Frühling in Weikersheim

von Timo Büchner
Magazin "der rechte rand" - Ausgabe 162 - September 2016

Seit bald 40 Jahren agiert das rechte »Studienzentrum Weikersheim« an der Schnittstelle zwischen bürgerlichem Konservatismus und der extremen Rechten. Sein Vizepräsident Karl Albrecht Schachtschneider sorgt als Autor und Redner für eine starke Präsenz des Studienzentrums in der extremen Rechten.

»Wanderungsbewegungen in Europa zwischen Seßhaftigkeit und Migration« – das war das Thema der 39. Jahrestagung des »Studienzentrum Weikersheim«, die vom 9. bis 11. September 2016 stattfand. Auf dem Programm der Veranstaltung im noblen Schloss Weikersheim im baden-württembergischen Main-Tauber-Kreis stand neben Beiträgen des Präsidiums auch ein Vortrag des slowakischen Europaabgeordneten Richard Sulík (»Sloboda a Solidarita«/»Freiheit und Solidarität«). In Anlehnung an seinen Gastkommentar in der neu-rechten Wochenzeitung »Junge Freiheit« (16. September 2015) sprach er über »das Chaos, das aus Deutschland kam« – und meinte damit die »Willkommenskultur« gegenüber Geflüchteten.

 

Rechter Think-Tank

Das »Studienzentrum Weikersheim« (SZW) wurde 1979 gegründet. Ziel war es, die Nationalkonservativen in der CDU zu stärken und den Ende der 1970er Jahre als vermeintlich links ausgemachten Mainstream in der Gesellschaft zurückzudrängen. Der ehemalige NS-Marinerichter und CDU-Politiker Hans Filbinger (†2007) initiierte die Gründung ein Jahr nach seinem Rücktritt als baden-württembergischer Ministerpräsident. Er war zurückgetreten, nachdem bekannt geworden war, dass er als Richter an Todesurteilen mitgewirkt hatte – was er bestritt. Die »Filbinger-Affäre« sorgte in Folge immer wieder für kontroverse Diskussionen – zuletzt bei der Trauerfeier für den verstorbenen ehemaligen NS-Marinerichter. Die Äußerung des damaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Günther Oettinger (CDU), sein Vorgänger Filbinger sei »kein National­sozialist«, sondern »ein Gegner des NS-Regimes« gewesen, sorgte für einen Eklat. Die Affäre dürfte dazu beigetragen haben, dass das SZW heute nur noch etwa 130 Mitglieder hat – ein Viertel der Anzahl Anfang der 1990er Jahre. Nicht ausgetreten war dagegen Baden-Württembergs ehemaliger Ministerpräsident Lothar Späth (CDU), der nach Angaben des SZW bis zu seinem Tod im März 2016 Mitglied gewesen war.

»Weikersheimer Thesen«

In den vergangenen 40 Jahren referierten zahlreiche PolitikerInnen – vornehmlich aus der CDU und CSU sowie AkademikerInnen auf zahllosen Kongressen oder Tagungen. Die häufig als Scharnier beschriebene Funktion zwischen rechts und extrem rechts erfüllt das SZW, indem es Publizisten der extremen Rechten einen Auftritt vor ausgesuchtem Publikum und so auch Vernetzung und Austausch zwischen rechtskonservativen und extrem rechten Inhalten und Strukturen ermöglichte.
Die aktuell auf der Homepage des SZW veröffentlichten »Weikersheimer Thesen«, eine Art Grundsatzprogramm des Studienzentrums, charakterisieren die »Grundwerte und Grundlagen« des SZW. Es versteht sich als »Diskussionsforum für die zeitgemäße Formulierung eines freiheitlichen Konservatismus«, um sich »auf christlichem Fundament« mit den »Problemen der Gegenwart des 21. Jahrhunderts« zu beschäftigen. Die ‹deutsche› Bevölkerung sei »in ihrem Bestand gefährdet«, denn sie werde durch eine »weithin ungesteuerte« Einwanderung bedroht. Sie befinde sich »auf dem Weg zu einer Multiminoritätenstruktur, in der das zum Überleben notwendige kulturelle Zentrum zu verschwinden droht«. Eine große Rolle spielen die »christlichen« Werte. Deren Bedeutung wurde deutlich, als 2006 Karlheinz Weißmann – damals noch für das »Institut für Staatspolitik« (IfS) aktiv – von einer Tagung der »Jung-Weikersheimer« ausgeladen wurde. Im Gespräch mit der JF wurden damals »neuheidnische Strömungen« im Umfeld des IfS als Begründung für die Ausladung aufgeführt. Damals trennten sich die Wege der beiden rechten Think Tanks IfS und SZW.
Im Juli 2016 trat der bisherige SZW-Präsident und Hochschullehrer Harald Seubert »auf eigenen Wunsch hin mit sofortiger Wirkung« von seinem Amt zurück, das er seit 2011 innehatte. Die beiden Vizepräsidenten des SZW, Karl Albrecht Schachtschneider und Jost Bauch, übernehmen vorläufig die »Amtsgeschäfte«. Beisitzer sind der Brigade-General a. D. Dieter Farwick, Klaus Hornung, Daniel Krieger und Herwig Praxl. Die Geschäftsstelle hat ihren Sitz in Wien nahe des Westbahnhofs.

