Weiter rechts in Österreich

von Heribert Schiedel


Magazin "der rechte rand" Ausgabe 169 - November 2017

Die Wahlen zum österreichischen Nationalrat am 15. Oktober 2017 brachten den befürchteten weiteren Rechtsruck: Die vormals stimmenstärkste »Sozialdemokratische Partei Österreichs« (SPÖ) schaffte mit 26,9 Prozent diesmal nur den zweiten Platz hinter der auf neu getrimmten und dabei noch weiter nach rechts gerückten »Österreichischen Volkspartei« (ÖVP) unter Sebastian Kurz mit 31,5 Prozent. Dritte wurde die »Freiheitliche Partei Österreichs« (FPÖ), die ihren Stimmenanteil um 5,5 Prozent auf 26 Prozent steigern konnte. Gleichzeitig schieden die »Grünen« aus dem Nationalrat aus: Sie verloren 8,6 Prozent und scheiterten knapp an der Vierprozent-Hürde. Der »nationalen Einheitsfront« gegen Geflüchtete und einer vorgeblichen »Islamisierung« konnten sie keine Inhalte erfolgreich entgegensetzen.

der rechte rand Magazin 169

Heinz-Christian Strache
© Roland Geisheimer

Rechter Jubel aus Deutschland
Wenig überraschend versetzte das Wahlergebnis die neonazistische »Nationaldemokratische Partei Deutschlands« (NPD) in Feierstimmung: Ihr Vize-Vorsitzender Ronny Zasowk wertete auf Facebook den »Rechtsruck in Österreich« durch den »sich zunehmend zuwanderungskritisch äußernden Sebastian Kurz« und die »freiheitliche (…) und patriotische (…) FPÖ« als »gut für Deutschland und Europa!«. Jene in Österreich, »die Europa gegen den großen Bevölkerungsaustausch verteidigen wollen«, hätten »einen Regierungsauftrag« erteilt bekommen. PEGIDA-Frontmann Lutz Bachmann postete bereits am Wahltag ein Foto, das ihn mit FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache zeigt. Begleittext: »Lieber HC, wir wünschen Dir und der FPÖ heute viel Erfolg bei der Wahl in Österreich! Ein Kanzler Strache mit Außenminister Hofer wäre ein großer Schritt auf dem Weg zu einem besseren Europa!« Die Freude von extremen Rechten galt aber nicht nur dem Erfolg der FPÖ, sondern auch dem der ÖVP. AfD-Fraktionschef Alexander Gauland bemerkte zufrieden, Kurz habe schon als Außenminister Österreich zu einem »Bollwerk gegen eine Masseninvasion fremder Menschen« gemacht.

Mediale Orchestrierung
Wesentlich für den Erfolg der Rechten ist ein gleich tönender Boulevard, der im Fall der ÖVP deren Umgestaltung zu einer autoritären »Führerpartei« durch unkritische Verherrlichung ihres neuen Obmannes Sebastian Kurz medial flankierte. Der regelrechte Personenkult um den Außenminister der SPÖ-ÖVP-Koalition nahm dabei schon fast religiöse Züge an. Dementsprechend zuvorkommend und unkritisch war die Berichterstattung, die sich mehrheitlich in bloßer Reproduktion der ÖVP-Inszenierung erging. Angesichts derer Erfolge sprach Verteidigungsminister Hans-Peter Doskozil (SPÖ) bereits von einem »Messiaseffekt«. Der Kult war aber auch inhaltlich begründet: Kurz hatte sich mit seiner Parteinahme für den ungarischen Ministerpräsident Viktor Orbán und dessen Abschottungspolitik zum Liebkind der Boulevardmedien gemacht und so früh für die Wahlen in Stellung gebracht. Die Hetzblätter »Österreich« und »Neue Kronen Zeitung« waren es auch, die dafür sorgten, dass die bereits zwei Jahre zurückliegende »Flüchtlingskrise« trotz ihres Endes bis zu den Wahlen am Köcheln gehalten wurde. Und weil Österreich von islamistischem Terror bislang verschont worden war, wurde kurzerhand ein Bedrohungsszenario kreiert: Nachdem ein geistig verwirrter Tunesier Ende Juni dieses Jahres ein befreundetes PensionistInnenpaar ermordet hatte, behauptete der ÖVP-Innenminister Wolfgang Sobotka umgehend einen »IS-Hintergrund«, ohne Beweise dafür vorzulegen. Anstatt das Bild vom »radikalisierten Moslem« kritisch zu hinterfragen, stimmten auch sogenannte Qualitätsmedien in den schrillen Chor ein.

