Nationale Rechtspflege

von Nathalie Meyer
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 199 - November | Dezember 2022

Um Jurist*innen zu werden, streben rechte Akteur*innen in die rechtswissenschaftlichen Fakultäten und das Referendariat. Dabei geraten sie in Konflikt mit den Anforderungen an ihre »Verfassungstreue«. Doch auch als Schöff*innen unternimmt die extreme Rechte den Versuch, die Auslegung des Rechts nach rechts zu verschieben. Der Rechtsstaat selbst hat darauf nur unzureichende Antworten.

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Bis heute gelten Jurastudierende nicht zu Unrecht als überwiegend konservativ. So kam 2014 eine Langzeitstudie des Erlanger Strafrechtsprofessors Franz Streng zu dem Ergebnis, mehr als ein Drittel der Student*innen der Rechtswissenschaft befürworte die Todesstrafe und jede*r zweite staatliche Folter. Mit diesen Einstellungen können sie sich im politischen Milieu der Juristischen Fakultäten heimisch fühlen: Gepaukt werden noch immer Reichsgerichtsfälle, die Gesetzeskommentare trugen bis vor kurzem die Namen von Altnazis und das Studium ist geprägt von Elitarismus und Leistungsdruck. Auseinandersetzungen um gesellschaftliche oder historische Bezüge des Rechts, oder die Verantwortung der Rechtswissenschaft und Praxis finden hingegen selten statt. Es ist daher nicht überraschend, dass Jura eine beliebte Fachrichtung für Burschenschafter über (Rechts-)Konservative bis hin zur extremen Rechten ist. Die Strategie dieser Studienwahl ist meist simpel: Das Jurastudium ermöglicht den Zugang zu Machtpositionen, genießt hohe gesellschaftliche Anerkennung und bietet damit beste Bedingungen, um rechte Ideologie über die eigene Szene hinaus salonfähig zu machen. Zudem wird versucht, die Diskurshoheit – die sogenannte herrschende Meinung – über die Auslegung des Rechts und die darin normierten Bedingungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens nach rechts zu verschieben. Nicht zuletzt dient die Studienwahl auch schlicht dazu, rechte Anwält*innen zur Vertretung der Szene zu generieren.

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Neonazi Michael Brück
© ENDSTATION RECHTS

Zwischen rechter Ideologie und »Verfassungstreue« im Referendariat
Mit Ausnahme von Burschenschaftern, für die das akademische Milieu ein identitätsstiftender Referenzrahmen ist, sind Hochschulen für die extreme Rechte oftmals kein Terrain des eigenen politischen Aktivismus und bleiben daher unterhalb des Radars. Probleme drohen aber nach Abschluss des ersten Examens. Denn Voraussetzung für einen klassischen juristischen Beruf ist das zweite Staatsexamen, dem ein zweijähriges Referendariat vorausgeht. Referendar*innen sind während dieser Zeit im Staatsdienst und daher bestimmten Anforderungen der Gesetzes- und »Verfassungstreue« unterworfen.

Dies wurde dem Neonazi Michael Brück zum Verhängnis. Brück ist ehemaliges Mitglied des »Nationalen Widerstands Dortmund«, Kader der Partei »Die Rechte«, mittlerweile in Chemnitz bei den »Freien Sachsen« aktiv und dank zahlreicher rechtsmotivierter Vorstrafen im Besitz eines prall gefüllten polizeilichen Führungszeugnisses. Nach seinem Jurastudium an der Universität Bochum beantragte er 2014 die Zulassung zum Referendariat beim Oberlandesgericht (OLG) Hamm. Sie wurde mit der Begründung abgelehnt, dass er aufgrund seiner umfangreichen Vorstrafen und seiner »verfassungsfeindlichen Betätigungen« einer Zulassung nicht »würdig« sei. Nach einer Klage von Brück bestätigte das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen diese Ablehnung, stellte allerdings die Zulassung nach einer dreijährigen »Wohlverhaltensphase« in Aussicht. Dazu kam es bis heute jedoch nicht. Brück ist der Juristerei aber treu geblieben und absolviert seit 2020 eine Ausbildung im Büro des Chemnitzer Anwalts und »Freie Sachsen«-Aktivisten Martin Kohlmann.

Dass eine rechte Positionierung und selbst entsprechend motivierte Vorstrafen allerdings kein pauschales Ausschlusskriterium für das Referendariat sind, zeigt das Beispiel von Brian E. in Sachsen. ­Brian E. beteiligte sich 2016 noch als Jurastudent an einem organisierten Nazi-Angriff auf den Leipziger Stadtteil Connewitz und wurde dafür 2018 – mittlerweile Referendar am OLG Dresden – zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Obwohl die Verurteilung einen Rausschmiss ermöglicht hätte, erlaubte das OLG Dresden Brian E., sein Referendariat fortzuführen. Diese Entscheidung wurde damit begründet, ohne ein Referendariat sei der Weg in einen juristischen Beruf versperrt. Die Entlassung aus dem Referendariat komme daher einem Berufsverbot gleich und verstoße gegen die Berufsfreiheit aus Art. 12 Grundgesetz (GG).


