»Gruppe Freital«: militante Beiträge zur Flüchtlingsdebatte
von Kristin Pietrzyk und Alexander Hoffmann
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 166 - Mai 2017
Seit dem 7. März 2017 verhandelt das Oberlandesgericht Dresden den Prozess gegen die so genannte »Gruppe Freital«, der eine Serie von Anschlägen und Angriffen gegen Geflüchtete und deren UnterstützerInnen vorgeworfen wird. Der Prozess, der in einem eigens dafür umgebauten Gebäude geführt wird, das zynischerweise ursprünglich als Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete gebaut wurde, wird im Bundesland Sachsen kontrovers diskutiert. Die Anklage wirft den Mitgliedern der Gruppe unter anderem die Bildung einer terroristischen Vereinigung, versuchten Mord, gefährliche Körperverletzung und Sachbeschädigung – all dies teilweise durch Sprengstoffexplosionen begangen – vor.
Die Anklage am Staatsschutzsenat des OLG Dresden wurde erst dadurch möglich, dass die Bundesanwaltschaft die zunächst einzeln geführten Verfahren gegen den Willen der Generalstaatsanwaltschaft Dresden an sich gezogen und zu einem Komplex verbunden hat. Die sächsische Justiz hatte dies unterlassen und einen zentralen Teil der Vorwürfe lediglich vor dem Jugendschöffengericht angeklagt. Der Generalbundesanwalt (GBA) befürchtete offensichtlich, dass ohne massive Intervention und die Festnahmen von Gruppenmitgliedern weitere Anschläge erfolgen und zu Toten führen würden. Die sächsische Generalstaatsanwaltschaft hegte solche Befürchtungen zu keiner Zeit.
Die Anschläge
Ob es sich bei den nun angeklagten Anschlägen um alle handelt, die aus der »Gruppe Freital« heraus begangen wurden, ist bislang ungewiss. Der Generalbundesanwalt wirft der Gruppe unter anderem einen Sprengstoffanschlag am 27. Juli 2015 auf den PKW des Politikers Michael Richter von der Partei »Die Linke«, einen Sprengstoffanschlag am 19./20. September 2015 auf eine Flüchtlingswohnung in der Freitaler Bahnhofstraße, einen Sprengstoffanschlag am 20. September 2015 auf das Parteibüro von »Die Linke«, einen gemeinsam mit der »Freien Kameradschaft Dresden« (FKD) am 18./19. Oktober 2015 durchgeführten Überfall mit Sprengstoffeinsatz gegen ein Wohnprojekt in der Overbeckstraße sowie einen Sprengstoffanschlag am 1. November 2015 gegen eine Flüchtlingswohnung in der Wilsdruffer Straße vor.
Die Anschläge wurden wohl größtenteils mit Sprengkörpern, die in der Tschechischen Republik halblegal erworben werden können, durchgeführt. Diese Sprengkörper mit Markennamen wie »Cobra« oder »Viper« sind äußerst gefährlich. Sie können sowohl durch die entstehende Druckwelle zu lebensgefährlichen bis tödlichen Verletzungen wie Lungenrissen führen, als auch durch die durch die Explosion entstehende Splitterwirkung, wenn sie zum Beispiel von außen an einer Fensterscheibe detonieren und sich im Zimmer Menschen befinden. Diese von solchen Sprengkörpern ausgehende Lebensgefahr ist auch allgemein bekannt, kursieren im Internet doch tausende von Videos, die Sprengversuche mit dieser Art Sprengkörper dokumentieren. Die Mitglieder der »Gruppe Freital« diskutierten solche Videos in ihrem internen Chatroom und führten auch selbst Sprengversuche durch.