Antisemitische Kampagnen
Von medial geschürten Ressentiments profitierten auch die »Freiheitlichen«, die angesichts der antimuslimischen Hegemonie auf einen eigenen Wahlkampf weitgehend verzichten konnten. Sie begnügten sich damit, süffisant darauf hinzuweisen, die politischen Konkurrenten, allen voran die ÖVP, würden lediglich freiheitliche Forderungen kopieren. Als FPÖ-Chef Strache noch am Wahlabend behauptete, dass »60 Prozent für das FPÖ-Programm« gestimmt hätten, schien das nicht übertrieben. Dabei begann der Wahlkampf für die FPÖ gar nicht nach Wunsch: Im Juli machte das »Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands« (DÖW) öffentlich, dass sich der freiheitliche Abgeordnete Johannes Hübner 2016 bei einer Tagung der »Gesellschaft für freie Publizistik« (GfP) in antisemitischen Anspielungen ergangen hatte. Während sich die Parteispitze umgehend hinter Hübner stellte, drohte die ÖVP mit dem Entzug der Koalitionsbereitschaft. Obwohl sich die FPÖ entsprechend ihrem völkischen und antisemitischen Charakter weigerte, Konsequenzen aus dem Skandal zu ziehen, reichte schließlich der Rücktritt Hübners, um sie wieder als Partnerin der Konservativen ins Spiel zu bringen. Tatsächlich war Antisemitismus in Österreich noch nie ein Ausschlussgrund. Ganz im Gegenteil: Mit antisemitischen Anspielungen hievte die ÖVP schon 1986 ihren Kandidaten Kurt Waldheim ins Bundespräsidentenamt. Auch bei den diesjährigen Wahlen sahen die vereinte Rechte und die Boulevardpresse eine »Schmutzkübel-Kampagne« unter ausländischer Beteiligung am Werk. Hinter dieser wurde ein Jude als Verantwortlicher identifiziert: Der israelische Werbefachmann Tal Silberstein, der – just zum Beginn des Intensivwahlkampfes – in Israel wegen Betrugsverdachts festgenommen wurde, soll davor für die SPÖ eine Negativkampagne gegen Kurz entworfen haben. Die »Silberstein-Affäre« dominierte von nun an thematisch die Wahlauseinandersetzung. Während auf »unzensuriert.at« und anderen FPÖ-(Vorfeld-)Medien offene antisemitische Hetze betrieben oder geduldet wurde, beschränkte sich die ÖVP auf einschlägige Anspielungen. So rief Kurz Anfang Oktober seinem Anhang zu, das Maß sei nun »endgültig voll« und man werde sich »zur Wehr setzen«. Die Nationalratswahl wurde von ihm bei dieser Gelegenheit zur »Volksabstimmung« darüber erklärt, ob »wir die Silbersteins und andere wollen, die versuchen, den politischen Gegner anzupatzen und fertigzumachen«. Dass auch der Populist Peter Pilz, der sich von den »Grünen« abgespalten hatte und mit 4,4 Prozent den Einzug in den Nationalrat auf Anhieb schaffte, Österreich »Silberstein-frei« machen wollte, zeigt deutlich, in welchem Ausmaß das Schüren antisemitischer Ressentiments hierzulande Bestandteil der Wahlkämpfe ist.

Wer wählte warum die FPÖ?
Das Meinungsforschungsinstitut SORA hat die Wahlen bereits analysiert: Der gender gap im freiheitlichen Elektorat hat sich zwar etwas verkleinert, aber immer noch wurde die FPÖ von mehr Männern (29 %) als Frauen gewählt (26 %). Bei den unter 29-Jährigen ist die FPÖ mit 30 Prozent stärkste Partei, wohingegen sie bei über 60-Jährigen nur auf 19 Prozent kam. Am deutlichsten fiel der freiheitliche Sieg unter »ArbeiterInnen« aus: Mit 59 Prozent nähert sich die FPÖ hier der Zweidrittelmehrheit. Auch unter denjenigen, die nur einen Pflichtschulabschluss (33 %) oder eine Lehrausbildung (37 %) aufweisen, wurde die FPÖ stärkste Partei. Die stärkste Motivation für ein FPÖ-Votum ist scheinbar Pessimismus: 86 Prozent der FPÖ-WählerInnen meinen gegen jede Evidenz, Österreich habe sich in den letzten vier Jahren »negativ entwickelt«. Und 81 Prozent glauben, die folgenden Generationen werden »eher schlechter leben«. 75 Prozent des freiheitlichen Elektorats hält Österreich für »ein eher ungerechtes Land«, was auf das – auch geschürte – Gefühl, immer und überall zu kurz zu kommen, zurückzuführen ist. 2013 wurde noch das Thema »Bildung und Schule« am häufigsten im Wahlkampf diskutiert (34 %), diesmal nannten 58 Prozent der befragten WählerInnen »Asyl und Integration«. Mit dem gesamtgesellschaftlichen Rechtsruck einher ging eine weitere Radikalisierung der FPÖ-WählerInnen: Hielten 2013 noch 72 Prozent die Demokratie für die beste Regierungsform, stimmen dem heute nur noch 48 Prozent zu. Dieser Wert entspricht einer gesamtgesellschaftlich wachsenden Zustimmung zum Autoritarismus und lässt für die Zukunft nicht Gutes hoffen.

