

Schon 2020 oft dabei – die Russlandfahne auf Demonstrationen von Corona-Leugner*innen. © Mark Mühlhaus / attenzione

In den entsprechenden Echokammern verläuft der Austausch der Symbole rasend schnell: Was für die rechte Szene eben noch der verhasste Mund-Nasen-Schutz als »Schandmaske« oder »Maulkorb« war, ist nun die blau-gelbe Ukraine-Fahne. Jetzt würden »Putinversteher zu den neuen Feinden erklärt«, mutmaßt das extrem rechte Monatsmagazin »Compact« und legt nach: »Russlandfreunde werden die nächsten Volksfeinde, die nächsten Ungeimpften.« Feierten die Corona-Proteste noch die »Ungeimpften« als die Heroen der Bewegung, gilt nun das Narrativ von Putin als Widerstandskämpfer gegen liberale Werte und als Gegenmodell zum Westen. Laut »Compact« ist er »ein Patriot und kein Vaterlandshasser, er lehnt Multi-Kulti und Gender ab«. Der langjährig aktive Schweizer Neonazi Ignaz Bearth hält den russischen Präsidenten für einen Befreier von »den Marionetten eines Tiefen Staates«. Das verschwörungsideologische Dauerfeuer wirkt: Nach Angaben von Wissenschaftler*innen der Uni Erfurt sind mehr als 40 Prozent der nicht Geimpften davon überzeugt, der Krieg in der Ukraine diene nur der Ablenkung von der Pandemie und werde »künstlich dramatisiert«.

Altbekannte Netzwerke
Für die Szene ist diese Erzählung des Ukraine-Kriegs eine Überlebensstrategie, sich neue Themen zu erarbeiten. Dabei sind Gesundheits- und Geopolitik austauschbar, denn hinter den jeweiligen Erzählungen steht der antisemitische Glaube an eine globale Weltverschwörung als Kontinuität seit der »Mahnwachenbewegung« aus dem Jahr 2014. Bereits vor knapp zehn Jahren war dort die Rede von einem weltumspannenden System des Finanzkapitalismus, hinter dem eine kleine Gruppe sehr mächtiger Individuen stecke. Und auch die Hauptredner der ersten damaligen Mahnwachen in Berlin waren Altbekannte wie etwa Ken Jebsen, Jürgen Elsässer, Andreas Popp und die verschwörungsideologische Band »Die Bandbreite«. Spätestens mit der ebenfalls 2014 daraus hervor gegangenen Initiative »Friedenswinter« zeigte sich, wie leicht vermeintlich progressive und linke Personen anschlussfähig sind für eine Querfront-Bewegung inklusive antisemitischer Verschwörungserzählungen. Ähnliches lässt sich jetzt beobachten, wenn die Initiator*innen des »Neuen Krefelder Appells« versuchen, unter falscher Flagge der westdeutschen Friedensbewegung aus den 1980er Jahren mit ihrem Aufruf »Krefelder Appell« zu segeln. In dem Aufruf vom November 2021 wird für die Corona-Impfungen der »Great Reset« als Hintergrund ausgemacht, hinter dem unter anderem »Drahtzieher der Opera­tion 9/11« und der »US-Machtkomplex« steckten. In den Reihen der Erstunterzeichner*innen finden sich Altbekannte aus der »CoronaProtest-Bewegung« und ihrem Umfeld wie Michael Ballweg, Gründer von »Querdenken-711«, Wolfgang Bittner, ehemals linksliberaler Schriftsteller, der nach rechts gedriftete Theologe Eugen Drewermann, der Verschwörungsideologe Daniele Ganser, Anselm Lenz und Hermann Ploppa von der Zeitung »Demokratischer Widerstand«, »Wojna« von der Band »Die Bandbreite« und viele andere. Zwar besitzt das Thema »Krieg« kein so großes Mobilisierungspotenzial für die Szene wie die Pandemie, seine Folgen, wie beispielsweise höhere Spritkosten, aber dienen als weiterer Nährboden für ihre Agitation.

»Nicht zuzuordnen«
Während der Pandemie hat sich gezeigt, wovor Kenner*innen der Szene schon lange warnen: Hass und Gewalt radikalisieren sich rasend schnell. Im April 2022 wurden vier Männer festgenommen, die Anschläge und eine Entführung des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach geplant hatten. Im Dezember 2021 tötete in Königs Wusterhausen ein Mann seine Familie und sich selbst. Er war der Meinung, dass der Staat mit der Impfkampagne die Weltbevölkerung um die Hälfte reduzieren und eine neue Weltordnung unter jüdischer Führung gründen wollte. Während diese Tat als antisemitisches Verbrechen in der »Politisch motivierten Kriminalität« (PMK) rechts eigeordnet wird, zählen die Behörden den Mord an Alexander W. in Idar-Oberstein im September 2021 nicht darunter. Der 20-Jährige war von einem Täter erschossen worden, der damit ein Zeichen gegen Corona-Schutzmaßnahmen wie die Maskenpflicht setzen wollte. Stattdessen fließt die Tat in die »nicht zuzuordnenden Straftaten« innerhalb der PMK ein und wird daher nicht in den vom Bundesinnenministerium (BMI) veröffentlichten Zahlen der PMK rechts auftauchen. Dabei hatte sich schon kurz nach der Tat gezeigt: Der Täter hängt langjährig rechtem bis extrem rechtem Gedankengut und antisemitischen Verschwörungsideologien an. Er bewegte sich im »Querdenken«-Milieu und hatte angegeben, das Opfer sei »für die Gesamtsituation verantwortlich«, weil der junge Mann »die Regeln durchgesetzt habe«. Wurden dem neuen Phänomenbereich »nicht zuzuordnen« 2020 knapp 9.000 Straftaten zugeordnet, waren bei den bundesweiten Fallzahlen der PMK für das Jahr 2021 schon mehr als 21.300 Straftaten registriert. Als eine Ursache dafür stellte die Bundesregierung »politisch motivierte Straftaten im Kontext der COVID-19-/Corona-Pandemie« fest. Die hilflose Neukategorisierung verschleiert die Dimension rechter Gewalt und Straftaten sowie deren Gefahr für Leib und Leben.

