Gernika: 80 Jahre später
von Frank Steinfeld
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 168 - September 2017
80 Jahre nach der Zerstörung der baskischen Stadt Gernika am 26. April 1937 durch die deutsche »Legion Condor« sind noch immer viele Fragen zu klären und es wird heftig um die Deutung gestritten.
Während der franquistisch Diktatur von 1939 bis 1977 wurde das Märchen von »den Roten, die ihre eigene Stadt angezündet hätten« zur Staatsdoktrin. Nach der »transicion« (Übergang zum Parlamentarismus) bis heute wird die Legende verbreitet und in Schulen gelehrt, die deutschen JU 52 Behelfsbomber und Heinkel-Jagdflugzeuge hätten im Verbund mit italienischen Kräften eigentlich – aus taktischen Gründen – die Brücke des Städtchens treffen wollen.
Nach über dreistündigem Bombardement, – die Flieger gingen aufgrund nicht vorhandener Flugabwehr bis auf 60 Meter Flughöhe herunter – die am Markttag zahlreich anwesenden Menschen konnten in die Gesichter der bombardierenden und später gezielt auf sie feuernden Flieger blicken, war die gesamte Innenstadt zerstört. Das angebliche Ziel, die Rentería-Brücke über die Oka, überstand die Bombardierung unbeschadet. Nach neueren Untersuchungen starben etwa 2.000 Menschen – zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich zahlreiche Flüchtlinge in dem Städtchen. Die komplette Zerstörung einer Stadt durch Flugzeuge, zudem unverteidigt und ohne militärische Bedeutung, war bis dato unbekannt und schockierte die Welt.
Die Bomber- und Aufklärungseinheiten der »Legion Condor« hatten zu 70 Prozent ihre Ausbildung auf dem Fliegerhorst Wunstorf bei Hannover erhalten. Der Oberbefehl für den Luftkrieg an der spanischen Nordfront lag auf deutscher Seite bei General Hugo Sperrle, assistiert von Wolfram von Richthofen. Der Führer der spanischen Faschisten, General Fransisco Franco, war allerdings über alle Schritte mindestens informiert. Die »Legion Condor« war seit 1937 auf Seiten der Faschisten im Einsatz. Bereits Anfang Februar 1937 hatte sie sich an einem ersten Massaker beteiligt, als sie einen Flüchtlingskonvoi auf dem Weg von Málaga nach Almería angriff. Die Zahl der Toten des »Massaker von Málaga« wird auf 5.000 geschätzt. Die Bombardements auf verschiedene spanische Städte wurden akribisch militärisch und technisch ausgewertet. Gernika war kein Einzelfall. Die aus den »Übungen« gezogenen Erfahrungen wurden dann im Zweiten Weltkrieg bei den deutschen Angriffen auf Coventry, Warschau und Rotterdam deutlich. Schon am 29. April 1937 marschierten faschistische Truppen ein, die neben Mord und Vergewaltigung auch Spurenbeseitigung betrieben.
Bis heute ehrt die baskische Bevölkerung den englischen Journalisten George Steer, der einen Tag nach dem 26. April 1937 in Gernika eintraf und dessen Untersuchungen und Berichte in der »London Times« veröffentlicht wurden. Ohne ihn hätten sich die – heute hieße es alternative Fakten – wohl durchgesetzt. Auch Pablo Picassos weltbekanntes Gemälde »Guernica«, das bei der Weltausstellung 1937 in Paris gezeigt wurde, hätte einen anderen Namen getragen oder wäre so nicht entstanden.
Gernika danach
Wer sich mit Gernika beschäftigt, wird automatisch mit dem Kampf um baskische Autonomie konfrontiert. Nach dem Sieg der Faschisten verboten diese, über die Bombardierung zu sprechen. Die Bürgerkriegserfahrungen und die 40 Jahre andauernden harten Repression und Unterdrückung durch die franquistische Zentralregierung in Madrid sowie die Unterdrückung der baskischen Sprache und Kultur durch den Faschismus und die politischen Kontinuitäten durch die »Partido Popular« (»Volkspartei«, PP), sind bis heute prägend für linke und antifaschistische Politik im Baskenland. Als die »Comision de Bombardeo« 1977 erstmals öffentlich ZeitzeugInnen und Opfer zu Wort kommen ließ, war das ein befreiendes Ereignis in Gernika und darüber hinaus. Die Behinderung unabhängiger historischer Arbeit und die Unterdrückung baskischer Kultur und Unabhängigkeit waren und sind damit aber nicht beendet.
Von staatlich-spanischer Seite blieb vieles beim Alten: Noch immer sind landesweit über 300 Straßen nach Franco benannt. Mit dem Amnestiegesetz von 1977 bleiben bis heute die Verantwortlichen für staatliche Folter und Mord, nicht nur im Baskenland, straffrei. Erst kürzlich setzte sich die regierende konservative PP mit der Beibehaltung einer geplanten feierlichen Exhumierung eines Putschgenerals durch.
