Eklat mit Ansage

von Kai Budler
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 211 - November | Dezember 2024

Nach ihrer Wahl zur stärksten Fraktion im Thüringer Landtag zeigt die »Alternative für Deutschland« offen, wie sie die parlamentarische Demokratie von innen heraus sabotieren will. Gleichzeitig plant sie den Zugriff auf die Judikative im Freistaat – mit historischem Vorbild.

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Feixende AfD-Faschist*innen im Thüringer Landtag, wenn parlamentarische Demokratie scheitert.
© Kai Budler

Es ist Ende September, als die Thüringer Fraktion der »Alternative für Deutschland« (AfD) in der konstituierenden Sitzung des Landtags zeigt, wie eine rechtsradikale Systemsprenger-Partei die parlamentarische Demokratie vorführen kann. Schon die Nominierung ihrer rechtskräftig verurteilten Abgeordneten Wiebke Muhsal als Kandidatin für die Wahl zur Landtagspräsidentin im Vorfeld der Sitzung folgte dem Prinzip der Provokation. Die heute 38-jährige Juristin war bereits von 2014 bis 2019 Mitglied des Thüringer Landtags und gehörte im März 2015 zu den Erstunterzeichner*innen der »Erfurter Resolution«, des Gründungsdokuments des inzwischen formal aufgelösten völkischen »Flügels« in der AfD. Im Landtag sorgte sie für Aufsehen, als sie während einer Debatte den Plenarsaal vollverschleiert betrat und sich dabei von ihrem Referenten filmen ließ. 2017 wurde sie wegen Betrugs zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu 100 Euro verurteilt, weil sie mit der Abrechnung von Scheingehältern den Landtag betrogen hatte. Allein schon diese Vorgeschichte machte Muhsal für viele Abgeordnete nicht wählbar.

Nachdem sie auch bei der Wahl zur Vize-Landtagspräsidentin durchfiel, präsentierte die AfD als weiteren Kandidaten für das Amt den 1962 geborenen Jörg Prophet. Auch der gelernte Maschinenbauer ist für die Landtagsabgeordneten der demokratischen Parteien nicht wählbar, fiel er doch mit geschichtsrevisionistischen Aussagen und der Verharmlosung des Holocaust auf. Beispielsweise bezeichnete er die amerikanischen Soldaten, die das Konzentrationslager Mittelbau-Dora befreit hatten, als moralisch ebenso verkommen wie die SS.

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Sabotage von innen
Auch Alterspräsident Jürgen Treutler von der AfD offenbarte bei der Sitzung am 26. September, was seine Fraktion unter parlamentarischen Gepflogenheiten versteht. Mit seinen Versuchen, Abgeordneten der anderen Parteien ihre Rechte zu versagen und die Abläufe zum Stillstand zu bringen, zeigte die ihn orchestrierende AfD, wie sie die Demokratie von innen heraus sabotieren will. Nach einer parteipolitischen Rede, die üblicherweise überparteilich und neutral auf die neue Legislatur einstimmen soll, verweigerte Treutler die Abstimmung über die im Vorfeld geänderte Tagesordnung, die eine Änderung der Geschäftsordnung vorsah. Im Grundsatz ging es um die Frage, welche Fraktion wann eigene Kandidat*innen für das Landtagspräsidium aufstellen darf. Die AfD reklamierte als stärkste Fraktion das alleinige Vorschlagsrecht für sich. Fünf Unterbrechungen in vier Stunden und Ordnungsrufe für einige Abgeordnete: Allzu offensichtlich verwechselte Treutler seine Rolle und seine Kompetenzen als Alterspräsident mit denen eines Landtagspräsidenten. Schließlich musste erst das Verfassungsgericht in Weimar entscheiden – gegen die Rechtsauffassung der AfD und für klare Regeln des Alterspräsidenten. Es ist ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik, dass eine solche Konstituierung derart im Chaos endete.

