Rechter Tumult in der Debatte

von Lucius Teidelbaum
Magazin "der rechte rand" - Ausgabe 162 - September 2016

Das seit 1979 existierende Magazin »Tumult« ist ein vierteljährlich erscheinendes Debattenmagazin mit Aufsätzen, Essays, Gedichten und Erlebnisberichten, das sich an eine akademische LeserInnenschaft wendet. Laut Selbstdarstellung versteht man sich als »unabhängiges Organ der Gegenwartserkundung fernab akademischer und volkspädagogischer Sprachregelungen« und richtet sich gegen einen angeblich wachsenden »Konsensdruck in der öffentlichen Meinung«.

Herausgegeben wird das Magazin von Dr. Frank Böckelmann (Jahrgang 1941), einem ehemaligen Aktiven der außerparlamentarischen Linken aus Dresden. Böckelmann war Anfang der 1960er Jahre Mitbegründer der »Subversiven Aktion«, Wortführer der »antiautoritären Fraktion« im »Sozialistischen Deutschen Studentenbund« (SDS) München und initiierte eine »Studiengruppe für Sozialtheorie«. Spätestens ab 1998 setzte bei ihm eine Wende zur politischen Rechten ein. 2002 unterzeichnete er einen Appell der »Jungen Freiheit« (JF) und trat 2014 als Referent für die JF-nahe »Bibliothek des Konservatismus« in Berlin auf.


Die »Tumult«-AutorInnen

Laut Angabe des Magazins haben 96 AutorInnen in den meist etwa 100 Seiten starken Ausgaben publiziert. Bei weitem nicht alle AutorInnen können der »Neuen Rechten« oder ihrem Umfeld zugerechnet werden. Einige Beiträge, etwa von Carl Schmitt, Peter Furth oder Hans Magnus Enzensberger, sind Neuauflagen älteren Datums. Mit Benjamin Jahn Zschocke (»Blaue Narzisse«), Thor Kunkel (»eigentümlich frei«), Siegfried Gerlich (Autor und Herausgeber im »Sezession«-Verlag »Antaios«), Sebastian Hennig (JF, »Sezession« und »Compact«-Magazin) tauchen auch einige bekannte Publizisten der »Neuen Rechten« auf. Auch die ehemaligen Geschichtsprofessoren Ernst Nolte und Egon Flaig sowie der Extremismustheorie-Vorkämpfer Lothar Fritze, der dem Hitlerattentäter Georg Elser das moralische Recht für den Anschlag absprach, greifen für »Tumult« zur Feder. Mit Andreas Lombard (ehemals Andreas Krause) findet sich ein ehemaliger Mitarbeiter der Berliner Zeitung und Träger des jährlich von der JF verliehenen Gerhard-Löwenthal-Preises unter den AutorInnen. Hinzu kommen rechte Konservative wie Lorenz Jäger, einst von Habermas als »Rechts-Außen der deutschen Feuilletons« bezeichnet, oder die CDU-Rechtsaußen Vera Lengsfeld.

Gegen Flüchtlinge und »Schuldkult«

Auch von den bisher politisch unauffälligen »Tumult«-AutorInnen stammen Texte mit deutlich rechter Stoßrichtung, wie die Herbstausgabe 2015 und die Frühjahrsausgabe 2016 verdeutlichen. So führt der Schriftsteller und Büchner-Preisträger Reinhard Jirgl die Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen auf einen angeblich in Deutschland vorherrschenden »Schuldkult« und die »Kollektivschuld-These« zurück. Der Jurist Wolfgang Hetzer springt Jirgl bei und beklagt: »Beim Quietschen der sich rhetorisch öffnenden Tore von Auschwitz kann man dann oft kaum sein eigenes Wort hören.« Bereits im Vorwort der Ausgabe Winter 2015/16 legte Böckelmann diese Linie fest: »Die Immigranten wenden die Hypermoral, zu der sich viele Deutsche in eitler Selbstlosigkeit aufschwingen, gegen die deutschen Institutionen. Viele Deutsche hat die fortgesetzte Mahnung an jene einen zwölf Jahre in ihrer Vorgeschichte geschichtslos gemacht.«
Der ehemalige »Die Welt-»Kolumnist Matthias Matussek schreibt im Frühjahr 2016: »Die Flüchtlingsbombe detonierte im September 2015, als die Trecks der Elenden vor der Grenze Ungarns gestrandet waren und erst mit dem Versprechen der Bundeskanzlerin auf Asyl weiterrücken konnten.« Der Dozent Albrecht Goeschel vermutet eine Verschwörung und orakelt: »In Zeiten ‹verdeckter Aktionen› von Geheimdiensten, Söldnerfirmen und Nichtregierungsorganisationen auch in Europa ist es durchaus vorstellbar, dass die ‹Sex-Mob›-Attacke an Silvester und mehreren Großstädten, bei der so ganz und gar keine oder jedenfalls nicht genug Polizei zur Verfügung stand, nicht wie eine Naturkatastrophe über uns hereinbrach.«
Der Soziologe Alexander Schuller führt die Aufnahme von Flüchtlingen auf die Kriegsniederlage 1945 zurück und beklagt neben dem vermeintlichen »Auschwitz-Wahn der Deutschen«: »Der 8. Mai war in diesem Sinne der totale Identitätsverlust. (…) Seither ist Auschwitz das einzige Identitätsmerkmal, das den Deutschen geblieben ist.«
Die in der Herbstausgabe 2015 zu verzeichnende Verschärfung der Tonlage des Magazins hatte zur Folge, wie Böckelmann im Frühjahr 2016 beklagte, dass 30 bis 40 Prozent der AutorInnen absprangen. Zudem zog sich Horst Ebner, Mitherausgeber und Redaktionsmitglied seit 2009, zurück. Seit der Frühjahrsausgabe 2016 kooperiert das Magazin mit dem Berliner »Wolff Verlag«, der 2008 von dem Verleger Robert Eberhardt gegründet worden war. Im regelmäßig vom »Wolff Verlag« veranstalteten »Jungen Salon« konnte 2015 Götz Kubitschek zum Thema »Warum rechts sein?« vortragen.

Fazit: MUT 2.0

Hans Hütt bezeichnete in »Die Zeit« das Magazin als »intellektuelles Freikorps«. Böckelmanns Aussage, dass man sich in einem »geistigen Bürgerkrieg« befinde, kann sinnbildlich als Bestätigung dieser Einschätzung und zugleich als Ausdruck der sich nach rechts radikalisierenden, anti-pluralen Intellektuellen verstanden werden. Der zu beobachtende Diskurs in den genannten Ausgaben weist deutliche Parallelen zu den Debatten der »Neuen Rechten« um eine ‹selbstbewusste Nation› Deutschland auf. Als rechtes Magazin mit elitärem Anspruch ist »Tumult« so etwas wie der Nachfolger des in die Mitte gerückten Magazins »MUT«.