Entscheidet sich die Wahl an der ökonomischen Lage?
von Fabian Virchow
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 211 - November | Dezember 2024
#USA2024
In den jüngsten Befragungen der Wähler*innen, von denen im Vergleich zur Wahl im Jahr 2020 bereits viele per Briefwahl abgestimmt haben, wird insbesondere die Wahrnehmung der ökonomischen Lage als entscheidungsrelevant hervorgehoben. Aktuell liegt die Erwerbslosenquote in den USA bei einem historisch tiefen Stand von 4,1 Prozent und die Löhne sind im Durchschnitt inflationsbereinigt höher als vor der Covid-19-Pandemie. Gleichwohl ist für viele US-Amerikaner*innen, insbesondere aus der Arbeiterklasse, die subjektive Wahrnehmung eine andere. Sie erinnern vor allem die steigenden Preise, die weltweit als Folge der Pandemie auftraten, und so eröffnete Trump zuletzt viele seiner Kundgebungen mit der Frage: »Geht es Euch heute besser als vor vier Jahren?« und die Menge antwortete erwartbar mit einem vielstimmigen »Nein« – die hohe Arbeitslosigkeit am Ende der Trump-Legislatur vergessend oder verdrängend.
Zu den Ankündigungen, die Trump zuletzt gemacht hat, gehört die Aussage, umfangreiche Steuersenkungen zu realisieren, etwa bei Trinkgeldern. Auf diese sind viele der Working Poor als Einnahmequelle angewiesen und das hört sich insofern attraktiv an. Der reale Effekt dürfte begrenzt sein, da in vielen Fällen solche Einkommen so gering sind, dass ohnehin kaum oder gar keine Steuern anfallen. Trump kündigt zudem an, die Einkommenssteuer abschaffen zu wollen. Was sich für viele Wähler*innen nach einer unmittelbaren Verbesserung ihrer Einkommenssituation anhört, erweist sich bei näherem Hinsehen jedoch als Taschenspielertrick, denn die Gegenfinanzierung, die er anbietet – die Erhöhung von Zöllen auf importierte Güter um zehn bis zwanzig Prozent; in Bezug auf Importe aus China nennt er mit 60 Prozent noch höhere Zahlen – wird letztlich in Form steigender Preise an die Verbraucher*innen weitergereicht, da viele US-Unternehmen auf importierte Güter, Vorprodukte und Materialien angewiesen sind. Von solchen Steuerminderungen würden jedoch vor allem die einkommensstarken Gruppen in der US-Gesellschaft profitieren. In der Summe will Trump daher eine Umverteilungspolitik radikalisiert fortsetzen, wie er sie bereits in seiner ersten Legislaturperiode praktiziert hat. Dennoch findet die Idee der Anhebung von Zöllen laut Umfragen Zustimmung bei vielen Wahlberechtigten in den Swing States im Norden der USA. Diese Zustimmung basiert nicht immer auf der Erwartung, selbst davon zu profitieren, sondern wird häufig positiv als Zeichen gedeutet, dass sich die Regierung für sie gegen andere Länder einzusetzen bereit ist.
Dass Trump dennoch überproportional Zuspruch aus der Arbeiterklasse erhält, hat mit einer längerfristigen Entwicklung zu tun, bei der insbesondere weiße Männer ohne Hochschulabschluss in ihrer ökonomischen Situation vergleichsweise schlechter abschneiden. Für einen Teil von ihnen sind da die rassistischen und misogynen Botschaften, die nicht nur Trump selbst, sondern auch andere Redner*innen bei den Kundgebungen verbreiten, anschlussfähig. Da auch Schwarze und Latinos zum Teil die Einwanderung als zunehmende Konkurrenz auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt wahrnehmen, findet Trump auch dort Zuspruch. Mit den Wahlkampfauftritten in Nevada, Arizona und New Mexico versucht er, insbesondere Stimmen von Hispanic-Americans zu gewinnen. Im Jahr 2020 hat er etwa 35 Prozent ihrer Stimmen bekommen, nach aktuellen Umfragen werden es etwa 40 Prozent sein. Hier zahlt sich für Trump aus, dass er weiterhin auf die Dramatisierung des Themas Immigration setzt.
In der Endphase des Wahlkampfes konzentrieren sich beide Teams auf die unentschlossenen Gelegenheitswähler*innen. Bei den sogenannten Super Votern, die regelmäßig an den Präsidentschaftswahlen und den Midterm Elections teilnehmen, liegt Kamala Harris in Umfragen etwas vor Trump. Bei denjenigen, die nur gelegentlich an den Präsidentschaftswahlen teilnehmen, liegt Trump mit zehn Prozent Vorsprung deutlich vorne. Gerade bei diesen Wähler*innen ist die Bewertung der ökonomischen Lage mit über 70 Prozent eher negativ.
Trump profitiert von einem Wahlkampfstil, in dem er gerade nicht auftritt wie ein Präsident, sondern eher wie ein Bürgermeister, der sich um jede Kleinigkeit kümmert. Er spricht in seiner Volkstümlichkeit eher Personen an als Prinzipien. Harris wirbt zwar damit, dass sie aus der Mittelschicht stammt, aber immer wieder wird ihr vorgeworfen, dass sie keinen Kontakt zu Durchschnittsamerikaner*innen – auch Schwarzen – habe.
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Trump und Harris halten ihre Abschlussveranstaltungen beide in Pittsburgh ab, denn Pennsylvania ist ohne Zweifel mit 19 zu gewinnenden Stimmen der gewichtigste Swing State. Tausende Freiwillige sind unterwegs, um für Trump/Vance beziehungsweise Harris/Walz Werbung zu machen. Der Bundesstaat war lange eine solide Basis der Demokratischen Partei. Im Zuge der Krise der Schwerindustrie und des verarbeitenden Gewerbes ist jedoch nicht nur die Zahl der Einwohner*innen Pittsburghs von über 670.000 auf rund 300.000 gesunken, sondern auch die gewerkschaftliche Schlagkraft und die Verbindung zur Demokratischen Partei. Stattdessen verfangen auch hier stärker Free-Market-Parolen und rechtspopulistische Rhetorik, die die Bedrohung vor allem im Außen (Immigration, internationale Konkurrenz) behaupten und die systemischen Ursachen damit ausblenden.
Fabian Virchow ist aktuell in Washington, D.C. und schreibt zur US-Wahl für das Antifa-Magazin @derrechterand.