Kampf um die Weiße Vorherrschaft

von Carl Kinsky
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 184 - November | Dezember 2020

Die Staatsbürgerschaft in den USA wurde bei Gründung des Landes Weißen vorbehalten. Erst nach Ende des Bürgerkriegs im Jahre 1865 wurde diese nach und nach für Nichtweiße geöffnet. Hieraus entstand die heute noch hegemoniale Weiße Vorherrschaft, also die Dominanz als Weiß definierter Menschen in allen Lebensbereichen. Die Abschaffung der Sklaverei und die Anerkennung der Bürgerrechte von Afroamerikaner*innen nach Ende des Bürgerkriegs markiert auch die Geburtsstunde rechten Terrors im Lande. Um eine multiethnische Demokratie zu verhindern, setzten rechte Bewegungen von Anbeginn auf rassistische Terrorkampagnen zur Durchsetzung der Weißen Hegemonie. Zugleich mangelte es Behörden stets am politischen Willen, derartige Terrorstrukturen effektiv zu bekämpfen.

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»Ku Klux Klan«-Mitglieder bei einer Parade am 18. März 1922 in Nord Virginia © National Photo Company Collection USA, wikipedia

Geburtsstunde des Rechtsterrorismus
Nach der Kapitulation der sklavenhaltenden Südstaaten, der »Konföderierten« im Jahre 1865, wurden diese bis 1877 militärisch durch Truppen der Bundesregierung besetzt. Ziel war es dabei, die politische Kontrolle der Bundesregierung zu sichern, die Abschaffung der Sklaverei durchzusetzen sowie die neugewonnenen Staatsbürgerschaftsrechte und politische Teilhabe von Afroamerikaner*innen zu gewährleisten. Um diese Entwicklung zu verhindern, formierten sich zahlreiche politische und vor allem paramilitärische Gruppen. Der 1866 gegründete »Ku Klux Klan« (KKK) war neben der »White League« und den »Red Shirts« eine von vielen Milizen, deren Kern konföderierte Veteranen bildeten. Sie terrorisierten afroamerikanische Gemeinden durch Brandanschläge, Folter, Vergewaltigung und Mord, töteten Weiße Politiker, die sich für deren Rechte einsetzten, und lieferten sich zahlreiche Gefechte mit Einheiten der Bundesregierung. Ihre Gewalt vereitelte die politische Teilhabe von Afroamerikaner*innen, insbesondere da diese fast alle in den Südstaaten lebten. Mithilfe von Massakern und zunehmenden Putschen gegen Landesregierungen erreichten rassistische Milizen den stetigen Abzug der Armee aus den Südstaaten. So übernahmen sie dort wieder die politische Macht und läuteten ein neues Jahrhundert der Segregation und politischen Marginalisierung von Nichtweißen Menschen ein, die sogenannte »Jim-Crow«-Ära.

