Die ›Generallinie‹ der »Jungen Freiheit«

von Helmut Kellershohn
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 172 - Mai / Juni 2018

#Wochenzeitung

der rechte rand Magazin

Junge Freiheit Stand auf der Frankfurter Buchmesse © Mark Mühlhaus / attenzione

Anfang März 2018 kündigte die »Junge Freiheit« (JF) ihren Vertrag mit der Geschäftsführung der Leipziger Buchmesse. In einem Kommentar (JF 12/18) begründete Geschäftsführer Dieter Stein die Kündigung damit, man habe den Stand der JF »in der äußersten Ecke einer Halle (in einem) Block anstößiger Verlage«, quasi »wie in einem Ghetto« platziert. Der Direktor der Buchmesse, Oliver Zille, habe diese Verlage »öffentlich als ‹rechtsextrem› bezeichnet«.

Die Reaktion der JF ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Erstens distanzierte man sich ein weiteres Mal von der lagerinternen Konkurrenz (»Verlag Antaios«, »Institut für Staatspolitik«, »Compact«), statt sich aus Solidaritätsgründen in die von Götz Kubitschek & Konsorten angestrebte Konfrontation mit antifaschistischen Gruppierungen einbinden zu lassen. Zweitens verwahrte man sich gegen die mit der Etikettierung »rechtsextrem« vorgenommene symbolische Ausgrenzung aus dem Verfassungsbogen der Bundesrepublik Deutschland. Manche mögen den Rückzug der JF als einen Erfolg feiern – das ändert nichts daran, dass der Rückzug auf einer strategisch-taktischen Linie liegt, welche die JF seit Mitte der 1990er Jahre im Ringen um ihren Durchbruch als Wochenzeitung verfolgt hat – gegen einen ­erheblichen öffentlichen Widerstand, wie er insbesondere von antifaschistischer Seite mit zum Teil brachialen Mitteln vorgetragen wurde. Diesen Rückzug nun als Erfolg zu bezeichnen, verkennt die tatsächliche Erfolgsgeschichte der JF.

Rückblick
Seit 1994 erscheint die »Junge Freiheit« als Wochenzeitung. Der Einstieg war mit erheblichen Problemen verbunden, erstens in finan­zieller Hinsicht: Das gewaltige Anzeigendefizit, ein überaus schwacher Kioskverkauf und der schleppende Aufbau der Kommanditgesellschaft bereiteten der JF-Mannschaft beträchtliche Kopfschmerzen. Zweitens war, wie eingangs erwähnt, der Widerstand gegen das Projekt in der Öffentlichkeit erheblich und drittens kam es intern zu Richtungskämpfen, die dann zum Ausscheiden wichtiger Exponenten (vor allem Andreas Molau, Hans-Ulrich Kopp) führten. Drei Debatten bestimmten die internen Auseinandersetzungen.

Die Kultur- und Literaturdebatte wurde mit Beginn des Jahres 1994 eröffnet. Kern der Debatte war der Bezug auf die Moderne, die Bewertung ihrer kulturellen und literarischen Erzeugnisse samt den neuen technischen Möglichkeiten kultureller Produktion. Andreas Molau und sein Bruder im Geiste, Gustav Sichelschmidt, verdammten in ihren Beiträgen die Moderne als dekadent in Bausch und Bogen, denunzierten die Nachkriegsliteratur in Deutschland als Produkt der »Umerziehung« und forderten eine »Wiederverwurzelung im Humus des Völkischen« (JF 21/94). Ihre Kritiker dagegen argumentierten, man müsse das moderne künstlerische Schaffen als Ausdruck eines Lebensgefühls ernstnehmen, das die Brüchigkeit und Mythosbedürftigkeit der »Risikogesellschaft« (Ulrich Beck), wenn auch oftmals in schriller Manier, widerspiegle.
Die zweite Debatte hatte bereits 1993 begonnen und behandelte Sinn oder Unsinn protektionistischer Maßnahmen. Diese Debatte über Freihandel vs. Protektionismus, Neoliberalismus vs. Sozialpatriotismus fand im gesamten extrem rechten Lager statt und war Bestandteil einer polarisierenden Entwicklung, bei der auf der einen Seite der fundamental-oppositionelle Kurs der NPD (»Deutsche Stimme« 10-11/94) und des Schönhuber-Flügels bei den »REPUBLIKANERN« (»Der Republikaner« 11/94) und auf der anderen Seite der mit der FPÖ Jörg Haiders kooperierende »Bund Freier Bürger« um Manfred Brunner standen. Mit Unterstützung des Historikers Rainer Zitelmann, von dem gleich noch die Rede sein wird, sollte sich in der »Jungen Freiheit« die neo(national)liberale Position, gepaart mit dem Bekenntnis zum »starken Staat«, durchsetzen und ab 1995 den Wirtschaftsteil der JF prägen.