Gernika gedenkt
Gernika bezeichnet sich als »Stadt des Friedens« und verleiht regelmäßig einen Friedenspreis im Rahmen der jährlich abgehaltenen Gedenkwoche. In diesem Jahr wurde er an je einen Vertreter von Regierung und FARC-Guerilla in Kolumbien vergeben. Die Gedenkwoche mit einer Vielzahl von Veranstaltungen bildete die verschiedensten Strömungen ab. So mündete ein Sternmarsch mit der Forderung Geflüchtete zu unterstützen und im Baskenland aufzunehmen, in Gernika. Auf dem früheren Marktplatz gab es vor mehreren tausend TeilnehmerInnen sehr politische und persönliche Redebeiträge von Geflüchteten – während Beiträge von ParteifunktionärInnen scheinbar nicht gewollt waren. Dagegen hatte die religiöse Trauerfeier am 26. April auf dem städtischen Friedhof hochoffiziellen und europaweit medienwirksamen Charakter. Delegationen verschiedener baskischer Institutionen, aber zum Beispiel auch aus Nagasaki und Kobane, legten Kränze nieder. Von Seiten des spanischen Staates erschien – wie immer – niemand.
Deutsche Erinnerungskultur
Von deutscher Seite war am 26. April nicht nur die Bundesregierung vertreten, sondern auch Delegationen aus Rostock, Dresden und Pforzheim. Letztere ist seit 1989 Partnerstadt von Gernika und wurde 1945 fast komplett von den Alliierten zerstört. Gute Absichten unbelassen, wird hier die Botschaft transportiert: Wir sind alle Opfer geworden, im Schmerz vereint und wollen deshalb Frieden. Fragen nach Tätern, Verantwortung und Zusammenhängen werden ausgespart.
Der seit 1982 in Wunstorf/Neustadt am Rübenberge tätige »Arbeitskreis Regionalgeschichte« kann davon ein Lied singen. Als durch seine Recherche und Publikationen nach und nach publik wurde, dass viele der in Gernika eingesetzten Piloten ihre Ausbildung in Wunstorf erhalten hatten, war die Reaktion von Stadtgesellschaft, Bundeswehr und einer Veteranenvereinigung zunächst Leugnung. Einzelne Aktive des Arbeitskreises wurden denunziert und an den Pranger gestellt. Nach der Veröffentlichung weiterer gut recherchierter und erdrückender Fakten ging es dann in den 1990er Jahren von militärischer Seite her um Relativierung der Geschehnisse.
Im November 2013 agierte die »Traditionsgemeinschaft Lufttransport Wunstorf e. V.« (TGLW ) als Betreiberin des auf dem Fliegerhorst befindlichen JU 52-Museums noch mit einem Hausverbot gegen einen Aktiven des Arbeitskreises. Und bis heute gleicht das Museum eher einer Militaria-Sammlung rund um die »gute alte Tante JU 52«, die dort im aufgearbeiteten Original »bewundert« werden darf. Da es auch in vermeintlich »seriösen« regionalen Medien zu »Falschdarstellungen« hinsichtlich des Lufttransportmuseums »Ju-52-Halle« gekommen sei, sah sich die TGLW zu einer Richtigstellung genötigt. Die »Falschdarstellung« habe zum Ziel, »einen Flugzeugtyp und seine Besatzungen für die verbrecherische Politik während der Zeit des Nationalsozialismus (1933 – 1945) und seine Auswirkungen verantwortlich zu machen«. Viel Raum nimmt die technische Chronologie der Entwicklungsgeschichte des bei Junkers in Dessau gebauten Flugzeugs ein. Die Beteiligung an den Bombardierungen von Gernika, Durango und später Warschau wird in kurzen Sätzen abgehandelt. Kein Wort des Mitgefühls oder gar der Entschuldigung – kein Gefühl für das Spannungsfeld in dem sich die Ausstellung bewegt: kritikfreies Zelebrieren eines Mythos der Luftfahrt, inklusive Puppen in Wehrmachtsuniform.
In Wunstorf selbst gibt es bis heute eine »Oswald-Boelcke-Strasse«, benannt nach einem 1916 abgeschossenen Weltkriegsflieger und gleichzeitigem Namensgeber des »Kampfgeschwader Boelcke«, dessen in Wunstorf und Langenhagen bei Hannover stationiertes Personal einen Kern der »Legion Condor« bildete.
Sogar die Standortkommandantur in Person des Kommodore Ludger Bette erkennt heute die wesentlichen geschichtlichen Fakten an und gibt sich geläutert. Ohne allerdings an der »Oswald-Boelke-Strasse« und dem JU 52-Museum zu rütteln. Ersteres dürfte ihm auch schwer fallen. Hat die Luftwaffe doch seit 1958 mit dem »Taktischen Luftwaffengeschwader 31 ‹Boelcke›« ein sogenanntes »Traditionsgeschwader« im Einsatz.
Am 8. September 2017 wurde in Zusammenarbeit mit »Bündnis 90/Die Grünen« ein Gedenkstein für das zerstörte Gernika auf dem Fliegerhorst aufgestellt. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass seit Joschka Fischers »nicht trotz, sondern wegen Auschwitz«-Umdeutung des Jugoslawienkrieges 1998 zahlreiche Bundeswehreinsätze weltweit stattfanden. Der Fliegerhorst Wunstorf ist heute mit den dort stationierten hochmodernen »Airbus A400M«-Maschinen eine wichtige Drehscheibe für Auslandseinsätze.