Schrei nach Liebe
von Andreas Speit
Magazin "der rechte rand" - Ausgabe 158 - Januar / Februar 2016
Sie redeten und sagten nichts. Im NSU-Verfahren vor dem Oberlandesgericht München brachen die Hauptbeschuldigten Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben ihr Schweigen. Der gemeinsame Tenor der unterschiedlichen Einlassungen: Wir wussten nichts von den Morden, haben nichts gegen »Ausländer«, lehnen Gewalt ab. Allein der ehemalige V-Mann Tino Brandt habe erst ihre früheren »Aktivitäten« und später die Hilfe für die Flucht ermöglicht. Ein Affront für die Angehörigen der Opfer des NSU-Netzwerkes.
Im Saal A 101 drehte sich Zschäpe am 9. Dezember 2015 nicht wie sonst von den Kameras weg. Am 248. Tage des seit zweieinhalb Jahren laufenden Prozesses ließ sich die 40-Jährige erstmals bei ihrer angekündigten Einlassung ablichten. Der Tag sollte ihr Tag sein. Ihre neuen zusätzlichen Rechtsanwälte Mathias Grasel und Hermann Borchert hatten die Erwartungen hochgeschraubt. Grasel versicherte, ihre Mandantin werde sich umfassend einlassen – auch zu den Taten. Schon vor der Aussage rückten die Opfer des NSU-Kerntrios Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe – die zehn ermordeten Menschen und vielen Verletzten durch drei Bombenanschläge und 15 Banküberfälle – in den Hintergrund der öffentlichen Wahrnehmung. Zschäpe wollte im Mittelpunkt stehen und so war es dann auch. Sprechen durfte Grasel für sie. In rund 90 Minuten verlas er die Einlassung, in der sie die ihr anfänglich von Teilen der Medien zugeschriebene Rolle der »Nazi-Braut«, des »Nazi-Liebchens« und des »Anhängsels der Naziterroristen« sich nun selbst zuschreibt. Politische Meinung? Gleichberechtigtes Mitbestimmen? Grasel suggerierte für sie vielmehr, sie sei eine friedfertige Person, die lange schmolle, wenn sie enttäuscht werde, und eine tierliebe Katzennärrin, die sich einfach in den falschen Mann verliebt habe, in den Uwe, den Böhnhardt. »Weder an der Vorbereitung noch an der Durchführung« der Taten sei sie beteiligt gewesen. Sie fühle sich aber »moralisch schuldig«. »Ich entschuldige mich aufrichtig bei allen Opfern und Angehörigen der Opfer«, trug Grasel vor.
Nach dem ersten Mord an Enver ?im?ek am 9. September 2000 will sie »völlig geschockt« gewesen sein, habe sich mit Böhnhardt und Mundlos gestritten. Später, nachdem ihre »Uwes« sich brüsteten, »vier weitere Ausländer umgelegt« zu haben, sei sie auch »unglaublich enttäuscht« gewesen. Außer den toten »Uwes« belastete sie nur Tino Brandt. Der ehemalige Leiter des »Thüringer Heimatschutzes« und V-Mann des Landesamts für Verfassungsschutz habe durch Geld »unsere Aktivitäten erst ermöglicht«. Die Anfeindung überraschte wenig. Hatte er sie doch in der Verhandlung als »ideologisch gefestigt« bezeichnet – und somit die Anklage untermauert.
»Sie lügt, sie tut so, als wäre sie nicht beteiligt gewesen und hätte von nichts gewusst. Wir glauben ihr nicht«, empörte sich Ismail Yozgat, der Vater des ermordeten Halit Yozgat. »Nach dem ersten Mord sei sie angeblich so erschüttert gewesen, dann hätte sie zur Polizei gehen müssen und weitere neun Morde verhindern können«, so Yozgat. Gamze Kubasik, deren Vater ebenfalls dem NSU zu Opfer gefallen ist, meinte: »Mit ihrer Erklärung versucht Frau Zschäpe, sich aus der Verantwortung zu ziehen.« Die Entschuldigung nehme sie nicht an. Ähnlich wie Abdulkerim ?im?ek, Sohn des NSU-Opfers Enver ?im?ek, der lapidar kommentierte: »Einfach nur lächerlich.«
Drei Verhandlungstage danach erklärte Wohlleben, ebenso nichts von den Plänen »der Freunde« gewusst zu haben. Am 251. Verhandlungstag legte der frühere NPD-Funktionär dar, bei der Flucht geholfen und auch eine Waffe mit einem Schalldämpfer an Böhnhardt geliefert zu haben. Aber ob nicht eher der Mitbeschuldigte Carsten S. jene ?eská-Pistole besorgte, mit der die »Uwes« neun Migranten erschossen, warf der 40-Jährige ein. Dieses Anzweifeln verwundert nicht. Ist das doch der Hauptvorwurf gegen ihn. Zu Brandt meinte er ebenfalls, dass dieser maßgeblich Fluchthilfe organisiert habe. Weiter spekulierte er, ob nicht das Geld für die Pistole mit dem Schalldämpfer von Brandt kam – also vom Staat. Ganz der Linie des Thüringischen Verfassungsschutzes unter dem damaligen Leiter Helmut Roewer folgend, inszenierte er sich erneut sozial engagiert, gewaltfrei und kapitalismuskritisch. Im Saal A 101 ließ er gar einen Propagandafilm zeigen, um dieses Selbstbild zu untermauern; nicht ohne sich auch als Opfer zu gerieren – als Opfer der »Wende«, der »Polizei« und der »Linkskriminellen«. Vor seiner Aussage ließ er über seine Anwälte wissen, »seinen Idealen und politischen Überzeugungen treu« geblieben zu sein. Seine Entschuldigung, »den Angehörigen der Opfer gilt mein Mitgefühl«, klang da kaum glaubwürdig.
»Die Aussage ist eine Frechheit«, kommentierte Alexander Hoffmann, Vertreter der Nebenklage die Einlassung von Zschäpe. »Sie tut so, als wenn es keine Helfershelfer gegeben hätte, die Wohnungen, Geld, Waffen und Papiere besorgt hätten. Da schweigt sie, wie so viele rechtsextreme Zeugen.« Gemeinsam sei beiden Einlassungen, dass sie jede persönliche Schuld von sich weisen. »Und gemeinsam ist beiden Einlassungen, dass sie schon in sich völlig unplausibel sind.«
In den Weihnachtsferien des Gerichts griff Zschäpe erneut ihre ehemaligen VerteidigerInnen Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm an. Sie hält ihnen erneut vor, beim Vorschlag zu reden die Antwort bekommen zu haben: »Sind Sie irre, Frau Zschäpe?« Vielleicht ahnten die drei, dass Zschäpes Aussage, aus bloßer Liebe das elfte Opfer des NSU geworden zu sein, wenig dienlich sein könnte. Beide Hauptbeklagten haben das Gericht genutzt, um sich zu inszenieren und die Opfer und ihre Angehörigen haben sie erneut missachtet: Zschäpe, indem sie sich weigert, Fragen der Nebenklage überhaupt zu beantworten, und Wohlleben, indem er sich weigert, ein Passwort für eine verschlüsselte Festplatte heraus zu geben. Von beiden ist keine Aufklärung zu erwarten – und auch keine Reue.