der rechte rand

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Druckzeitpunkt: 16.12.2025, 00:01:26

Aktuelle News

Inhalt Ausgabe 217


Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 217 - November | Dezember 2025

8
Wird »Demokratie leben!« zu Grabe getragen?
#Abwicklung

Wer sich in Deutschland für Antifaschismus und Grundrechte engagiert, ist Kummer gewohnt. Die Träger der mobilen Demokratieberatungen, politische Bildungsinitiativen oder die Opferberatungsstellen stehen unter dem Dauerfeuer der AfD und nun setzt die CDU zum rechten Überbietungswettbewerb an.
von Sören Frerks

24
Der Kampf ums Recht, der Kampf gegen das Recht
#Trumpismus

So widersprüchlich Trumps politische Ankündigungen immer wieder erscheinen mögen, die Politik der Rache ist eine stabile Konstante. Seine Administration nutzt das Recht und missachtet das Recht.
von Liam Cruz

30
Erst die Städte und Dörfer, und bald das ganze Land
#Sachsen-Anhalt

Es ist das erklärte Ziel der AfD Sachsen-Anhalt, bei der Landtagswahl am 6. September 2026 die absolute Mehrheit zu erlangen und Ulrich Siegmund zum bundesweit ersten AfD-Ministerpräsidenten zu machen.
von Stephanie Heide

6 Vorwurf Antifaschismus #Diffamierung
von Andreas Speit

11 kurz & bündig

12 CancelCancel #Kommentar
von Patrice G. Poutrus

14 Doch eine Brandmauer? #CDU
von Carina Lose

16 »Schwarze Internationale« #KAS
von Ernst Kovahl

18 Die Erben von Oswald Mosley? #Großbritannien
von Florian Weis

20 Milliardär macht Politik #Frankreich
von Volkmar Wölk

22 Trumpismus in den Niederlanden #Wilders
von John Postman

26 Fighting Back #USA
von Bent K. Brown

28 Ein rechtes »Lesefest der Entdeckungen« #Familientreffen
von Kai Budler

32 Rechter »Kinderschutz« #Familienbild
von Marianne Esders

34 White Nationalism 3.0 #Männervereine
von Bastian Stock

36 Gewaltaffine Kleinstpartei #DerIII.Weg
von Lotta Ulrich

38 Rezensionen

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Intro Ausgabe 217

Redaktion
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 217 - November | Dezember 2025

 

Liebe Leser*innen,

Fingerspitzengefühl in der Öffentlichkeit ist keine Kernkompetenz von Friedrich Merz. Nach dem Klimagipfel COP30 im brasilianischen Belém erklärte er, alle seien froh, »dass wir vor allen Dingen von diesem Ort, an dem wir da waren, (…) wieder nach Deutschland zurückgekehrt sind«. Der Gouverneur des brasilianischen Teilstaates Pará mit der Hauptstadt Belém konterte: »Eine voreingenommene Äußerung offenbart mehr über den, der das sagt, als über das, worüber er spricht.« Gleiches könnte man auch zu den »Stadtbild«-Äußerungen von Merz sagen. Auf einer Pressekonferenz hatte er »Probleme im Stadtbild« mit Migration und einer härteren Abschiebepraxis verschränkt. Danach: Schweigen, während die Kritik immer lauter wurde. Stattdessen verteidigte er seine Aussage mit dem Hinweis: »Fragen Sie doch mal Ihre Töchter!«, sie sollten »das Problem« bestätigen. Die Töchter aber wollen nicht »als billige Ausrede dienen, wenn rassistische Narrative gerechtfertigt werden sollen«. So steht es in dem offenen Brief mit dem Titel »Wir sind die Töchter«, den mehr als 50 Frauen aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft unterschrieben haben. Erst mehr als eine Woche nach seiner Äußerung konkretisierte Merz, er meine Personen ohne dauerhaften Aufenthaltsstatus, die nicht arbeiteten und sich nicht an die Regeln hielten. Eine Woche, in der sich die AfD genüsslich zurücklehnen konnte. Ohne ihr Zutun hat der Kanzler mit seinem rassistischen Geraune erneut das Kernthema der Partei bedient, die derweil ihre Attacken auf die Zivilgesellschaft fortsetzt. Auch hier kann sie sich auf die Union als Türöffnerin stützen: Erst im Frühjahr hatten CDU und CSU im Bundestag eine Anfrage im Bundestag zur Finanzierung von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Initiativen im Bundestag gestellt. Nun legt die AfD nach und attackiert zum Beispiel die Amadeu Antonio Stiftung, um deren staatliche Finanzierung zu beenden. Für die Stiftung ist es der »vorläufige Höhepunkt einer Kampagne (…) auch gegen die Zivilgesellschaft und vor allem gegen alles, was der AfD im Wege steht«. Dazu gehört eine antifaschistische Bewegung. Auch sie wollte die Partei im Bundestag verbieten lassen. Die Richtung gibt der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán vor, der erklärt, »die Antifa und ihre Unterorganisationen« hätten zwar noch keine Verbrechen begangen, es müssten aber Maßnahmen gegen sie ergriffen werden, »bevor sie welche begehen«. Das Feindbild »Antifa« ist so diffus und flexibel gehalten, um alles darin einzusortieren, was den Feind*innen der offenen Gesellschaft im Weg steht. Dazu gehört offenbar auch der Anstand – laut Marlene Dietrich die Grundlage für eine antifaschistische Haltung. Was es braucht? Mehr Anstand, mehr Haltung – und mehr Antifa.

