Die Samthandschuhe ausziehen

von Ernst Kovahl
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 206 Januar | Februar 2024

Die Debatte um ein Verbot der faschistischen AfD hat Fahrt aufgenommen – ein Überblick.

Antifa Magazin der rechte rand
35.000 Menschen demonstrieren am 20. Januar 2024 in Hannover gegen die AfD und für ein Verbot der faschistischen Partei. © Mark Mühlhaus / attenzione

In Schnellroda sorgt man sich. Beim Sommerfest des »Instituts für Staatspolitik« (IfS) im Juli 2023 sprach dessen Vorsitzender Erik Lehnert in seinem Vortrag über eine angebliche »Meinungsdiktatur« und »Tugendwächter«, durch die eine radikale Rechte in der Bundesrepublik bedroht werde. All das sei bisher jedoch nur »Geplänkel« und könnte sich ändern, wenn der Staat sich entschließen würde, »die Samthandschuhe auszuziehen und richtig zuzupacken«.

Ohne es zu wollen, hat Lehnert hier ausnahmsweise recht: Bisher hat der Staat dem Aufstieg der Rechten und vor allem der AfD fast nur zugeschaut und durch Parteienfinanzierung und Fraktionsgelder die faschistische Partei sogar zu einem ganz erheblichen Teil mit Geld ausgestattet. Der gern zitierte Slogan vom »Nie wieder!« und die vermeintlichen Lehren aus dem deutschen Faschismus blieben im Ergebnis viel zu oft zahnlos. Doch in den letzten Monaten ist Bewegung in die Debatte um Konsequenzen für die Partei gekommen. Die Forderung nach einem Verbot der AfD hatte bereits im vergangenen Sommer Fahrt aufgenommen. Nun haben die Berichte von Correctiv.org über ein »Geheimtreffen« von AfD-Politiker*innen mit dem österreichischen Faschisten Martin Sellner und rechtsradikalen Finanziers zu offen faschistischen Plänen für eine massenhafte Abschiebung von Menschen aus Deutschland das Fass zum Überlaufen gebracht. Eine Petition mit der Forderung, dem Thüringer AfD-Chef Björn Höcke die Bürgerrechte zu entziehen, fand – auch dadurch befeuert – deutlich über eine Million Unterzeichner*innen, über Tage gingen Hunderttausende gegen die Rechtsradikalen auf die Straße und die Stimmen der Unterstützer*innen für ein Parteiverbot wurden lauter. Im Bundestag haben sich inzwischen 49 Abgeordnete aus den Parteien CDU/CSU, SPD, Grüne, Die Linke und FDP gefunden, die ein Verbot befürworten oder prüfen lassen wollen. Ausreichend, um das Thema auf die Tagesordnung des Parlaments zu setzen. Nur von den Abgeordneten des Bündnis Sahra Wagenknecht gibt es keine Unterstützung, berichtet die taz.

Hilflosigkeit?
Es war wohl vor allem die bisherige politische Hilflosigkeit gegenüber dem Aufstieg der faschistischen AfD, die seit dem Sommer 2023 die Zahl der Befürworter*innen eines Parteienverbots steigen ließ. Damals hatte sich unter anderem der Rechtsanwalt Alexander Hoffmann in dieser Zeitschrift (s. drr Nr. 203) vehement für ein Verbot als eine Maßnahme neben anderen ausgesprochen. In den Wochen danach kam die Debatte, die bis dahin nur vor sich hindümpelte, in Fahrt – auch als eine Antwort auf die offensichtliche Verantwortungs- und Hilflosigkeit von Politik und Gesellschaft, die seit Jahren den fast kontinuierlichen Wahlerfolgen und immer mehr steigenden Umfragewerten nichts entgegensetzten. Ein medialer Höhepunkt der Debatte war, als das Magazin Der Spiegel im Oktober 2023 auf dem Cover fragte: »AfD verbieten?«

