Parlamentarische Aufklärung?

Interview mit mit Martina Renner
Magazin "der rechte rand" - Ausgabe 162 - September 2016

Über die Möglichkeiten der Aufklärung von Geheimdienst-Skandalen mit dem Instrument des Untersuchungsausschusses sprach Ernst Kovahl für »der rechte rand« mit Martina Renner, Sprecherin für antifaschistische Politik der Fraktion »Die Linke« im Bundestag und Expertin für Innenpolitik.

drr: Können Untersuchungsausschüsse (UA) Geheimdienst-Skandale aufklären?
Martina Renner: Untersuchungsausschüsse können nur Teil einer Auseinandersetzung mit den Machenschaften von Geheimdiensten sein. Ihr Erfolg ist davon abhängig, mit welcher Haltung Abgeordnete an die Aufgabe gehen. Entscheidend ist, ob sie ihre Rolle und Befugnisse ernst nehmen und kooperative Vorstellungen zur Regierungsbank ablegen. Ich spreche keinem CDU/CSU- oder SPD-Abgeordneten ein Aufklärungsinteresse ab. Aber im zweiten NSU-UA im Bundestag zeigt sich, dass die Abgeordneten der Regierungsfraktion vor allem Geheimdienste schützen wollen und deren Verantwortung für den NSU-Komplex ausblenden. Lügende ZeugInnen, verschwundene Akten und unangemessene Geheimhaltung erfordern aber entschiedene parlamentarische und juristische Antworten. Der Werkzeugkasten ist klar: Auch ein UA kann Zwangsmittel, wie Ordnungsgelder, verhängen oder eine juristische Klärung bei Missachtung seiner Rechte verlangen. Zwangsmittel sind leider nur mit Mehrheit und Klagen nur unter großer Kraftanstrengung möglich. Ohne öffentliches Interesse und Druck von Engagierten, ohne das Wechselspiel mit JournalistInnen, ohne antifaschistisches Hinterland wie im Fall der NSU-Aufklärung oder ohne Begleitung durch unabhängige Blogs funktioniert das nicht. Dann wird Ausschussarbeit zur Selbstbeschäftigung. Ich will die Rolle der parlamentarischen Aufklärung nicht klein reden. Denn dort wo es keinen Versuch zur Aufklärung gab, sehen wir die Folgen. Die Bundesrepublik ist eines der wenigen Länder, das die klandestine Nato-Stay-Behind-Struktur nicht untersucht hat. Bis heute wissen wir nicht, welche Wechselwirkung es mit rechtsterroristischen Strukturen gab. Auch dass es in Bayern keinen UA zum Oktoberfest-Attentat gab, erschwert die Klärung, welche Rolle Staatsregierung, Landeskriminalamt und Verfassungsschutz spielten. Bisher verweigern die Geheimdienste Auskunft zur Rolle von V-Leuten in der »Wehrsportgruppe Hoffmann«. Einen Versuch, das aus dem Dunkel der Geheimdienstarchive zu holen läuft zur Zeit mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht.

 

Die Funde mehrerer Handys des Nazi-Spitzels »Corelli« in einem Safe im »Bundesamt für Verfassungsschutz« (BfV) zeigen, dass Beweismittel zurück gehalten wurden. Wäre es im Fall des NSU sinnvoll gewesen, sofort alle Akten und Beweismittel zu beschlagnahmen?
Ja, eigentlich hätte man auch nicht auf das Einsetzen der Ausschüsse warten müssen. Als klar war, dass sich die Behörden im Zusammenhang mit der Führung von Spitzeln in den 1990er und frühen 2000er Jahren möglicherweise strafbar gemacht haben, hätte das Bundeskriminalamt (BKA) das Recht und die Pflicht gehabt, Akten, Dateien und Hinterlassenschaften von V-Leuten zu sichern. Es geht ja um Strafvereitelung, Anstiftung zu Straftaten, Geheimnisverrat, mögliche Beihilfedelikte und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Spätestens seit dem Auffinden der »NSU-NSdAP-CD« bei einer Sichtung des BKA in den Räumen des Inlandsgeheimdienstes 2014 war klar, dass es offenbar Beweismittelunterdrückung gab. Passiert ist aber nichts, weil die Ermittlungsführerin die Bundesanwaltschaft ist. Sie ist seit Jahrzehnten in die V-Leute-Führung durch das BfV involviert, so dass sie nicht Teil der Lösung sein wird.
Auch ein UA hat das Recht, Akten vor Ort in Behörden beizuziehen. Aber da hapert es beim Selbstverständnis vieler Abgeordneter, die sagen: Wir sind doch kein Gericht. Aber hier wird verkannt, dass der UA genau diese Funktion hat. Beweis zu erheben zu Annahmen, dass Rechtsverstöße begangen wurden und Schaden durch Regierungshandeln entstanden ist, Verantwortliche ausmachen und Konsequenzen verlangen.

