Lackmustest

von Andreas Speit
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 206 - Januar | Februar 2024

Drei Wahlen, eine Wahrscheinlichkeit. In Brandenburg, Sachsen und Thüringen könnte die AfD bei den kommenden Landtagswahlen die stärkste Fraktion bilden. Bei Umfragen liegt die vermeintliche Alternative um die Bundesführung Alice Weidel und Tino Chrupalla stabil über 30 Prozent. Ein Minister Björn Höcke in Erfurt ist eine rechnerische Möglichkeit. In 2024 könnte 94 Jahre nach der ersten Regierungsbeteiligung der NSDAP erneut in Thüringen die erste Regierungsunterstützung durch extrem Rechte erfolgen.

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“Remigration” meint Deportation. AfD in Brandenburg @ Pressefuchs Brandenburg


Aktuelle historische Mahnungen
Nach einem Misstrauensvotum scheiterte 1931 die damalige Landesregierung unter Erwin Baum vom Landbund allerdings gut ein Jahr später. Kein Anlass zu Entwarnung. Die Grenze zur Macht war geöffnet, der Weg zur Machtübergabe geebnet. Diese historische Erfahrung mahnen zivilgesellschaftliche Initiativen nicht erst seit 2023 an. Sie ist auch nur ein geschichtlicher Moment, auf den gegenwärtig stetig verwiesen wird. Mahnungen und Warnungen, die aber kaum aus dem konservativen Milieu zu vernehmen sind. Hier dröhnt ein Friedrich Merz, der vor Weihnachten vergangenen Jahres erklärte, dass zur »Leitkultur« der Kauf eines »Weihnachtsbaums« zu unserer »Art zu leben« und zu unserer »kulturellen Identität« gehöre. Wir gegen die, das Eigene gegen das Fremde markierte der Bundestagfraktionschef der Union und Bundesvorsitzende der CDU – mal wieder. Diesen Kulturkampf mit rechtem Duktus übertönt kaum wer aus dem konservativen Milieu. Das Schweigen dieses politischen Spektrums dröhnt fast noch lauter als dessen parlamentarische Sprecher*innen. Aus der Union erfolgt jedoch keine starke Grenzziehung mit dem historischen Verweis auf das konservative Versagen. Wer 2023/24 aus diesem Spektrum wieder denkt, mit Rechtsradikalen könnte der Macht wegen paktiert werden, auch um »die Linke« zu verhindern, hat 1933 nicht verstanden. Eventuell könnte aber – wider historischen Fakten – geglaubt werden, bei solcher Zusammenarbeit würden sie »die Rechten« schon kontrollieren können. Welch ein Irrglaube, dem im Osten die CDU wohl anhängt – und im Westen CDU/CSU in der Öffentlichkeit kaum mahnend abschwört.

»Wie deutlich muss die AfD ihre Positionen denn noch formulieren, mit wem aus dem rechtsradikalen Spektrum soll die Partei weiter paktieren, um bundesweit endlich als das benannt zu werden, was sie ist?«

Was muss noch geschehen? Im Kontext der anhaltenden ökonomischen Krisen durch die Globalisierung, der Krise der Flüchtlingspolitik, der Krise durch die COVID-19-Pandemie, der Krisen durch den Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten sind einzelne rechte Ressentiments gewachsen. Autoritarismus verbunden mit Nationalismus, Verschwörungsnarrative vereint mit Antisemitismus sowie Rassismus mit Elitevorrechten liegen im Trend. Keine neue Analyse, keine neuen Tendenzen, die Studien nicht seit Jahren anmahnen. Sie werden aber immer weniger verbindlich wahrgenommen. Auch weil die Mahnenden und Warnenden vor allem aus dem liberalen und linken Milieu der Gesellschaft kommen. Just jenes Spektrum von »Gutmenschen« oder »den Grünen«, die in Teilen des öffentlichen Diskurses von Politik, Wissenschaft und Feuilleton – aber vor allem in den sozialen Medien – als die gesellschaftliche Gefahr markiert wurden. Wann werden die wirklichen Feinde einer pluralen und liberalen Gesellschaft vielleicht dennoch ausgemacht, fragen sich viele Engagierte in den zivilgesellschaftlichen Projekten. Mehrere Politolog*innen und Sozialwissenschaftler*innen fragen ebenso: Wie deutlich muss die AfD ihre Positionen denn noch formulieren, mit wem aus dem rechtsradikalen Spektrum soll die Partei weiter paktieren, um bundesweit endlich als das benannt zu werden, was sie ist?

Die Landtagswahlkämpfe im September sind ein Lackmustest für die Union. Schon jetzt weisen zivilgesellschaftliche Projekte auf die eingeschlagenen Löcher in der Brandmauer hin. Sie bilden die Mauer, aus denen eine Pressure-Group aus dem konservativen Spektrum Stein für Stein herausbricht. Ein Trümmerhaufen, entstanden durch Entscheidungen gegen Demokratie-, NS-Gedenk-, Klima- und LGBTQI-Initiativen, der stetig größer wird. Diese Allianzen können mit der AfD personell, aber eben auch ideell bestehen. Sie können aber auch vermeintlich ganz pragmatisch motiviert sein. Als im September 2023 die CDU im Erfurter Landtag mit Unterstützung von FDP und AfD ein Gesetz zur Senkung der Grunderwerbssteuer gegen die Regierung von Die Linke, SPD und Grüne durchsetzte, begründete der CDU-Fraktionsvorsitzende Mario Voigt das Herangehen vermeintlich logisch: »Wir können doch die Lösung von Problemen nicht davon abhängig machen, dass die falsche Seite mit Zustimmung droht.« Aus der Berliner Parteizentrale erfolgte die Bestätigung.

