Pflastersteinwürfe und Landtagsanfragen
von Maica Vierkant
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 214 - Mai | Juni 2025
#Baseballschlägerjahre2.0
Das Land Brandenburg vor dem Sommer 2025: Die erstarkte extreme Rechte setzt verschiedene Druckmittel ein, um die demokratische Zivilgesellschaft zu zerschlagen. Vieles am aktuellen Geschehen erinnert frappant an die Baseballschlägerjahre, manches unterscheidet sich deutlich.

»Es war ein Freitagabend und alle waren entspannt in ihren Zimmern«, erinnert sich Fabi Buchhol von der Zelle79, einem Hausprojekt in Cottbus. »Wir hörten plötzlich ein seltsames regelmäßiges Rumsen. Mehrere Vermummte warfen Pflastersteine gegen unser Haus. Dabei riefen sie rechte Parolen. Bevor wir reagieren konnten, verschwanden sie unerkannt.« Die Bilanz nach diesem Abend Ende März 2025: ein zerstörter Briefkasten, eine beschädigte Fassade, eingedellte Rollos, ein beschmierter Fensterladen und eine kaputte Fensterscheibe in der Nachbarschaft.
In der Nacht vom 1. auf den 2. März 2025 griff eine Gruppe von 35 Vermummten den alternativen Jugendclub Jamm in Senftenberg an und bedrohte die Gäste. Eine Woche später wurde eine Unterkunft für Geflüchtete in Stahnsdorf angegriffen. Ein Wachmann wurde dabei so schwer verletzt, dass er ins Krankenhaus musste.
Die Übergriffe häufen sich in Brandenburg, und das nicht erst seit diesem Frühjahr. Der Verein Opferperspektive vermeldet für das Jahr 2024 einen rasanten Anstieg rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Brandenburg. Von den 273 Gewalttaten im Bundesland waren mindestens 416 Personen betroffen. Das häufigste Tatmotiv war dabei nach wie vor Rassismus mit 130 erfassten Angriffen. Doch als besonders alarmierend bezeichnet der Verein den Anstieg der Attacken auf politische Gegner*innen um nahezu 75 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Mit 66 Übergriffen wurde der höchste Wert überhaupt für dieses Tatmotiv verzeichnet.
»Wir bewegen uns wieder auf dem hohen Niveau rechter Gewalt der Jahre 2015 und 2016, also an einer absoluten Eskalationsschwelle«, sagt Joschka Fröschner von der Opferperspektive. Seit Ende letzten Jahres registriert der Verein vermehrt organisierte Angriffe auf alternative Jugendclubs und linke Wohnprojekte. Es falle auf, dass die Täter*innen extrem jung seien, berichtet Fröschner: »In unseren Gesprächen hören wir vermehrt von jungen Rechten, teilweise noch im Kindesalter, die in Bomberjacken und mit Glatzen durch die Straßen ziehen.«
Jung waren auch die mutmaßlichen Täter in Altdöbern. Zunächst hieß es, das dortige Kulturhaus sei im Oktober 2024 aufgrund eines technischen Defekts fast vollständig abgebrannt. Mittlerweile geht die Polizei von einem Anschlag aus, den zwei 15-jährige Rechte begangen hätten. Sie hielten das Kulturzentrum für ein linkes Szeneobjekt und filmten sich dabei, wie sie das Haus in Brand setzten. Aus dem gleichen Gruppenzusammenhang der »letzten Verteidigungswelle« wurde ein Kugelbombenanschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft in Senftenberg geplant.
Baseballschlägerjahre 2.0
Sind die Baseballschlägerjahre zurück auf Brandenburgs Straßen? Jene Zeit der 1990er und 2000er Jahre, in der rechte Gewalt eskalierte und mehrere Todesopfer forderte? Der Gedanke drängt sich auf. Ein genauer Blick zeigt Unterschiede, die zusätzlich beunruhigen müssen. Denn: Die jungen Rechten auf den Straßen Brandenburgs genießen einen starken Rückhalt. Es sind die Kinder der Generation Hoyerswerda, also derjenigen, die in den Baseballschlägerjahren nicht nur Jugendliche waren, sondern diese Zeit aktiv mitgeprägt haben. Oft kann man das nur vermuten, manchmal, wie beispielsweise im Fall des Sohns vom »Der III. Weg«-Chef Matthias Fischer, weiß man es. Vor allem aber sitzt mit der AfD eine extrem rechte Partei im Brandenburger Landtag, die bei der Wahl im September 2024 knapp 30 Prozent der Stimmen erzielte. Das bedeutet Geld, Ressourcen, Einfluss, was die Partei zu nutzen weiß. Sie ist zentrale Akteurin einer vielschichtigen extremen Rechten, die an Boden gewinnt. Wie das Zusammenspiel der Kräfte funktioniert, zeigte sich zwei Wochen nach dem Angriff auf den Jugendclub Jamm: Der frisch in den Landtag gewählte Jean-Pascal Hohm behauptete in einer Kleinen Anfrage der AfD, im »Umfeld der selbsternannten ‹Jugendclubs› Jamm in Senftenberg und Süd-Club in Lauchhammer« hätte sich »seit Jahren ein linksextremes Milieu« gebildet und stellte folglich die Finanzierung der Jugendclubs infrage. Unabhängig davon, dass die Landesregierung in ihrer Antwort darlegte, dass weder ihr noch dem Verfassungsschutz diesbezügliche Hinweise vorlägen, ist die Botschaft, welche die AfD an die Angegriffenen aussendet, eindeutig: Ihr seid im Visier. Und auch die Täter*innen können sich durch solcherlei Anfragen in ihrem Handeln bestätigt fühlen.
