Promis auf Abwegen

von Sören Frerks
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 185 - Juli / August 2020

#Religionsersatz

Die Corona-Pandemie hat im Dunstkreis der Rechten Absurditäten offen gelegt. Verschwörungsmythen machen bei esoterischen Impfgegner*innen und veganen Sektierer*innen die Runde. Aber auch einige Promis sind infiziert.

< Deutscher Pop- und Schlagersänger Xavier Naidoo will »Freiheit für Deutschland«
< Deutscher Pop- und Schlagersänger Xavier Naidoo will »Freiheit für Deutschland«

Schon vor COVID-19 war klar, dass Xavier Naidoos Weg »kein leichter« sein wird und seine Statements von politischer Umnachtung zeugen. Während er 2005 noch mit der Band »Söhne Mannheims« gegen Neonazigewalt sang und bei den »Brothers Keepers« der »braunen Scheiße endlich Einhalt« bieten wollte, mauserte er sich in den ­letzten Jahren zum Produzenten rechter Thesen und Verschwörungsideologien mit Auftritten bei Reichsbürger*innen, Wünschen nach Selbstjustiz gegen Geflüchtete oder der »Entlarvung« von »Fridays for future«, SPD und der Partei »Die Linke« als »die neuen Fa­schisten«.

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Hildmann schafft es, das Grundgesetz zu halten. © Christian Ditsch

Verschwörungsstars
Sein längst überfälliger Rauswurf beim Fernsehsender RTL krönte ihn zum Spiritus Rector einer Promi-Riege, die in der Corona-Krise kein noch so absurdes Gedankenexperiment ausließ. Naidoo glaubt, dass Kinder unterirdisch als Sklaven gefangen und kannibalistisch getötet werden für den Handel mit dem körpereigenen Stoff Adreno­chrom und Organen. In diesem Mythos gelten Jüdinnen und Juden gleichsam als blutsaugende Vampire und Parasiten.


Auf Platz zwei der prominenten Verschwörungsfanatiker hat sich Attila Hildmann katapultiert. Vor ein paar Monaten war er nur einer eingefleischten Vegan-Community durch Kochvideos bekannt. Inzwischen hat er es zu zweifelhafter Bekanntheit gebracht. Vor dem Bundestag marschiert er regelmäßig mit einem Milieu aus Reichsbürger*innen, NPD-Resten und Impfgegner*innen auf und verkündet, Microsoft-Chef Bill Gates wolle 7,5 Milliarden Menschen töten und die Maßnahmen gegen Corona seien schlimmer als der Nationalsozialismus. Und überhaupt sei Adolf Hitler im Vergleich zu Bundeskanzlerin Angela Merkel »ein Segen gewesen«. Und weiter sagt er: »Mein Onkel war bei der Wehrmacht. Ich sage Ihnen eine Sache: Ich bin bereit, für dieses Land zu sterben.«
An dritter Stelle folgt der gescheiterte Radio-Moderator Ken Jebsen. Statt im RBB verbreitet er seine Ansprachen nun seit Jahren über den eigenen Online-Kanal »KenFM«. Die aktuelle Krise gibt ihm neues Futter. Bill Gates habe die Weltgesundheitsorganisation übernommen und stecke hinter den Corona-Maßnahmen. Es sei eine weltweite Impfpflicht geplant und Masken seien schädlich, behauptet er. Die jüdische Weltverschwörung habe sich in die Bundesregierung eingekauft. Und auch der bekannte Virologe Christian Drosten vom Berliner Krankenhaus Charité sei von Gates korrumpiert.

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Jebsen von KenFM © Christian Ditsch

Narzissmus
Schaut man sich an, wer aus welchen Gründen Verschwörungsmythen in die Welt setzt, so entspringt das nicht etwa einer überbordenden Kreativität. Vielmehr changiert das Mitteilungsbedürfnis zwischen gekränktem Ehrgefühl und übersteigertem Ego. Jebsen mimt gern das Enfant terrible und labt sich an mehreren Millionen Aufrufen seiner Videos. Da er bei den angeblich gleichgeschalteten Medien nicht landen kann und ihn die – um im Duktus zu bleiben – »Altparteien« ignorieren, lässt er sich von seiner Querfrontgefolgschaft als Star des selbsternannten Widerstands feiern, der den Umsturz schon am Horizont aufkommen sieht. Wie in Stuttgart, wo er auf dem Cannstatter Wasen vor 10.000 Menschen sprach. Im Publikum auch der verurteilte Holocaustleugner Nikolai Nerling alias »Volkslehrer« sowie der baden-württembergische Abgeordnete der »Alternative für Deutschland« Stefan Räpple. Ein ähnliches Bild in Berlin: Auch hier »Promi-Fotos« mit Fans. In der Bundeshauptstadt kamen aber nur ein paar Hundert Verschwörungsanhänger*innen zur sogenannten »Hygienedemo«.