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»America first«
Nach Ende des Ersten Weltkriegs folgte in den USA eine reaktionäre Periode, welche die Stabilisierung hegemonialer Machtverhältnisse zum Ziel hatte. Angesichts zunehmender Einwanderung aus als Nichtweiß betrachteten Regionen, der Migration vieler Afroamerikaner*innen aus ländlichen Regionen der Südstaaten in wachsende industrielle Zentren und anhaltender gewerkschaftlicher Organisierung, fanden sich viele aus der Weißen, protestantischen Mehrheitsbevölkerung zusammen, um ihre Vorherrschaft zu bekräftigen. In zahlreichen bereits Ende des 19. Jahrhunderts gegründeten Vereinen organisierten sich vor allem Weiße Protestant*innen, die ihren Familienstammbaum bis in die Bürgerkriegsepoche oder weiter zurückverfolgen konnten, um so ihre Vormachtstellung zu legitimieren. Ausdruck dafür sind hunderte errichtete Denkmäler als Symbol Weißer Überlegenheit für Veteranen der Konföderation, darunter der erste Anführer des KKK, Nathan Bedford Forrest. Ab 1915 formierte sich der KKK neben zahlreichen anderen politischen Organisationen und Milizen als politische Massenbewegung in den USA. Ein Jahrzehnt später gehörten ihm drei bis sechs Millionen Mitglieder an, darunter etwa eine halbe Million Frauen. Der neugegründete KKK führte die heute bekannten weißen Roben, Kreuzverbrennungen und pseudo­religiösen Rituale ein. Mit dem Motto »100% Americanism« und dem Ideal patriarchaler Weißer Vorherrschaft hetzten sie vor allem gegen die Einwanderung von Katholik*innen und »nicht-Weißen«, Schwarzen, Jüdinnen und Juden und Gewerkschafter*innen. Die Ausmaße des rassistischen Terrors dieser Zeit zeigt sich beispielhaft am Pogrom von Tulsa im Jahr 1921: Weiße Bürger*innen brandschatzten im afroamerikanischen Stadtviertel, töteten bis zu 300 Menschen und verletzten Hunderte. Viele Schwarze flohen aus der Stadt, bis in die 1990er Jahre wurde das Pogrom geleugnet. 1924 wurde ein neues Einwanderungsgesetz eingeführt, das durch die Einführung eines Quotensystems Einwanderung insgesamt reduzierte, aus Asien sogar verbot und Nord-, Mittel- und Westeuropäer*innen bevorzugte. Rassistische Bewegungen wie der KKK erreichten weitestgehend ihre Ziele und sicherten eine explizite Weiße Hegemonie bis zur Ausweitung der Bürgerrechte in den 1960er Jahren.

»Segregation now, segregation tomorrow, segregation forever«
Der rassistische Schwur von 1963 des Gouverneurs von Alabama, George Wallace, steht sinnbildlich für die Ablehnung der Bürgerrechtsbewegung durch einen erheblichen Teil der »Weißen« Bevölkerung. In einer Vielzahl voneinander unabhängiger, aber gut vernetzter KKK-Gruppen wie den »United Klans of America« oder den »White Knights of the KKK« organisierten sich Zehntausende, um mittels rassistischer Terrorkampagnen die aufstrebende Bürgerrechtsbewegung ab den 1950er Jahren zu bekämpfen. Für sie galt die Abschaffung rassistischer Gesetze und die allgemeine Anerkennung der Bürgerrechte als Teil einer durch Jüdinnen und Juden angetriebenen kommunistischen Verschwörung gegen die gottgewollte Rassenhierarchie und kapitalistische Ordnung. Mit Brand- und Bombenanschlägen sowie Morden an Bürgerrechtsaktivist*innen ergänzten sie die brutale Gewalt lokaler Polizeibehörden, mit denen es häufig zu Überschneidungen oder Kooperation kam. Insgesamt wurden in dieser Zeit mindestens 115 Personen aus rassistischen Motiven ermordet, unter ihnen Bürgerrechtsaktivist*innen und Kinder – von einer deutlich höheren Dunkelziffer ist auszugehen. Die Bundesregierung intervenierte nicht in nennenswerter Weise gegen die Gewalt. Viele Täter kamen ungestraft davon, wurden von Gleichgesinnten vor Gericht freigesprochen oder ihnen wurde erst Jahrzehnte später der Prozess gemacht. Nichtsdestotrotz konnte ihre Gewalt nicht die Verabschiedung der Bürgerrechtsgesetze von 1964 verhindern, die nach und nach zur Abschaffung aller explizit rassistischen Gesetze führte. 1965 folgte die Reform des Einwanderungsrechts: Das rassistische Quotensystem wurde in ein familienbasiertes Einwanderungssystem umstrukturiert, deutlich mehr Nichtweiße wanderten ein.

