Stürmische Zeiten

von Carl Kinsky
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 187 - November | Dezember 2020

Am 8. November 2020 stand es fest: Donald Trump hat das Rennen um die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten von Amerika verloren: Keine zweite Amtszeit für »Make America Great Again«. Joe Biden von der Democratic Party wird im Januar 2021 als Präsident ins Weiße Haus einziehen. Trump freilich erkennt das Wahlergebnis nicht an und schürt aggressiv Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Wahl.

Antifa Magazin der rechte rand
Gretchen Whitmer ist Gouverneurin von Michigan.


Exakt einen Monat zuvor verhafteten Agent*innen der Bundespolizeibehörde FBI und Beamt*innen der Landespolizei insgesamt 13 Mitglieder der extrem rechten Terrorgruppe »Wolverine Watchmen« (WW) im Bundesstaat Michigan. Im Mittelpunkt stand dabei der Vorwurf der geplanten Entführung der Demokratischen Gouverneurin Gretchen Whitmer. Ziel sei es gewesen, Whitmer an einem geheimen Ort vor eine Art »Volkstribunal« zu stellen und für ihre vermeintlichen Verbrechen zu bestrafen. Dies war Teil eines breiter angelegten Plans, einen Bürgerkrieg von Rechts loszutreten. Die WW observierten ihr Wohnhaus, besprachen die Sprengung einer Brücke und trafen sich regelmäßig für paramilitärische Übungen.
Mindestens seit März war die Gruppe im Visier des FBI. Eine örtliche Polizeibehörde hatte Mitglieder gemeldet, da sie versuchten, die privaten Adressen von Polizist*innen auszuspionieren, um diese dann gezielt zu ermorden. Zu dieser Zeit verordnete Whitmer einen Lockdown in Michigan, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen.

Radikalisierung in Michigan
Die antistaatliche Milizbewegung in den USA nahm derartige Verordnungen in verschiedenen Bundesländern als Beweis ihrer These einer vermeintlich tyrannischen Regierung, die das »einfache Volk« durch Steuern, Bürokratie und Verordnungen gängele, und mobilisierte gegen diese. Am 30. April 2020 liefen Milizänhänger*innen während eines Protests unter anderem mit Sturmgewehren im Anschlag in das Kapitolgebäude in Lansing, Michigan, um ihrer Wut mit dieser Drohgebärde während einer Sitzung des Landesparlaments Ausdruck zu verleihen. Daran beteiligt waren auch mindestens zwei Mitglieder der WW. Die Anmelder*innen des Protests, die Trump-nahe Republikanische Organisation »Michigan United for Liberty«, hatte zuvor bereits eine Protestkampagne gestartet, die auf Grund ihrer Resonanz als Vorlage für weitere Proteste im ganzen Land diente. Dabei herrschte stets ein rauer Ton: Whitmer wurde als Nazi dargestellt, ihr wurde mit dem Tod gedroht. Auch Donald Trump selbst fokussierte immer wieder politische und persönliche Angriffe auf Whitmer, zuletzt bei einer Wahlkampfveranstaltung in Michigan im Oktober, kurz nach der Aufdeckung der Entführungspläne. Sein Auftritt war emblematisch für seine intensivierten Bemühungen, einen rechten Mob im Milieu der Milizanhänger*innen zu mobilisieren und politische Gegner*innen zu verunglimpfen.

Die Reaktion am Ruder
In vier Jahren Amtszeit hat die Trump-Regierung mit Hilfe republikanischer Kongressabgeordneter nach bestem Bemühen ein von Nativismus und christlichem Fundamentalismus geprägtes nationalistisches Programm umgesetzt. Nativismus beschreibt hier eine Ausprägung des US-amerikanischen Nationalismus, welche sich im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert herausbildete. Die Kernelemente dieser Ideologie sind eine Ablehnung von weiterer Einwanderung, insbesondere aus »nichtweiß« definierten Ländern, die Assimilation der bereits Eingewanderten an eine angelsächsisch geprägte »Leitkultur« sowie eine isolationistische Außen- und Wirtschaftspolitik. Implizit ist dabei stets die Vorstellung einer weißen, protestantischen Vorherrschaft. In diesem Sinne hat die Trump-Regierung stets einen Fokus auf eine restriktive Einwanderungspolitik gelegt und sich dabei vom rassistischen Einwanderungsgesetz von 1924 inspirieren lassen.

