Zwischen Goldhandel und Verschwörungsmythen

von Sascha Schmidt und Antje Wagner
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 192 - September | Oktober 2021

#Geschäfte

Am dritten Septemberwochenende 2021 fand in Wiesbaden der »SOLIT Go for Gold-Wertekongress« statt. Eine Werbeveranstaltung für Edelmetalle, bei der die Klaviatur der Manipulation und Demokratiehetze professionell gespielt wurde.

 

Antifa Magazin der rechte rand

 

Vor dem Rhein-Main CongressCentrum (RMCC) in der Wiesbadener Innenstadt wehen große schwarz-goldene Fahnen. Sie weisen auf den gerade stattfindenden »Go for Gold-Wertekongress« hin. Das Bild vor dem Einlass wird bestimmt von teuren Anzugsjacken und braunen Lederschuhen – der klassische Einheitslook gefühlter Leistungsträger zwischen 30 und 75 Jahren. Frauen sieht man unter den 300 Anwesenden fast keine, und wenn, scheinen sie Begleitung zu sein. Der Mann, der Macher, der Wirtschaftsakteur ist gerne unter sich. Das RMCC gehört heute zu den modernsten Tagungs- und Messezentren Europas – die Wiesbadener Unternehmensgruppe SOLIT, Veranstalterin des Kongresses, zielt auf ein zahlungskräftiges Publikum ab. Dafür sprechen auch die Eintrittspreise: Ein »Early Bird-Ticket« sowie die Teilnahme per Online-Stream kosteten 119 Euro, der Einlass ins Kongresszentrum stolze 219 Euro. Trotzdem war der Kongress schon Wochen zuvor ausverkauft.

Verschwörungserzähler unter Ökonomen

Im schneidigen graublauen Anzug und mit Headset souverän die mit riesigen Goldbuchstaben dekorierte Bühne im Griff eröffnet Daniele Ganser als einziger Nicht-Ökonom der Referentenriege das Programm. »Kann man den Zeitungen noch trauen?«, steigt der Schweizer Historiker und wohl bekannteste Verschwörungserzähler im deutschsprachigen Raum in sein Thema ein, das unter dem Zusatz »von 9/11 bis Corona« angekündigt war.

Es folgen Gemeinplätze zur schwierigen Lage der Zeitungen, die immer härter mit dem Internet konkurrieren müssten. Die Einstiegsfrage bleibt unbeantwortet, sie braucht keine Antwort – die Zweifel sind bereits gesät. Genauso wenig beantwortet werden muss die Frage nach der Glaubwürdigkeit von »den Politikern«, wenn man gleichzeitig einen wetternden, unvorteilhaft abgebildeten Karl Lauterbach auf eine riesige Leinwand projiziert. Beispiele für Medien-Unglaubwürdigkeit liefert Ganser ausreichend. Sie stammen ausschließlich von etablierten Medien, teils aus dem Boulevard, teils von solchen mit intellektueller Zuschreibung. Das Fakepotenzial von Social Media wird an einem Facebook-Post demonstriert, der mit einem gefälschten Foto die Zahl der Coronaopfer in Bergamo veranschaulichen soll. Zweifel an den Zahlen der Toten werden gleich mitgesät. Immer wieder betont Ganser dabei seine Qualifikation als Historiker. Die positive Erwähnung von Journalisten wie Ken Jebsen und Jürgen Todenhöfer, die unter anerkennender Kommentierung mit Bild und Namen auf der Leinwand erscheinen, geschieht schon fast beiläufig und erreicht wahrscheinlich gerade dadurch größte Wirkung.

