Zerstrittene Partei

von Ernst Kovahl
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 196 - Mai | Juni 2022

#Niedersachsen

Die rechtsradikale AfD ist in Niedersachsen seit Jahren tief zerstritten und hat keine landespolitische Ausstrahlung. Dennoch könnte sie im Oktober wieder in den Landtag einziehen.

Antifa Magazin der rechte rand
Der EX-Landesvorsitzende der AfD, Jens Kestner, bei einer Kundgebung im März 2022 in Hannover. Seit Mai 2022 führt Frank Rinck die Partei in Niedersachsen. © Mark Mühlhaus / attenzione

Der aktuelle Streit in der niedersächsischen »Alternative für Deutschland« (AfD) zeigt wieder einmal symptomatisch den Zustand der Landespartei: Auseinandersetzungen um Formalia und organisatorische Fragen werden genutzt, um politische Richtungskämpfe, persönliche Streitigkeiten und Machtoptionen auszutragen. Diesmal geht es um die Frage, in welcher Form die Liste zur niedersächsischen Landtagswahl am 9. Oktober aufgestellt wird – ob auf einem realen Parteitag oder per Briefwahl. Seit Monaten eskaliert daher in der Partei wieder einmal der Kampf der Flügel. In der niedersächsischen Presse wird derweil über eine weitere Spaltung spekuliert.

Flügelstreit
Derzeit stehen mindestens drei Fraktionen gegeneinander: Auf der einen Seite des Konflikts, der gewählte Landesvorsitzende Jens Kestner (seit Mai 2022 führt Frank Rinck die Partei in Niedersachsen) und der frühere Vorsitzende Armin-Paul Hampel. Sie plädieren für die Wahl der Liste per Briefwahl durch die rund 2.500 Mitglieder des Verbandes. Das war ursprünglich bereits für März anvisiert, doch der Plan scheiterte. Die Gegner*innen des jetzigen Vorstands lehnen das Verfahren ab, da sie darauf setzen, ihre Unterstützer*innen besser zu einer realen Mitgliederversammlung mobilisieren zu können. Zu diesem Teil der Partei werden unter anderem die niedersächsischen Bundestagsabgeordneten Joachim Wundrak, Frank Rinck (neuer Vorsitzender seit Mai) und Jörn König gerechnet. Formal hatten ausreichend viele Kreisverbände einen Präsenz-Parteitag eingefordert, sodass die Landespartei auf die Suche nach Räumen gehen musste. Eine dritte Gruppe, der vor allem Stephan Bothe, Christopher Emden und Peer Lilienthal zugerechnet werden, unterstützen unterdessen den Kurs des Bundesvorstands. Auch sie wollen mit einem Parteitag in Präsenz ihre Positionen auf der Liste für den nächsten Landtag sichern – und damit Geld und Einfluss für Jahre.

Die innerparteiliche Schlacht um das Wahlverfahren und um die möglichen Orte zog sich bis Redaktionsschluss (10. Mai 2022) weiter hin und ein Ende ist nicht abzusehen. Zuletzt hatte das Verwaltungsgericht Oldenburg einen Eilantrag der Partei abgelehnt, die Sparkassen-Arena in Aurich nutzen zu dürfen. Die Stadt müsse als Eigentümerin nicht auf die Pächterin und die Verwaltung der Halle einwirken, der Partei die Räume zu überlassen. Ähnliche Auseinandersetzungen um kommunale Hallen gibt es in Lüneburg und Walsrode. Inzwischen hat sich sogar der Bundesvorstand der Partei eingemischt und vom Vorstand gefordert, eine Versammlung Ende Mai in Walsrode durchzuführen – ungeachtet der Frage, ob dort überhaupt eine Halle zur Verfügung steht. Klar ist jedenfalls: Die Flügelstreitigkeiten sind weniger durch politische Motive als durch das Interesse an Mandaten auf der Liste zur Landtagswahl motiviert. Ein Programm zur Landtagswahl gibt es noch nicht. Und die verbliebenen AfD-Abgeordneten im Landtag unterhalten nicht einmal eine eigene Website. Nur eine Facebook-Seite der »Gruppe der AfD im Niedersächsischen Landtag« der verbliebenen sechs Politiker Klaus Wichmann, Stephan Bothe, Christopher Emden, Stefan Henze, Peer Lilienthal und Harm Rykena existiert. Der letzte Eintrag dort stammt aus dem Dezember 2021.

ABO
Das Antifa Magazin

alle zwei Monate
nach Hause
oder ins Büro.

Schwäche
Völlig ungeachtet solcher Streitigkeiten, die seit Jahren den Landesverband prägen und lähmen, der kaum noch vorhandenen Ausstrahlung der Landespartei in die Gesellschaft und ihrer Bedeutungslosigkeit in landespolitischen Fragen hat die AfD gute Chancen, bei der Wahl am 9. Oktober wieder in den Landtag einzuziehen. Umfragen sehen die rechtsradikale Partei seit 2020 kontinuierlich bei sechs bis sieben Prozent der Stimmen.

Dennoch zeigte die Partei Schwächen, die zumindest die Möglichkeit eröffnen, dass die AfD an der Fünfprozenthürde scheitert – so wie es bei der Landtagswahl am 8. Mai in Schleswig-Holstein passiert ist. Denn bei der Landtagswahl 2017 holte die Partei in Niedersachsen auf Anhieb 6,2 Prozent der Stimmen und konnte neun Mitglieder in den Landtag schicken. Nach Austritten von Abgeordneten löste die Landtagsverwaltung im Herbst 2020 die Fraktion auf. Dem Vorstand gelang es nie, die Konflikte dauerhaft zu befrieden. Bei allen folgenden Wahlen zeigte sich, dass die Partei schwächelt. So verlor sie bei den Kreiswahlen 2021 landesweit gegenüber 2016 fast 300.000 Stimmen (3,2 Prozentpunkte). Gegenüber der Bundestagswahl 2017 mit 9,1 Prozent (422.000 Stimmen) bekam sie in Niedersachsen vier Jahre später nur noch 7,4 Prozent (366.000 Stimmen). Sollte der innerparteiliche Streit anhalten und der anlaufende Wahlkampf in Niedersachsen so ins Stolpern kommen, ist ein Scheitern am 9. Oktober denkbar.