Falsch abgebogen

von Lina Dahm
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 210 - September | Oktober 2024

Auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, was ein »richtiger Mann ist«, geraten einige junge Männer in einen Sumpf aus Queer- und Frauenfeindlichkeit. Extrem rechte Akteur*innen wissen das zu nutzen.

Antifa Magazin der rechte rand
Nazis gegen den CSD in Magdeburg am 24. August 2024.
© Mark Mühlhaus / attenzione

Kaum etwas hat Konservative, die christliche und die extreme Rechte in letzter Zeit so sehr in Rage versetzt wie die Olympia-Eröffnungsfeier Ende Juli in Paris. Der Grund für die wütenden Reaktionen war eine Szene mit queeren Künstler*innen, die viele Beobachter*innen fälschlicherweise für eine Aneignung von Leonardo da Vincis Bild »Das letzte Abendmahl« hielten. Die Empörung hätten sie sich sparen können, da als Inspiration das Bild eines Festmahls der Götter auf dem Olymp diente. Trotzdem schimpfte der Vatikan in einem Interview über »blasphemische Verhöhnung« und die rechte Kampagnenplattform »CitizenGo« startete die obligatorische Petition, um eine Entschuldigung des Internationalen Olympischen Komitees einzufordern. Der bayerische AfD-Funktionär Matthias Vogler sah in der Auftaktveranstaltung »das Zeichen des Untergangs der zivilisierten Welt« und die »Kölner Burschenschaft Germania« rief in den sozialen Netzwerken kurzerhand zur »Revolte gegen die moderne Welt« auf.

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Die Spiele waren schon vorbei, als der AfD-Abgeordnete Hans-Thomas Tillschneider aus Sachsen-Anhalt die Empörung in den sozialen Netzwerken in der ersten Plenarsitzung nach der Sommerpause jedoch noch einmal aufgriff und einen Antrag mit dem Titel »Queere Propaganda spaltet – Olympia muss verbinden« einbrachte. Der Antrag wurde abgelehnt, doch wie so oft ging es der AfD nicht um Zustimmung, sondern darum, Bühne und Redezeit zu nutzen, um Themen zu setzen. Dafür griff Tillschneider »tief in den rhetorischen Fundus faschistischer Kulturkämpfe«, wie Volker Weiß in der Süddeutschen Zeitung analysiert. In Paris hätten »Mann-Frau-Mischwesen die Zweigeschlechtlichkeit und damit die Grundlage menschlicher Existenz und die göttliche Schöpfungsordnung in Frage« gestellt, ätzte Tillschneider in seiner Rede, die das Präsidium fast schon stoisch hinnahm und von den Parlamentarier*innen inhaltlich nicht pariert wurde. Die Eröffnungsfeier sei »Ausdruck allerallerhöchster Dekadenz« und »reine Perversion« gewesen, die nur das Ziel gehabt habe, die »normale Bevölkerung« maximal zu provozieren. In der achtminütigen Rede präsentierte Tillschneider sich und seine Partei als einzige Kraft, die sich den dekadenten Abgründen des Westens ernsthaft entgegenstellen würde. Als Gegenmodell propagiert er stattdessen Zweigeschlechtlichkeit, Heterosexualität und traditionelle Geschlechterrollen die »gott-« oder »naturgegeben« seien.

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© Mark Mühlhaus / attenzione

Neues Aktionsfeld CSD-Paraden
Dass diese reaktionären Geschlechtervorstellungen kein Alleinstellungsmerkmal der AfD sind, zeigte sich knapp zwei Wochen vor Tillschneiders Rede in Sachsen. Dort hatten Neonazis unter dem Motto »Gegen Genderpropaganda und Identitätsverwirrung« gegen die Parade anlässlich des Christopher Street Days (CSD) in Bautzen mobilisiert und 650 überwiegend junge Männer auf die Straße gebracht. Die Bilder des rechten, pöbelnden Mobs gingen durch die Medien, weitere extrem rechte Mobilisierungen gegen CSD-Paraden in ostdeutschen Städten wie Leipzig, Magdeburg, Plauen, Zwickau oder Zeitz folgten. Für die extreme Rechte sind die Proteste gegen CSDs ein neues Aktionsfeld, das die eher zäh laufenden Mobilisierungen zum Gedenken an die alliierten Bombardierungen in Dresden oder zum 1. Mai ergänzen soll. Den Aufrufen gegen die queere Community folgten viele junge Männer, die augenscheinlich nicht der organisierten neonazistischen Szene zuzuordnen sind und die man habituell eher in Fußball-Kontexten verorten würde.

Auf der Suche nach der Männlichkeit
Parteistrukturen wie den »Jungen Nationalisten« und »Freien Sachsen« oder auch der Neonazi-Kameradschaft »Elblandrevolte« scheint es über die Brückenthemen Queerfeindlichkeit und Antifeminismus gelungen zu sein, ein neues Milieu anzusprechen und auf die Straße zu mobilisieren. Angesichts der antifeministischen Kampagnen gegen geschlechtersensible Sprache, Gendertheorien oder das Selbstbestimmungsgesetz überrascht das nicht. Attraktiv sind für viele zudem die klassischen Geschlechterrollen, welche die extreme Rechte propagiert und die vielen in unsicheren Zeiten Halt geben (sollen). Insbesondere für junge Männer, die sich in einer neoliberalen Leistungsgesellschaft abgehängt und überfordert fühlen, keine Partnerinnen finden oder schlicht auf Identitätssuche sind, werden die »Identitäre Bewegung« oder die »Elblandrevolte« zum Anziehungspunkt. In diesen Strukturen können sie sich gegenseitig ihrer Männlichkeit versichern und bekommen mit dem Narrativ, Feminist*innen würden ihnen ihre Männlichkeit nehmen, gleich noch die Schuldigen für ihre Misere serviert. Ein Ergebnis davon sind die Proteste gegen CSD-Paraden, wo erlebnisorientierte Jugendliche eine Möglichkeit zum Ausprobieren und nicht zuletzt auch ein Ventil für ihre Unzufriedenheit finden.


Die queere Community muss sich angesichts der neuen Bedrohung mit Schutzkonzepten auseinandersetzen und außerhalb der sogenannten bürgerlichen Mitte, wo antifeministische und queerfeindliche Positionen immer noch weit verbreitet sind, Allianzen suchen. Leipzig machte es vor. Dort waren es Antifaschist*innen, die mit ihrer Mobilisierung gegen die neonazistischen Proteste mit dazu beitrugen, dass der rechte Mob seinen Tag im Bahnhof weitab der CSD-Parade verbringen musste.