Partei und Bewegung

von Johannes Grunert
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 196 - Mai | Juni 2022

#Sachsen

Seit der Gründung der »Freien Sachsen« Anfang 2021 ist ihr grün-weißes Logo mit dem Wappen des Königreichs Sachsen in verschwörungsideologischen Telegram-Gruppen allgegenwärtig. Hinter dem Projekt steckt eine Partei, die sich nicht auf die Aufrufe zu Protesten gegen die Corona-Schutzmaßnahmen beschränkt, sondern bei den diesjährigen regionalen Wahlen in Sachsen mehrere Kandidat*innen ins Rennen schickt.

 

Antifa Magazin der rechte rand
Fahne mit Wappen des Königreichs Sachsen im April 2022 bei einer Demonstration von Coronaleugner*innen und Querdenker*innen in Dresden. @ Vue Critique

 

Im kommunalpolitischen Alltag konnte die Wähler*innenvereinigung »Pro Chemnitz« seit ihrem Einzug 2009 in den Chemnitzer Stadtrat selten Akzente setzen und fiel allenfalls durch Provokationen auf. Doch 2013, als vermehrt Geflüchtete nach Deutschland kamen, begannen »Pro Chemnitz«-Mitglieder, allen voran der heutige »Freie Sachsen«-Kassenwart Robert Andres, den latenten Rassismus einiger Nachbar*innen eines neu entstandenen Geflüchtetenheims zu kanalisieren und in Form kleinerer Aufmärsche auf die Straße zu bringen. Stefan Hartung, NPD-Kreisrat im Erzgebirge, tat es ihm gleich und organisierte unter dem Label »Freigeist« die sogenannten Schneeberger Lichtelläufe. Bis zu 1.800 Menschen, Kameradschaften wie wütende Anwohner*innen, brachte Hartung auf die Straße und setzte damit die Blaupause für die 2014 entstandene PEGIDA-Bewegung und 528 rassistische Aufmärsche allein in Sachsen im Jahr 2015.
Spätestens mit den von »Pro Chemnitz« maßgeblich organisierten Massenprotesten nach dem gewaltsamen Tod von Daniel H. hatte die extrem rechte Partei erkannt, dass sie mit gezielter Themensetzung Protestwellen ausnutzen und sogar selbst initiieren kann. Es verwundert daher nicht, dass »Pro Chemnitz« schon früh das Thema Pandemie für sich entdeckte und die ersten Proteste gegen die Maßnahmen in Chemnitz organisierte.

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Allianz der Aufrührer
Als sich Anfang 2021 die »Freien Sachsen« gründeten, kamen diejenigen zusammen, die in den letzten Jahren Erfahrung mit dem Proben des Aufstandes gesammelt hatten: die Stadträte von »Pro Chemnitz«, Mitglieder des »Freigeist e. V.« um Stefan Hartung, rassistische Initiativen aus dem Raum Dresden und der Plauener Busunternehmer Thomas Kaden als Schnittstelle zur »Querdenken«-Bewegung, die zu der Zeit das rechte und verschwörungsideologische Protestgeschehen bundesweit dominierte.
Ihr Vorgehen war stets strategisch, was sie besonders von den zahlreichen Abspaltungen der »Alternative für Deutschland« (AfD), die es in den vergangenen Jahren gab, unterscheidet. Dies wurde bereits zu Beginn deutlich, als sich die Partei zunächst gar nicht als eine solche ausgab – die Akteur*innen starteten mit der »Erklärung der Freien Sachsen« eine Petition gegen die Corona-Schutzmaßnahmen, die knapp 20.000 Menschen unterzeichneten. Damit sammelten sie Kontakte und füllten ihren Telegram-Kanal, um wenig später ihren Follower*innen eine Parteigründung präsentieren zu können.


Nach außen hin gibt sich die Partei offen, hat gar ein »Distanzierungsverbot« in ihrer Satzung. Sie sieht sich selbst als Sammlungsbewegung, die Mitgliedschaften in anderen Parteien und Organisationen explizit erlaubt. Dabei ist ihre Linie extrem rechts und wird vom Parteivorstand vorgegeben. Sie trägt vor allem die Handschrift des Vorsitzenden Martin Kohlmann. Der gilt als Monarchist, schwärmt vom ehemaligen Kaiserreich und propagiert bereits seit vielen Jahren den Austritt Sachsens aus der Bundesrepublik Deutschland. So finden sich monarchistische Ideen und besonders der »Säxit« in der Programmatik der »Freien Sachsen« und zeigen Kohlmanns Führungsrolle in der Partei. Der Blick auf die politische Herkunft des Kernteams der »Freien Sachsen« offenbart ein extrem rechtes Projekt. Das Kernteam besteht aus Robert Andres (ehemals »Nationale Sozialisten Chemnitz«), Michael Brück (»Nationaler Widerstand Dortmund«/»Die Rechte«) und Stefan Hartung. In Mittelsachsen kümmert sich der Döbelner NPD-Stadtrat Stefan Trautmann um die Belange der Partei und sorgt für eine enge Verflechtung zur NS-Siedlungsinititative »Zusammenrücken«.


