Der gefährlichste Impfgegner der Welt
von Oliver Rautenberg
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 214 - Mai | Juni 2025
#Kennedy
Robert Francis Kennedy Jr. trägt einen Namen, der in den USA fast mythisch ist. Als Sohn des ermordeten US-Justizministers Robert F. Kennedy und Neffe des ebenfalls ermordeten Präsidenten John F. Kennedy wuchs er in einer Familie auf, die für viele als moralischer Kompass einer ganzen Nation galt. Doch mit dem Aufstieg von Robert F. Kennedy Jr. zum Gesundheitsminister der Vereinigten Staaten im Kabinett Donald Trumps hat dieser Name eine neue, zutiefst verstörende Bedeutung erhalten. Kennedy ist nicht nur Politiker, Umweltanwalt und Autor – er ist vor allem das Gesicht der modernen Impfgegner*innen-Bewegung. Während viele ihn einst als engagierten Umweltaktivisten schätzten, gilt er heute unter Wissenschaftler*innen und Gesundheitsexpert*innen als einer der gefährlichsten Verbreiter von Falschinformationen im Bereich der Medizin.

© US Department of Health
Zwischen Glanz, Tragik und Radikalisierung
Kennedys Lebenslauf beginnt klassisch: Studium in Harvard, ein Jurastudium an der University of Virginia, später ein Abschluss an der London School of Economics. Nach einer Zeit der persönlichen Krisen – unter anderem wegen Drogenproblemen, die zu einer Verurteilung führten – wandte er sich erfolgreich dem Umweltrecht zu. Mit Organisationen wie »Riverkeeper« und später der »Waterkeeper Alliance« setzte er sich für sauberes Wasser und gegen Umweltverschmutzung ein. In diesen Jahren galt er als charismatischer Hoffnungsträger, als moderner Kennedy, der an den politischen Idealismus und den Aufbruchsgeist der frühen 1960er-Jahre anknüpfte.
Doch ab den frühen 2000er Jahren begann eine ideologische Verschiebung, die zunächst kaum öffentlich auffiel. Kennedy veröffentlichte 2005 einen Artikel, in dem er behauptete, ein Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus werde vertuscht. Die These war bereits damals wissenschaftlich widerlegt – doch Kennedy blieb nicht nur dabei, im Gegenteil: Er radikalisierte sich weiter.
Der Schulterschluss mit Wakefield
Ein entscheidender Wendepunkt in Kennedys Entwicklung war sein Zusammenschluss mit dem britischen Arzt Andrew Wakefield, der 1998 in einer inzwischen als Betrug entlarvten Studie einen Zusammenhang zwischen der MMR-Impfung (Masern, Mumps, Röteln) und Autismus behauptete. Wakefields Studie wurde zurückgezogen, seine Zulassung als Arzt entzogen – doch in den Kreisen alternativer Medizin und verschwörungsgläubiger Impfkritiker*innen wurde er zum Märtyrer stilisiert. Kennedy übernahm nicht nur Wakefields Thesen, sondern trat mit ihm gemeinsam auf Impfgegner*innen-Konferenzen auf und verbreitete dessen Narrative. Er bezeichnete Impfstoffhersteller als »Mörder« und regierungsnahe Gesundheitsbehörden als »Komplizen eines großen Komplotts gegen unsere Kinder«. Über die von ihm geleitete Organisation »Children’s Health Defense« wurde er zu einer zentralen Figur der »Anti-Vax«-Bewegung in den USA. Die Non-Profit-Organisation verbreitete insbesondere während der COVID-19-Pandemie massenhaft Falschinformationen – und das mit beachtlicher Reichweite.
Kennedys Impfgegnerschaft blieb nicht bei einzelnen Aussagen stehen. Er entwickelte eine umfassende Verschwörungstheorie über einen angeblichen »Krieg gegen die Gesundheit«, in dem korrupte Wissenschaft, Pharmaindustrie und Regierungen zusammenarbeiteten, um Menschen zu vergiften, zu kontrollieren und krank zu halten. Impfstoffe, 5G, Glyphosat, WLAN – in seinen Vorträgen war kein Thema zu abwegig, um nicht unter dem Label der Gesundheitsgefahr zu landen. Seine verschwörungsideologische Linie wurde spätestens dann zur Staatsaffäre, als Donald Trump ihn 2025 zum Gesundheitsminister ernannte. Bereits zuvor hatte Kennedy mit einer Präsidentschaftskandidatur als Demokrat begonnen, diese jedoch aufgegeben, um unter dem Slogan »Make America Healthy Again« (MAHA) die politische Rechte zu mobilisieren.