In seinem Vortrag erweist sich Ganser als Meister der Relativierung, der Manipulation mittels Gleichsetzung: das Onlinemagazin »Rubikon« ist wie Spiegel, Angst vor einer Coronadiktatur ist wie Angst vor einer Virusinfektion, Bakhdi wie Drosten. Das Publikum weiß diese Aufwertung seiner Helden zu schätzen. Es applaudiert an den richtigen Stellen. Dann muss Ganser seine Redezeit früher als im Programm angekündigt beenden. Der Moderator bittet einen Journalisten auf die Bühne. Mit ihm soll Ganser diskutieren. Der Journalist scheint angriffslustig, stellt einige von Gansers Behauptungen zum 11. September und seine Recherchemethoden infrage. Und doch schimmert durch, dass auch er in seiner Grundhaltung wohl nicht so weit entfernt ist von seinen Gastgebern – am Ende war der Versuch der Veranstalter, Ausgewogenheit vorzutäuschen, vielleicht nichts anderes als eine Auseinandersetzung von Verschwörungstempel zu Verschwörungstempel. Zur Referentenriege gehört auch Max Otte, ein Ökonom, der sich als ehemaliger Kuratoriumsvorsitzender der AfD-nahen »Desiderius-Erasmus-Stiftung«, Vorsitzender der »WerteUnion« und Redner auf Kundgebungen der Pandemieleugner*innen in den letzten Jahren eindeutig positioniert hat. Sein Name hat mit dafür gesorgt, dass die als Wirtschaftskongress anmutende Veranstaltung im Vorfeld überregional mediale Aufmerksamkeit erhalten hatte. Weitere Referenten sind Marc Friedrich, einer der bekannteren Crashpropheten, aber auch renommierte Ökonomen wie Hans-Werner Sinn, langjähriger Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München, und Ottmar Issing, ehemaliger Chefvolkswirt und Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank. Die Scharnierfunktion der Letztgenannten ist eindeutig: Wie der Veranstaltungsort bieten sie ein Mäntelchen der Seriosität. Dem kann auch Sinn wenig entgegensetzen, wenn er versucht, sich gegen einschlägige Positionen abzugrenzen, indem er auf die Impfwirkung verweist und die Europafahne einblendet.

Fragwürdige Geschäfte mit der Angst

Abgeschlossen wird das Programm von Beiträgen der Anlageberater und Geschäftsführer der SOLIT-Gruppe Robert Vitye und Tim Schieferstein. Die Gruppe ist laut Gründer Robert Vitye ein »bundesweit führendes Edelmetallunternehmen« und verkauft nach eigenen Angaben jährlich Edelmetallvolumina im dreistelligen Euro-Millionenbereich. Eine erstmals 2019 durchgeführte »Go for Gold-Tour« fand in den großen Fußballarenen von Frankfurt, München, Hamburg und Leipzig statt. Zu den Referenten zählten neben dem auch in Wiesbaden auftretenden Marc Friedrich der Geschäftsführer des Degussa-Goldunternehmen, Markus Krall, und Matthias Weik, alle im Bereich der Vermögensberatung tätig und eifrige Warner vor dem Untergang des herrschenden Geld- und Finanzsystems. Solche Crash-Propheten predigen den Untergang – versprechen aber auch Lösungen. Dazu gehören Anlagen in Edelmetallen und Fonds, angeblich die einzigen Finanzprodukte, die Eigentum sicher vor Werteverfall schützen können sollen. Handelsblatt und Stiftung Warentest stellen allerdings infrage, dass die von Friedrich und Weick unter Beteiligung der SOLIT-Gruppe angebotenen »Wertefonds« sichere Anlagemöglichkeiten sind. Aus Sicht der Finanzexperten von Stiftung Warentest zum Beispiel ist der Fonds ethisch fragwürdig, weist hohe Kosten sowie eigenwillige Gebühren auf und liefert eine bisher unterdurchschnittliche Wertentwicklung. Das Geschäft mit der Angst vor dem Verlust des Ersparten scheint sich demnach besonders für die Anbieter zu lohnen.