Der Landtag als Bühne
Die AfD verwandelte die Sitzung in eine Bühne, auf der sie ihre Strategie inszenieren konnte. Angeblich durch den »Volkswillen« zum Herrschen legitimiert, will sie ihren Regierungsanspruch mit Hilfe des Alterspräsidenten verfassungswidrig gegen die Mehrheit durchsetzen. Ist die parlamentarische Mehrheit nicht gewillt, der AfD zu folgen, schlägt sie als selbst ernannte »Verteidigerin der Demokratie« populistischen Profit aus ihrer Rolle als Opfer der »Kartell- und Altparteien«. Diese werden zu vermeintlichen Verursacherinnen des Chaos gemacht und die Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichts in Weimar wird als Gerichtsspruch von »Richtern mit Parteibuch« öffentlich in Misskredit gebracht. Das Um- und Vorfeld der Partei nimmt diese Vorlage dankbar für Hetzkampagnen auf. So pöbelte anschließend der Geraer Neonazi Christian Klar auf einer Kundgebung, man müsse solche Richter »an die Wand stellen«. Doch das hinderte die AfD nicht daran, das von ihr verhöhnte Verfassungsgericht selbst anzurufen. Denn mit der geänderten Geschäftsordnung, deren Behandlung erst durchgeklagt werden musste, verkleinern sich auch die Parlamentsausschüsse im Landtag. Mit der Begrenzung auf zwölf Mitglieder verliert die Fraktion dort ihre Sperrminorität. Doch nicht nur um die Begrenzung der Ausschüsse geht es beim juristischen Vorgehen der AfD. Mit einer Strafanzeige gegen einen Richter und den Gerichtspräsidenten des Verfassungsgerichts wegen angeblicher Befangenheit griff die Partei auch die Entscheidung des Verfassungsgerichts an sich an.

Für den Rechtsanwalt Chan-jo Jun (s. drr Nr. 199) ist dies nichts weiter als ein »PR-Stunt« mit dem Ziel, die höchsten demokratischen Landesorgane zu delegitimieren, »indem man ihnen Verbrechen unterstellt«. Auch die zuständige Staatsanwaltschaft sah keine Anhaltspunkte für eine Straftat und lehnte die Anzeige ab. Ganz gleich, wie die Richtersprüche ausfallen: Die Entscheidungen werden Wasser auf die Mühlen der Rechtsaußenpartei sein. Sie kann sich ihren Wähler*innen, ihrem Umfeld und den Vorfeldorganisationen als Opfer von »Altparteien« und angeblich korrumpierten Richtern verkaufen und damit die Wut auf die parlamentarische Demokratie weiter schüren.
Es sind jedoch nicht nur juristische Entscheidungen, welche die AfD zu ihren Gunsten erzwingen will, sie plant bereits den Zugriff auf die Judikative. Erst jüngst präsentierte die Landtagsfraktion den AfD-Kommunalpolitiker und Rechtsanwalt Bernd Wittig als Kandidaten für das Amt des stellvertretenden Mitglieds des Verfassungsgerichtshofs. Als Machtmittel dient der AfD ihre Sperrminorität, mit der sie im Landtag parlamentarische Abläufe blockieren kann, um Zugeständnisse und im besten Fall eine Zusammenarbeit zu erpressen.

Das Pokern der CDU
All diese Szenarien waren lange vor der Landtagswahl bekannt und auch die CDU als mittlerweile stärkste demokratische Fraktion im Landtag war gewarnt. Doch weil kein Handlungsbedarf bestanden habe, hatte sie es Ende 2023 abgelehnt, die Geschäftsordnung des Landtags noch in der vorherigen Legislatur so zu ändern, dass nicht nur die stärkste Fraktion Kandidat*innen für das Amt des oder der Landtagspräsident*in nominieren darf. Offensichtlich hatte sie da­rauf spekuliert, selbst stärkste Kraft zu werden. Nach der konstituierenden Sitzung hieß es seitens der Union, man sei davon ausgegangen, die AfD teile die Sichtweise bezüglich der neu eingebrachten Geschäftsordnung. Offenbar hat die Thüringer CDU aus dem von ihr mitverursachten Debakel der Wahl von Thomas Kemmerich als Ministerpräsidenten mit den Stimmen von AfD, CDU und FDP 2020 nichts gelernt.

