Rechte Russlanddeutsche – alte Bekannte

von Lara Schultz

Magazin »der rechte rand« - Ausgabe 161 - Juli 2016

seite_28-29_russlanddeutsche

Der erfundene Überfall von »Flüchtlingen« auf Lisa aus Marzahn brachte das Mobilisierungspotenzial der russlanddeutschen Community für rassistische Anliegen ans Licht. Beim genaueren Hinsehen zeigt sich: Die Akteure sind größtenteils alte Bekannte.

Seit 1950 sind rund 2,5 Millionen Menschen aus der Sowjetunion und deren Nachfolgestaaten als AussiedlerInnen oder SpätaussiedlerInnen in die Bundesrepublik gekommen. 10.000 von ihnen gingen laut der Schätzung von Albrecht Kolthoff im Rahmen der rassistischen »Lisa«-Kundgebungen Ende Januar 2016 auf die Straße. Auslöser hierfür: Die 13-jährige russlanddeutsche Lisa aus Marzahn war eines Tages nicht nach Hause gekommen und hatte im Nachgang ihren Eltern die Geschichte einer Entführung und Vergewaltigung durch »arabischstämmige Flüchtlinge« aufgetischt. Diese Nachricht beherrschte tagelang russische und russischsprachige Medien, führte zu diplomatischen Spannungen zwischen Deutschland und Russland und rassistischen Kundgebungen im gesamten Bundesgebiet. In Berlin zum Beispiel hatte Genrih Grout (amtliche Schreibweise) / Heinrich Groth (eigene Schreibweise) eine Kundgebung angemeldet, deren Organisator der »Internationale Konvent der Russlanddeutschen« war. Im Internet schreibt Grout nach der Veranstaltung: »Das war der erste Sieg der russisch-deutschen Gesellschaft Berlins beim Vertreten ihrer gemeinsamen Interessen.«

Tatsächlich: Dass an einem Wochenende 10.000 überwiegend Russlanddeutsche bundesweit auf die Straße gehen, ist ein neues Phänomen – wobei man feststellen muss, dass sich in der Mehrheitsbevölkerung vor allem durch PEGIDA längst die Bereitschaft etabliert hat, rassistische Ressentiments auf der Straße zu manifestieren.

Grout weiß, was dieses Mobilisierungspotenzial wert ist. Seit Jahren nimmt er für sich in Anspruch, die Interessen der Russlanddeutschen zu vertreten – immer im Fahrwasser der extremen Rechten. Bereits in der Sowjetunion war Grout als Vorsitzender der »Allunionsgesellschaft der Sowjetdeutschen ‹Wiedergeburt› für Politik, Kultur und Bildung« politisch aktiv. Der »Internationale Konvent der Russlanddeutschen« sieht sich als deren Nachfolger und betreibt laut Grout nach wie vor die Homepage »genosse.su«. 2006 kandidierte Grout für die extrem rechte »Offensive D« in Marzahn-Hellersdorf. 2011 äußerte er in der »Volksdeutschen Stimme«, dem Sprachrohr der »National-Konservativen Bewegung der Deutschen aus Russland«, seine antisemitischen Ansichten: Die Analyse von verschiedenen Materialien »ermöglicht es uns, von einem jüdischen Faktor zu sprechen, der Einfluss ausgeübt hat über die von der Führung der UdSSR getroffene Entscheidung zur Deportation sowohl der Krimtataren als auch der Wolgadeutschen«.

Russlanddeutsche in der NPD

Auf der Seite »genosse.su« wird auch Andrej Triller als Autor genannt. Dieser war 2008 Mitbegründer des »Arbeitskreises der Russlanddeutschen in der NPD«. Um die »Interessen des Vaterlandes« zu vertreten, traten mehrere Russlanddeutsche um Triller in die NPD ein. Schon früher hatte die NPD sich um die Gunst einer russlanddeutschen WählerInnenschaft bemüht. 2003 richtete die Partei ein Flugblatt an »alle deutschen Brüder und Schwestern aus Russland« mit der Aufforderung: »Kommt zu uns und kämpft mit uns zusammen für ein Deutschland, das wieder so wird, wie es unsere Väter einst kannten. (…) Als Ihr in das Land Eurer Väter, Deutschland, gekommen seid, mußtet Ihr feststellen, daß dieses Land nicht mehr so ist, wie Eure Vorfahren es geschildert haben. Wir kennen die Geschichte des deutschen Volkes und wir wissen auch, was den Russlanddeutschen angetan wurde. Für uns seid Ihr Brüder und Schwestern, unsere Landsleute, die immer wieder im Lande unserer gemeinsamen Väter willkommen sind. (…)«

