Eine neue »Querfront«?

von Richard Gebhardt


Magazin "der rechte rand" Ausgabe 169 - November 2017

Zur Modernisierung rechter Kapitalismuskritik durch Benedikt Kaiser.

Magazi der rechte rand Ausgabe 169

Screenshot von »sezession.de«

 

Die »Neue Rechte« steht, nachdem sie jahrelang wenig beachtet in ihren »Rittergütern« wirkte, wieder im Fokus der Öffentlichkeit. Sie wird beflügelt vom Erfolg der »Alternative für Deutschland« (AfD), die vielfach als parlamentarischer Arm der »metapolitisch« orientierten Epigonen der »Konservativen Revolution« agiert. Berauscht von der medialen Resonanz auf die Aktionen der »Identitären Bewegung« (IB), wähnt sich das rechtsintellektuelle Milieu um den Autor und Verleger Götz Kubitschek als Avantgarde. Auffällig ist jedoch, dass die »Neue Rechte« nur selten über wirtschafts- und sozialpolitische Schlüsselfragen nachdenkt. Die völkische Vorhut hat in ökonomischen Debatten wenig zu bieten. Hier fällt sie weit hinter linke Theoriebildung zurück. Ihre Kritik der herrschenden Verhältnisse ist maßgeblich eine raunende Kulturkritik, eine seit Jahrzehnten endlos variierte Klage über den durch die Studentenrevolte von 1968 ausgelösten Werteverfall und westliche Dekadenz.

»Soziale Frage« wiederentdecken
Eine Ausnahme unter den zeitgenössischen Autoren der »Neuen Rechten« ist der 1987 geborene Politikwissenschaftler Benedikt Kaiser, der für Kubitscheks Verlag »Antaios« als Lektor arbeitet und regelmäßig für die vom »Institut für Staatspolitik« herausgegebene Zweimonatszeitschrift »Sezession« schreibt. In einem Gespräch über »Armut und soziale Gerechtigkeit« (»Sezession«, Nr. 77) hält Kaiser, der in Chemnitz studierte, gegenüber seinem Diskussionspartner, dem Chefredakteur der Website »Blaue Narzisse«, Felix Menzel, nüchtern fest, dass beide in einer Zeitschrift disputieren, die »ansonsten kaum ökonomische Themen behandelt«. Für die deutsche Rechte ist die Ökonomie ein Randthema. Kaiser, Autor unter anderem des Buches »Eurofaschismus und bürgerliche Dekadenz. Pierre Drieu la Rochelle« (»Regin Verlag«, 2011), steht hingegen in der französischen Traditionslinie von Alain de Benoist, dem Begründer der »Nouvelle Droite«. Wie Benoist arbeitet Kaiser an der Erweiterung einer neurechten Perspektive auf genuin wirtschafts- und sozialpolitische Themen. In der österreichischen Zeitschrift »Die Neue Ordnung« veröffentlichte Kaiser beispielsweise neun Thesen zum »Ende der linken Hegemonie« (Nr. 3/2016). In These acht heißt es: »Die Rechte wird die soziale Frage wiederentdecken oder sie verpasst eine historische Chance«. Auch die »Sezession« hat rechter Kapitalismuskritik zuletzt verstärkt Raum geboten. Kaiser ist hier Hauptautor für diese Fragen. In der Ausgabe 71 veröffentlichte er beispielsweise einen Grundsatzartikel über die »offenen Flanken des Antiimperialismus«. Er plädiert für einen »zeitgemäßen Antiimperialismus«, der »Kapitalismuskritik, Interventionskriege und Migrationsbewegungen« kritisch untersuchen müsse. Seine Überlegungen hat Kaiser in dem 2017 in der Reihe »kaplaken« im Verlag »Antaios« erschienenen Büchlein »Querfront« zusammengefasst. Es weist ihn als intensiven Exegeten linker Literatur aus.