Back to the ’20s?
Das Gesetz zur »Nationalen Herkunft« sah die Einführung eines Quotensystems vor, die legale Einwanderungsmöglichkeiten insgesamt reduzierte, aus Ost-Asien sogar verbot und Nord-, Mittel- und Westeuropäer*innen bevorzugte. Ziel war es dabei, die Einwanderung nach vermeintlich wissenschaftlichen rassistischen Kategorien zu steuern, Statistiken für die Quoten wurden von Eugenikern wie Madison Grant bereitgestellt. Grant war auch federführend an der Einführung von einigen Gesetzen gegen »Rassenmischung« im Inland beteiligt, sexuelle Kontakte und Ehen außerhalb der eigenen »Rasse« wurden unter Strafe gestellt, um die »Reinheit« und Vorherrschaft der »Weißen Rasse« zu bewahren. Erst im Zuge der Bürgerrechtsreformen Mitte der 1960er Jahre wurden derartige rassistische Gesetze aufgehoben und ein neues, familienbasiertes Einwanderungsgesetz eingeführt. Die Abkehr von explizit rassistischer Staatspolitik gilt für die extreme Rechte als Todesstoß für die »Weiße Vorherrschaft«, insbesondere da seit Einführung deutlich mehr als »nichtweiß« definierte Menschen einwandern.

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Mit der Präsidentschaft Trumps ist diese zuvor politisch marginalisierte menschenverachtende Ansicht zur Mehrheitsmeinung der Republican Party und ihnen nahestehender Medien avanciert. Jeff Sessions, Trumps Justizminister von 2017 bis 2018, und Stephen Miller, der weiterhin als politischer Berater für die Regierung tätig ist, gelten neben Trumps ehemaligem Wahlkampfleiter Steve Bannon als führende Köpfe hinter Trumps Einwanderungspolitik. In einem Interview zwischen Bannon und Sessions hat sich letzterer positiv auf das Einwanderungsgesetz von 1924 als Mittel berufen, um Einwanderung zu reduzieren. Miller hat in seinem Mailverkehr den rassistischen Roman »Das Heerlager der Heiligen« von Jean Raspail angepriesen. Diesen Gedankengängen folgend, verhängte die Regierung ein Einreiseverbot für mehrheitlich von Muslim*innen bewohnte Länder, die Bearbeitungsprozesse von Einreisegesuchen wurden verlangsamt, um Einwanderung insgesamt zu reduzieren. Die Zahl der jährlich über UNO-Programme aufgenommenen Flüchtlinge wurde drastisch reduziert. Um Einwanderung und Asylgesuche aus Mittelamerika zu unterbinden, wurden mindestens 5.500 Kinder von ihren Eltern getrennt inhaftiert, einerseits als Abschreckungsmittel, andererseits um sie als Druckmittel für die Abschiebung ihrer Eltern zu nutzen. An der Grenze zu Mexiko werden Einwanderungs- und Asylgesuche durch tägliche Quoten begrenzt. Die Regierung möchte Mexiko zu einem »sicheren Herkunftsland« deklarieren und Asylgesuche in Zukunft nur außerhalb des Landes zulassen, was einer Abschaffung des Asylrechts gleichkäme. Im Inland hat Trump zuletzt Diversitäts- und kritische Bildungskonzepte gegen Rassismus für alle Institutionen, die Gelder der Bundesregierung erhalten, per Dekret verboten, um diese seiner Ansicht nach »antiamerikanische Propaganda« zu unterbinden.