Wie wichtig sind Recherchen von Medien, Archiven, Wissenschaft oder Antifa-Initiativen für den Erfolg eines Untersuchungsausschuss?
Das ist das A und O. Was wir heute zum NSU sagen können, wäre unvollständig ohne investigative Arbeit von Außen. Die Behörden hätten von sich aus nur ein Bruchteil der um den NSU platzierten Spitzel benannt, wären die Namen nicht auf anderen Wegen bekannt geworden. Ein weiteres Beispiel: Der Dank an den NSU in der Neonazi-Zeitschrift »Der weisse Wolf« aus dem Jahr 2002 wurden nur durch das Antifa-Archiv »apabiz« bekannt. Aber ohne solches Hintergrundwissen funktioniert Aktenstudium nicht. Das gilt auch für den NSU-Prozess vor dem OLG München. Die unangenehmen Fragen an Nazi-Zeugen und V-Leute kommen von der Nebenklage und nicht vom Gericht oder dem Bundesankläger. Antifaschistische Recherche lieferte Gegenbelege zu lügenden ZeugInnen, die die Neonaziszene verharmlosten.

Fünf Jahre Enttarnung des NSU. Welches sind die größten offenen Baustellen?
Das sind viele. Unbewiesen, aber nicht unwahrscheinlich ist, dass die Geheimdienste seit Anfang der 2000er Jahre aus Spitzel-Berichten, Überwachungsmaßnahmen und Hinweisen ausländischer Dienste eine Vorstellung von der Entstehung rechtsterroristischer Strukturen, deren Bewaffnung, Ideologie und Aktionen hatten. Unsere Fragen sind klar: Was wussten die Geheimdienste durch die V-Leute bei »Blood & Honour« (B&H), in den thüringischen und sächsischen Kameradschaften und Hammerskin-Chaptern über das NSU-Kerntrio und ihre UnterstützerInnen? Gab es V-Leute oder V-Mann-Führer, die Informationen über die Bewaffnung des NSU, die Überfälle und die rassistische Mord- und Anschlagsserie hatten? Wenn ja, was ist mit dem Wissen passiert? Oder haben die V-Leute ihr Wissen wirklich verheimlicht? Ich halte es für nicht ausgeschlossen, dass es im BfV Aktenordner zum NSU gab. Vielleicht nicht unter diesem Namen, aber im Kern zu deren Organisation. Wir müssen alle Akten zu V-Leuten, die im NSU oder Umfeld waren, bekommen und Druck machen, dass vernichtete Akten rekonstruiert werden. Die Untersuchungsausschüsse müssen alle Klarnamen der Spitzel erfahren und die V-Mann-FührerInnen hochnotpeinlich befragen. Außerdem fehlen weiterhin Operativakten zu V-Leuten. Und wir kennen bis heute nicht alle Identitäten der Spitzel, deren Akten am 11. November 2011 vernichtet wurden. Welche Erkenntnisse liegen bei ausländischen Behörden und Diensten vor, die zum Beispiel aufgrund der Kontakte des NSU zum europäischen Netzwerk von B&H entstanden?