Drei Jahre NSU-Aufklärung

von Ernst Kovahl

Magazin "der rechte rand" - Ausgabe 152 - Januar / Februar 2015

Vor drei Jahren flog die Existenz der rechten Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« auf, doch ist weiterhin Aufklärung nötig.

Ausgabe der rechte rand Magazin 152

© Kai Budler

»Es gibt offensichtlich einen Staat im Staate, in dessen Bereich niemand zur Verantwortung gezogen wird«, kritisierte die Obfrau der Bundesregierung für die Angehörigen des Terrors des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU), Barbara John, auf einer Tagung im November 2014 im thüringischen Neudietendorf. Es habe »nicht einen Versuch gegeben, Verantwortliche für die Pannenserie bei den Behörden für Strafvereitelung im Amt zu verfolgen«, kritisierte das CDU-Mitglied. Ein verheerendes Fazit, ein politischer Offenbarungseid für einen Rechtsstaat. Doch ihre Kritik wurde öffentlich kaum wahrgenommen.

Dieser »Staat im Staate« meint keine Verschwörung. Es geht eher um sehr Banales und sehr Alltägliches, das aber in seiner Wirkung fatal und in seinen Konsequenzen tödlich war. Der »Staat im Staate« ist Ergebnis von Rassismus in der Gesellschaft und in den Behörden, von Korps-Geist in Verwaltungen und Polizei, von durch Extremismustheorie untermauerten und politisch motivierten Fehleinschätzungen, von historischen Kontinuitäten in Staatsapparaten, von hysterischem Antikommunismus und Kumpanei am Stammtisch, von fest verwurzelten anti-demokratischen, anti-egalitären und diskriminierenden Einstellungen und von unkontrollierbaren Geheimdiensten. Drei aktuelle Beispiele zeigen, dass es bis heute keinen Bruch mit den Logiken staatlichen Handelns gibt.

Dubiose Akten-Funde
Dem NSU-Untersuchungsausschuss (UA) des Bundestages, der im Sommer 2014 seine Arbeit beendete, wurden vom »Bundesamt für Verfassungsschutz« (BfV) relevante Akten vorenthalten. Das musste die Bundesregierung im Dezember 2014 einräumen. Dabei handelt es sich um 157 »Quellenberichte« des Spitzels Michael See (»Tarif«). Der Multifunktionär der militanten Neonazi-Szene war in Thüringen im Umfeld der späteren NSU-Mitglieder aktiv – und eine »Spitzenquelle« des Dienstes. Eine Woche nach dem Auffliegen des NSU wurden unter anderem seine Akten im BfV vernichtet, hieß es. In den Unterlagen für den Ausschuss fanden sich keine Treffberichte. Nun, Monate nach Abschluss der Arbeit des UA, fanden sich die verschwundenen Akten »im Hause« wohlbehalten wieder. Der Verdacht liegt nahe, dass auf diese Weise erfolgreich versucht wurde, die Akten dem Parlament vorzuenthalten.

Kein Aufklärungs-Wille in Hessen
Nein, Akten aus den Ministerien und Behörden hat der neue hessische NSU-UA seit seiner ersten Sitzung am 1. Juli 2014 noch immer nicht bekommen. Bisher fanden die Sitzungen nur hinter verschlossener Tür statt – anders als in anderen Untersuchungsgremien. In Hessen gibt es genügend Gründe, genau auf das Handeln der früheren Regierungsspitze, des Innenministeriums, des Geheimdienstes und der Polizei im Fall NSU zu schauen. Die hartnäckige Blockadehaltung von Behörden und schwarz-grüner Regierung deutet darauf, dass Spuren bis in die heutige Landesregierung reichen. In den für den NSU-Fall entscheidenden Jahren war Volker Bouffier (CDU) Innenminister des Landes, heute ist er Regierungschef von Hessen.

Blockade in Baden-Württemberg
Auch in Baden-Württemberg blockiert die Landesregierung die NSU-Aufklärung. AnwältInnen und Angehörige von NSU-Opfern, AntifaschistInnen und ExpertInnen kritisieren seit langem das Agieren der grün-geführten Regierung. In einem offenen Brief an den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann wurden nun im Januar 2015 die beiden Professoren Micha Brumlik und Hajo Funke deutlich: »Das zuständige (…) Innenministerium hat weder gegenüber dem Untersuchungsausschuss des Bundestags noch den Aufklärungsversuchen des Stuttgarter Landtags zur Aufklärung beigetragen.«. So sei auch die 2014 vom Landesparlament eingesetzte Enquetekommission bloß eine »Farce« gewesen. Das Verhalten der Regierung sei »ein Schlag ins Gesicht der Opfer, befördert Verschwörungstheorien und senkt das Vertrauen der BürgerInnen in den demokratischen Rechtsstaat«, so Brumlik und Funke.

Die Stille
In Sachsen, Thüringen und möglicherweise Hamburg wird es bald neue Untersuchungsausschüsse geben. Doch in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt herrscht in Sachen Aufklärung weiterhin Ruhe, obwohl es direkte NSU-Bezüge in diese Länder gibt. Notwendig wäre es, auch im Bundestag das Thema weiter zu verfolgen. Doch bisher gibt es dort keine ausreichende Zustimmung. Auch die Öffentlichkeit hat das Interesse am Thema NSU verloren. Damit hat der Druck auf Behörden und Regierungen nachgelassen, Aufklärung leisten zu müssen. Zugleich nutzen die ArchitektInnen der inneren Sicherheit die Situation und erweiterten in den letzten drei Jahren die Befugnisse der Dienste. Derzeit liegt zum Beispiel ein Gesetzentwurf aus dem Bundesinnenministerium vor, der den Einsatz verdeckter Beamter des BfV in »extremistischen« Szenen legalisieren soll – inklusive Freifahrtschein zur Begehung »milieuspezifischer Straftaten«.
Bis heute sind Entstehung, Abtauchen, das Leben im Untergrund und die Durchführung der Anschläge und Morde des NSU nicht wirklich geklärt. Vor allem die Verantwortung des Staates bleibt nebulös. Zudem fehlen bis heute politische Konsequenzen. Ein paar Rücktritte von Geheimdienstlern, das wars. Statt die Behörden an die Leine zu nehmen, konnten diese ihre Befugnisse ausweiten. Gegen die derzeit geplante Einschränkung des Spitzel-Systems in Thüringen laufen konservative PolitikerInnen und Behörden bundesweit Sturm. Um weitere Aufklärung und erst recht um tatsächliche politische Konsequenzen gegen das Vertuschen und Verharmlosen zu erreichen, bräuchte es massiven politischen Druck. Doch daran mangelt es. Derzeit herrscht zumeist Stille.