»Gelder für die Widerstandsbewegung«

von Robert Andreasch

Magazin "der rechte rand" - Ausgabe 156 - September / Oktober 2016

NSU-Mitglieder bei einem Bankraub in Arnstadt, Bild von einer Überwachungskamera
© Polizei

Raubüberfälle gehörten in den vergangenen Jahrzehnten zu den zentralen Bestandteilen rechtsterroristischer Aktivitäten. Das setzte sich beim »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) fort.

Der NSU-Prozess neigt sich dem Ende der vom Gericht geplanten Beweisaufnahme zu. Der vorsitzende Richter Manfred Götzl hatte zu Beginn noch darüber nachgedacht, die Behandlung der Raubstraftaten des NSU einzuschränken. Zum Glück ist das nicht passiert, denn so tritt derzeit öffentlich zu Tage, mit welcher Brutalität die untergetauchten Neonazis Geld für sich und die Szene beschafften.

Zum Töten bereit
Noch im ersten Jahr des Abtauchens, 1998, begingen NSU-Mitglieder ihren ersten Überfall – auf einen EDEKA-Markt in Chemnitz-Kappel. Fünf Kilometer entfernt lebten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe in einer Wohnung in der Altchemnitzer Straße 12; vermutlich kamen die TäterInnen mit dem Bus. Ein Mann forderte am Abend des 18. Dezember 1998 mit seiner Waffe die Herausgabe der Kassenbestände (ca. 30.000 DM), ein Zweiter sicherte die Situation ab. Schließlich flüchteten sie zusammen mit einer draußen postierten Person unbekannten Geschlechts. Als ein 16-Jähriger sie verfolgte, schoss die dritte Person sofort auf den Jungen. Ob es sich um Beate Zschäpe oder ein anderes NSU-Mitglied handelte, konnte nie ermittelt werden. In jedem Fall belegt das Vorgehen, dass die Beteiligten von Anfang an zum Töten bereit waren. Das dürfte auch den UnterstützerInnen bekannt gewesen sein, denn Böhnhardt und Mundlos machten in der Chemnitzer Szene, in der sie sich damals relativ offen bewegten, aus dem Überfall kein Geheimnis.

Die lange Reihe der NSU-Banküberfälle
Zehn Monate später, am 6. Oktober 1999, erbeuteten zwei NSU-Täter in einer Chemnitzer Postfiliale knapp 6.000 DM. Ende des Monats überfielen sie eine weitere Filiale in der selben Stadt. Sie sprangen über den Bedientresen und bedrohten die Angestellten mit Waffen. Mit fast 70.000 DM flohen sie mit einem Motorrad vom Tatort – ihren Fluchtweg hatten sie zuvor in einem Stadtplan markiert. Ein Jahr später griffen zwei NSU-Mitglieder wieder eine Postfiliale in Chemnitz an und erbeuteten dabei fast 40.000 DM. Für den Zeitraum dieses Überfalls hatte André Eminger ein Wohnmobil in Chemnitz angemietet.
Zwischen Juli 2001 und September 2011 folgten zehn der insgesamt 14 Überfälle, die dem NSU zugerechnet werden; korrespondierend zu einigen Taten wurden später Stadtpläne gefunden, auf denen die Tatorte und der Fluchtweg, häufig per Fahrrad angetreten, markiert waren. Zudem waren häufiger für den Zeitraum der Überfälle Wohnmobile angemietet – auf den Namen André Eminger oder Holger Gerlach.

