Nazis sind Verbrecher

von Ernst Kovahl
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 163 - November 2016

Das Erschrecken und das Erstaunen waren groß, als Polizei und Staatsanwaltschaft am 13. Oktober meldeten, dass an einem Stück Stoff neben der Leiche von Peggy K. DNA-Spuren des Neonazi-Terroristen Uwe Böhnhardt gefunden wurden. 2001 war das damals neunjährige Mädchen aus Lichtenberg in Oberfranken offenbar entführt und dann ermordet worden. Erst 15 Jahre später wurde die Leiche zufällig in einem Wald in Thüringen gefunden.

Egal, in welchem Zusammenhang am Ende die DNA des toten Mitglieds des »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) Böhnhardt mit dem Mord an dem Mädchen steht: Erstaunlich ist das Erstaunen in der Öffentlichkeit. Scheinbar passt es nicht ins Bild, dass ein Neonazi und rassistischer und brutaler Serienmörder auch ein Kind ermordet haben könnte – zumal ein blondes und blauäugiges deutsches Kind. Doch ein beständiges Element des Neonazismus ist Gewalt, auch tödliche Gewalt – gegen politische Gegner, gegen »Schädlinge« und gegen Schwächere. Der Neonazismus und die Idee der ins Absolute gesteigerten Grundvorstellung der Rechten, die Idee der Ungleichwertigkeit von Menschen, verleiht das Recht zum Töten und zur Ausrottung. Der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit beschrieb das: »Der Faschist aller Länder und Kulturen, der universelle SS-Mann, der zur vollen Größe erwachte soldatische Mann ist immer selbstgeboren durch Gewalt, ausgerichtet auf die Tötung anderen Lebens. In seiner Wahrnehmung ist er nicht krank, sondern großartig, kein Patient, sondern ein Heiler.« Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt seien dabei »Mittel der Kriegsführung«.

Im Fall der ermordeten Peggy K. kann über die Hintergründe bisher nur spekuliert werden. Aber nehmen wir einmal an, dass tatsächlich Neonazis aus dem NSU oder dessen Umfeld an der Entführung, dem Mord oder am Verscharren der Leiche beteiligt waren, fänden sich zum einen Gründe dafür, die ihnen aus ihrer neonazistischen Ideologie Begründung verschafft hätten: Der Stiefvater des Kindes stammte aus der Türkei, die Mutter soll teils Kopftuch getragen haben. Zum anderen bestanden der »Thüringer Heimatschutz« (THS) und die Neonazi-Szene in der Region zwischen Jena, Saalfeld, Rudolstadt, Gera und Coburg in den 1990er Jahren, aus der sich dann der NSU entwickelte, schon immer in relevanten Teilen aus Personen, die auch gewöhnliche Kriminelle waren. Natürlich rechts, rassistisch und neonazistisch motiviert, aber das Politische war ihnen – vorsichtig gesagt – nicht immer Leitschnur. Direkte Bezüge zur organisierten Kriminalität und in den Bereich der Gewalt- und Raubdelikte, von Sexualstraftaten und der Förderung der Prostitution waren lange erkennbar.

Medien berichteten, dass auf einem Computer des NSU Pornos gefunden worden seien, die »den Verdacht nahe legen, einen sexuellen Missbrauch von Kindern darzustellen«. Schon Ende der 1990er Jahre wurde gegen Zschäpe im Kontext von Kinderpornografie ermittelt. Böhnhardt und der mutmaßliche NSU-Unterstützer Enrico T. standen 1993 im Verdacht, mit dem Mord an dem neunjährigen Bernd B. zu tun gehabt zu haben. Bis heute ist die Tat ungeklärt, doch ein Aussteiger aus der Nazi-Szene hatte ausgesagt, dass der an der Beschaffung einer NSU-Waffe beteiligte T. »auf kleine Kinder stehe«. Völlig unklar ist auch, warum in dem im November 2011 ausgebrannten NSU-Wohnmobil, in dem sich Böhnhardt und Mundlos erschossen, Kinderkleidung und Spielzeug lagen, und wer die Kinder waren, die Böhnhardt und Zschäpe bei Autoanmietungen begleiteten. Die medialen Mutmaßungen, der NSU könnte das Leben im Untergrund mit Kinderpornografie oder Kinderprostitution verdient haben, sind nicht belegbar. Dass solche Überlegungen aber nicht völlig aus der Luft gegriffen sind, zeigen zwei Beispiele aus dem früheren THS. Der Gründer und in allen Jahren führende Kopf des THS und Verfassungsschutz-Spitzel Tino Brandt wurde 2014 wegen sexuellen Missbrauchs, Beihilfe zu sexuellem Missbrauch und Förderung von Prostitution in 66 Fällen verurteilt und sitzt in Haft. Bereits 2009 gingen Hinweise an die Polizei, er vermittle mit einem anderen V-Mann rumänische Jugendliche an Pädophile und produziere mit ihnen pornografische Filme. Auch dem früheren THS-Aktivisten und späteren Thüringer NPD-Chef Patrick Wieschke wurde 2001 vorgeworfen, ein zwölfjähriges Mädchen in seiner Wohnung eingeschlossen, bedroht und sexuell misshandelt zu haben. Aber auch in anderen Fällen war die Szene rund um den THS nicht zimperlich. Gegen Brandt wurde zuletzt wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs ermittelt. Er soll mit einem weiteren ehemaligen Nazi-Spitzel und anderen Personen eine Versicherung mit fingierten Arbeitsunfällen um etwa eine halbe Million Euro betrogen haben. Andere Neonazis aus der Region, unter ihnen ein ehemaliger THSler, überfielen 1999 gemeinsam mit drei Litauern brutal einen Geldtransporter, um mit den 70.000 DM Beute ein Bordell zu kaufen. Ein weiterer Neonazi aus diesem Umfeld war in Jena Mieter von Wohnungen für Prostitution.

Immer wieder gibt es Berichte über Neonazis, die in Drogenhandel, Prostitution oder Raub verwickelt sind. Aber hier, im Kernland des NSU, schien diese Mischung über Jahre zum Geschäftsmodell zu gehören. Im THS und seinem Umfeld war es offenbar völlig normal, zugleich organisierter Neonazi und gewöhnlicher Krimineller zu sein. Polizei, Justiz und Geheimdienst haben den organisierten Charakter dieser Misch-Szene nie erkannt oder sehen wollen. Warum?