Weltanschauliche Schulung in der NPD

von Volkmar Wölk
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 151 - November / Dezember 2014

#Neonazis

Mit der »Dresdner Schule« in Meerane versuchte die NPD ihr Klientel zu intellektualisieren.

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^ NPD-Aufmarsch in Rostock 2006 – vorne, zweiter von links: Jürgen Gansel © Mark Mühlhaus / attenzione

2004 sollte alles anders werden bei der NPD. Vor allem intellektueller sollte sie werden. Meinte jedenfalls Jürgen Werner Gansel, damals frisch in den Sächsischen Landtag gewählt. Und wer sonst außer ihm selbst hätte dazu berufen sein können, die gewünschte Intellektualisierung voranzutreiben. Schließlich gehört er zu jener verschwindenden Minderheit in der NPD, die nicht nur ein Abitur in der Tasche, sondern auch das Studium tatsächlich abgeschlossen hat. Mit 1,6 hatte er sein Magisterexamen abgeschlossen, die Examensarbeit passend über die »Konservative Revolution« geschrieben. Die Wissenschaft wäre ohne die kleine Arbeit nicht ärmer. Aber unter den Blinden ist bekanntlich der Einäugige König.

Aufbruch in Dresden

Plötzlich war Dresden zum Zentrum der »nationalen Politik« in der Bundesrepublik geworden. Aktionsorientiert hatte sich die extreme Rechte hier bereits in den Jahren zuvor gezeigt, nicht zuletzt durch die jährlichen Aufmärsche zum 13. Februar. Nunmehr zeitigte auch die Parlamentsorientierung den ersten Erfolg: nach 32 Jahren endlich wieder Landtagsmandate für die NPD! Und wäre es nach dem Wollen des Jürgen Werner Gansel gegangen, dann hätte man in der sächsischen Hauptstadt künftig auch die Diskursfähigkeit unter Beweis gestellt. »Dresdner Schule«! Das ist nicht nur geographisch die Konkurrenz zur verhassten Frankfurter Schule.

Rolf Kosiek, ein ehemaliger Landtagsabgeordneter der NPD, damals gerade 70 Jahre geworden, hatte eine flammende Kampfschrift über die »zersetzenden Auswirkungen« und über die von ihr verursachte »Machtübernahme der 68er« verfasst. Hier galt es anzuknüpfen: Die »Kulturstadt« Dresden gegen die »Bankenmetropole« Frankfurt am Main, »deutscher Geist« gegen »jüdischen Ungeist«; der »deutsche Revolutionär« Richard Wagner auf den Barrikaden von 1848 gegen den »kleindeutschen Geist« des Parlamentarismus der Frankfurter Paulskirchenversammlung. Von Dresden sollte die geistige Erneuerung ausgehen.

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Es hätte so schön werden können. Wenn es nach Jürgen Werner Gansel gegangen wäre. Ging es aber natürlich nicht. Gansel hatte vergessen, dass Intellektuelle auch zu der Zeit von Rolf Kosiek Mangelware in der NPD waren. Und die wenigen, die wirklich nennenswert waren, waren Restbestände aus der NS-Zeit. Alt geworden, unbrauchbar für die aktive politische Arbeit. Sicher, da gab es auch einen Ernst Anrich, einst SS-Mitglied und Dekan an der »Reichsuniversität« Straßburg, der es bis zum Parteivorstandsmitglied in der NPD gebracht hatte. Und der vor allem – obwohl nach 1945 aus dem Hochschuldienst entfernt – als Gründer und langjähriger Leiter der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt weiterhin Einfluss auf die »weltanschauliche Schulung« der deutschen Intelligenz nehmen konnte. Der sogar für kurze Zeit dem Patronatskomitee der Zeitschrift »Nouvelle École« der neurechten Denkfabrik »GRECE« im Nachbarland Frankreich angehörte. Doch schnell wurde er Alain de Benoist und dessen FreundInnen zu peinlich.

Das Projekt: »Dresdner Schule«

Es kam wie es nicht anders kommen konnte: die »Dresdner Schule« startete mit viel propagandistischem Wirbel als Tiger und endete als Bettvorleger. Immerhin erschien bald die Zeitschrift »Hier & Jetzt« als Theorie­organ; sie konnte auch AutorInnen außerhalb der NPD gewinnen, wurde immer umfangreicher und erschien immer seltener. Gansel hatte nichts damit zu tun. Statt des Vorzeige-Intellektuellen fungierten zunächst die sächsischen »Jungen Nationaldemokraten« als Herausgeber, danach waren es weitgehend Gansels Fraktionskollegen Andreas Storr, Arne Schimmer und Holger Szymanski, die dem Blatt sein Gepräge gaben. Außenwirkung über den Kern des nationalistischen Lagers hinaus? Fehlanzeige!
Die »Dresdner Schule« präsentierte sich folglich – typisch deutsch – als biederer Verein. Das »Bildungswerk für Heimat und nationale Identität« wurde am 18. April 2005 gegründet; mit dem erklärten Ziel, die »Denk­ansätze der Dresdner Schule im öffentlichen Diskurs« zu verbreiten.