Eure Redaktion

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Partei ohne Mäßigung

von Kai Budler
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 216 - September | Oktober 2025

In der »Alternative für Deutschland« (AfD) toben bereits die innerparteilichen Machtkämpfe um die Gunst der noch zu gründenden neuen Jugendorganisation. Weder bei ihr noch in der Partei ist eine vermeintliche Mäßigung in Sicht – noch nicht einmal taktischer Art.

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Als neuer Vorsitzender ist Jean-Pascal Hohm nominiert
© Pressefuchs Brandenburg

Nach der von der Mutterpartei erzwungenen Selbstauflösung der »Jungen Alternative« (JA) im Frühjahr 2025 soll Ende November auf einem Kongress in den Gießener Messehallen die Neugründung der AfD-Jugendorganisation stattfinden. Doch bereits Mitte Juli hatte die Kanzlei von Rechtsanwalt Ralf Höcker gleich vier Wort-/Bild-Marken für die noch nicht existierende Parteijugend beim Patent- und Markenamt angemeldet, als Eigentümerin wird dort die AfD genannt. Dabei soll eigentlich der im Herbst neu gewählte Bundesvorstand jener Jugendorganisation über Logo und Design entscheiden. Die Logos zeigen jeweils einen Adler in kantigem Design mit scharfen, geraden Linien, der an Reichsadler-Abbildungen aus NS-Deutschland erinnert. Dazu gesellen sich das AfD-Logo und der Name. Der Schriftzug variiert zwischen »Parteijugend«, »DeutschlandJugend«, »Junge Patrioten« und »Patriotische Jugend«. Ebenfalls lange vor dem Kongress begonnen haben die innerparteilichen Machtkämpfe um den Einfluss in der zu gründenden Organisation. Diese soll zukünftig eng an die AfD angebunden sein und nicht mehr wie zuvor als eigenständiger Verein agieren.

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© Kai Budler

Jugend als Machtfaktor
Auch Björn Höcke weiß um die Bedeutung der Jugend für jene, die es verstehen, sie einzubinden. Der Thüringer Landes- und Fraktionsvorsitzende hatte bis zuletzt seine schützende Hand über die JA gehalten und damit auch über ihre Scharnierfunktion zu rechtsradikalen Netzwerken und Vorfeldorganisationen. Sie hatte seine Machtbasis gestärkt, vielerorts war die Rede von der JA als »Höcke-Jugend«, deren Funktionär*innen mit Jobs in Partei und Fraktionen entlohnt wurden. Anfang August nun plädierte Höcke in den sozialen Medien dafür, Eigenleben und Namen der JA zu erhalten. Nach der Selbstauflösung zu ihrem organisatorischen Höhepunkt könne die JA »wie ein Phönix aus der Asche auferstehen: Professioneller, aber eben nicht ferngesteuert«. Kurz darauf löschte Höcke seinen Post, nachdem öffentlich wurde, dass er darin einen Kernsatz der »Hitler-Jugend« für die Zukunft der AfD-Jugendorganisation verwendet hatte. Die Aktiven der ehemaligen und künftigen Radikalisierungsmaschine werden in ihrem Streben für maximale Autonomie innerhalb der vorgesehenen Grenzen Höckes Worte verstanden haben. Eine vermeintliche Deradikalisierung der Parteijugend durch die Neugründung wird der Wunschtraum einiger Weniger bleiben. Dafür spricht, dass als Vorsitzender der Jugendorganisation der Brandenburger AfD-Landtagsabgeordnete und Cottbuser AfD-Chef Jean-Pascal Hohm im Gespräch ist. Dieser hatte bereits zwischen 2014 und 2016 die JA Brandenburg geleitet und war für die »Identitäre Bewegung« tätig. 2021 hatte er in seiner Ansprache bei einem Aufmarsch gegen die Corona-Schutzmaßnahmen getönt: »Machen wir es kurz und knapp: Dieses System ist krank!« Einem Block vermummter Neonazis an der Spitze des Aufmarschs hatte er per Megafon die Parolen vorgegeben. Im Gutachten zur Einstufung der Brandenburger AfD als »gesichert rechtsextremistische Bestrebung« taucht Hohms Name gleich 27 Mal auf.