Antiimperialismus?
Für Thomas Wagner, Verfasser des streitbaren Buchs »Die Angstmacher. 1968 und die Neuen Rechten« (»Aufbau-Verlag«, 2017), ist Kaiser ein »kluger analytischer Kopf«. Und tatsächlich lässt sich an den Beiträgen von Kaiser eine Neuakzentuierung rechter Ideologiebildung nachzeichnen. Was aber ist neu an dieser Variante der Kapitalismuskritik – und wie sollen Linke darauf reagieren? Mit Recht weist Wagner, der für eine »argumentative Auseinandersetzung« mit der »Neuen Rechten« plädiert, darauf hin, dass sich Kaiser in seinen Texten deutlich vom Tonfall des völkischen »Antikapitalismus« der NPD oder der »Kameradschaften« absetzt. Ein »komplexes Gefüge« wie der »warenproduzierende Kapitalismus und dessen bürgerliche Gesellschaft« könne nicht »durch das Feindbild ‹Jude› erklärt« werden, schreibt Kaiser in seiner 2011 erschienenen Studie zum französischen Schriftsteller Pierre Drieu La Rochelle (1883-1945), einem Wortführer des französischen Faschismus. Kaiser kritisiert darüber in »Querfront« zudem »die Vernachlässigung wirtschaftlicher und außenpolitischer Implikationen« durch eine Rechte, die den von Renaud Camus beschworenen »großen Austausch« der autochthonen Bevölkerung primär »dem Islam« oder den »Multikultis« anlastet. Kaiser argumentiert stattdessen in scharfer Gegnerschaft zum Neoliberalismus und polemisiert gegen die Macht multinationaler Konzerne. Für eine »Identitäre Bewegung«, die statt den Aktionärsversammlungen der Großkonzerne lieber Baustellen für Moscheen besetzt, ist dies vielleicht eine provozierende Einsicht. Doch das Spiel mit dem Marxschen Vokabular, mit dem MigrantInnen als »industrielle Reservearmee« des Kapitals bezeichnet werden, kann ebenso wenig wie der vielfach positive Rekurs auf die Arbeiten von Sahra Wagenknecht, Chantal Mouffe oder Slavoj Žižek darüber hinwegtäuschen, dass Kaiser für eine dezidiert rechte Theoriebildung wirbt. Ein wahrhaftiger »Antiimperialismus« müsse, schreibt Kaiser in der »Sezession«, »zwangsläufig ins Rechte übergehen, wenn er konsequent zu Ende gedacht wird«. Er betont die Gegnerschaft zu NATO, USA und transnationalen Konzernen und konstatiert, ähnlich wie der 2014 verstorbene Autor der Zeitung »Junge Welt«, Werner Pirker, die Abkehr breiter Teile der Linken vom Antiimperialismus. An dessen Stelle sei eine Bejahung des »Westens« und seiner »Menschenrechtskriege« getreten. Kaiser formuliert so eine Kritik des »rot-grünen Projekts«, die Zustimmung auch außerhalb seines politischen Zirkels finden kann. Ausdrücklich wendet er sich gegen den »Angriffskrieg gegen Serbien«, den er als »Imperialismus Marke Bundesrepublik« geißelt. Die Syrienpolitik der USA wird geostrategisch als Kampf um Öl, Gas, Wasser und Transportwege eingeordnet.

Nationale und soziale Rechtspartei
Allerdings blendet Kaiser nicht nur den Protest von Teilen der rot-grünen Basis gegen die Ideologie der »Menschenrechtskriege« aus. Seine Polemik trifft sich mit jenen Linken, die eine Abkehr vom Antikapitalismus und Antiimperialismus sowie eine Hinwendung zur postmodernen Identitätspolitik beklagen. Aufgrund dieses diagnostizierten Paradigmenwechsels in der Linken ist Kaisers kleine Schrift auch kein Aufruf zu einer Querfront, die auch aus seiner Sicht von den »linken Leuten von rechts« der Weimarer Republik bis hin zum Strasser-Flügel der NSDAP historisch gescheitert ist. Er will mit der Linken nicht kooperieren, sondern eigene Inhalte setzen. In »Querfront« heißt es exemplarisch, die »Neue Rechte« müsste sich von »neokonservativ-neoliberalen Vorstellungswelten« absetzen und sich gegen die »Vorherrschaft des Westens«, also die »universale Islamfeindschaft, libertäre Marktgläubigkeit und konservative Kapitalismusaffirmation« stellen. Er plädiert für eine »Neue Rechte«, die die »soziale Frage wieder als ureigenes Sujet entdeckt«. In der »Neuen Ordnung« wendet sich Kaiser in seinen Thesen klar gegen den damals noch mit Frauke Petry verbundenen neoliberalen Flügel der AfD und nennt den französischen »Front National« (FN) als Gegenbeispiel. Er verkörpere den Prototyp einer nationalen und sozialen Rechtspartei.