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Die Kapitulation der Exekutive
Viele Straftaten, die bei den als »Spaziergängen« verklausulierten Aufmärschen in der Republik begangen werden, werden juristisch nicht geahndet, weil die Polizei vor Ort sie nicht registriert. Zumindest in Teilen der Republik haben die oftmals gewalttätigen Aufmärsche für temporäre No-Go-Areas gesorgt, die – wo möglich – von Personen gemieden werden, die als politische Gegner*innen markiert wurden. Der Grund: Sie konnten nicht auf den Schutz durch die Polizei bauen. Dies mussten auch Medienvertreter*innen merken, die während der Aufmärsche Beschimpfungen, Bedrohungen und gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt waren. Das Resultat: In den Redaktionen fiel es immer schwerer, Journalist*innen zur Berichterstattung vor Ort zu bewegen. Für das Jahr 2021 verzeichnete das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) bundesweit so viele tätliche Angriffe auf Journalist*innen wie nie zuvor, die große Mehrheit fand bei »pandemiebezogenen Demonstrationen« statt. Die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher liegen. Das polizeiliche Verhalten gegenüber den Aufmärschen mit ihren teils massenhaften Verstößen gegen Auflagen und Gesetze offenbart in manchen Regionen ein komplettes Versagen und kam einer Kapitulation gleich, wenn Beamt*innen zurückwichen. Für die teilnehmenden Neonazis und rechten Hooligans war das eine Ermutigung, wenn sie den Aufmärschen gewaltsam den Weg freimachten, die Konfrontation suchten und dabei straffrei blieben.

»Eine patriotische Graswurzelbewegung«
Ohnehin war es einer der Tabubrüche in der Szene, bewusst gemeinsam mit öffentlich erkennbaren Neonazis auf die Straße zu gehen oder sie auf den Aufmärschen zu dulden. Hinzu kommen die offensive Äußerung antisemitischer Inhalte und ihrer Versatzstücke sowie die Relativierung des Holocaust. Zu dieser Melange gehört eine Renaissance von Verschwörungsideologien, die für viele Beobachter*innen ein ungeahntes Ausmaß annahm. Munitioniert werden die Aggressivität und die Militanz der Proteste von der »Alternative für Deutschland« (AfD), in deren Reihen teilweise auch einem gewaltsamen Umsturz das Wort geredet wird. Sofern sie sich nicht schon beteiligt, beobachtet die extreme Rechte dieses Milieu höchst interessiert. So attestiert Martin Sellner von der »Identitären Bewegung« (IB) Österreich den am Ende dezentralen Aufmärschen »eine Revolutions- und Wendestimmung«. Sie seien Widerstand gegen einen »neuen Durchbruch der Globalisten« und führten zu einem Autoritätsverlust der Regierung. Eine strategische Perspektive bestehe darin, den »Kampf gegen die globale Viruspolitik und die globale Migrationspolitik« zu verbinden, um den von der Rechten herbei halluzinierten »Bevölkerungsaustausch« zu verhindern. Der ehemalige stellvertretende IB-Vorsitzende, Daniel Fiß, sieht in den Protesten gar eine »gute Möglichkeit, um eine echte dissidente und patriotische Graswurzelbewegung und Kultur aufzubauen«. Die verbindenden Elemente der Corona-Proteste eignen sich in den nächsten Krisen, um Renaissance und Verbreitung von Verschwörungsideologien weiter voranzutreiben. Dies betrifft ebenfalls den Krieg gegen die Ukrai­ne, der als Teil einer Weltverschwörung zur Errichtung einer sozialistischen Öko-Diktatur verstanden wird. Und auch die Parteinahme für Putin gehört seit langem zu den Konstanten des Milieus. Zwar ist die Zahl der Corona-Proteste rückläufig, doch ihre Netzwerke haben verstärkt die Begehrlichkeiten extrem rechter Akteur*innen und Initiativen geweckt. Denn sie wissen: Die ohnehin radikalisierten Teilnehmer*innen lassen sich immer wieder reaktivieren.