Eigentlich war geplant, als parteinahe Stiftung in den Genuss weiterer öffentlicher Gelder zu gelangen. Doch zunächst wurde das Kriterium der Dauerhaftigkeit noch nicht erreicht, dann das Prinzip der Öffentlichkeit der Arbeit verfehlt. Die »Dresdner Schule« war offenbar so elitär, dass öffentliche Werbung für die Veranstaltungen schlicht unterblieb. Der Eigendarstellung »Die Veröffentlichungen und Seminare zeichnen sich durch geistige Offenheit und einen oftmals kontroversen, aber stets sachlichen und gewinnbringenden Diskurs aus« mochte man glauben oder auch nicht. Nachprüfen konnte das niemand, der nicht das Wohlgefallen des Vorsitzenden Thorsten Thomsen, zugleich wissenschaftlicher Mitarbeiter der NPD-Fraktion, oder des Vorstandes fand.

Ganze fünf Wochenendseminare führt die Homepage des Vereins im Zeitraum zwischen April 2010 und Juni 2012 auf, 40 Teilnehmende waren nach Eigenangaben der Spitzenwert. Davor: »eine längere Pause«. Danach: Funkstille. Die beiden letzten Veranstaltungen unter den Titeln »Der deutsche ›Dritte Weg‹: Soziale Marktwirtschaft neu denken« beziehungsweise »Mut zur Identität: Das Eigene erkennen und verteidigen!« fanden – geografisch vage – »im Erzgebirge« statt. Die Vortragenden beim ersten Seminar kamen fast ausschließlich aus der NPD oder gehörten ihr, wie Jürgen Schwab, früher führend an. Konnten tatsächlich einmal Intellektuelle begrüßt werden, wie beim zweiten Thema, dann handelte es sich um ›Ausländer‹ wie den kroatischen Politologen Tomislav Sunic.

Der Hausherr: Hans-Michael Fiedler

Inzwischen spricht vieles dafür, dass die »Dresdner Schule« nicht im Irgendwo des Erzgebirges, sondern vielmehr ganz konkret im Städtchen Meerane im Landkreis Zwickau stattfand. Hier hatte sich jemand niedergelassen, bei dem Jürgen Werner Gansel in Sachen Intellektualisierung einer bildungsfernen Partei in die Schule hätte gehen können. Hans-Michael Fiedler, der dort ein verfallendes Haus zur »Tagungsstätte Mitteldeutschland« ausbauen wollte, hat zwar im Gegensatz zu Gansel nie die ersehnte Abschlussarbeit an der Universität Göttingen vollendet, hat im Gegensatz zu ihm nie von seiner politischen Arbeit leben können, hat auch als Lyriker nie die ersehnte Anerkennung erlangt und hat sein einziges Werk mit wissenschaftlichem Anspruch »Völker zur Freiheit! Vom Kampf europäischer Volksgruppen um Selbstbestimmung« nur unter Pseudonym veröffentlichen können. Doch hätte er Gansel erzählen können, auf welche Weise man als Neonazi auch unter widrigen Bedingungen einen Schulungsbetrieb für junge Leute am Laufen hält. Er tat dies als langjähriger »Studienleiter« des »Studentenbundes Schlesien« (SBS), dem Holger Apfel ebenso angehörte wie der zeitweilige Mitarbeiter der sächsischen NPD-Fraktion, Waldemar Maier. Bereits 1963 hatte er die Theoriezeitschrift »Missus. Blätter für Politik, Kultur und die Pflege des monarchischen Gedankenguts« im heimatlichen Alfeld (Niedersachsen) gegründet und bis zur Einstellung 1988 weitgehend redaktionell eigenverantwortlich gestaltet. Und nicht zuletzt war er 1968 Initiator der »Göttinger Runde«, zunächst als Veranstalter des »Studentischen Arbeitskreises Pommern« in Göttingen, die sich zu einem halbjährlich stattfindenden Theorietreffen zur Nachwuchsschulung des Neofaschismus entwickelte. Eine Ausnahme blieb allerdings, dass er zur »Sababurgrunde«, einem Ideologie- und Strategietreffen der sogenannten »Neuen Rechten«, eingeladen wurde. Einen weiteren Unterschied zur heutigen Zeit gilt es festzuhalten. Fiedler gelang es immer wieder, Unterstützung durch RepräsentantInnen des rechten Flügels der Vertriebenenverbände für seine »nationale Schülerarbeit« zu organisieren.