Heute ist Andrej Triller stellvertretender Bundesvorsitzender der extrem rechten Kleinstpartei »ARMINIUS-Bund des deutschen Volkes«. Daneben zeichnet Triller verantwortlich als Redakteur der Homepage der »Volksdeutschen Stimme«. Prominent platziert ist auf dieser Seite das »Manifest der Deutschen 2008«. Hier heißt es unter anderem: »Unser Land droht zum Spielball fremder Mächte zu werden; es ist zunehmender Überfremdung ausgesetzt. Unser Volk ist in seinem Bestand und in seiner Identität bedroht; seine Kultur und seine Identität sind gefährdet.«

Über all die Jahre war Johann Thießen engster politischer Vertrauter von Andrej Triller. Gemeinsam gründeten sie die »Schutzgemeinschaft ‹Deutsche Heimat› der Deutschen aus Russland e. V.« unter Thießens Vorsitz, während Triller den befreundeten »Russlanddeutschen Konservativen« vorstand. Im April 2009 organisierte die »Schutzgemeinschaft« vor dem Düsseldorfer Landtag eine Kundgebung »Gegen die Fälschung der Geschichte der Russlanddeutschen und die Medienhetze«, als Rednerin trat auch die wegen Volksverhetzung verurteilte Ursula Haverbeck-Wetzel vor den etwa 80 Anwesenden in Erscheinung: »Als die Sowjetunion zerfiel (…), da war es für die Russlanddeutschen (…) die Frage, können wir jetzt (…) heim ins Reich.« Thießen pries Haverbeck-Wetzel als »Vorbild für unsere Jugend« an.

Rechte Kooperationen

Mit der kurzzeitigen Aufmerksamkeit, die rechten Russlanddeutschen medial zuteil wurde, war es recht schnell wieder vorbei. Nach 2011 sind keine relevanten Veranstaltungen der »Russlanddeutschen in der NPD« oder der »Russlanddeutschen Konservativen« öffentlich geworden. Bis zu den »Lisa«-Kundgebungen war es still geworden. Umso mehr überraschte dann das hohe Mobilisierungspotenzial. Geworben wurde jedoch nicht mehr mit Flugblättern, hier spielten vor allem soziale Medien eine Rolle, vor allem aber Messenger-Dienste wie WhatsApp. Nur über diese konnte eine von der breiten Öffentlichkeit unbemerkte bundesweite Mobilisierung erfolgen. Wenig erstaunlich ist ebenfalls, dass auch extrem rechte Gruppen von Russlanddeutschen in sozialen Netzwerken aktiv sind. An den Aufmärschen beteiligten sich unter anderem »Sichere Heimat«, »Männer schützen Familien« und die »Russlanddeutschen Nachtwölfe«. Auf Facebook und dem russischen Äquivalent vkontakte wurde von Gruppierungen wie »Der Russen Treff«, »Deutsch-Russische Bruderschaft« und »Russlanddeutsche Front« (RF) auf die »Lisa«-Kundgebungen hingewiesen. Auf der Seite der RF postet vor allem Eugen Krause. Krause betreibt seit Jahren Seiten in sozialen Netzwerken für extrem rechte russisch-deutsche oder russlanddeutsche Kameradschaften. Ebenso ist er darum bemüht, Kontakte zu anderen rechten Gruppen zu knüpfen. Die »Identitäre Bewegung« wird von der RF als »unsere Freunde« bezeichnet, mit denen künftig mehr gemeinsame Veranstaltungen durchgeführt werden sollen.

