Welche Chancen hat Marine Le Pen?

von Bernard Schmid

Magazin "der rechte rand" - Ausgabe 165 - März/April 2017

Was hat die Botschafter von Staaten wie Vietnam und Kuba – Länder die sich immerhin einmal von einem imperialistischen Zugriff befreit hatten, im Falle Vietnams zuerst vom französischen Kolonialismus und danach von den USA – dazu bewogen, ausgerechnet dieser Veranstaltung ihre Ehre zu erweisen und sie durch ihre Präsenz aufzuwerten? Darüber kann nur spekuliert werden. Mutmaßlich hat die Philosophie eines Wladimir Putin, wonach alle Rivalen des großen geopolitischen Rivalen USA als Freunde oder Verbündete zu behandeln seien, auch auf die Regimes in diesen Ländern abzufärben begonnen. Dass die russischen Machthaber die französische neofaschistische Partei unterstützen, und sei es nur, um die pro-atlantischen und pro-EU-orientierten Kräfte in Westeuropa zu schwächen, ist bekannt. Spätestens seit dem, auf höchster politischer Ebene eingefädelten, russischen Kredit über neun Millionen Euro an den FN aus dem Jahr 2014. Bei einem Staat wie Taiwan hingegen dürfte vielleicht simpler, historischer Antikommunismus hinzukommen.
Aber auch die Tatsache, dass eine Reihe internationaler AkteurInnen offensichtlich damit rechnen, dass Marine Le Pen dieses Mal erstmals echte Chancen hat, in den Elysée-Palast einzuziehen, dürfte die DiplomatInnenpräsenz bei der Konferenz des FN mit erklären.

Gute Chancen, aber…
Bisher gilt es jedoch als eher unwahrscheinlich, dass die Chefin des »Front National« zur Staatspräsidentin gewählt werden könnte. Dafür müsste es ihr gelingen, über 50 Prozent der Stimmen, also eine absolute Mehrheit aus eigener Kraft zu erreichen (ihr bisheriger Höchststand bei Umfragen lag Ende Februar bei 44 Prozent für die Stichwahl). Und dies quasi ohne Verbündete, denn das konservative und wirtschaftsliberale Lager bleibt nach wie vor auf deutlichen Abstand zum FN bedacht. Nicht so sehr aufgrund dessen Rassismus, in der Ära von Nicolas Sarkozy (Staatspräsident von Mai 2007 bis Mai 2012) haben die französischen Konservativen auf diesem Gebiet sehr viele frühere Tabus gebrochen. Unter dem Einfluss von dessen Ex-Berater Patrick Buisson hatten sie etwa 2007 ein eigenes »Ministerium für Einwanderung und nationale Identität« eingerichtet. Und von November 2009 bis Anfang Februar 2010 organisierte die französische Staatsspitze einen Winter lang ganz offiziell eine »Debatte zur nationalen Identität«, wozu Veranstaltungen in 350 Städten des Landes angeordnet wurden. Im Frühjahr 2012 schließlich hatten der damalige Innenminister Claude Guéant und der damalige Premierminister François Fillon den ‹Kulturkampf› gegen Mahlzeiten ohne Schweinefleisch – als Auswahlessen in Schulkantinen – vorübergehend zum zentralen Wahlkampfthema erhoben. Guéant wandte sich dabei explizit gegen muslimische (Halal-)Speiseregeln, Fillon erweiterte die Kampagne kurzzeitig auch auf jüdische Koscher-Vorschriften. Beide argumentierten, dass solche Regeln nicht mehr zeitgemäß seien und man sich in Frankreich keine Vorschriften machen lasse.
Aber für eine anhaltende tiefe Spaltung zwischen den beiden Lagern dürfte sorgen, dass die Konservativen sich betont wirtschaftsliberal geben. Immerhin hat deren Präsidentschaftskandidat François Fillon sich im November 2016 explizit auf Margaret Thatcher als Vorbild für das ‹Durchreformieren› des Landes berufen. Dem steht die strategische Ausrichtung des FN-Diskurses auf eine dick aufgetragene soziale Demagogie gegenüber. Dieser Sozial- und Wirtschaftsdiskurs hatte dem FN Angriffe eingebracht: Die Konservativen attackierten ihn seit 2015 massiv wegen seines angeblich »linksradikalen«, für eine Rechtspartei »unverantwortlichen« Wirtschaftskurses. Auch intern gab es Streit, weil die Interessen der WahlkämpferInnen des FN in Nordostfrankreich – wo die Partei vor allem in die ArbeiterInnenwählerschaft eindringen konnte – sich von denen einer stärker durch KleinunternehmerInnen und wohlhabende Rent­nerIn­nen in Süd- und Südostfrankreich geprägten Basis unterscheiden. Als Folge hat der »Front National« seine wirtschaftspolitische Programmatik in diesem Jahr wieder stärker auch an den Interessen von KleinunternehmerInnen ausgerichtet und die sozialdemagogische Rhetorik etwas abgeschwächt.