Die dritte und wichtigste Debatte war die um einen Artikel von Armin Mohler (JF 32/94), dem alten Herrn der konservativ-revolutionären Neuen Rechten. Der Vorwurf war, er habe in seiner Fortsetzungsreihe »Notizen aus dem Interregnum« keine ausreichend distanzierenden Worte zum Geschichtsrevisionismus (»Auschwitzlüge«) gefunden. In der Redaktion gab es daraufhin eine »heftige Debatte«, so dass sich Dieter Stein zu einer redaktionellen Erklärung bemüßigt fühlte: Auschwitz sei das »Symbol eines industriell geführten Vernichtungsprogramms«, über dessen totalitäres Fundament nachzudenken notwendig sei. In diesem Sinne sei Salcia Landmann, konservative jüdische Schriftstellerin, für dieselbe Ausgabe der JF zu einer Gegenstellungnahme gebeten worden. Mohler zog sich als Autor aus der JF zurück. Auf diese Debatte nahm der Historiker Zitelmann Einfluss, der durch seine modernisierungstheoretische Betrachtungsweise des Nationalsozialismus bekannt geworden war. Sie zog recht säuberlich eine Grenze zwischen den modernen, »fortschrittlichen« und den barbarischen, totalitären Elementen des NS und wollte diese Unterscheidung zum Maßstab eines vorsichtig taktierenden Revisionismus-Konzepts machen, in dem nicht die Leugnung des Holocaust, sondern dessen geschichtspolitische Relativierung für die Erinnerungskultur der Bundesrepublik im Mittelpunkt stehen sollte.

Die Generallinie
Die Krise der JF zog sich, nicht zuletzt auch in finanzieller Hinsicht, noch jahrelang hin. Gleichwohl hat sich die JF im Laufe der Zeit stabilisiert. Mit dazu beigetragen hat das, was man als eine »Strategie kalkulierter Anpassung« (Heimo Schwilk) und Abgrenzung bezeichnen könnte. Diese Generallinie zeichnete sich bereits im Verlauf des Richtungsstreits ab und wurde durch die Stärkung der Position von Dieter Stein als Geschäftsführer des Verlages bekräftigt. Die taktischen Anweisungen lauteten, salopp gesagt, wie folgt: Erstens, das redaktionelle Konzept muss sich an der politischen Mitte der Gesellschaft, also am hegemonialen Diskurs orientieren; zweitens, die Mitte muss dort abgeholt werden, wo sie steht, um dann Schritt für Schritt den Sagbarkeitshorizont nach rechts zu ziehen; und drittens, alle »Rechtsintellektuellen« sind als MitarbeiterInnen und AutorInnen willkommen, solange sie nicht ausdrücklich gegen Punkt eins und zwei verstoßen.

Dieses Konzept arbeitet mit drei Abgrenzungslinien, die Dieter Stein zu den verschiedensten Anlässen akzentuiert hat. Die erste richtete sich gegen die NPD, die er explizit als »politischen Gegner« (JF 09/2007) bezeichnete, weil sie »ein staatlich optimal kontrollierter Garant dafür« sei, »daß die rechte Leerstelle im Parteiensystem derzeit nicht zukunftsfähig besetzt« (JF 04/2007) werden könne. Die NPD stehe »weltanschaulich unumwunden in der Tradition des Dritten Reiches«. Stein war überzeugt, dass sich eine »bundesweite seriöse rechte parlamentarische Alternative« nur etablieren könne, wenn sie sich öffentlichkeitswirksam und möglichst glaubhaft vom NS distanziere. Dass sich die JF gleichzeitig auf die »konservative Revolution« beruft, wie aus ihrem »Leitbild« (siehe unten) ersichtlich, ist insofern ein Problem und gleicht einer Quadratur des Kreises, als man sich damit auf ideologische Traditionen beruft, die doch erhebliche Schnittmengen mit dem NS aufweisen.