 

Von »Neuer Weltordnung« zu Hitlers Machtergreifung

Angst machen soll wohl auch der Titel des Beitrages von Max Otte: »Weltsystemcrash: Corona, Great Reset und die Geburt einer neuen Weltordnung.« Die Wahl der Begrifflichkeiten kann kein Zufall sein: »Great Reset« ist eines der verschwörungsideologisch aktuell häufig zitierten Angstszenarien und der Begriff »neue Weltordnung« als Übersetzung von »New World Order« gilt als antisemitisch aufgeladene Erzählung von der Bedrohung durch Eliten, die eine autoritäre Weltherrschaft anstreben.

Schon in den ersten Sätzen positioniert sich Otte deutlich. Er bezieht sich auf seinen »Parteifreund Maaßen«, setzt Masken mit Maulkörben gleich und schlägt die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vor. Klare Hierarchien seien der Garant für Stabilität und Frauen sollten nicht arbeiten gehen. Dann verweist er auf die Pandemie-Szenarien der Rockefeller-Stiftung – ein Dog Whistle, der von Verschwörungsgläubigen gerne gehört wird. Wolfgang Schäubles Aussage »Kein Mensch will das Bargeld abschaffen« setzt er gleich mit Walter Ulbrichts Zitat »Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten« und beschwört so das Bild einer kommenden Diktatur herauf.Dass seine Positionen verantwortlich sein könnten für die vorherrschende öffentliche Meinung zu seiner Person, schließt er aus: Schuld sei das Framing. Seit zwei bis drei Jahren sei er dem ausgesetzt und werde auch nicht mehr in Talkshows eingeladen.

Sein Publikum dagegen findet ihn gut. Bei manchen Fragen könnte man sich fragen, ob nicht der Redner der seriösere Gesprächspartner ist. So möchte eine Dame etwa wissen, wer eigentlich dahinterstecke, dass die ganze Welt auf Corona so reagiert habe – und wer überhaupt hinter dem »Ganzen« stecke. Kurz scheint es, dass Otte sich windet. Doch dann kann er es erklären: Die Szenarien waren schon vorgedacht. Dank Corona konnten sie umgesetzt werden.

Crash-Prophet Marc Friedrich eröffnet den zweiten Tag der Veranstaltung energiegeladen und leger im schwarzen Polohemd. Als einer der ausschließlich männlichen Redner vor einem fast ausschließlich männlichen Publikum ist es wenig erstaunlich, dass in seiner wirtschaftlichen Analyse »schwache Männer« und »starke Männer« die Weichen der Geschichte stellen. Auch seine politische Analyse ist eher schlicht, stattdessen aber dramaturgisch ausgeklügelt und historisch fragwürdig: »Ich habe in den letzten 18 Monaten verstanden, wie man in einer Diktatur enden kann. Ich habe verstanden, wie Hitler an die Macht kam.«

 

ABO
Das Antifa Magazin

alle zwei Monate
nach Hause
oder ins Büro.

 

 

Nicht unwidersprochen

Im Vorfeld der Veranstaltung hatte ein lokales Demokratie-Bündnis die Durchführung des Kongresses im RMCC öffentlich kritisiert. Die Wiesbadener Initiative »Moment Mal – Aktion für eine offene Gesellschaft« startete einen Monat vor dem Kongress unter dem Namen »falsche-propheten.gold« eine Kampagne »gegen den An- und Verkauf von Verschwörungsmythen«. In Podcasts, Text- und Videobeiträgen setzten sich die Initiative und ihre Kooperationspartner*innen mit der Goldanleger-Szene, ihren dubiosen Geschäftsmodellen und den dahinterstehenden Verschwörungserzählungen auseinander. Die Kampagne und damit der Kongress stießen lokal wie überregional auf Interesse und wurden intensiv, auch unter Beteiligung des Wiesbadener Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende, diskutiert. Zwar standen insbesondere Personen wie Ganser und Otte im Zentrum der Kritik. Den Kritiker*innen gelang es jedoch deutlich zu machen, dass der vermeintliche Wirtschaftskongress grundsätzlich politische Brisanz aufweist.