Viele schossen mit – Worte sind eben nicht bloß Worte

von Andreas Speit

Magazin »der rechte rand« Ausgabe 178 - Mai / Juni 2019

#Naziterror

Der Täter, Stephan Ernst, scheint gefasst. Die Ermittlungen im Mordfall Walter Lübcke laufen noch. Seit Anfang dieser Woche verdichten sich die Hinweise, dass Stephan Ernst, der sich über Jahre in der Neonazi-Szene bewegt hat, 1993 einen Bombenanschlag gegen Flüchtlinge verüben wollte, vorbestraft ist wegen versuchtem Totschlag, einer Messerstecherei und nun einen Mord begangen haben soll. Die Generalbundesanwaltschaft spricht selbst von einem ‚rechtsextremen’ Hintergrund.

Magazin der rechte rand
Stephan Ernst © NSU Watch

Bis jetzt ist noch unklar, welches genaue Motiv den Täter bewegt haben soll, den Regierungspräsidenten auf der Terrasse seines Hauses in Wolfshagen-Istha aus nächster Nähe zu erschießen. Klar ist jedoch: Der CDU-Politiker war seit Jahren eine Hass-Figur für alle rechten Gegner*innen der Einwanderungs- und Asylpolitik.

In den vergangenen Jahren wurden immer wieder Menschen bedroht, die Geflüchteten halfen, in der Bundesrepublik anzukommen – vor Geflüchtetenunterkünften, bei Informationsveranstaltungen oder in den Sozialen Netzwerken. Worte über Worte, denen auch Taten auf Taten folgten.

In Köln stach 2015 ein Neonazi die spätere Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) mit einem Messer nieder, in Altena griff 2017 ein Rechter den CDU-Bürgermeister Andreas Hollstein mit einem Messer an. Zwei Angriffe, die nur die Spitze des Eisbergs alltäglicher Anfeindungen waren.

Der angenommen Tatverlauf gleicht einer Hinrichtung.

Ins Visier von Rechts geriet Walter Lübcke nach einer Bürgerversammlung in Lohfeld bei Kassel. Am 14. Oktober 2015 stellte er sich den Fragen der Einwohner*innen wegen der dortigen Erstaufnahmeunterkünfte. Auf Zwischenrufe aus dem PEGIDA-Milieu betonte er die christlichen Werte, Menschen in Not zu helfen und hob hervor: »Wer diese Werte nicht vertritt, kann dieses Land jederzeit verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen«.

Ein Shitstorm in den Sozialen Netzwerken begann. Bei einer PEGIDA-Kundgebung in Dresden wetterte der Autor Akif Pirinçci am 19. Oktober 2015 gegen Lübcke. Zeitweilig stand der CDU-Politiker unter Polizeischutz.

Eine frühere Parteikollegin heizte im Februar 2019 – fast vier Jahre später – die Hetze erneut an. Erika Steinbach, ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete, frühere Präsidentin des »Bundes der Vertriebenen« und heutige Vorsitzende der AfD-nahen »Desiderius-Erasmus-Stiftung«. Auf Facebook postete sie mit einer Aufnahme von Lübcke: »Ich raten den Kritikern merkelscher Asylpolitik, die CDU zu verlassen und nicht ihre Heimat«. Und wissend, dass die Aussage von Lübcke lange her ist, schob sie nach: »Nichts hat sich nämlich wirklich gebessert, wenn man Herrn Maaßen hört«.

Magazin der rechte rand
© Screenshot @derrechterand

Bei dieser Tat schossen viele mit. Worte sind eben nicht bloß Worte.

Die nun stark aufkommenden mahnenden Appelle, dass die Sicherheitsbehörden »der rechten Gewalt« ernster entgegentreten müssten, dass sie auch vom rechten Terrorismus reden sollten, haben eine bittere Note. Sie werden noch bitterer bei der Aussage, dass ein Staatsdiener wegen seiner Amtsausführung ermordet wurde und sich der Staat jetzt vor seine Vertreter*innen stellen müsste. Dies bekräftigt indirekt eine Kritik mancher NSU-Anwälte, die fragten, ob die verheerenden Ermittlungen der Polizei und die mangelnde Empathie in der Gesellschaft daran liegen könnten, dass die Opfer überwiegend aus einer »schwachen Bevölkerungsgruppe« – Migrant*innen – kamen. Und, große Teile der Gesellschaft fühlen sich nicht als potentielle Opfer rechter Gewalt. Offensichtlich ein Trugschluss wie der Blick in die vergangenen Jahrzehnte zeigt.

Es liegt auf der Hand, dass all jene Menschen, die seit Jahren das »Wir schaffen das« von Angela Merkel (CDU) wirklich schaffen, bedroht sind. Diese Menschen brauchen nicht bloß verbale Solidarität. Denn, ob sie aus beruflichen Gründen oder zivilgesellschaftlichem Engagement handeln, ist den Hetzer*innen egal.

Die Zurückhaltung in der CDU zu dem Mord an ihrem Parteikollegen fällt auf. Sollte das lange Schweigen der CDU zu dem Mord durch einen Neonazi wirklich an einer großen Erschütterung liegen, müsste sie jetzt ihren bislang verharmlosenden Umgang mit Rechtsterrorismus grundlegend überdenken und Taten nicht nur für Politiker*innen folgen lassen. Dies würde eine Unterscheidung nach Opfern erster und zweiter Klasse vermeiden und ein Zeichen für den Schutz aller Betroffenen setzen.