»Völker« gegen Kapital
In »Querfront« fordert Kaiser eine »Neue Rechte«, die »in der Lage ist, die größeren politökonomischen Zusammenhänge beim großen Austausch und der aktuellen Lage des Finanzmarktkapitalismus zu analysieren und Gegenentwürfe zu entwickeln«. Eine »solche Neue Rechte« habe »es nicht nötig, auf der linken Seite nach Partnern für eine Querfront zu suchen«. Die Linke habe, so Kaiser, keinen Bezug zur Bedeutung der Nation im Rahmen der »kapitalistischen Globalisierung«, sie betrachte nationale Traditionen als Erfindungen und denunziere Patriotismus als Ressentiment. Aufgrund ihrer elitär-linksliberalen Minderheitenpolitik habe sie den Kontakt zum »Kleinen Mann« verloren. Die »eklatanten Widersprüche des liberaldemokratischen Kapitalismus« blieben von der Linken unerkannt. Kaiser übersieht, dass ein Streit um diese Gegensätze seit jeher zur linken Theoriebildung gehört. Die Widersprüche des Nationalen waren schon für die frühen KommunistInnen Thema. Ein Theorie-Surrogat von rechts ist zur Klärung verzichtbar. Zudem wird in der Linken bis heute den – von der »Neuen Rechten« negierten – Klassengegensätzen Bedeutung zugewiesen. Rechte Autoren kennen de facto aber keine Klassen. Auch bei Kaiser bleiben die Gegenspieler der Konzerne letztlich homogen gedachte »Völker«. Deutlich wird das in seiner Auseinandersetzung mit dem Linkspopulismus (»Querfrontpotential? Populismus bei Mouffe und Laclau«, »Sezession«, Nr. 79). Mit Verweis auf Benoist argumentiert Kaiser, dass »ein Volk nicht nur« wie beim linken Populismus von Chantal Mouffe und Ernesto Laclau »im Sinne von Demos, sondern auch (aber wiederum nicht ausschließlich) im Sinne von Ethnos« existiert. Die »Stunde des Populismus« – so der Titel einer Studie des IfS, die Kaisers Handschrift trägt – könne eine kosmopolitische Linke nicht nutzen, da ihr das »Volk« letztlich fremd geworden sei. Protest gegen die »alternativlose Logik des Marktes« könne deshalb von einer »rechten Intelligenz« übernommen werden.
Thomas Wagner vermerkt in »Angstmacher« treffend, dass sich ein »neu-rechter« Intellektueller wie Kaiser bei diesen Überlegungen fast nur bei linken AutorInnen bedienen kann, da explizit ökonomische Krisendiagnosen von rechts Mangelware sind. Was Kaiser formuliert, ist ein identitäts- und sozialpopulistisches Konzept für einen deutschen FN. Einer deutschen Variante steht aber der national- beziehungsweise neoliberale Teil der AfD entgegen. Das »Volk« des Rechtspopulismus agiert in Fragen der Ökonomie und des Eigentums nicht homogen und reagiert allergisch auf linke Traditionen. Kaisers Marx-Rezeption bleibt, wie schon bei Benoist, eine Aneignung des Vokabulars. Seine Position geht trotz seiner »Modernisierung« der Kapitalismuskritik – die zuvorderst eine antiliberale Akzentverschiebung in der Gegnerbestimmung ist – nicht über die »Krankheitsmetapher« (Volker Weiß) des Arthur Moeller van den Bruck hinaus. »An Liberalismus gehen die Völker zugrunde«, heißt es exemplarisch beim »konservativen Revolutionär« Arthur Moeller van den Bruck.

Europa der Regionen
Bei Kaiser definiert sich die »neu-rechte« Kapitalismuskritik über die Frontstellung gegen den modernen Liberalkapitalismus, dem – idealtypisch gesprochen – ein »farbenblindes« Interesse an der Verwertung der Ware Arbeitskraft eigen ist. Nicht Herkunft, sondern Qualifikation ist für dieses Verwertungsinteresse entscheidend. Deshalb geht der moderne Liberalkapitalismus mit der Forderung nach Migration von hochqualifiziertem Personal sowie kostengünstiger Niedriglohnsektoren, in die auch MigrantInnen eingebunden werden können, einher. Gegen diese »transnationalen« Forderungen setzt der »neu-rechte Antikapitalismus« die Beschwörung eines Europas der Regionen. Dieser »Antikapitalismus« erstreckt sich in der ideologischen Agitation gegen die Konsequenzen eines »farbenblinden« Liberalkapitalismus. Gegen dessen Forderung nach Diversity läuft die alte und die neue Rechte Sturm. Dem transnationalen High-Tech-Kapitalismus wird auch bei Kaiser vor allem die Auflösung der nationalen und »volklichen« Identitäten vorgeworfen. Hier geht Kaiser nicht über klassische Kapitalismuskritik von rechts hinaus.
Für eine Linke, die im Sinne einer »Gleichfreiheit« (Étienne Balibar) die soziale Frage mit den »kleinen Kämpfen« der gesellschaftlichen »Minderheiten« verbinden will, bietet Kaisers Frontstellung gegen den Neoliberalismus keine Anknüpfungspunkte. Der von Thomas Wagner geforderten »ernsthaften Auseinandersetzung« ist Genüge getan, wenn die Autoren der »Neuen Rechten« auf Grundlage ihrer Argumentation analysiert werden. Diese Auseinandersetzung bedarf keiner gemeinsamen Podien. Kaiser hat seinen Standpunkt als »französisch« denkender Autor, der noch eine Ausnahmefigur in der sozialpolitisch meist begriffsblinden »Neuen Rechten« ist, ausführlich dargelegt. Eine Kritik auf dieser Grundlage reicht zur Schärfung antifaschistischer und linker Positionen. Praktisch bedient seine rechte Kapitalismuskritik bestenfalls jene »antiimperialistische« Linke, die in ihren Querfront-Karikaturen gegen den gemeinsamen Feind – die USA und der Neoliberalismus – fast jeden Partner akzeptieren würden.