Die Anschläge der Gruppe erfolgten mit einer ansteigenden Lebensgefährlichkeit für die Anschlagsopfer. Richteten sich die ersten Anschläge noch gegen Sachen, wurden schon bald Wohnungen ins Auge gefasst. Bei Anschlägen auf Wohnungen verwendete die Gruppe immer mehr Energie darauf, die Verletzungs- beziehungsweise Tötungswahrscheinlichkeit zu erhöhen. Beim Anschlag auf die Bahnhofstraße wurde der Sprengsatz nachts an einem Fenster der Wohnung gezündet, in der zwar nach Angaben des Angeklagten Patrick Festing Licht brannte, aber keine Menschen in dem Zimmer zu sehen waren. Beim Anschlag auf das Wohnprojekt war es unklar, ob sich in den Zimmern, in die Sprengsätze geworfen werden sollten, Menschen befinden. Allerdings wussten die AngreiferInnen, dass das Haus bewohnt war. Sie planten einen »Ablenkungsangriff«, um auf der anderen Hausseite die Scheiben unbemerkt einschlagen und unter anderem Sprengsätze, die mit mit Buttersäure gefüllten Glasflaschen verbunden waren, in die Zimmer zu werfen. Bei dem Anschlag auf die von Geflüchteten bewohnte Wohnung in der Wilsdruffer Straße wurden schließlich Sprengsätze an allen drei Fenstern der Wohnung gezündet, während Menschen in einem Zimmer sichtbar am Küchentisch saßen. Hier misslang der Mordversuch nur, weil die Geflüchteten die brennende Lunte sahen und das Zimmer unmittelbar vor der Explosion verlassen konnten.
Dass es den Mitgliedern der Gruppe gerade darauf ankam, ihre Opfer schwer zu verletzen oder zu töten, lässt sich an Diskussionen und Äußerungen in ihrem verschlüsselten Chat ablesen, an dem nur Gruppenmitglieder teilnehmen konnten. Mit offen neonazistischer und rassistischer Propaganda und menschenverachtenden Hassparolen wurde dort Geflüchteten, Nichtdeutschen oder Linken das Lebensrecht abgesprochen.
Die Gruppe
Der größere Teil der Gruppe war vorher nicht in Neonazi-Organisationen aktiv. Die beiden als mutmaßliche Rädelsführer verdächtigten Patrick Festing und Timo Schulz hingegen waren bereits vorher Teil organisierter Neonazi-Netzwerke. Der ursprünglich aus Hamburg stammende Schulz bewegte sich dort im Umfeld der inzwischen verbotenen »Weisse Wölfe Terrorcrew« und nahm regelmäßig an bundesweiten Neonazi-Aufmärschen teil. Patrick Festing war zeitweise in der Neonazi-Hooligan-Gruppe »Faust des Ostens« aktiv. Das jüngste Gruppenmitglied, Justin S., gab in den ersten Verhandlungstagen an, dass der Freitaler Stadtrat Dirk Abraham (NPD) ebenfalls Mitglied der Gruppe sei und der Angeklagte Knobloch zusätzlich Mitglied der »Freien Kameradschaft Dresden« war. Andere Gruppenmitglieder waren offensichtlich in der Dynamik der »Nein zum Heim«-Kampagnen und des gesellschaftlichen Rechtsrucks im Schnelldurchlauf radikalisiert worden.
Durch die Zusammenarbeit mit dem NPD-Mitglied Abraham dürfte die Gruppe mit Informationen aus der Stadtverwaltung versorgt worden sein, die Nähe zur FKD sorgte für regionale Unterstützung, Ansehen und Kontakte zu weiteren Strukturen. An überregionalen Aufmärschen wurde zum Teil geschlossen teilgenommen. Kontakte gab es offensichtlich auch zu einzelnen Polizeibeamten. So sagte ein Angeklagter gegenüber der Polizei aus, sie hätten Informationen von einem Beamten erhalten. Die daraufhin eingeleiteten Strafverfahren wurden zwischenzeitlich mit sächsischer Leichtigkeit eingestellt, hatten die verdächtigen Beamten die Vorwürfe doch »glaubhaft« bestritten.
Die Gruppe traf sich regelmäßig an einer Tankstelle gegenüber dem Polizeirevier, kümmerte sich aber bereits um die Anmietung von Räumen. Die interne Kommunikation erfolgte über ein Chatprogramm, mit dem verschlüsselte Kommunikation möglich war. Im dem so genannten »schwarzen Chat« wurde offen über Anschläge und Motive geschrieben.