Die Schwierigkeiten, die Fiedler letztlich in die Einöde des Erzgebirges führten, waren bereits damals absehbar. 1975 schrieb Jürgen Rieger an seinen Freund und langjährigen Mitstreiter Hans-Michael Fiedler, »dass Du ungern mit anderen zusammenarbeitest, sofern sie eigene Ideen entwickeln. […] Wenn Du Dir mal durch den Kopf gehen lässt, wer schon alles bei der Göttinger Runde war und jetzt nicht mehr kommt, kommt eine erkleckliche Liste zusammen. Keine Erfolgsbilanz.«. Und auch die finanziellen Schwierigkeiten, über die Fiedler in Meerane immer wieder klagen sollte, waren ihm bereits damals bekannt. »Die nächste Monatsmiete zahlt der USB – sonst könnte ich gleich kündigen«, hieß es zur gleichen Zeit in einem Brief an den damaligen Funktionär des »Bundes Heimattreuer Jugend« (BHJ), Erich Lienhart, der es später zum Kreisvorsitzenden des »Bundes der Vertriebenen« (BdV) bringen sollte. Beim USB handelte es sich um den »Unabhängigen Schülerbund«, den Fiedler wesentlich angeschoben hatte. Dessen Bundesvorsitzender, der sich laut Fiedler »prächtig entwickelte«, war zu jener Zeit übrigens der Schüler Christian Heck, heute wohl bestallter Richter.

Solch Karriere blieb Fiedler verwehrt, selbst innerhalb der eigenen Partei. Zwar durfte er für die niedersächsische NPD zum Landtag kandidieren und war zeitweilig Redaktionsmitglied der »Deutsche Stimme«, doch klang es schon fast ebenso verzweifelt wie entschlossen, als er im Oktober 1991 seinen Vortrag bei der »Göttinger Runde« des SBS unter das Motto »Warum kämpfen, wenn nicht um zu siegen?« stellte. Zu jener Zeit lebte er bereits in Adelebsen, sein Einfluss in der Partei war ebenso gesunken wie die Mitgliederzahlen der von ihm beeinflussten Gruppen.
Und doch: Der Abstieg nach Meerane war noch nicht absehbar. Noch konnte er darauf verweisen, dass er in den »Staatsbriefen« von Hans-Dietrich Sander publizieren konnte. Noch konnte er stolz aufzählen, dass der Kunstpapst des Neofaschismus, Prof. Richard W. Eichler von der »Sudetendeutschen Landsmannschaft« (SL), bei seiner »Göttinger Runde« referiert hatte, ebenso wie der genannte Sander, mit Ilse-Carola Salm, der Flandern-Spezialistin des Lagers, Henning Jäde vom Parteivorstand der NPD, der es später zum hohen Beamten der bayerischen Verwaltung bringen sollte, Dietrich Murswieck, der längst Professor für Staatsrecht geworden ist, und nicht zuletzt immer wieder Jürgen Rieger.

Abbruch in Meerane

Alle hatten sie Erfolg. Nur Hans-Michael Fiedler nicht. Wenigstens hatte er für das Projekt in Meerane mit Winfried Stannieder jemanden gefunden, der seinen vagen Versprechungen glaubte, dass das Schulungszentrum sich nicht nur selbst tragen würde, sondern auch dazu beitragen könne, die notwendigen Reparaturarbeiten zu bezahlen. Stannieder kam aus dem später verbotenen »Bund Nationaler Studenten« und hatte sich dann beim »Freundeskreis Filmkunst« um Jürgen Rieger bewegt. Als offizieller Träger diente der »Förderverein Jugendbildung«, eingetragen beim Vereinsregister Leipzig. Offenbar war auch daran gedacht, dass straffällig gewordene Gesinnungsfreunde beim Verein in Meerane ihre Sozialstunden ableisten sollten. Als Geschäftsstelle diente zunächst die Kanzlei eines befreundeten Leipziger Rechtsanwaltes, Vorstandsmitglieder waren vorwiegend alte Gefährten Fiedlers aus der NPD, die seit den 1990er Jahren nicht mehr öffentlich aufgetreten waren.
Inzwischen ist das Projekt gescheitert. Das Haus in Meerane verfällt. Fiedler hat sich wieder nach Niedersachsen abgesetzt. Er wollte der große Intellektuelle sein und blieb doch der kleine Möchtegern. Jürgen Werner Gansel ist noch in Sachsen. Noch. Er wollte der große Intellektuelle der NPD sein.