Bei den Teilnehmer*innen der Montags-Protestmärsche findet eine Distanzierung von der extrem rechten Linie der »Freien Sachsen« nicht statt. Vielmehr sieht man sich geeint gegen einen vermeintlichen gemeinsamen Feind und nimmt die Unterstützung der »Freien Sachsen« in Form von Mobilisierung, Rechtshilfe und vorgegebener Themensetzung dankbar an. Damit haben die »Freien Sachsen« sich eine Basis geschaffen, die sich vor allem in ihren 150.000 Follower*innen bei Telegram widerspiegelt. Etwa 60.000 Mal werden ihre Beiträge gelesen, 20.000 Telegram-Profile interagieren mit der Partei auf dem Kanal.

Die Hoffnung auf ein Amt
Nach der Gründung von drei sächsischen Kreisverbänden und einigen Regionalkanälen außerhalb Sachsens konzentrieren sich die »Freien Sachsen« momentan auf eine Handvoll Kandidaturen zu anstehenden Bürgermeister*innen- und Landrät*innen-Wahlen. Dabei treten zum Beispiel Stefan Hartung (Erzgebirgskreis), der als Radiomoderator und PEGIDA-Unterstützer bekannte Andreas Hofmann alias »DJ Happy Vibes« (Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) und der kürzlich aus Schwäbisch Gmünd ins Erzgebirge gezogene »Querdenker« Stefan Schmidt (Johanngeorgenstadt) als Parteikandidaten an. Andere, wie der extrem rechte Videoaktivist Hagen Grell (Delitzsch) und der Dresdner »Querdenken«-Kopf Marcus Fuchs (Dresden), kandidieren als Einzelbewerber und werden von der Partei unterstützt.


Besonders prominent bewerben die »Freien Sachsen« die Kandidatur ihres stellvertretenden Vorsitzenden Stefan Hartung zum Landrat des Erzgebirgskreises im Juni 2022, für den sich die Partei offenbar realistische Chancen ausrechnet. Hartung erreichte bei der vergangenen Bürgermeister*in-Wahl in der Gemeinde Aue-Bad Schlema über 19 Prozent der Stimmen. Durch den Antritt des Kandidaten der »Alternative für Deutschland« (AfD) – Torsten Gahler – gibt es jedoch eine Konkurrenzsituation am rechten Rand, die einen Wahlsieg dieses Spektrums unwahrscheinlich macht, sofern keine der beiden Parteien im Fall einer Stichwahl zurückzieht. Die »Freien Sachsen« werfen der AfD nun einen »Alleinvertretungsanspruch für das rechte Lager« vor, den sie mit ihrem Konstrukt der »Sammlungsbewegung« jedoch auch selbst stellen. Während für die NPD und andere, bedeutungslose Kleinstparteien die Unterordnung bei den »Freien Sachsen« Vorteile bringen mag, sind die »Freien Sachsen« für die AfD ein Dorn im Auge. So sehr, dass der »Stabsbereich Grundsatz, Strategie & Programmatik« der Bundes-AfD ein 17-seitiges Dossier über die Partei verfasste, woraufhin sie auf die »Unvereinbarkeitsliste« der AfD gesetzt wurde. Dass dieser Vorstoß besonders aus Ostverbänden kritisch gesehen wurde, liegt vor allem daran, dass befürchtet wird, die »Freien Sachsen« könnten der AfD in der Szene den Ruf als »Straßenopposition« ablaufen. Gerade in den vergangenen Monaten hatte die AfD bei den teils mehrere tausend Teilnehmende zählenden Montagsmärschen in Sachsen kaum mehr eine Rolle gespielt.

Extreme Rechte auf Themensuche
Unterdessen zeichnet sich ab, dass die derzeitige Protestwelle im Zusammenhang mit den Corona-Schutzmaßnahmen nicht mehr lange zu halten sein wird. Ob die »Freien Sachsen« es schaffen werden, einen Dauerprotest ähnlich der Dresdner PEGIDA zu etablieren, bleibt fraglich. Daher sind nicht nur die »Freien Sachsen« auf der Suche nach neuen Themen. Die Solidarität mit Russland als Thema scheint nicht genügend Menschen auf die Straße zu bringen. Martin Kohlmann ließ seine prorussische Haltung zwar bereits in Reden anklingen, das Thema dürfte jedoch selbst im Kernteam der Partei für Meinungsverschiedenheiten sorgen. Kürzlich startete die Partei auf der Suche nach Schwerpunkten für kommende Proteste eine Umfrage auf Telegram. Follower*innen stimmten für eine Vielzahl verschiedener Themen und machten deutlich, worum es der Partei und ihrer Gefolgschaft wirklich geht: Etwa Zweidrittel wünschten sich eine »Überwindung des derzeitigen Parteiensystems« als Protestthema.