Ähnlich kurios tritt Eva Herman auf. Einst bekanntes Gesicht der Tagesschau; nun seit Jahren der Abstieg in die Drittklassigkeit, um unter anderem die traditionelle Familie vor dem Untergang zu bewahren. In der Ankündigung ihres Buches »Die Wahrheit und ihr Preis. Meinung, Macht und Medien«, das im rechten »Kopp Verlag« mittlerweile für 3,99 Euro verkauft wird, ist ihre Kränkung förmlich zu spüren. Es sei »vor laufenden Kameras und unter den Augen eines Millionenpublikums zu einer Art ›Inquisitionstribunal‹« gekommen. Ihr berufliches Leben sei »zerstört, als Mensch wird sie zur ›Persona non grata‹«. Um ihr Ego wieder aufzupolieren, macht sie seither auch christlich-fundamentalistisches Online-TV. Zu Höherem berufen fühlt sie sich allemal. Denn diese Weihe scheint ihr zumindest in der eigenen Wahrnehmung den Durchblick in der Welt zu verschaffen. Ob angebliche Verschwörung um den Anschlag auf das World Trade Center oder Finanziers, die mit Euro-Einführung und »Flüchtlingskrise« den Untergang des Abendlands planten, sie weiß es. Statt mit einstigen Kolleg*innen der ARD umgibt sie sich nun mit Vera Lengsfeld, Henryk M. Broder oder Thilo Sarrazin und deren Denken. Mit Menschen aus diesem Milieu unterzeichnete sie auch die »Gemeinsame Erklärung 2018« gegen »illegale Masseneinwanderung« und den vermeintlichen Zusammenbruch »der staatlichen Ordnung«.

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Die Corona-Pandemie gab Eva Herman neues Futter für ihren ­Medien-Ritt. Die aktuelle Pandemie sei von geheimen Eliten erfunden worden, um eine »Neue Weltordnung« zu errichten und die Macht an sich zu reißen. Wer genau dahinter steckt, diese Antwort bleibt sie aber schuldig. Auch in einem Online-Interview von Herman mit Naidoo gab es dazu keine Antworten, wenngleich der antisemitische Impetus unüberhörbar war.

Echokammer ohne Ausgang
Würde diese verschworene Promi-Gemeinschaft unter sich bleiben, hätte das höchstens Potential für eine dürftige Telenovela mit kurzer Halbwertszeit. Doch YouTube, Facebook und Instagram verschaffen ­ihnen die Aufmerksamkeit, die ihren Narzissmus nährt. Jebsens Video »Gates kapert Deutschland« wurde in wenigen Tagen über fünf Millionen Mal angeschaut. Naidoos weinerliche Adrenochrom-­Erleuchtung bekam rund 1,5 Millionen Klicks. Und sein Zwie­gespräch mit Herman brachte es auf 56.000 Aufrufe.
Diese Online-Bühne hat das Zeug zur Immunmachung gegen jedwede Kritik und bringt so manche erstaunliche Schützenhilfe weiterer Prominenter hervor. Da springt ein Til Schweiger nun Naidoo wie in geistiger Umnachtung mit folgenden Worten zur Seite: »Ich mag den Kerl so gern.« Und der Rapper Sido ließ sich ebenso von dessen Aura anstecken und sinnierte in einem Video über reiche Kinderhändler und gleichgeschaltete Medien. Außerdem fütterte er wiederholt antisemitische Mythen um die jüdische Familie Rothschild und meinte, Merkel wolle mit der Corona-Pandemie absichtlich die Risiko­gruppen »abmurksen«. Seine spätere Distanzierung von Hildmann und Naidoo war genauso wirr wie die Erzählungen selbst.

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QAnon Fahne in Berlin © Mark Mühlhaus


Und auch C-Promis machten mit. So zum Beispiel Detlef D. Soost: Vor zehn Jahren war er das Gesicht der Fernsehshow »Popstars« und schrieb nun angesichts der durch Hildmann und Co. aufgeheizten Debatte um eine vermeintliche Impfpflicht bei Instagram mit unzähligen Fragezeichen versehen: »Sind wir demokratisch oder diktatorisch?« Danach ruderte er zurück, nicht aber ohne Jebsen aufzuwerten: »KenFM ist jetzt nicht so schlecht. Extrem, aber hat auch den einen oder anderen positiven Ansatz!« Nicht zuletzt schmückt auch der Weltstar Robbie Williams die Promi-Riege auf Abwegen. In einem Interview bestärkt er Mythen der »QAnon«-Bewegung, laut denen die USA von einer Schattenregierung gesteuert werde und Erzählungen von Illuminaten, welche die Weltherrschaft an sich reißen würden. Wer will, kann sich nur noch durch diese Social Media-Echokammer klicken. Die Wahrheit wird selbstreferentiell – für die B- oder C-Promis, Welt-Stars und die Zuschauer*innen.

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Wenn jede Maske gefallen ist … © Mark Mühlhaus / attenzione

Vom VIP zum Heiland
Wahlweise stehen der Untergang der Welt, Zwangsimpfungen und Verstrahlung oder die Versklavung durch geheime Mächte unmittelbar bevor. Die einzigen, die da noch helfen können, sind – vorgeblich und wenig überraschend – die Weisheiten der geschassten Promis. Verfolgungswahn wird zum Artikulationsmotor und gepaart mit einem Hyper-Individualismus zur Verschwörungserzählung par excellence. Was hier entsteht, ist ein quasi-religiöses Sektierertum, das eine Gefolgschaft im vorpolitischen Raum erzeugt und sich vom ratio­nalen Diskurs verabschiedet. Die Antwort auf undurchsichtigen Kapitalismus und herrschende Weltdiplomatie sind Scheinerklärungen, die inhaltlich herbeifantasiert und falsch sind. Doch Inszenierung ist alles. Der Contest um den neuen Heiland ist bei Naidoo, ­Jebsen und Hildmann in vollem Gange.