Neben den Konservativen, die durch die Abzock-Vorwürfe gegen ihren Präsidentschaftsbewerber Fillon gebeutelt werden, wird auch der FN bei Abschluss dieses Artikels von »Affären« und Veruntreuungsvorwürfen sowie Justizermittlungen berührt. Hauptgegenstand ist dabei die Vermutung, die Partei habe vorgebliche »parlamentarische MitarbeiterInnen« im Europaparlament angestellt und darüber durch die EU-Parlamentsverwaltung bezahlen lassen, die in Wirklichkeit ausschließlich auf innerfranzösischer Ebene für die Partei tätig gewesen seien. Die französische Justiz ermittelt wegen Betrugsverdachts, und das EU-Amt für Korruptionsbekämpfung »OLAF« veranlasste, dass das Europäische Parlament umgehend 340.000 Euro von Marine Le Pen zurückforderte. Bislang allerdings verhält sich deren WählerInnenschaft allerdings weitgehend indifferent dazu, und in den Vorwahlumfragen steigen Le Pens Werte eher an, als dass sie fielen. Ihrerseits wählte die Chefin des FN in den letzten Februar- und ersten Märztagen eine Strategie der »Flucht nach vorn« und verhielt sich auf unverhohlen aggressive Weise. Am Sonntag, den 26. Februar sprach sie bei einer Großveranstaltung im westfranzösischen Nantes offene Drohungen gegen Richter respektive Justizbedienstete aus, für den Fall, dass sie sich weiterhin »dem Willen des Volkes« entgegenstellten – Marine Le Pens diesjährige Wahlkampagne steht übrigens unter dem Motto »Im Namen des Volkes«.

Altes als Neues
Am Sonntag, den 5. Februar 2017, verkündete Marine Le Pen im Kongresszentrum von Lyon vor 5.000 AnhängerInnen ihre 144 Programmpunkte zur Präsidentschaftswahl. Diese waren zwar formal bei mehreren »Runden Tischen« im Laufe des Wochenendes erarbeitet worden, unterscheiden sich aber inhaltlich in Wirklichkeit kaum vom bereits 2012 verwendeten Wahlprogramm. An den Grundlinien hat sich nichts geändert – den erwarteten »wirtschaftlichen Aufschwung« unter einer rechtsnationalen Regierung sollen das Ausland und die AusländerInnen bezahlen: durch Ausschluss von ArbeitsmigrantInnen aus den Sozialkassen, »Inländerbevorzugung« bei Sozialleistungen und Arbeitsleistungen und einem Rückzug aus den EU-Verpflichtungen, welcher angeblich Frankreich finanziell sanieren würde.
In Sachen Behandlung von Eingewanderten hat sich der Tenor der Vorschläge sogar noch verschärft. Nicht-französische StaatsbürgerInnen sollen beim Eheschluss mit einem oder einer französische Staatsangehörigen kein einklagbares Recht auf Einbürgerung mehr haben, »illegale Ausländer« sollen auf keinerlei gesetzlichen Grundlage mehr »legalisiert« werden können und von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen sein. Verbal hat Marine Le Pen den früher vertretenen Slogan »Null Zuwanderung« formal abgemildert: sie wolle »10.000 Aufenthaltstitel im Jahr« erteilen – statt derzeit jährlich rund 200.000.