Bruderschaft und »authentische Männlichkeit«

von Carl Kinsky
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 192 - September | Oktober 2021

#ProudBoys

Die »Proud Boys« sind in erster Linie eine Bruderschaft, der es um die Wiedererlangung einer »echten« beziehungsweise »authentischen« Männlichkeit angesichts der als korrumpierend empfundenen Einflüsse der Moderne geht. Verkürzt lässt sich ihr Männlichkeitsideal auf drei Handlungsebenen herunterbrechen: arbeiten, kämpfen, Sex. In allen Lebensbereichen geht es um die soziale Dominanz von Männern.

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Symbol Proud Boys

Die Organisationsstruktur der »Proud Boys« ist durch unterschiedliche Mitgliedschaftsgrade hierarchisiert. Um der Gruppe beitreten zu können, müssen Bewerber vier Aufnahmerituale durchlaufen, welche der Gründer Gavin McInnes zuerst im Jahr 2016 in einem Beitrag für die extrem rechte Nachrichtenseite »Taki’s Magazine« vorstellte. Der Name selbst ist eine Kooptierung der umgangssprachlichen Bezeichnung eines stolzen schwulen Mannes als »Proud Boy«. Die erste Stufe besteht in einem Bekenntnis zum »westlichen Chauvinismus«, dem Leitmotiv der Organisation. In der zweiten Stufe müssen Bewerber fünf Müslimarken aufsagen, während sie von mehreren Mitgliedern geschlagen werden, die mindestens den ersten Mitgliedsgrad absolviert haben. Dabei dürfen sie auch im Kopfbereich und Unterleib traktiert werden, wenn auch in geringerem Ausmaß. Diesen Initiationsritus beschrieb McInnes bereits 2015 in einer Folge seines Podcasts »Free Speech« mit dem »Fox News«-Moderator Tucker Carlson – angeblich entstammt er seiner eigenen Lebenserfahrung. Zudem müssen sich Mitglieder in der zweiten Stufe dazu verpflichten, maximal ein Mal im Monat zu masturbieren. Mit Absolvierung der zweiten Stufe sollen sich Mitglieder laut Gruppenrichtlinien auch dem Lebensbundprinzip der Bruderschaft anschließen und ein Leben lang Teil der Organisation bleiben. Mit der Tätowierung von »Proud Boy« auf ihrem Körper und dem Versprechen, auf Pornografie zu verzichten, wird die dritte Mitgliedsstufe absolviert.

Durch diese Rituale sollen potenzielle Mitglieder ihre Männlichkeit in Gestalt von Durchhaltevermögen und Opferbereitschaft beweisen, zugleich dient es als Einführung in die auf Gewalt und Dominanz ausgerichtete Organisation. Dies zeigt sich insbesondere in der zweiten Stufe, die Bewerber nicht nur zu Durchhaltevermögen in Konflikt­situationen anhält, sondern auch zur aktiven Suche nach Sexualpartnerinnen verpflichtet. Zugleich dienen die Prügel als Vermittlung von Hierarchien zwischen alten und neuen Mitgliedern innerhalb der Gruppe. 2017 führte McInnes schließlich eine vierte Stufe in der Mitgliederhierarchie ein. Diese wird erreicht, wenn Mitglieder physische Angriffe auf echte oder vermeintliche politische Gegner*innen durchführen.
Die Masturbationsfeindlichkeit der »Proud Boys« ist keine Ausnahmeerscheinung, sondern stellt einen zunehmend wichtigen Teil extrem rechter Ideologien in den USA und darüber hinaus dar. Hierbei geht es zumeist um die Bewahrung »westlicher« beziehungsweise »weißer« Staatsvölker durch eine erhöhte Geburtenrate, zu der der Verzicht auf Selbstbefriedigung beitragen soll. Neben McInnes vertreten zahlreiche extrem rechte Kader derlei Thesen, darunter auch David Duke.