Auch bei der Wahl des stellvertretenden Landtagspräsidenten und des stellvertretenden Mitglieds des Verfassungsgerichtshofs strebte die CDU einen – kurzfristig gestoppten – Tauschhandel mit der Höcke-Fraktion an. Konkret: Die AfD verzichtet bei der Wahl der Wahlausschüsse für Richter und Staatsanwälte auf ihre Sperrminorität und im Gegenzug trägt die CDU die beiden AfD-Kandidaten Prophet und Wittig mit. Gleich, ob aus machttaktischen Gründen oder blauäugiger Naivität: Die Ereignisse zu Beginn der nun laufenden Wahlperiode waren ein Eklat mit Ansage und nur der Auftakt für das weitere Agieren der AfD im Landtag.

Weitere Radikalisierung
Selbst der Thüringer Bundestagsabgeordnete der AfD, Klaus Stöber bezeichnete nach der konstituierenden Sitzung Treutlers Auftritt im Landtag als »undemokratisch« und konstatierte: »Insgesamt komme ich zunehmend zum Ergebnis, dass dieser Verlauf inklusive des Kandidatenvorschlags seitens der Parteiführung bewusst geplant war. Nun kann man sich wieder in seine Opferrolle zurückziehen. Ich finde diese Strategie von Björn Höcke und Co. falsch und auch nicht im Sinne der 33 Prozent Wähler, die große Erwartungen in uns gesetzt haben.« Doch innerparteiliche Kritik wie diese dürfte bald der Vergangenheit angehören: Mitte Oktober 2024 hat der Landesvorstand ein Ausschlussverfahren gegen Stöber eingeleitet.
Nicht nur im inneren Zirkel dürfte sich die AfD im Freistaat weiter in Höckes Sinn radikalisieren. Im Landtag stehen die Zeichen ebenfalls auf Sturm, so wie es die Macher*innen von »Verfassungsblog.org« vorhergesagt haben. Parlamentsblockaden, Erpressung von Ämtern, Verächtlichmachung der Demokratie. Spätestens jetzt ist offenkundig, dass diese Partei eine Destabilisierungsagenda mit frappierenden Anklängen an die Weimarer Republik verfolgt.

Historische Analogien
Nach dem Sieg der NSDAP 1932 in Thüringen propagierte Fritz Sauckel – damaliger Gauleiter der Nazi-Hochburg und 1946 wegen Planung der NS-Zwangsarbeitsverbrechen zum Tode verurteilt – ohne Umschweife im damaligen Landtag: »Wir werden selbstverständlich die Macht, die uns das thüringische Volk bei der letzten Wahl gegeben hat, in jeder Beziehung ausnutzen!«. Schon zwei Jahre zuvor gelang der »Probelauf zur Machtübernahme« – mit Hilfe der bürgerlichen Parteien. Hitler höchstpersönlich setzte dabei den Anspruch auf das Innenministerium und Volksbildungsministerium gezielt durch. Auf massive Propaganda in der Öffentlichkeit und Paralysieren des Landtags folgte so die Übernahme des Staats- und Sicherheitsapparats samt Ausschaltung demokratischer Strukturen und politischen Säuberungen in Rathäusern, Schulen und Polizeiapparat.
Es spricht vieles dafür, dass dies das Vorbild für Höckes wahnhaftes Drehbuch für einen autoritären Umbau des Freistaats ist. Die demokratische Mehrheit muss gewarnt sein.

Vorbild Trump – Alice Weidels neue VerbündeteUpdate von Erhard Korn im #AntifaMagazin »der rechte rand« www.der-rechte-rand.de/archive/1113…

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