Im Juli 2001 überfielen zwei bewaffnete Männer eine Postfiliale in Zwickau. Die aggressiven Täter griffen KundInnen mit Pfefferspray an und flohen schließlich mit 75.000 DM Beute. Ihr brutales Vorgehen wiederholten sie im September 2002 in derselben Stadt und raubten über 48.000 Euro. Im nächsten Jahr überfielen zwei Männer eine Sparkasse in Chemnitz, schlugen einer Angestellten, die den Tresor nicht öffnen konnte, mit einer Pistole auf den Kopf. Am 14. Mai 2004 erbeuteten dieselben Täter in Chemnitz über 30.000 Euro. Nur wenige Tage später drangen zwei bewaffnete Männer in eine Sparkassen-Filiale in der Chemnitzer Sandstraße ein und erzwangen die Herausgabe von über 70.000 Euro. Am 22. November 2005 versuchten es die Täter in derselben Bank noch einmal; diesmal drohten sie mit der Zündung einer Handgranate. Als der Filialleiter Alarm auslöste, flohen die Täter ohne Beute vom Tatort. Am 5. Oktober 2006 überfiel eine bewaffnete männliche Person, mutmaßlich Uwe Böhnhardt, eine Sparkassenfiliale in Zwickau-Eckersbach. Der Täter schlug einer Angestellten einen Tischventilator auf den Kopf, rangelte mit einem Kunden, schoss mehrfach und verletzte einen Angestellten durch einen Bauchschuss schwer. Gleich geschossen haben auch die zwei vermummten Männer, die im November 2006 in eine Sparkassenfiliale in Stralsund eindrangen und mit 85.000 Euro flüchteten. Im Januar 2007 suchten die Täter dieselbe Filiale erneut heim; einer erzwang durch einen Schuss in die Decke die Öffnung des Tresors: 170.000 Euro Beute. Der vorletzte Bankraub des NSU-Netzwerks fand am 7. September 2011 in Arnstadt statt. Ein »TOP Gebäude«, hatten die Neonazis auf einem Stadtplan über die Filiale vermerkt. Als sich die Kassiererin in der Bank weigerte, die Kassentür zu öffnen, schlug ihr einer der Täter mehrfach einen Telefonhörer auf den Kopf. Die Täter flohen, nachdem sie 3.000 Euro Bargeld in Scheinen aus der Kasse genommen hatten. Der letzte bekannt gewordene Raub war der Überfall auf die Wartburg-Sparkasse in Eisenach am 4. November 2011, dem Tag der Selbstenttarnung des NSU. Als der Filialleiter die Öffnung des Tresors verzögerte, schlug ihm einer der Täter mit seiner Waffe auf den Kopf. Mit erbeuteten 72.000 Euro flüchteten die Männer mit Fahrrädern vom Tatort.

Überfälle seit den 1970ern
V-Leute hatten den Behörden von den ersten Straftaten des NSU-Kerntrios berichtet, die Brutalität hätte zudem ebenfalls auf Neonazis hinweisen können. Vor allem aber waren die NSUlerInnen nicht die ersten NeofaschistInnen, die (serienweise) Raubstraftaten begingen. Ende der 1970er Jahre beispielsweise führten die nationalrevolutionären »Nuclei Armati Rivoluzionari« (NAR) in Italien Raubüberfälle durch, um Waffen und Geld zu beschaffen. In Deutschland plante zu dieser Zeit die Braunschweiger Gruppe von Paul Otte und Hans Dieter Lepzien Banküberfälle. Bei der »Aktionsfront Nationaler Sozialisten« (ANS) um Michael Kühnen blieb es nicht nur bei Planungen: Eine »Werwolf«-Gruppe und ANS-Aktivisten attackierten im Dezember 1977 eine Zweigstelle der Hamburger Sparkasse (Beute: 66.000 DM). Mit Überfällen auf Banken, Gaststätten, Bundeswehrsoldaten sowie einen Bauunternehmer in Köln beschafften die Neonazis Geld und Waffen für terroristische Aktionen.

Mindestens zwei Mitglieder der »Wehrsportgruppe Ruhrgebiet« (WSGR) überfielen im April 1979 eine Volksbankfiliale im Bochumer Schlachthof (Beute: 54.000 DM). Frank Schubert von der »Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands« (VSBD) drang im Oktober 1980 in eine Bank in Zwingenberg ein (34.000 DM). Andere Mitglieder der VSBD attackierten im September 1981 als »Kommando Schubert« eine Bank in Rennerod (Beute: 73.000 DM). Und als »Kommando Omega« starteten VSBD-Mitglieder um Friedhelm Busse im Oktober 1981 von München aus zu einem erneuten Bankraub nach Rennerod, wurden jedoch kurz nach der Abfahrt von der Polizei gestellt. 1982 erbeutete die rechtsterroristische »Hepp-Kexel-Gruppe« bei Überfällen in Erlangen, Hungen, Ortenberg, Neunkirchen und Nidda insgesamt 630.000 DM.
Markus Mössle (»Kameradschaft Ulm«, NPD und FAP) raubte zwischen Dezember 1984 und Januar 1985, mit einer Maschinenpistole bewaffnet, drei Banken und einen Sexshop aus und erbeutete mehr als 100.000  DM. 50.000 DM sollen in das »Nationale Zentrum« von Ernst Tag im rheinland-pfälzischen Weidenthal geflossen sein. Mössle wurde später zu über 16 Jahren Haft verurteilt. Im Dezember 1993 überfielen Alexander Neidlein (heute NPD-Vorsitzender in Baden-Württemberg) und zwei »Kameraden« ein Postamt in Lübeck und erbeuteten 8.500 DM.