RF featuret auch Posts von Jurij Kofner jun. (München, Moskau). Kofner, »Ostkorrespondent für das Compact-Magazin«, ist Vorsitzender der Bewegung »Junges Eurasien«, die den Neo-Eurasismus von Alexander Dugin fortschreiben möchte. Dugin beruft sich in seiner Ideologie auf Vertreter der westeuropäischen Neuen Rechten und der Konservativen Revolution. Ebenso steht Kofner dem »Zentrum für Kontinentale Zusammenarbeit« (ZKZ) vor, der zweite Vorsitzende Julius Schaad ist Mitglied der Berliner Identitären. Auch ein weiteres Vorstandsmitglied, Maximilian Dvorak-Stocker, gehört zu den Identitären, er schreibt für den extrem rechten Ares-Verlag sowie die »Neue Ordnung«. Entsprechend vertraut klingen dann auch die Ziele des ZKZ, die im Wortlaut an Parolen der Identitären erinnern: So fordert das ZKZ auf seiner Homepage »das Ende des ‹Großen Austausches› der europäischen autochtonen (sic) Bevölkerung durch Masseneinwanderung nichteuropäischer Völker und die Regulierung der bereits geschaffenen diesbezüglichen Situation« ebenso wie »das Wiederaufleben der traditionellen europäischen Identität und Kultur«. In einem Interview mit dem Internet-Sender »Den TV«, einem Programm für »traditionelle, patriotische Ansichten«, beschreibt Kofner, warum Russland aus seiner Sicht anschlussfähig für westeuropäische Konservative ist: »Heute wird Europa, insbesondere Westeuropa, zerstört durch einen Schmelztiegel von afrikanischen und arabischen Einwanderern, es entsteht eine Konsumgesellschaft und Gesellschaft der Schwulen und Lesben, eine amorphe Masse, die nur US-Waren und US-Kultur zu konsumieren fähig ist, damit stellt eine solche undefinierte Bevölkerungsmasse in Europa keine Bedrohung für die USA dar. Vor diesem Hintergrund bleibt Russland als letztes Bollwerk für traditionelle, konservative und vor allem christlich-abendländische Werte.«

Bei Veranstaltungen des ZKZ kooperiert Kofner unter anderem mit -Manuel Ochsenreiter, dem Chefredakteur des extrem rechten Magazins »Zuerst!«.

»Aussiedler und Russlanddeutsche« in der AfD

Aktuell buhlt wieder eine Partei um die Gunst und die WählerInnenstimmen der Russlanddeutschen: Die »Alternative für Deutschland« (AfD) hofft und zählt auf die Unterstützung von Russlanddeutschen und AussiedlerInnen. Laut Pressemitteilung der Partei hat sich im Landesverband Rheinland-Pfalz der AfD ein Netzwerk »Aussiedler und Russlanddeutsche« gegründet. Dazu sagt dessen Initiator Alexander Lejbo: »Früher war die politische Heimat der Spätaussiedler die Union. Seit Merkel das Ruder übernommen und die CDU nach links verschoben hat, haben sich die Spätaussiedler abgewandt.«

Auch die Forderung der AfD, Deutschland solle seine »Konfrontationshaltung gegenüber Russland« aufgeben, kommt bei einem Teil der rund 3,5 Millionen Russlanddeutschen an. »Die Russlanddeutschen haben im Moment keine politische Heimat«, erklärte Georg Pazderski, der den Berliner Landesverband zusammen mit Beatrix von Storch leitet, der dpa. Jörg Meuthen, Fraktionschef der baden-württembergischen AfD, weiß wo die Russlanddeutschen ihre »politische Heimat« finden könnten: »Ich glaube schon, dass sie zu uns passen, weil sie mehrheitlich konservativ denken.« Der brandenburgische AfD-Landesverband hat für diese Zielgruppe im vergangenen Jahr sein Wahlprogramm ins Russische übersetzt und hat dafür großen Zuspruch der Zielgruppe bekommen – wo doch gerade AfDlerInnen sonst gerne für eine Deutschpflicht für Zugezogene plädieren. Ausgerechnet Alexander Gauland, seinerzeit der Spitzenkandidat der Brandenburger AfD, gab sich damals integrativ, er wollte das Gespräch mit Russlanddeutschen suchen: »Es ist wichtig, dass die Heimatvertriebenen und Spätaussiedler wissen, es gibt eine Partei, es gibt Politiker, die sich zu ihnen bekennen. Und die mit einem offenen Ohr für die Probleme und Bedürfnisse der Russlanddeutschen ihre Arbeit im nächsten Brandenburger Landtag verrichten werden.«

Lejbo ist Ende der 1980er Jahre nach Deutschland gekommen und zunächst politisch nicht in Erscheinung getreten, bis er Ende 2014 in die AfD eingetreten ist. Er ist überzeugt: »Wir Russlanddeutsche stimmen hundertprozentig mit der AfD überein«, so Lejbo gegenüber der FAZ. Auf ihn trifft das sicher zu. Sein Thema ist eine traditionelle Familienpolitik, gegen »Gender«, gegen »Frühsexualisierung«. Eine Ausnahme ist er nur insofern, als er nicht zu den »alten Bekannten« zählt.