Die Anknüpfung an die »konservative Revolution« ist Voraussetzung für eine zweite Abgrenzung, die sich diesmal gegen den sogenannten »Gärtner-Konservatismus« (Mohler) oder »Beschwichtigungs-Konservatismus« (Kubitschek) richtet. Damit ist die oftmals beklagte ‹Schwundstufe› des Konservatismus in den Unionsparteien gemeint, die je nach Gusto mal als ‹sozialdemokratisiert›, mal als ‹herunterliberalisiert› deklariert wird. Der ‹wahre› Konservative, schrieb Karlheinz Weißmann 2009 in seinem »Konservativen Katechismus«, konzentriere sich auf den Ernstfall.
Weißmann schrieb damals den »Konservativen Katechismus« als wissenschaftlicher Leiter des »Instituts für Staatspolitik«, das im Jahr 2000 als eine Art Ausgründung der »Jungen Freiheit« mit dem Ziel ins Leben gerufen worden war, Grundlagenforschung und Weiterbildung im Geiste des Weimarer Jungkonservatismus zu betreiben. Innerhalb dieses arbeitsteiligen Zusammenhangs, dem noch Kubitscheks »Antaios-Verlag« und die Zeitschrift »Blaue Narzisse« angehörten, gab es immer wieder Spannungen, nicht zuletzt darum, ob man zur Selbstbezeichnung den Terminus »rechts« oder »neu-rechts« verwenden solle. Während Weißmann dafür plädierte, dachte Stein an die Auflagenzahlen der JF und an das Damokles-Schwert des Rechtsextremismus-Vorwurfs und riet davon ab. Stattdessen lobte er in einem Streitgespräch mit Weißmann und Kubitschek (2009) die Vorzüge des Begriffs »konservativ«: »Für mich wird der politisch-publizistische Standort ‹konservativ› durch keine etablierte Partei oder ein Medium vertreten. […] Der Begriff des Konservatismus entfaltet einen prächtigen weltanschaulichen Kosmos, der nicht für Homogenität, sondern für Differenz steht.«

Inhaltlich gesehen war dies ein Streit um des Kaisers Bart. Diese dritte Abgrenzung zielte auf die Öffentlichkeitswirksamkeit der eigenen politischen Position, die für Stein nicht breit genug sein konnte. Während Weißmann immer wieder die Notwendigkeit der Heranbildung einer (minoritären) rechtsintellektuellen Gegenelite betonte, die im Ernstfall bereit sein sollte, Führungspositionen zu übernehmen, und Kubitschek eigenwillig bereits erste Schritte in Richtung einer aktivistischen und militanten Provokationsstrategie unternommen hatte (»Konservativ-Subversive Aktion«), sah Stein die Aufgabe der JF darin, an der »Formierung eines starken konservativ-freiheitlichen Widerlagers« als Basis für einen möglichen Parteibildungsprozess (JF 41/2009) mitzuwirken. Die Notwendigkeit einer parlamentarischen Alternative stand für Dieter Stein im übrigen von Anfang an außer Frage (JF 1/86; JF 23/16).

Der »weltanschauliche Kosmos« der JF
Rainer Zitelmann hatte 1995 in »Die selbstbewusste Nation« postuliert: »In der Demokratie muß es eine demokratische Linke, eine Mitte und eine demokratische Rechte geben.« Mit der semantischen Verschiebung hin zum Konservatismus-Begriff knüpfte Stein inhaltlich an Zitelmanns Projekt einer »Neuen demokratischen Rechten« an. Die Lage ab Mitte der 2000er war im Vergleich zu 1995 erheblich günstiger. Die globale Banken- und Finanzkrise seit 2007, an die sich dann ab 2010 die Eurokrise anschloss, rief Globalisierungs- und EurokritikerInnen auf den Plan. Im Februar 2010 startete, unterstützt von der JF, eine Kampagne der »Aktion Linkstrend stoppen«. Im August erschien Thilo Sarrazins »Deutschland schafft sich ab«. 2012 trat der sogenannte Berliner Kreis (rechts-)konservativer CDU-PolitikerInnen nach jahrelanger Vorarbeit im Stillen an die Öffentlichkeit, in dem mit Alexander Gauland und Konrad Adam zwei JF-nahe Persönlichkeiten mitgewirkt hatten. Im September 2012 schließlich gründeten Konrad Adam, Bernd Lucke, Alexander Gauland mit dem »Verein zur Unterstützung der Wahlalternative 2013« eine der Vorläuferorganisationen der AfD.

Das sind nur einige Stichworte zu dem sich damals in der politischen Landschaft der Bundesrepublik anbahnenden Umbruch. Die JF reagierte 2011 in ihrem Jubiläumsband zum 25-jährigen Bestehen der Zeitung mit der Veröffentlichung ihres »Leitbildes«, mit der sie für die »gleichberechtigte Teilhabe der Konservativen in Politik, Medien und Kultur« warb. Dabei ging es ihr nicht nur darum, das Redaktionsprofil zu umreißen, sondern auch um die gedankliche Konturierung dessen, was Dieter Stein später mit Blick auf die AfD als »seriöse bürgerliche Alternative« zur Union zu deklarieren wusste. Das »Leitbild« bündelt vier ideologiepolitische Eckpunkte (»Werte«), die den JF-internen »Binnenpluralismus« abbilden und gleichzeitig unterschiedliche Strömungen des besagten »konservativ-freiheitlichen Widerlagers« adressieren und verbinden.
Der erste – übergreifende – Eckpunkt ist das Bekenntnis zur Na­tion: Die Bundesrepublik wird zwar als »demokratischer Nationalstaat« deklariert, diesem zugleich aber als Essenz einer »jahrhundertealten Nationalgeschichte, die wir bewahren und fortschreiben wollen«, eine exklusiv »deutsche Identität« als »identitätsstiftende(r) Rahmen« untergeschoben und damit einer Kernformel des völkischen Nationalismus Genüge geleistet. Der Bezug auf das »vereinte Europa« kann daher nur im ethnopluralistischen Sinne verstanden werden.