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Masernausbruch in Texas
Im Frühjahr 2025 zeigten sich die Folgen dieser Politik auf tragische Weise. In mehreren US-Bundesstaaten kam es zu einem massiven Masernausbruch – besonders in Texas. 702 Fälle wurden bis April registriert, zwei Kinder starben. Der gemeinsame Nenner: Fast alle Betroffenen waren ungeimpft. In Teilen von Texas lag die Impfquote unter 70 Prozent, an mindestens 20 Schulen sogar unter 50. Die sogenannte Herdenimmunität – erreichbar ab etwa 95 Prozent Impfquote – war nicht zu erreichen. Der neue Gesundheitsminister reagierte darauf nicht mit einer Empfehlung zur Impfung, sondern mit der absurden Behauptung, Vitamin A und Lebertran seien geeignete Alternativen zur Prävention. Tatsächlich wurden bei erkrankten Kindern vermehrt Leberschäden festgestellt – vermutlich durch eine Vitamin-A-Überdosis. Studien, die Kennedy als Beleg zitiert, stammen aus Entwicklungsländern mit massivem Vitamin-A-Mangel und sind nicht auf die USA übertragbar.
Eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit
Trotz der eskalierenden Situation hält Kennedy an seiner Linie fest. In einer Kabinettssitzung im März kündigte er an, man werde »die Ursache der Autismus-Epidemie bis September finden« – und ließ durchblicken, dass er erneut Studien fördern will, die Wakefields diskreditierte Thesen untermauern sollen. Autismus ist jedoch keine Krankheit, sondern eine »komplexe und vielgestaltige neurologische Entwicklungsstörung«, wie der Bundesverband Autismus Deutschland betont. Expert*innen schlagen Alarm: »Kennedy ist nicht nur wissenschaftlich inkompetent, er ist eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit«, schrieb das New England Journal of Medicine. Inzwischen mehren sich sogar Zweifel an Kennedys geistiger Gesundheit. In einem Interview erwähnte er, ein Parasit habe möglicherweise Teile seines Gehirns befallen. Bei einer Rede vor der US-Lebensmittelbehörde FDA im April raunte er vom »Deep State«, einer Art Geheimregierung, die an der »Gedankenkontrolle« arbeite.
Privatleben und Karriere Kennedys sind geprägt von Brüchen. Er war dreimal verheiratet, ist Vater von sechs Kindern und ein leidenschaftlicher Fliegenfischer und Redner. Seine heisere Stimme, Folge einer neurologischen Erkrankung, hat er zum Markenzeichen gemacht. Robert F. Kennedy Jr. ist ein tragisches Beispiel dafür, dass weder ein großer Name, eine solide Ausbildung, eine frühe Karriere und persönlicher Reichtum vor einem radikalen Abstieg in die Welt der Desinformationen schützen. Seine Geschichte ist die verpasster Chancen, gefährlicher Ideologien – und einer beispiellosen Verantwortungslosigkeit in einem Amt, das Leben retten soll. So behauptet er, dass es keinen Impfstoff gebe, der sicher und effektiv sei.
Was bleibt, ist der bittere Kontrast zwischen dem Kennedy-Namen – Symbol für Fortschritt, Gerechtigkeit und Moderne – und dem Mann, der heute an der Spitze des amerikanischen Gesundheitssystems steht und gezielt die Grundlagen der modernen Medizin zerstören will. Darin sind sich Kennedy und Trump einig: Kürzlich entließ der US-Präsident rund 20.000 Mitarbeiter*innen aus der Lebensmittelbehörde FDA, der Seuchenbehörde CDC und den nationalen Gesundheitsinstituten. Laut dem Gesundheitsminister werden zahlreiche Lebensmittelkontrollen weitgehend eingestellt. So sollen beispielsweise bei Geflügel umfangreiche Tests auf Salmonellen entfallen und die Produzenten nicht länger zu deren größtmöglicher Reduzierung verpflichtet werden.