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Ursprung des von McInnes geforderten Masturbationsverzichts ist eine Wette mit dem Komiker Dante Nero im Sommer 2015, der ebenfalls irrationalerweise diesen Verzicht als Beitrag zu einem gesunden Lebensstil verklärt. Nero, der afroamerikanische Wurzeln hat, gehörte bereits vor Gründung der »Proud Boys« zur Kerngruppe um McInnes. Beide schlossen eine Wette zum Masturbationsverzicht ab, woraufhin Nero in gewohnt ironisch-autoritärer Manier zum »Papst« der Gruppe erklärt wurde. Nach gewalttätigen Auseinandersetzungen bei Demonstrationen in Charlottesville distanzierte Nero sich schließlich Ende 2017 von den »Proud Boys« und widmet sich seitdem seinen Beziehungs- und Männercoachings. Sein »Proud-Boy«-Tattoo am Hals hat er überstechen lassen.

McInnes begründet den Masturbationsverzicht mit der vermeintlich schädlichen Wirkung von Pornografie, die letztlich Männer von ihrem »natürlichen Drang« zum Aufsuchen von Sexualpartnerinnen abhalte. Mit dem Verzicht würden Mitglieder dazu angehalten, sexuelle Beziehungen und letztlich Ehen einzugehen. Hier lassen sich Züge einer »sexuellen Gegenrevolution« erkennen, die versucht, Sexualität zu kontrollieren und vermeintlichen gesellschaftlichen Interessen unterzuordnen. Dies ist als Gegengewicht zur Liberalisierung des Sexualitätsverständnisses in liberaldemokratischen Staaten seit den 1960er-Jahren zu sehen und drückt sich auch in McInnes Begründungen zum Verzicht aus, in denen er Masturbation als Unfähigkeit zur Selbstbeherrschung darstellt und damit als Ausdruck zeitgenössischer Dekadenz ausmacht. Dahinter steht – wie auch sonst – eine als übermächtig ausgemachte feministische Bewegung, die Männer durch falsche Vergewaltigungsvorwürfe zu Pornokonsum und Selbstbefriedigung zwinge.

Zugleich soll der Verzicht zu einer gesteigerten männlichen Potenz und Sexualität in Beziehungen führen. Wegweisend ist hier die traditionelle Vorstellung, wonach weibliche Sexualität nur durch einen aktiven, meist dominanten, männlichen Gegenspieler aktiviert werden könne, der somit auch für Frauen notwendig sei, um überhaupt sexuelle Befriedigung zu erfahren. Neben der Potenz im Kampf müssen Proud-Boys-Mitglieder folglich die gleiche Virilität im Schlafzimmer beweisen. Laut McInnes sei Sex der wichtigste Faktor in jeder Ehe und das »Hämmern (der eigenen Ehefrau) zur Besinnungslosigkeit« Lösung für alle Beziehungskonflikte, wie er in einem Artikel von August 2015 für »Taki’s Magazine« schrieb. Hinter dem Masturbationsverzicht steht also die Förderung eines misogynen Dominanzbegehrens.

Da Frauen von den »Proud Boys« nur ein Wert als Mütter und Hausfrauen zugesprochen wird, werden sie nicht als gleichwertige Mitglieder aufgenommen. Stattdessen wird ihnen eine separate Organisation angeboten, die »Proud Boys’ Girls« (PBG). Der Versuch, eine ebenso erfolgreiche, selbstständige Teilgruppe zu bilden, verläuft aber immer wieder im Sande. Zu stark bleibt der Widerspruch zwischen der Rolle als aktive Kämpferinnen und den Idealen der »Proud Boys« und der Misogynie der männlichen Mitgliedschaft.

Vorabdruck aus: Carl Kinsky: »Proud Boys«. Trumpismus und der Auf-stieg ultranationalistischer Bruderschaften, Münster 2021, Unrast Verlag, 88 Seiten, 7,80 Euro, Erscheinungsdatum: Oktober 2021.