Wiederannäherung an das IfS

Nach einer längeren Zeit der Stagnation zeigten sich in den vergangenen Monaten Anzeichen einer Wiederbelebung des SZW. So zog ein Symposium des SZW im Januar 2016 in Wien, das mit Unterstützung der FPÖ-Fraktion veranstaltet wurde, über 100 Gäste an. Und es kam – vor allem in der Person des Vizepräsidenten Karl Albrecht Schachtschneider – zu einer Wiederannäherung an das Spektrum des IfS. Sowohl der kürzlich zurückgetretene SZW-Präsident Seubert als auch Vizepräsident Schachtschneider traten mehrfach als Gastredner der jährlichen Akademien im IfS auf. Und das Blättchen des Instituts, »Sezession«, veröffentlichte Beiträge der beiden SZW-Aktiven. Während Seubert zuletzt bei der 13. »Winterakademie« (2013) referierte, sprach Schachtschneider zum Thema »Der gesellschaftliche Umbau Deutschlands und das Grundgesetz« im Rahmen der 16. »Sommerakademie« (2015).
Auf dem IfS-Herbstkongress im November 2015 wurde die Kampagne »Ein Prozent für unser Land« gegen den vermeintlichen »Ansturm auf Europa« vorgestellt, die Ungarns Grenzpolitik gegenüber Flüchtlingen unterstützt und verschiedene rechte Akteure eint, neben dem SZW-Vizepräsidenten Schachtschneider auch Götz Kubitschek (IfS und ­»Sezession«), Jürgen Elsässer (»Compact«) und Hans-Thomas Tillschneider (Abgeordneter der »Alternative für Deutschland«). Ende Januar 2016 gab Schachtschneider bekannt, er wolle die Bundesregierung mit einer Verfassungsbeschwerde dazu zwingen, die deutschen Grenzen »gegen die illegale Einreise von Ausländern zu sichern«. Im März wies das Bundesverfassungsgericht die Beschwerde zurück.

Nähe zum »Compact«-Magazin

Lob gibt es für Schachtschneider von »Compact«-Chef Jürgen Elsässer. Der SZW-Vizepräsident sei »einer der wichtigsten Staatsrechtler Deutschlands«, weshalb er ihn immer wieder als Gastredner einlade – zum Beispiel am 22. November 2014 im Rahmen der 3. »Souveränitätskonferenz« in Berlin zum Thema »Ukraine, Krim und Völkerrecht« und für die kommende 5. »Souveränitätskonferenz« am 29. Oktober 2016 in Köln. In der aktuellen Spezial-Ausgabe der »Compact« zum Thema »Islam – Gefahr für Europa« behauptet Schachtschneider, das Bundesverfassungsgericht verteidige eine Religionsfreiheit, »mittels derer der Islamisierung Deutschlands die Tore weit geöffnet werden«. Er fordert deshalb: »Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit!« In dem gemeinsamen Buch »Einwanderung oder Souveränität: Deutschland am Scheideweg. Die Illegalität der Zuwanderung und der Verfall des Staates« der beiden SZW-Vizes Schachtschneider und Bauch behaupten sie, die Bundesregierung würde »Fremde in großer Zahl zur Einwanderung einladen« und »auf lange Sicht den Souverän, das Volk, austauschen«. Bauch nennt dies den »gezielten Ethnosuizid der Deutschen«. Die angebliche »Landnahme der Fremden« führe in eine »multikulturelle Zufallsbevölkerung« und ende in »bürgerkriegsähnlichen Entwicklungen«.
Autor im »Kopp«-Verlag
Schachtschneider publizierte mehrere Bücher im rechten und verschwörungstheoretischen »Kopp-Verlag« aus Rottweil am Neckar, darunter die Titel »Die Souveränität Deutschlands. Souverän ist, wer frei ist« (2012) und »Erinnerung ans Recht. Essays zur Politik unserer Tage« (2015). Der wohl bekannteste Autor des Verlags ist der ehemalige FAZ-Journalist und rechte Autor Udo Ulfkotte. Gemeinsam mit ihm schrieb Schachtschneider das Buch »Gebt uns unsere D-Mark zurück. Fünf Experten beantworten die wichtigsten Fragen zum kommenden Staatsbankrott« (2012). Auch zum »Frühjahrskongress« des SZW am 14. März 2015 in Stuttgart-Karlshöhe war der »zeitgeistkritische« Autor Ulfkotte als Redner zum Thema »Pegida und die veröffentlichte Meinung« eingeladen.

