Erfolgsmodell: Rechtes Clickbaiting

von Charles Paresse
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 205 - November | Dezember 2023

Im Sommer 2023 wurde das News-Portal »Nius« ins Netz gebracht.

Antifa Magazin der rechte rand

Die bekanntesten Gesichter des rechten Online-Magazins »Nius« sind ehemalige Mitarbeiter*innen der BILD. Im Juli 2023 ging das Portal online und veröffentlicht seitdem all das, was rechte Wutbürger*innen lesen und im Netz teilen wollen. Nachdem der damalige BILD-Chefredakteur Julian Reichelt 2021 nach einem Skandal entlassen worden war, findet er heute vor allem auf dem neuen Kanal seine Öffentlichkeit – unter anderem mit dem Video-Format »Achtung Reichelt!«. Das neue Magazin war, so heißt es, seine Idee. Aufgeregt redet er sich hier in den Videos in Rage: Über die »inkompetente« SPD-Innenministerin Nancy Faeser, die »Lügen« der Bundesregierung über die angeblich »illegale Migration«, die »schäbigsten« Auftritte von Gesundheitsminister Karl Lauterbach, die »Klimakleber«, Menschen, die »nicht arbeiten wollen« oder den angeblichen Plan der Bundesregierung, sieben Millionen weitere Migrant*innen nach Deutschland zu holen. Alles ist schlimm, alles ein Drama. »Die da oben« sind grundsätzlich schuld und wollen Deutschland kaputt machen.
Selbst bewirbt die Seite die eigene Show so groß wie nur möglich. Reichelt sei der »härteste Gegner von Scheinheiligkeit, Propaganda und Heuchelei in der Politik!« Der Blog arbeite im Auftrag der Menschen und gegen das, »was Politiker uns erzählen, um ihre Agenda durchzusetzen«, gegen den »Spin« und die »erdrückenden Narrative«. Es sind diese Begriffe, die seit Jahren die Sprache der Rechten im Netz immer tiefer durchziehen. Die Gegner*innen, gegen die der Kanal Stimmung macht, sind einfach zu identifizieren: Migrant*innen, Grüne, linke Politiker*innen, Frauen in der Politik eigentlich sowieso, Feminist*innen und Multikulti. Die Absurdität der Themen und Videos ist manchmal kaum mehr rational einzuordnen: »Baerbock und ihr Kampf gegen den weißen Mann«.

»Milliardenindustrie der Propaganda«
Ganz besonders im Visier von »Nius« sind Journalist*innen, die nicht rechts sind – und grundsätzlich der öffentlich-rechtliche Rundfunk: »Wir wurden gezwungen und werden jeden Tag gezwungen, dafür zu bezahlen, dass jede Kritik, jeder leise Zweifel, jede abweichende Meinung verunglimpft, verhöhnt, vertuscht, verschwiegen, kriminalisiert, gecancelt, niedergebrüllt wird. Wir finanzieren zwangsweise eine Milliardenindustrie der Propaganda. Menschen bei ARD und ZDF sind reich geworden, indem sie uns belogen und die Realität unterdrückt haben. Menschen wie Anne Will, Louis Klamroth, Anja Reschke, Georg Restle, die Einpeitscher des Merkelismus.« Kritischer Journalismus, dessen Berichte nicht ins rechte Bild passen, wird hier als Lohnschreiberei der Herrschenden diffamiert.
Die Website versteht sich als Stimme der Mehrheit der Menschen. Ihre Wurzeln liegen in Reichelts YouTube-Kanal »Achtung! Reichelt«, den er nach seinem Rausschmiss bei BILD gründete. »Nius« bündelt nun unterschiedliche Formate und die Arbeit verschiedener Journalist*innen auf einer Seite. Optisch und im Ton an den krawalligen Polit-Boulevard-Journalismus von BILD angelehnt, setzt »Nius« auf rechte Leser*innen und Zuschauer*innen. Bei TikTok folgen mehr als 88.000 Menschen dem Angebot, der YouTube-Kanal hat inzwischen 79.700 Abonnent*innen und die Videos werden zum Teil hunderttausendfach angeklickt. Bei »X«, ehemals Twitter, folgen 46.562 Konten dem Kanal und auf Instagram sind es knapp 36.000 Follower*innen. Deutlich erfolgreicher ist Reichelt selbst mit seinen eigenen Kanälen, wo er die Inhalte von »Nius« verbreitet: 405.000 Abonnent*innen bei YouTube und 255.396 Follower*innen bei »X«.