Diese Entgrenzungen führen zu einer Normalisierung – nicht nur im Osten. Im Westen stiegen die Umfragewerte der AfD in zweistellige Bereiche. Bei der Landtagswahl in Hessen erreichte die AfD 18,4 Prozent. Mit fast acht Prozent mehr zog die Partei erneut in das Wiesbadener Landesparlament ein. Die Analysen bei der ARD offenbaren am Wahlabend, dass 80 Prozent der AfD-Wählenden denken: »Es ist mir egal, dass sie in Teilen als rechtsextrem gilt, solange sie die richtigen Themen anspricht«. Eine Aussage, die viele Deutungen zulässt. Sie könnte widerspiegeln, dass wenn in Landesparlamenten Parteien mit der AfD Themen durchsetzen, Wählende dann auch meinen, eine Partei unterstützen zu können, die ihre Themen anspricht. Sie dürfte zudem spiegeln, dass die Bereitschaft, Rechtsradikale zu wählen gestiegen ist, weil die Positionen geteilt oder aus Protest dennoch gewählt werden. 87 Prozent der Befragten gaben an, mit der Wahl der AfD ihren »Protest gegenüber der Politik ausdrücken zu können«.

Vorfahrt für Kultur und Identität
Der anhaltende Kulturkampf, der letztlich auch ein Identitätskampf ist, dürfte das Sag- und Wählbare erneut weiter nach rechts verschoben haben. Diese Verschiebung von Sachpolitik auf Kultur- und Identitätsdebatten wird vorangetrieben, statt auf Krisen mit ökonomischen, sozialen und ökologischen Konzepten zu reagieren. Der Pyrrhussieg der Union gegen den Nachtragshaushalt 2023 der Bundesregierung um Olaf Scholz (SPD), Robert Habeck (Grüne) und Christian Lindner (FDP) befeuert diese Entwicklung. Die nun fehlenden 60 Milliarden Euro, die anfänglich als Mittel für die Corona-Krise bereitgestellt waren, müssen eingespart werden. In dieser Debatte klingen bei der FDP die angeblichen »Sozialschmarotzer« durch und die SPD deutet an, dass vermeintlich zu viele Geflüchtete kommen. Die Grünen scheinen nach und nach ihre Grundwerte zu verlieren. Sie setzen sich in der Regierung zwar kaum durch, werden in der Öffentlichkeit aber als die dominierende und durchsetzungsstarke Kraft gesehen. Ganz so, als wenn Habeck allein die Klimaschutzmaßnahmen der Bundesregierung zu verantworten hätte. Die Entscheidung für Wärmepumpen oder fürs SUV-Fahren sind da längst zu einer Identitätsfrage hochstilisiert. Die Sparidee, bei den Landwirt*innen die Kfz-Steuerbefreiung und die Steuerbegünstigung bei Agrardiesel zu streichen, löste bereits deren Protest aus. Eine Blockade von »Wut-Bauern« Anfang Januar in Schlüttsiel, um den Bundeswirtschaftsminister, der aus dem Urlaub kam, am Verlassen einer Fähre zu hindern, beweist die gestiegene Enthemmung dieses Milieus. Erneut erscheinen die Grünen als einzige Verantwortliche. Habeck ist jedoch auch der Einzige aus der Regierung, der offen artikuliert, was andere fürchten zu sagen: Die sozioökonomische und ökologische Transformation belastet jetzt, um zukünftig zu entlasten. Diese Logik treibt Fridays for Future an, die auf die ökonomischen Folgen der ökologischen Krisen verweisen. Die deutsche Sektion, die sich bewusst gegen antisemitische Positionen in dem internationalen Netzwerk positioniert, weist darauf hin, dass der nötige Wandel zu Macht- und Verteilungskonflikten führen kann. Diese Konflikte sprechen weder SPD noch CDU/CSU an. Allein die FDP markiert, für welches Klientel sie die Privilegien bewahren und durchsetzen will. Ein Identitätskampf, in dem die Einwanderungs- und Asylpolitik als das zentrale Problem gilt, lenkt nicht bloß ab, er schützt auch vor gebotenen Änderungen und Alternativen. Die Grünen sorgen sich teilweise auch schon um »die Grenzen«. Ganz so, als wenn in der Wohnungs- und Bildungspolitik erst mit den Geflüchteten Probleme entstanden wären.

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Bei einer Umfrage in Hessen meinten 95 Prozent, dass die »Zuwanderung von Ausländern und Flüchtlingen« beschränkt werden sollte. Im September vergangenen Jahres gaben beim »Deutschlandtrend« 64 Prozent der Befragten an, eher Nachteile mit der Zuwanderung zu verbinden. Das Agenda-Setting von rechts ist gelungen: Die sozioökonomischen und bildungspolitischen Probleme erscheinen fast nur noch als Kultur- und Identitätskonflikte und -probleme. Eine Transformation, mit der sich die Verantwortlichen der Verantwortung entziehen. Ein »Nie wieder ist jetzt« reicht nicht, um rechte Wahl­erfolge einzudämmen, eine Betroffenheitsrhetorik bei rechtem Terror ebenso nicht. Ein Rückzug aus den sozialen Medien wie ein Leise­werden bei politischen Events wegen rechter Präsenz, ist dessen Intention. Den rechten Strategien zur Macht im vorpolitischen und im parlamentarischen Raum kann nur gesellschaftliches Umdenken entgegenwirken. Bündnisse von jenen, die wissen, woher die wirkliche Bedrohung kommt. Ein moralischer Antifaschismus dürfte längst nicht mehr nachhaltig wirken. Ein »denk an die Betroffenen« oder »erinnere die Geschichte« bewegt kaum.