Diese Hilflosigkeit gepaart mit Ungläubigkeit über das Ausmaß der rechten Bedrohung verdeutlichte eine Äußerung des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz in seiner Rede auf dem Bundesparteitag der SPD im Dezember in Berlin, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete: »Scholz empfiehlt als Mittel gegen den Rechtspopulismus Zuversicht und Optimismus.« Und weiter: »Doch eine Strategie, auf welcher Grundlage diese Zuversicht entstehen soll, stellt er nicht vor.« Halten wir Scholz, der 1983 als junger Politiker auf dem Bundeskongress der VVN den »gemeinsamen Kampf« von Sozialdemokrat*innen und VVN betonte, zugute, dass die Zeitung seine Äußerungen verkürzt hat, machen sie doch eines überdeutlich: Die Dimension der Bedrohung der Demokratie von rechts ist – oder war – nicht in der Wahrnehmung der politischen Eliten angekommen, von einer effektiven Strategie gegen Rechts ganz zu schweigen. Immer wieder heißt es, statt eines Verbots müsse man die Partei politisch »stellen« oder die Ursachen für den Aufstieg der Rechten bekämpfen. Beides ist nicht verkehrt. Aber wie viel Zeit bleibt uns noch dafür? Ursachenbekämpfung – zumal dann, wenn es um die tieferliegenden gesellschaftlichen Gründe geht – dürfte selbst im besten Fall Jahre und Jahrzehnte dauern. Und was mit der wohlfeilen Formulierung gemeint sein könnte, die AfD politisch »stellen« zu wollen, weiß auch keiner. Gemacht hat es jedenfalls bis dato niemand. Inzwischen beschleicht einen immer stärker das mulmige Gefühl, nun verstehen zu können, warum der historische Aufstieg der NSDAP einst möglich wurde und der Widerstand zu schwach war – oder teilweise nicht einmal probiert wurde.

Parteien: Ja, nein, jein!
Unter den Parteien überwiegt bisher die Ablehnung eines Verbots. Beschlüsse von Bundes- oder Landesparteitagen für den Schritt gibt es nicht – aber auch keine dagegen. Bei den Grünen ist es zum Beispiel der niedersächsische Landtagsabgeordnete Michael Lühmann, der die Forderung seit Jahren erhebt. In der Partei Die Linke sind es vor allem Fachpolitiker*innen aus Bundestag und Landesparlamenten für das Thema Antifaschismus wie zum Beispiel Martina Renner, Kerstin Köditz oder Katharina König-Preuss, die sich für ein Verbot aussprechen, zuletzt aber auch der Vorsitzende der Brandenburger Linkspartei Sebastian Walter. Und bei der SPD betonte erst jüngst deren Bundesvorsitzende Saskia Esken, die Partei müsse verboten werden, »falls der Verfassungsschutz die Partei als gesichert rechtsextrem einstufen würde«, wie die Frankfurter Rundschau berichtete. In der CDU ist seit geraumer Zeit der Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz für ein Verbot aktiv. Er hat bei Politiker*innen aller Parteien um Unterstützung geworben, um 2024 einen fraktionsübergreifenden Antrag zum Verbot einzubringen. Für Überraschung sorgte Anfang Dezember 2023 die Meldung, Teile des Arbeitnehmer*innenflügels der CDU forderten das Verbot. Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft des Christlichen Gewerkschaftsbundes im CDA (Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft) Peter Rudolph brachte es auf den Punkt: »Es reicht nicht länger aus, immer nur zu betonen, dass die AfD politisch bekämpft werden muss. Es darf nicht abgewartet werden, bis die Partei in einem Bundesland die Mehrheit erringt und als Regierungspartei selbst die Hoheit über den Verfassungsschutz erlangt, wie z.B. in Thüringen, wo das Landesamt für Verfassungsschutz eine Abteilung des Ministeriums für Inneres und Kommunales ist.« Er erinnerte an historische Fakten: »Auch die NSDAP hat nicht mittels eines Putsches die Macht erlangt, sondern durch Wahlen. Vorreiter war Thüringen, wo die NSDAP am 23.01.1930 erstmalig an einer Landesregierung in Deutschland beteiligt wurde und mit Wilhelm Frick den Innen- und Volksbildungsminister stellte. Die Geschichte darf sich nicht wiederholen. Deshalb ist es jetzt Zeit für einen AfD-Verbotsantrag – auch wenn dieser mit Risiken verbunden ist.«