Der Prozess
Der vorerst bis Ende 2017 angesetzte Prozess konnte schon nach wenigen Wochen zeigen, dass die sächsischen Neonazi-Netzwerke nicht an ihrer Stärke und ihrer Handlungsfähigkeit verloren haben. Bereits jetzt steht fest, dass die »Gruppe Freital« über die angeklagten Taten hinaus ihre politischen Ziele mit Gewalt umzusetzen versuchte. An den bislang 14 Verhandlungstagen sagten neben weiteren Zeugen lediglich zwei der Angeklagten aus. Der jüngste Angeklagte Justin S. ließ sich bereits am zweiten Verhandlungstag geständig ein und offenbarte das Ausmaß an Organisation und Vernetzung der Gruppe. Er sei gezielt angesprochen worden, sich von einer vermeintlich flüchtlingssolidarischen Gruppe abzugrenzen und sich dem Kreis um die übrigen Angeklagten anzuschließen. Identitätsstiftend für die Gruppe sei die Anti-Asyl-Bewegung, die gemeinsamen Treffen und der Zusammenhalt der Gruppe gewesen. Fast schon militärisch sei der Angriff auf das Dresdner Wohnprojekt geplant worden. Inzwischen sagte auch der Angeklagte Festing aus und gab an, dass sich sowohl Mitglieder der »Gruppe Freital« als auch Mitglieder der FKD an der Planung und Ausführung der Tat arbeitsteilig beteiligten. Beide Angeklagten gaben weitere Anschlagsziele, wie zum Beispiel das als Flüchtlingsunterkunft geplante Dresdner Oktoberfestzelt, und bereits zurückliegende Taten von Angeklagten bekannt.
Gleichzeitig gibt der Prozess einen erschreckenden Einblick in die »Sächsischen Verhältnisse«: Ein Zeuge, der den im selben Haus wohnenden Geflüchteten die Schuld dafür gibt, dass sein Wohnhaus durch die Angeklagten angegriffen wurde, PolizeibeamtInnen, die NS-Symbolik, flüchtlingsfeindliche Propaganda und RechtsRock als »nicht verfahrensrelevant« einstufen, ein Ermittlungsrichter, der seine Entscheidungen nach Bauchgefühl traf und eine Staatsanwaltschaft, die zwar willfährig die Arbeitsaufträge der Polizei bezüglich Durchsuchungs- und Überwachungsbeschlüssen erfüllt, jedoch die Augen vor gefestigten neonazistischen Strukturen verschließt und damit deren (potenzielle) Opfer bereitwillig in Gefahr bringt.
Wie lange der Prozess vor dem OLG Dresden dauern wird, ist ungewiss. Das Gericht lässt bereits jetzt erkennen, dass es gewillt ist, die Anklage konsequent abzuarbeiten. Bislang gelingt dies, was unter anderem an einer wenig strategisch agierenden Verteidigung liegt. Ob das Gericht und die Bundesanwaltschaft darüber hinaus an einer Aufklärung der gesellschaftlichen Ursachen, dem Versagen der sächsischen Ermittlungsbehörden, den polizeilichen Verstrickungen, dem unterstützenden Neonazi-Netzwerk aus anderen Gruppen und Parteimitgliedern und weiteren Taten der Gruppe interessiert sind, wird sich alsbald zeigen.
Was dieser Prozess jedoch leisten könnte, wäre einen Blick auf die konkreten Umstände und Strukturen zu eröffnen, die es derzeit ermöglichen, dass sich innerhalb weniger Monate militant agierende Neonazistrukturen bilden und in der Lage sind, sich zu vernetzen und sodann Taten zu begehen, die bewusst Menschenleben gefährden, um ihre politischen Ziele durchzusetzen.
Unter www.gruppe-freital-nebenklage.de berichten die VerfasserInnen aktuell über den Verlauf des Prozesses beim OLG Dresden.