Aufgrund der Kontroverse um Brian E. änderte der Sächsische Landtag das dortige Juristenausbildungsgesetz, in dem nun klargestellt ist, dass die »strafbare Bekämpfung der freiheitlichen-demokratischen Grundordnung« ein Ausschlusskriterium für das Referendariat sein kann. Trotz dieser Neuregelung konnte Matthias B. sein Referendariat in Sachsen antreten. B. war einst Kandidat der »Nationaldemokratischen Partei Deutschlands« (NPD) für den Bayerischen Landtag, Mitglied der mittlerweile verbotenen Kameradschaft »Freies Netz Süd« und (Gründungs-)Mitglied von »Der III. Weg«. 2020 bewarb er sich für das Referendariat in Bayern und Thüringen und wurde in beiden Bundesländern aufgrund seiner Aktivitäten für »Der III. Weg« abgelehnt, was gerichtlich bestätigt wurde. Auch in Sachsen wurde ihm die Zulassung aus gleichen Gründen verweigert. Doch auf eine Verfassungsbeschwerde von B. verhalf ihm der Sächsische Verfassungsgerichtshof im Oktober 2021 schließlich doch zum Referendariat. Auch hier ging das Gericht davon aus, die Ablehnung sei ein Eingriff in die Berufsfreiheit aus Art. 12 GG, der nur gerechtfertigt wäre, wenn die Schwelle zur Strafbarkeit überschritten werde. Verfassungsfeindlichkeit ohne strafbare Aktivitäten lässt das Gericht nicht ausreichen.

Die divergierende Rechtsprechung und die Praxis im Umgang mit rechten Referendar(sanwärter)*innen zeigen die Schwäche staatlicher Institutionen im Umgang mit Akteur*innen der extremen Rechten im Staatsdienst. Der Rückgriff auf die »freiheitlich-demokratische Grundordnung« und die »Verfassungstreue« mag im Einzelfall hilfreich sein. Die »freiheitlich-demokratische Grundordnung« ist aber kein objektives Kriterium, sondern seit jeher politischer Kampfbegriff. Dessen inhaltliche Bestimmung unterliegt der Deutungshoheit des Verfassungsschutzes, der im Kampf gegen rechts oft genug bewiesen hat, Teil des Problems zu sein. Derartige Regelungen haben damit immer reaktionäres Potenzial. Stattdessen braucht es eine Auseinandersetzung um die gesellschaftliche Funktion des Rechts und die daraus resultierenden Anforderungen an die Haltung von Rechtsanwender*innen, um die juristische Ausbildung von rechten Akteur*innen durch den Staat zu verhindern.

Nationale Bürger*innen sprechen nationales Recht – Mobilisierung rechter Schöff*innen
Doch eine Einflussnahme auf die Rechtsprechung setzt nicht zwangsläufig eine juristische Ausbildung voraus. Denn in einigen Gerichtsverfahren ist die Beteiligung von ehrenamtlichen Richter*innen (unter anderem Schöff*innen) vorgesehen. Ehrenamtliche Richter*innen sind Personen ohne juristische Ausbildung, die durch die kommunalen Parlamente gewählt werden. Sie sollen eine nicht-juristische Perspektive einbringen, um so zu einer lebensnahen Rechtsprechung beizutragen. Ihr Einfluss ist enorm, denn sie wirken an der Entscheidungsfindung neben den Berufsrichter*innen mit gleichberechtigter Stimme mit. NPD, die »Alternative für Deutschland« (AfD), aber auch rechte Mobilisierungen wie PEGIDA, haben das darin liegende Potenzial einer rechten Diskursverschiebung im Recht erkannt und rufen ihre Anhänger*innen dazu auf, als Schöff*innen anzutreten. So auch 2018 in Lüneburg, wo die AfD ihre Anhänger*innen für die Wahl mobilisierte und damit Erfolg hatte: Die beiden stadtbekannten Neonazis Holger S. und Teja L. traten zur Wahl an. Obwohl Antifaschist*innen die politische Positionierung der Kandidat*innen öffentlich machten, wählte die Mehrheit des Stadtrats die Neonazis zu Schöff*innen. Eine antifaschistische Kampagne rief daraufhin dazu auf, massenhaft Einsprüche gegen die Wahlliste beim zuständigen Gericht einzulegen. Mit Erfolg: Aufgrund des öffentlichen Protests wurde die Wahl schließlich wiederholt und beide wurden nicht erneut gewählt. Dieser Vorgang zeigt sowohl das Potenzial antifaschistischer Intervention wie auch deren Notwendigkeit. Denn auch hier bleibt die staatliche Reaktion auf die Unterwanderungsversuche durch rechte Schöff*innen ungenügend. Zwar hat das Bundesjustizministerium dieses Jahr angekündigt, das Deutsche Richtergesetz anzupassen, belässt es aber wieder bei dem altbekannten Reaktionsmuster: Zukünftig soll Schöff*in nicht werden können, wer »keine Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt«.

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