Ausblick: Normalisierung
Eine neuerliche ÖVP-FPÖ-Koalition scheint ausgemacht zu sein. Im Gegensatz zum Jahr 2000, als die Regierungsbeteiligung der FPÖ einen internationalen Proteststurm auslöste, sind kritische Reaktionen diesmal kaum zu erwarten. Und das, obwohl die heutige FPÖ weit rechts von der damaligen zu verorten ist. Nichtsdestotrotz werden die »Freiheitlichen« mittlerweile auch von der SPÖ als koalitionsfähig angesehen. Von der EU ist ebenfalls kein Widerstand zu erwarten – das zeigten schon ihre ausbleibenden Reaktionen auf den Umbau Ungarns zur völkisch-autoritären Nation. In ihrer momentanen politischen Defensive kann die weiter geschwächte Linke nur darauf hoffen, dass der ÖVP-FPÖ-Pakt an inneren Widersprüchen scheitert. So steht etwa die ÖVP bedingungslos hinter dem Freihandelsabkommen CETA, während die FPÖ es entschieden ablehnt. Allerdings zeigte sich im Wahlkampf, dass die beiden rechten Parteien ihre inhaltlichen Differenzen dem Ziel der Machterlangung unterordnen und, ähnlich wie im Jahre 2000, einen »Nationalen Schulterschluss« anstreben. Äußerungen von ÖVP-PolitikerInnen, wie dem Wiener Bezirksobmann Alfred Hoch lassen ahnen, dass dieser Schulterschluss nicht ohne antisemitische Ressentiments auskommen wird: Hoch hatte unmittelbar nach den Wahlen getwittert, dass nach dem Ausscheiden der Grünen aus dem Nationalrat der erst unlängst in Universitätsring umbenannte Dr.-Karl-Lueger-Ring nun wieder nach dem antisemitischen Bürgermeister heißen soll. Auch eine Verelendungstheorie, der zufolge ein widerständiges Potenzial unter den FPÖ-WählerInnen entsteht, die vom drohenden Sozialabbau betroffen sein werden, ist fehl am Platz. Vielmehr ist zu befürchten, dass die angekündigten Angriffe auf den Wohlfahrtsstaat mit verstärkter nationalistischer Formierung einhergehen werden: Die völkische Gemeinschaft ist zum Verzicht bereit, solange der Schutz vor äußerer Bedrohung danach verlangt.
In einem offenen Brief an ÖVP und SPÖ hat Ende Oktober der Präsident der »Israelitischen Kultusgemeinde« (IKG), Oskar Deutsch, vor einer Regierungsbeteiligung der FPÖ gewarnt: Die »Freiheitlichen« machten »Andersdenkende und Andersaussehende zu Sündenböcken« und »fast täglich« mit rassistischen Ausfällen und »antisemitische Verschwörungstheorien« Politik. Sie seien gegen die EU, ihre »deutsch-nationale Burschenschafter-Basis« betrauere »die Befreiung Europas 1945 als Niederlage« und schließlich wolle die FPÖ das Schächten verbieten und solcherart auch Jüdinnen und Juden eine Existenz in Österreich erschweren. Deutsch erteilte auch den bis 2010 zurückreichenden Versuchen der FPÖ, über eine demonstrative Solidarisierung mit Israel weiter salonfähig zu werden, erneut eine klare Absage: »Die jüdische Gemeinde in Österreich wird deshalb keinen Hechscher (Koscher-Stempel, Anm.), keinen Persilschein ausstellen. Das sind wir der Vernunft und den Opfern des Faschismus schuldig – Juden, Sozialisten, Bürgerliche und viele andere. Wenn sich der nationalistische Wolf einen blauen Schafspelz überzieht, ändert er sein Wesen nicht, nur sein Aussehen.« Leider gefällt dieses Aussehen aber einer deutlichen Mehrheit der WählerInnen. Und dass über das Wesen der FPÖ nicht kritisch diskutiert wird, dafür sorgen auch zuletzt große Teile der Medien: Im Fall des Boulevards setzen sie die passenden Themen und im Falle der Qualitätsmedien weigern sie sich, die FPÖ als das zu bezeichnen was sie ist – extrem rechts.