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Pro Verbot
Anfang Dezember 2023 fasste das Handelsblatt die Argumente gegen ein Verbot zusammen – und wunderte sich. Ein gängiges Argument sei, man müsse die Anhänger*innen der Partei »argumentativ stellen, dürfe sie nicht noch weiter in die rechte Ecke drängen, keine Märtyrer schaffen und überhaupt, es sei ja nicht sicher, dass ein Verbot nicht höchstrichterlich gekippt würde«. Dieser »Umgang mit den Feinden des Rechtsstaats« sei einfach »zaghaft«, meinte die Zeitung. Es sei »naiv«, die »Anhänger von der Gefährlichkeit dieser menschenverachtenden Truppe überzeugen zu wollen. Dies wird nicht funktionieren.« Die »Zaghaftigkeit« sende ein fatales Signal in die Gesellschaft: »Die Partei ist demokratisch gewählt, die darf man gut finden. Die AfD sei eine Partei wie andere.« Ein Verbot der Partei sei »ohne Alternative«.

In der November-Ausgabe der politikwissenschaftlichen Zeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik schrieb dann der Verfassungsrechtler Klaus Ferdinand Gärditz, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bonn und ehemaliger Richter am Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalens, Ende 2023 ein juristisch untermauertes Plädoyer für ein Verbot und legte dar, ein Verbot könne rechtlich Erfolg und Bestand haben. Und warum ein Verbot auch inhaltlich Bestand haben könnte, das hatte das Deutsche Institut für Menschenrechte bereits im Sommer 2023 in seiner Publikation »Warum die AfD verboten werden könnte« ausführlich dargelegt.

Zu groß?
Irgendwas ist ja immer. Lange glaubten viele, die AfD sei nicht faschistisch, sondern nur rechtspopulistisch. Ein Verbot komme daher nicht in Frage. Als dann klar wurde, dass die Partei immer radikaler werde, hieß es zur Beruhigung: Die Partei habe keine Chance, nach der Macht zu greifen, ein Verbot sei also nicht nötig. Sie habe nur einige zehntausend Mitglieder und fahre bundesweit Ergebnisse nur um die zehn Prozent ein. Die Partei galt nun als zu klein und unbedeutend, um eine Gefahr zu werden. Verbot? Abgelehnt. Und heute? Heute heißt es: Die Partei habe bereits zu viele Wähler*innen und sei zu groß für ein Verbot. Viele Argumentationen gegen ein Verbot sind also im Ergebnis nicht schlüssig. Und klar ist: Die AfD wird nicht einfach so wieder aus den Parlamenten und der Gesellschaft verschwinden, wie es mit den Kleinstparteien »Die Republikaner« oder der NPD geschah. Es ist inzwischen nur noch eine Frage der Zeit, wann die faschistische AfD nicht nur Abgeordnete und Landräte stellt, sondern in einem Bundesland mitregiert – indem sie andere Parteien mit ihren Stimmen toleriert oder sogar formal an der Macht ist und Minister*innen stellt. Dann vollzieht sich ihr Einfluss nicht mehr nur aus der Opposition heraus oder über das Verschieben von Diskursen, sondern ganz real durch Machtausübung. In der CDU und FDP gibt es mittlerweile genügend Personen, die ihnen den braunen Teppich ausrollen werden, um neue rechte Regierungsmehrheiten gegen SPD, Grüne und Linke zu finden. Es wird daher Zeit, dass Politik und Gesellschaft die Samthandschuhe ausziehen. Damit die Sorgen in Schnellroda Realität werden.