»Verein Gedächtnisstätte«

Auch zum geschichtsrevisionistischen »Verein Gedächtnisstätte«, der in Guthmanshausen nahe Sömmerda (Thüringen) in einer alten Landwirtschaftsschule ein Tagungshaus und eine »Gedächtnisstätte für die deutschen zivilen Opfer des Zweiten Weltkrieges durch Bomben, Verschleppung, Vertreibung und in Gefangenenlagern« unterhält und aus dem Spektrum deutscher Holocaust-LeugnerInnen gegründet wurde, gibt es Kontakte des SZW. So ist der ehemalige SZW-Geschäftsführer (1982 – 1997) und frühere persönliche Referent von Hans Filbinger, Albrecht Jebens, heute der zweite Vorsitzende des »Vereins Gedächtnisstätte«. Im Rahmen eines »Vortragswochenendes« am 20./ 21. Oktober 2012 im »Rittergut Guthmannshausen« referierte neben Jebens (»50 Thesen zur Vertreibung«) auch SZW-Präsident Seubert als Gastredner in der »Gedächtnisstätte« zum Thema »Dekadenz und Orientierungslosigkeit – Zur geistigen Situation in Deutschland«. Berührungsängste mit dem Milieu aus GeschichtsrevisionistInnen, Holocaust-LeugnerInnen und der extremen Rechten hatte Seubert offenbar nicht. Im Juni 2013 war er erneut für einen Vortrag in Guthmannshausen angekündigt – der Auftritt fiel aber aus unbekannten Gründen aus.

AfD und FPÖ

Auch mit der »Alternative für Deutschland« (AfD) pflegt das SZW Kontakte und Austausch. Nachdem VertreterInnen der baden-württembergischen AfD-Jugendorganisation »Junge Alternative für Deutschland« (JA) um den Bundesvorsitzenden Markus Frohnmaier die 36. SZW-Jahrestagung am 13. September 2013 besuchten und Frohnmaier laut einem Bericht der JF deutlich machte, dass es Gemeinsamkeiten zwischen der JA und dem Studienzentrum gebe, nahmen mehrere AfDler, zum Beispiel Dubravko Mandic und Markus Frohnmaier, auch an einem »Sicherheitspolitischen Seminar« des SZW am 9. November 2013 in Tübingen teil.
Die Nähe zwischen SZW und AfD ist naheliegend: Schachtschneider war einer der 68 Hauptzeichner der eurokritischen »Wahlalternative 2013«. Seitdem unterstützt er die daraus später entstandene AfD mit Vorträgen. Für den 16. April 2016 beispielsweise, luden ihn die beiden AfD-Bezirksverbände Niederbayern und Oberbayern zu einer Veranstaltung zum Thema »Grenzen der Religionsfreiheit am Beispiel des Islam« in Ingolstadt ein.
Das Verhältnis des SZW zur »Freiheitlichen Partei Österreichs« (FPÖ) ist eng: Daniel Tapp, Assistent der FPÖ-Politikerin Barbara Rosenkranz, ist seit September 2014 Geschäftsführer des »Studienzentrum Weikersheim«. Das SZW veranstaltete am 11. Januar 2016 gemeinsam mit der FPÖ ein Symposium zum Thema »Ungarns Rolle in Europa« im Wiener »Palais Epstein«. Auf dem Podium saß neben Rosenkranz und Bauch auch Schachtschneider, der über das Thema »Orbán vs. Merkel – Masseneinwanderung aus verfassungsrechtlicher Sicht« sprach. Schachtschneider lobte dort »das umsichtige Vorgehen Orbáns«. Er stellte fest: »Die Souveränität des Volkes verbietet es, die Verantwortung für die Sicherheit und Ordnung aus der Hand zu geben. (…) Illegaler Aufenthalt von Fremden kann unter keinen Umständen geduldet werden.« Unter den gut 100 Gästen war auch Ungarns Botschafter in Österreich, János Perény.
Von einer Renaissance des SZW zu sprechen, dürfte verfrüht sein. Aber die Ausflüge des Studienzentrums in die Welt der politischen Rechtsparteien angesichts deren aktueller Wahlerfolge, die weiterhin bestehende Nähe zu einem spezifischen Teil der CDU, die gut, zum Teil mit politischer Prominenz, besuchten Veranstaltungen und die vierzigjährige Kontinuität politischer Debatten und Netzwerkens am rechten Rand zeigen, dass das Studienzentrum weder eine Eintagsfliege noch eine unbedeutende Sekte ist. Auch mit nur noch 130 Mitgliedern ist das SZW offenbar attraktiv für all jene, denen die CDU allein zu liberal, die AfD oder NPD zu prononciert rechts und die »Neue Rechte« zu völkisch oder abgehoben ist.