Sarrazin, Maaßen, Kelle
Ein weiterer prominenter Mitarbeiter der Plattform ist Ralf Schuler. Er war jahrelang Leiter des BILD-Parlamentsbüros, heute nennt er sich »Politikchef« von »Nius«. Er verließ 2022 die BILD und veröffentlichte im Magazin »Cicero« seine Gründe für den Abschied. Er wolle »im besten freiheitlich-bürgerlichen Sinne für die Rechte des Einzelnen« eintreten, aber nicht »fest an der Seite der LGBTQ-Community im eisenharten Kampf für Menschenrechte und gegen Diskriminierung«. Das habe die Führung des Blatts eingefordert. Heute moderiert er die Video-Reihe »Schuler! Fragen, was ist« bei »Nius«. Er sei, so behauptet die Plattform großspurig, der »Berlin-Insider schlechthin«. In seine Sendung lädt er nun all jene ein, die in der rechten Internet-Bubble für Klicks und Begeisterung sorgen, aber die Grenze zum offenen Rechtsradikalismus knapp unterschreiten oder nur knapp nehmen und für eine demokratische Rechte gerade noch satisfaktionsfähig sind. Er holt Personen wie den früheren SPD-Politiker Thilo Sarrazin, den Ex-Geheimdienst-Chef Hans-Georg Maaßen oder die rechte Publizistin Birgit Kelle in seine Sendungen, zwischen völlig unverfänglichen Gästen des konservativen und bürgerlichen Spektrums. Auch der Sportreporter Waldemar Hartmann hat bei »Nius« angeheuert und moderiert dort seit einigen Monaten die Fußball-Sendung »Waldis Dritte Halbzeit«.

Unternehmer als Sponsor?
»Nius« wird von der im Berliner Bezirk Kreuzberg ansässigen Firma »VIUS SE & Co. KGaA« betrieben. Deren Aufgabe ist laut Handelsregister der »Aufbau und der Betrieb von Technologie- und Anwender-Plattformen für die Erstellung, Verbreitung und Verwertung von audiovisuellen Inhalten, insbesondere im Nachrichtenbereich« sowie »die Entwicklung und der Betrieb von Online-Plattformen, insbesondere auch von Messengerdiensten und Sportwetten«. Die Firma wiederum gehört der »VIUS Management SE«, deren Geschäftsführer Christian Opitz ist. Wiederholt haben Medien berichtet, das Projekt insgesamt werde von dem Medien- und Medizin-Unternehmer sowie Milliardär Frank Gotthardt finanziert und kontrolliert. Inwieweit »Nius« inzwischen Geld abwirft oder ein Zuschussunternehmen ist und bleibt, ist bisher unbekannt.

»Rechtspopulismus«
Die Tageszeitung aus Berlin schrieb im Sommer dieses Jahres, »Nius« betreibe »rechtspopulistische Stimmungsmache«. Das wohl eindrücklichste Beispiel dafür war ein Video, das nach einem Statement des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz gedreht wurde. Der Politiker hatte unterstellt, Asylbewerber*innen seien schuld, dass Deutsche zu lange auf Zahnarzttermine warten müssten. »Nius« produzierte daraufhin einen kurzen Film, in dem Geflüchtete, die teilweise kaum oder kein Deutsch konnten, die Zähne zeigen und den Daumen heben. Es sollte so scheinen, als freuten sich die Menschen über neue Zähne – finanziert von den Steuerzahler*innen und Versicherten. Das NDR-Medienmagazin ZAPP fragte nach und enthüllte, dass sich die Menschen von »Nius« vorgeführt fühlten und teils ihre Zahnarztbehandlungen selbst gezahlt hatten. Die Leiterin der Unterkunft sagte dem NDR, den Menschen seien »die Worte im Mund umgedreht« worden. Mit den Methoden, dem Tonfall, seinen Themen und der politischen Kommentierung des propagandistischen Handwerkszeugs, bedient sich das Medienportal wie es von radikal rechten US-Medien, wie »Fox News«, bekannt ist. Doch von dessen Verbreitung und politischem Einfluss ist »Nius« noch weit entfernt. Aber die Plattform hat durch die bekannten Journalist*innen, deren Netzwerke und die bisher offenbar auskömmliche finanzielle Unterstützung das Potential, eine größere Reichweite zu erzielen und die mediale Öffentlichkeit zu verändern. Rechtes Clickbaiting ist offenbar inzwischen ein Erfolgsmodell.