Brandenburg: Quellenschutz vor Aufklärung

von Svenna Berger und Sven Kames
Magazin "der rechte rand" - Ausgabe 162 - September 2016

Auch Brandenburg hat nun einen NSU-Untersuchungsausschuss, der nicht nur Verbindungen in die militante Neonazi-Szene, sondern auch die Rolle des Verfassungsschutzes klären soll. Denn die Schlapphüte hätten durch die Weitergabe ihrer Erkenntnisse die Taten womöglich verhindern können. Viel zu lange hat es gedauert. Im Juli 2016, bald fünf Jahre nach der Selbstenttarnung des »Nationalsozialistischen Untergrunds«, fand die konstituierende Sitzung des Untersuchungsausschusses im Brandenburger Landtag statt, allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Ab September soll es tatsächlich losgehen. Zehn Ausschussmitglieder von SPD, CDU, »Die Linke«, »Die Grünen« und auch der »Alternative für Deutschland« (AfD) sollen klären, ob und wie die Behörden durch »Handeln oder Unterlassen« die Bildung und Taten des Nazitrios und des militanten Neonazismus gefördert sowie die Aufklärung von rechten Straftaten be- oder verhindert haben.

In Brandenburg hat der NSU – zumindest soweit bekannt – nicht gemordet. Mit mindestens 28 Todesopfern steht das Bundesland jedoch bundesweit an trauriger Spitze der Statistik rechter Tötungsdelikte. Die frühen 1990er Jahre waren, wie in großen Teilen Ostdeutschlands, gezeichnet durch rassistische Ausschreitungen und Anschläge, rechte Jugendliche dominierten das Straßenbild, falsche und fehlende Konzepte prägten den Umgang von Jugendarbeit, Verwaltung, Politik und Polizei mit den Neonazis. Inzwischen wurde manches dagegen getan: Gelder flossen in die »Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus«, das Handlungskonzept »Tolerantes Brandenburg« als Leitbild der Landesregierung wurde verabschiedet, eine Antirassismusklausel in die Landesverfassung aufgenommen und als erstes Bundesland hat Brandenburg die staatliche Anerkennung der Todesopfer neu bewertet. Eine starke Zivilgesellschaft hat sich entwickelt. Ein Vorzeigeland, könnte man meinen.

Genug getan? Warum dann mit dem NSU beschäftigen? Ginge es nach der SPD, die hier seit 1990 in unterschiedlichen Koalitionen regiert, wäre eine Aufarbeitung des NSU im Rahmen eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses nicht notwendig gewesen. Stattdessen sollten die kritischen Stimmen mit einer öffentlichen Sitzung der Parlamentarischen Kontrollkommission im Landtag beruhigt werden. Die vorgetragene Abhandlung des Verfassungsschutzsprechers zur Geschichte des Geheimdienstes und über die schwierige Rekonstruktion, wie viele V-Leute denn überhaupt geführt worden seien, zeigte eindrücklich, dass Aufklärung so nicht zu leisten ist.
In München stehen im NSU-Prozess bald die Urteile an, andere Bundesländer sowie der Bundestag arbeiten seit mehreren Jahren an der Aufklärung. Der Landtag zieht nun, nach langem Zögern und immensen Widerwillen, nach. Überraschenderweise auf Druck der Oppositionsparteien CDU und »Die Grünen«, und nicht wie anderswo durch »Die Linke«, die an der Landesregierung beteiligt ist und scheinbar mehr Wert auf den Koalitionsfrieden legt. Auch Zivilgesellschaft und Wissenschaft hatten in der Vergangenheit auf einen Untersuchungsausschuss gepocht. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war die Weigerung des Innenministeriums, Akten an das Oberlandesgericht München freizugeben. Es ging um den V-Mann ‹Piatto›. Für Brandenburgs Verfassungsschutz galt nicht zum ersten Mal: Quellenschutz vor Aufklärung.

Neubewertung der letzten 25 Jahre

‹Piatto› war der Deckname des militanten Neonazis Carsten Szczepanski, der spätestens von 1994 an bis 2000 als Verfassungsschutzspitzel arbeitete. Seit 1998 soll er den Behörden mindestens fünfmal Auskunft über die abgetauchten Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe gegeben haben, darunter Informationen über deren Aufenthaltsort. Warum dies nicht zur Festnahme der drei – noch vor dem ersten Mord – geführt hat, soll der Untersuchungsausschuss herausfinden. Die Behörden, allen voran ‹Piattos› V-Mann-Führer, der heutige Chef des Sächsischen Verfassungsschutzes Gordian Meyer-Plath sowie der Beamte mit dem Decknamen »Reinhardt Görlitz«, müssen sich dafür verantworten. Doch allzu viel ist nicht zu erwarten. Zu ‹Piatto› im Bundestags-Untersuchungsausschuss befragt, sagte Meyer-Plath, dass dessen Arbeit »aus Sicht des Beschaffers« positiv zu bewerten sei. Er habe die »Früchte gern geerntet« und sei zufrieden, dass Szczepanski während seiner Zuträgertätigkeit zu einer wichtigen Szenegröße geworden wäre. Der Westberliner Neonazi, später vor allem in Königs Wusterhausen aktiv, war Anfang der 1990er Jahre einer der umtriebigsten Aktivisten: »Nationalistische Front«, »Ku-Klux-Klan«, »Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene und deren Angehörige« (HNG). Zudem stand er dem »Blood & Honour«-Netzwerk nahe und gab die Zeitschrift »United Skins« heraus, gründete das Fanzine »Der Weisse Wolf« mit. In letztgenanntem Heft wurden 2002 »Grüße an den NSU« abgedruckt. 1995 wurde Szczepanski wegen versuchten Mordes an dem nigerianischen Asylbewerber Steve Erenhi im Jahr 1992 zu acht Jahren Haft verurteilt. Wohl aufgrund seiner Spitzeltätigkeit erhielt er schnell Hafterleichterungen und kam bereits 1999 auf Bewährung frei.

Doch er ist nicht die einzige Verbindung nach Brandenburg, genauer: zum hiesigen Verfassungsschutz. Ein weiterer V-Mann ist der Gubener Neonazi Toni Stadler. Er musste im April wegen vermuteter