Seit Jahren bemüht die AfD parlamentarische Anfragen, um politische Gegner*innen zu diffamieren und einzuschüchtern oder um Informationen für die rechte Szene zu beschaffen. So fragte Hohm auch, wie es mit Fake-Accounts des Verfassungsschutzes aussähe, mit Hilfe derer »Undercover-Agenten« eingesetzt würden, um »die vermeintlich ‹rechtsextreme› und ‹verschwörungsideologische› Szene in digitalen Räumen zu infiltrieren«. Auch für »szenekundige Beamte« im Umfeld des FC Energie Cottbus interessiert sich der Abgeordnete aus Cottbus.
Seine Parteikolleg*innen zielen mit ihren Anfragen auf die demokratische Zivilgesellschaft im Land – seien es Demos gegen rechts oder Förderprogramme wie »Demokratie leben!«. Hierin liegt ein weiterer Unterschied zu den Baseballschlägerjahren: In Brandenburg gibt es heute nicht nur ein breites Feld an Initiativen, die sich für eine offene, vielfältige und solidarische Gesellschaft einsetzen. Es gibt auch Strukturen wie die Opferperspektive, die Betroffenen professionell zur Seite steht. In den 1990er Jahren waren angegriffene migrantisierte Menschen und linke Jugendliche weitgehend auf sich allein gestellt. Das ist heute anders – und der AfD ein Dorn im Auge. Umso dramatischer ist es, dass vor dem Hintergrund der steigenden Gewalt die Förderung dieser wichtigen Projekte aktuell – auch wegen der desolaten Haushaltslage in Bund und Land – auf der Kippe steht.
Dabei wäre es mehr als dringend, der steigenden Zahl rechter Gewalttaten entgegenzuwirken. Die Wahlerfolge der AfD, sagt Joschka Fröschner, sorgen für Selbstbewusstsein bei potenziellen rechten Gewalttäter*innen. »Sie haben das Gefühl, dass sie kurz vor der Machtergreifung stehen. Teils werden solche Fantasien unumwunden während der Taten ausgesprochen.«
ABO
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Während die AfD versucht, in den kommunalen Parlamenten das Hissen von Regenbogenfahnen verbieten zu lassen und Anträge gegen den »Wokismus« und für ein »Genderverbot« im Landtag stellt, sieht Brandenburg eine bisher ungekannte Zahl von Christopher Street Days (CSD). Knapp 20 waren es 2024, dieses Jahr werden es wohl noch mehr. Junge, queere Menschen ziehen durch die Ortschaften und lassen sich auch von Anfeindungen nicht beirren. Gleichwohl geraten sie in den Fokus der extremen Rechten. Im vergangenen September meldeten extrem Rechte eine Demo gegen den CSD in Oranienburg an, drei Monate zuvor versucht das Umfeld der AfD, dem Pride Month ihren »Stolzmonat« entgegenzusetzen. Schon seit Wochen wird gegen den CSD in Eberswalde mobilisiert. »Wir lassen uns nicht von der Regierung vorschreiben, was wir zu tolerieren haben und was nicht! Wir sind die Stimme des Volkes«, schreiben dazu Maximilian Fritsche und David Streich auf Telegram. Beide sitzen für die AfD in der Stadtverordnetenversammlung Eberswalde.
Nicht nur die jungen queeren Menschen in Brandenburg brauchen Unterstützung, auch alle anderen, die im Fokus der extremen Rechten stehen. Allerdings auf Augenhöhe und immer zuerst mit der Frage, was die Aktiven vor Ort brauchen, anstatt ihnen zu erzählen, was sie tun sollen. Fabi aus der Zelle79 in Cottbus hat Vorschläge: »In die Orte ziehen oder dort etwas beitragen, zum Beispiel Veranstaltungen organisieren. Auch mal eine Barschicht übernehmen, damit es dort Gegenangebote zu rechter Scheiße geben kann.«
Die extrem rechte Jugend organisiert sich maßgeblich über die sozialen Medien. Auch das ist ein Unterschied zu den 1990er Jahren, in denen eine Vernetzung ungleich schwieriger war. Die jungen Rechten scheinen seit Sommer vergangenen Jahres immer häufiger den Sprung in die reale Welt zu wagen – meist mit Gewalt. Umso dringender ist es, zu überlegen, wie dieser Entwicklung entgegengewirkt werden kann. Und das in einer Situation, in der die Aktiven in Brandenburg damit rechnen müssen, dass die Förderungen ihrer Strukturen in den nächsten Jahren nicht abgesichert sein werden. Neben der Bedrohung durch rechte Gewalt gilt es also, Projekte zu schützen. Denn ohne sie wird sich die extrem rechte Jugend leichter ausbreiten können. Die Hausprojekte, Jugendklubs, die Theater und Kulturzentren sind es, die in der Fläche Brandenburgs letzte Gegengewichte zu der wachsenden, selbstbewussten und ressourcenstarken extremen Rechten bilden.
Die Autorin ist Geschäftsführerin des in Potsdam ansässigen und landesweit tätigen Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Rassismus. www.aktionsbuendnis-brandenburg.de