Unter dem Stichwort Freiheitlichkeit wird die Inschutznahme von »Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit« als Kernelemente der Verfassung – hier fehlen der Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Grundgesetz) und das Sozialstaatsgebot (Art. 20 Grundgesetz) – vor »Eingriffe(n) durch Staat, Parteien, Medien, Interessengruppen und Konzernen« zum Grundsatz erhoben. Unter dem Deckmantel eines Kampfes gegen »alten und neuen Totalitarismus« offenbart sich hier ein antipluralistisches, autoritär-liberales Staatsverständnis.
Mit der Berufung auf den Wert Konservatismus plädiert die JF für ein »realistische(s), skeptische(s) Menschenbild«, relativiert den »Fortschrittsglauben«, wendet sich gegen »Gleichheitsutopien« und empfiehlt, dem »historisch Gewachsenen hohen Rang« einzuräumen. Damit werden wesentliche Essentials der »konservativen Revolution« bestätigt, was dann in das Zitieren einer These von Albrecht Erich Günther mündet, wonach der Konservatismus »nicht ein Hängen an dem (sei), was gestern war, sondern ein Leben aus dem, was immer gilt«. Dieses Zitat, nach Mohler adäquater Ausdruck einer konservativ-revolutionären Haltung und nach Weißmann »gültige Formulierung des Hauptanliegens des Jungkonservatismus«, wird aus dem Zusammenhang des Originals gerissen, denn dort bezieht sich Günther, Mitglied des Juniklubs und seit 1926 Mitherausgeber der einflussreichen Zeitschrift »Deutsches Volkstum«, zustimmend auf ein zentrales Buch der konservativen Revolution, nämlich Moeller van den Brucks »Das Dritte Reich«.
Der letzte Eckpunkt, auf den sich die JF beruft, ist der der Christlichkeit. Die JF betont ihren »dominierenden, festen christlichen Standpunkt« und die enge Verbindung zwischen deutscher Kultur und Christentum auch in einer säkularisierten Gesellschaft. Adressiert werden hier traditionalistische bis fundamentalistische Kreise in und außerhalb der Kirchen.

Fazit
Von Alexander Gauland stammt bekanntlich der Satz: »Wer die AfD verstehen will, muß die JF lesen.« Damit ist die ideologiepolitische Vorarbeit der JF für den Entstehungsprozess der AfD präzise umrissen. Wer sich der Mühe unterzieht, den programmatischen Rahmen der Partei zum »weltanschaulichen Kosmos« der JF in Beziehung zu setzen, wird fündig werden. Dabei hat die JF auch gegenüber der AfD ihre Generallinie beibehalten: Orientierung an der »bürgerlichen Mitte« (JF 37/2014), Abgrenzung gegen eine »Fundamentalopposition« völkischer Kräfte à la Björn Höcke (JF 19/2015), Beharren auf Kompromiss und Ausgleich durch ein starkes Zentrum. Gleichwohl geht es der JF wie eh und je um die Massen- und Alltagstauglichkeit neu-rechter und konservativ-revolutionärer Ideen, die sie im öffentlichen Bewusstsein auf lange Sicht verankert wissen möchte. Karlheinz Weißmann, seit seinem Abschied aus dem IfS erst recht das rechtsintellektuelle Aushängeschild der JF, spricht von der »volkskonservativen« Position der JF (in Erinnerung an die sogenannen Volkskonservativen in der Endphase der Weimarer Republik). Und bezogen auf die AfD gibt er die Parolen aus (JF 12/18): »Verankerung in der Mitte der Gesellschaft«, Bildung einer »Volkspartei neuen Typs« und – als »Endziel« – die »Regierungsführung«. Daran gemessen hätten »ideologische Sonderinteressen« (gemeint sind das IfS beziehungsweise Kubitschek) zwar ein »Existenzrecht«, aber »auf das Leben einer Partei« dürften sie »keinen bestimmenden Einfluß« haben.