Editorial der 162

Eure Redaktion

Magazin "der rechte rand" - Ausgabe 162 - September 2016

Liebe Leserinnen und liebe Leser,

Ein Titel ohne Bild scheint angemessen, um der Dimension des NSU-Terrors gerecht zu werden. Es soll herausstellen, um wen es, wenn wir recherchieren, schreiben und analysieren, immer gehen sollte: Die Opfer. Ihre Angehörigen müssen seit über 16 Jahren damit leben, dass ihre Ehemänner, Väter und Söhne – und in einem Fall ihre Tochter – ermordet wurden und dass immer noch nicht alle Hintergründe der Taten geklärt wurden. Durch das Strafverfahren in München und die Medienberichterstattung werden sie immer wieder mit den Geschehnissen konfrontiert.
Dass es jenseits der Ermordeten und ihrer Familien noch weitere Menschen gibt, die Opfer des Neonaziterrors geworden sind, deuten die Auslassungspunkte auf dem Titel an: Eine junge Frau, die bei dem Sprengstoffanschlag in der Kölner Probsteigasse schwer verletzt wurde, zwei Dutzend Opfer des Nagelbombenanschlags auf der Kölner Keupstraße – einige unter ihnen erlitten schwerste Verletzungen – und ein Auszubildender in einer Zwickauer Sparkasse, dem vermutlich Uwe Böhnhardt in den Bauch schoss: Auch sie kämpfen, zum Teil bis heute, mit den physischen und psychischen Folgen der Taten; viele sind traumatisiert. Aus der Perspektive der Betroffenen ist die Geschichte des NSU kein spannender Geheimdienstthriller, kein aufregender Krimi, bei dem das Publikum sich gruseln und gespannt sein darf, welche schaurigen Details noch ans Licht kommen. Für sie bedeutet »NSU« ein Verbrechen, das von Grund auf ihr Leben verändert hat. Es bedeutet, in einem Staat zu leben, der nicht nur damals keinen Schutz geboten, sondern der bis heute die politisch Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen hat. Der nicht nur damals zuließ, dass die Verfassungsschutzbehörden ihre V-Leute im Dunstkreis des NSU aufstellten, sondern der bis heute keinen reinen Tisch im Verfassungsschutz gemacht hat. »Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen«, sagte Angela Merkel im Februar 2012. HelfershelferInnen, die frei herumlaufen, Hinterleute, die nichts zu befürchten haben, Akten unter Verschluss, VerfassungsschutzzeugInnen, die nicht aussagen müssen und Quellen, deren Identität bis heute geschützt wird – das beschreibt ganz gut die Realität im Jahr 2016.