Der apokalyptische »Rassenkrieg«
Für die extreme Rechte gilt das reformierte Einwanderungssystem als existenzbedrohend für Weiße, der demographischen Mehrheit im Lande, ebenso wie die staatliche Abkehr von explizit rassistischer Politik. Zunehmend setzte sich die Vorstellung eines bevorstehenden apokalyptischen »Rassenkriegs« durch, bei denen sich Weiße gegen eine »jüdische Weltverschwörung« und deren Nichtweiße »Handlanger« behaupten müssten. Entsprechend organisierten sich viele in paramilitärischen Milizen, insbesondere innerhalb von KKK-Gruppierungen. Diverse wegweisende Schriften des internationalen Rechtsterrorismus wie »The Turner Diaries« (TD) von William Pierce und Louis Beams Konzept des »Leaderless Resistance« erschienen ab den 1970er Jahren, die alle zur Bildung unabhängiger Terrorzellen aufrufen, um den »Rassenkrieg« zu beginnen. Sie erkannten früh das Potential des Internets, Beam baute ab 1984 mit »Liberty Net« ein verschlüsseltes Computernetzwerk zum internationalen Austausch innerhalb der Bewegung auf.
Die Welle der Gewalt geht auch in den 1970er und 1980er Jahren weiter. So erschossen KKK-Mitglieder und Neonazis 1979 in Greensboro/North Carolina vor laufender Kamera fünf Kommunist*innen. Die Täter, darunter ein Polizeispitzel, wurden zweimal vor Gericht freigesprochen. Rechte Terrorgruppen bildeten bundesweit vernetzte Zellen. Sie legten Bomben und töten jüdische Radiomoderator*innen ebenso wie schwarze Polizist*innen. Als Reaktion wurden führende Kader wie Beam, Robert Miles und Richard Butler 1988 wegen des Vorwurfs der Aufwiegelung gegen den Staat vor Gericht gestellt. Der Prozess scheiterte, die rassistischen Hetzer wurden freigesprochen.
Inspiriert von den TD zündete Timothy McVeigh am 19. April 1995, dem Tag der Hinrichtung des Mitglieds von »Covenant, Sword, and Arm of Lord« (CSA), Richard Snell, eine Autobombe vor einem Bürogebäude in Oklahoma City, das auch die Bundespolizei FBI nutzte. Bereits zehn Jahre zuvor war das Gebäude Ziel eines gescheiterten Anschlags der CSA. Die Explosion tötete 168 Menschen, darunter 19 Kinder der ansässigen Kindertagesstätte und verwundete mehr als 500 Menschen. Obwohl es neben dem 11. September 2001 der verheerendste terroristische Anschlag des Landes bleibt, wurde er schnell als die Tat eines verwirrten Einzeltäters abgetan. McVeigh wurde zum Tode verurteilt und 2001 hingerichtet. Zwei weitere Personen wurden im Zusammenhang mit dem Anschlag zu lebenslanger Haft beziehungsweise zu einer zwölfjährigen Haftstrafe verurteilt. Hinweise auf ein Netzwerk wurden nicht weiter verfolgt.

Trump und Terror
Heute fühlt sich die extreme Rechte durch die Präsidentschaft und aufhetzenden, verschwörungstheoretischen Worte von Donald Trump bestätigt. Viele glauben, ein internationaler »Rassenkrieg« sei im vollen Gange. Rechtsterroristische Zellenstrukturen wie »Atomwaffen Division« und »The Base« begehen Morde und planen Anschläge. Auch abseits medial aufgegriffener Anschläge auf antifaschistische Demonstrationen wie in Charlottesville oder Erschießungen in Synagogen in Pittsburgh und Poway greifen Rechtsterroristen zu den Waffen, um eine Weiße Vorherrschaft zu bewahren. Seit 2017 töteten sie mindestens 80 Menschen. Zudem organisieren sich Zehntausende in paramilitärischen, regierungsfeindlichen Milizen und der »Sovereign Citizens«-Bewegung, die immer wieder durch die Ermordung von Polizist*innen auffällt. Auch wenn Sicherheitsbehörden in den letzten Monaten rechte Gewalt zögerlich als Problem anerkennen, ist keine ernsthafte Repression oder politische Antwort von der Trump-Regierung zu erwarten.