One nation under God
Trumps Wahlsieg 2016 basierte neben der Mobilisierung des Nativismus auch auf der Hofierung der christlichen und evangelikalen Rechten als verlässliche Wähler*innenbasis der republikanischen Partei. Diese ist in entscheidenden Posten der Bundesregierung vertreten, ob nun Vizepräsident Mike Pence, Außenminister Mike Pompeo oder Bildungsministerin Bettsy DeVos (s. drr Nr. 183). Für die christliche Rechte sind die Abschaffung des Abtreibungsrechts, die Aberkennung der Bürgerrechte von Nichtheterosexuellen, die Bekämpfung des Feminismus und die Erziehung ihrer Kinder in privaten Schulen ohne »moralische Versuchungen« wie Sexualkunde oder Evolutionstheorie zentrale politische Anliegen. Da Trump ihre Programmatik vollumfänglich in seine Plattform übernommen hat, sehen sie gern über dessen sexuelle Übergriffe, Affären und seine absolute Unkenntnis christlicher Schriften und Lehren hinweg.

Der wichtigste und nachhaltigste Erfolg der Regierung war daher die Ernennung von drei christlich-konservativen Richter*innen, Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett, für den Obersten Gerichtshof. Hierdurch ist eine Zweidrittelmehrheit der christlich-konservativen Kräfte für Jahrzehnte garantiert. Da viele Bürgerrechte, darunter das Abtreibungsrecht und die gleichgeschlechtliche Ehe, nur auf Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs basieren, könnten diese nun wieder aufgehoben werden. Seine Regierung hat bereits die Auszahlung von Geldern an intentionale Organisationen, die Abtreibungen anbieten oder diese vermitteln, unterbunden. Der wichtigste Anbieter von medizinischen Dienstleistungen für einkommensschwache Frauen, »Planned Parenthood«, wurde aus der staatlichen Förderung gedrängt, da hier auch Abtreibungen angeboten werden. Insbesondere die Abschaffung des Abtreibungsrechts nutzte Trump, um für sich bei der christlichen Rechten vor der Wahl zu werben, beispielsweise indem er als erster Präsident persönlich beim »March for Life« vor zehntausenden Abtreibungsgegner*innen im Januar als Redner auftrat und sich als ihren größten Unterstützer anpries.

Das Ende der ältesten liberalen Demokratie?
Vor der Wahl mehrten sich Stimmen in Medien und Politik, welche die USA wahlweise vor dem Abrutschen in eine autoritäre Staatsform oder einen Bürgerkrieg sehen. Angeheizt wurde diese Stimmung insbesondere von einem ins Straucheln geratenen Präsidenten, der in Angst vor einem Wahlverlust und einer möglichen Strafverfolgung seiner Familie nach seiner Amtszeit lebt und daher die Legitimität der Wahlen und die friedliche Machtübergabe anzweifelt, um zeitgleich seine Anhänger*innen zu Gewalt anzustacheln – bisweilen mit Erfolg. Obwohl die politische Gewalt während seiner Amtszeit gestiegen ist, liegt ihre Dimension heute deutlich hinter dem Niveau zu Zeiten der Bürgerrechtsbewegung. Die Vorstellung eines drohenden Bürgerkriegs scheint unter anderem aus diesem Grund höchst unwahrscheinlich. Das Justiz- und Polizeiwesen funktioniert weitestgehend unabhängig von der Regierung, was nicht zuletzt durch Betrugsermittlungen gegen Trump selbst und durch die Verhaftung von ehemaligen Beratern wie Steve Bannon unterstrichen wird. Bannon wird Betrug vorgeworfen, gemeinsam mit drei Komplizen soll er Gelder für den Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko über einen Verein beschafft und dann für einen luxuriösen Lebensstil ausgegeben haben. Trotz der polarisierten und aufgeladenen Stimmung hat sich die Wahl friedlich abgespielt und die Institutionen der liberalen Demokratie scheinen Trump zum Trotz ihre Funktionen zu erfüllen. Eine Entwarnung ist das allerdings nicht. Der Trumpismus wird weiterhin einen erheblichen Einfluss auf die Republican Party, die rechten Medien und die Gesellschaft haben.