Der Überfall als »besonderes Kampfmittel«
Kriminelle Geldbeschaffungsaktionen von Neonazis gehören als sogenannte »Logistiktaten« zu den zentralen Elementen des Rechtsterrors. Geld soll sowohl für den eigenen Lebensunterhalt und den terroristischen »Kampf«, als auch für die Bewegung beschafft werden. Die Überfälle bedeuten ferner, dem »Feind« (wenn auch meistens vermummt) gewissermaßen offen gegenüberzutreten. Neonazis aus dem »Thüringer Heimatschutz« waren mit dem Schweizer Armeehandbuch »Der totale Widerstand« von Major von Dach befasst, in dem ein eigenes Kapitel über die »Beschaffung und Verwaltung von Geldern für die Widerstandsbewegung« informiert. Als Geldquellen werden darin »Überfall und Plünderung von Bahnschaltern, Postämtern, Banken und verstaatlichter Verkaufsläden« empfohlen und geraten: »Habe hierbei keine Hemmungen, denn du schädigst ja nicht Mitbürger, sondern den ‹Pseudo-Staat›.« Die von der NSDAP/AO und anderen ab 1991 vertriebene Terroranleitung »Eine Bewegung in Waffen« legt der deutschen Neonaziszene »Enteignungen« in der »Vorbereitungsphase des Kleinkriegs« nahe: »In der Mehrzahl handelt es sich dabei um Banküberfälle etc., die den Einsatzgruppen einen gewissen finanziellen Spielraum zu verschaffen haben. Auch ‹Besorgungsaktionen› von Waffen, Sprengstoff und anderem Gerät fallen unter den Begriff der Enteignung«. Ein Überfall wird als »besonderes Kampfmittel« definiert, da er gleichzeitig eine »materielle Schädigung« und »moralische Beeinträchtigung« des »Feindes« darstelle. Das Begehen von Raubtaten wird zudem mit einer »kämpferischen« Identität aufgeladen: »Im Gegensatz zu Sabotage, Enteignungen, Geiselnahmen und Attentaten, wo der Werwolf aus dem Verdeckten heraus operiert, stellt er sich seinem Widersacher hier zum bewaffneten Kampf.«

Subkulturelle Anregungen: Die Turner Diaries
Anregungen für das Angreifen aus dem »Untergrund« gab der amerikanische Neonazi William Pierce (»Andrew Mac Donald«) den deutschen Neonazis in gewissermaßen subkultureller Verpackung: In seinem fiktiven Roman »The Turner Diaries«, den Ralf Wohlleben, André Eminger und andere aus dem NSU-Netzwerk nachweislich besessen haben, begeht die Zelle der Romanfigur Earl Turner eine Reihe von Überfällen zur Versorgung der eigenen Strukturen: »4. November 1991: Wieder Suppe und Brot heute Abend und davon nicht viel (…) wenn die Zahlung in den nächsten paar Tagen nicht durchkommt, werden wir wieder auf bewaffnete Raubüberfälle zurückgreifen müssen.« Als Robert Jay Matthews im September 1983 in den USA die in diesem Roman nur fiktional geschilderte »Organisation« unter dem Namen »The Order – Brüder schweigen« real gründete, raubten die Beteiligten Banken aus, um das erbeutete Geld wieder in die »Bewegung« stecken zu können. »The Order« entwickelte dabei übrigens eine regelrechte Manie, Beweisstücke und Tatwaffen der bisherigen Überfälle trotz der Belastungsgefahr aufzubewahren. Zugänglicher als militärische Handbücher waren für Neonazis auch die Publikationen des militanten »Blood & Honour«-Netzwerks: Im sogenannten »Field Manual« schilderte der Autor Erik Blücher (»Max Hammer«) unter anderem die Taten des Deutsch-Schweizer Neonazis John Wolfgang Alexander Ausonius (geb. Zaugg), der als »Laserman« 1991 und 1992 in Stockholm zehn Mordanschläge auf zufällig ausgewählte MigrantInnen verübte und bis zu seiner Festnahme 1992 mindestens 20 Banken zur Eigenfinanzierung überfallen hatte. Ausonius war nach den Taten jedes Mal auf einem Fahrrad geflohen.

Die Behörden tappen im Dunkeln
Der Wille und die Bereitschaft, gewalttätig vorzugehen, der Wunsch, Schaden anzurichten, geht bei Neonazis einher mit der Absicht, sich selbst der eigenen Radikalität zu versichern. Auch kriminelle Aktionen von Neonazis sind so gesehen Konsequenz ihrer Ideologie und Menschenverachtung. Dennoch wurden die Neonazis des NSU nach ihren Raubstraftaten von den Behörden nie zu dem Kreis der Verdächtigen gerechnet. Auch William Pierce ließ seine Romanfigur in den Turner-Tagebüchern schreiben, ein Raubmord sei »verständlicherweise nicht mit uns in Zusammenhang gebracht worden«. »Überfälle dieser Art« seien, »selbst wenn es dabei zu Toten kommt, doch heutzutage an der Tagesordnung. Ihnen wird kaum mehr Beachtung geschenkt als einem simplen Verkehrsunfall«.