Von Spaltern und »Feindzeugen«
Sollte mit der Einhegung der JA kurzzeitig der Eindruck entstanden sein, die AfD wolle sich – aus taktischen Gründen – selbst mäßigen, macht die Partei ihn schnell wieder zunichte. Der »Verhaltenskodex der AfD-Fraktion« war ausgerechnet von Parteivize Stephan Brandner erarbeitet worden, der in der vergangenen Legislatur die meisten Ordnungsrufe im Bundestag erhalten hatte. Selbst Fraktionschefin Alice Weidel konnte der darin vorgeschlagenen Mäßigung nicht folgen, was an dem von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) angedrohten Rausschmiss aus dem Plenarsaal deutlich wurde. Auch Weidels Gleichsetzung der SPD mit Hitler nach ihrem Votum für ein AfD-Verbotsverfahren ist für die Partei wenig hilfreich, wenn sie sich als »gemäßigt« inszenieren will. Zu sehr ist es offensichtliche Heuchelei. Zu sehr gehört das laute, pöbelnde und radikale Auftreten zum Geschäftsmodell der Partei. Doch genau dieses Auftreten könnte sie gefährden, glauben einige ihrer Vertreter*innen, allen voran der AfD-Bundestagsabgeordnete Maximilian Krah. Er führt vor allem die massive Verwendung des Begriffs »Remigration« ins Feld, der erst Anfang des Jahres ins AfD-Wahlprogramm aufgenommen wurde. Denn inzwischen wird das Konzept in mehreren Urteilen als Verstoß gegen die Diskriminierungsverbote im Grundgesetz eingestuft. So stellte das Bundesverwaltungsgericht im Verfahren um das Verbot des »Compact-Magazins« fest, dass »Remigrations«-Konzept ziele darauf ab, deutschen Staatsbürger*innen mit ausländischen Wurzeln grundlegende Rechte zu entziehen (s. drr Nr. 215). Auch in den Gutachten zur Hochstufung der AfD in Brandenburg und der Bundespartei als »gesichert extremistische Bestrebungen« spielt die von der Partei geforderte »Remigration« eine große Rolle. Krahs Befürchtung: Ohne einen – wenn auch nur taktischen – Bruch mit der »Blut und Boden«-Rhetorik sowie einer Distanzierung vom »Remigrations«-Konzept und dessen Initiator Martin Sellner könnte die Gefahr eines AfD-Verbotsverfahrens steigen. Aufgrund seiner Ansicht hatte sich Krah bereits einen veritablen Schlagabtausch mit Götz Kubitschek vom inzwischen umbenannten »Institut für Staatspolitik« (IfS) geliefert, der dem Bundestagsabgeordneten eine »Spaltung zwischen Partei und Vorfeld« vorwirft. Von dort ist es nicht mehr weit bis zum »Feindzeugen«, wie ihn Kubitschek wenig später nennt. Es ist wohl einer der schlimmsten Vorwürfe in der Partei und ihrem Vor- und Umfeld, die einer Person aus den eigenen Reihen gemacht werden kann. Sellner wiederum kritisiert eine planlose Anpassung mit dem Vorwurf der bloßen »Stimmenmaximierung in der ›Mitte‹ der Gesellschaft«. In seiner monatlichen Kolumne in »Compact« kritisiert Sellner eine »AfD light« und konstatiert: »Wer sich Begriffe vom Gegner diktieren lässt, wird zu seinem Sklaven. Ohne Remigration ist die AfD wie ein Paketbote mit leerem Sack.

Schneller am Ziel, aber sinnlos.« Die AfD mutiere zur »Altpartei«, sie verliere ohne die »Remigrations«-Forderung ihre »Daseinsberechtigung« – der Druck des Um- und Vorfelds auf die Parteispitze ist groß. Das Pfund, mit dem sie wuchern können, sind ihre Mobilisierungsstärke und ihre Unterstützer*innen, die für das gute Abschneiden besonders bei jungen Wähler*innen gesorgt haben. Immerhin hatte sich deren Anteil bei der Bundestagswahl im Februar 2025 gegenüber 2021 fast vervierfacht. Am Ende steht der Sieg von Sellner und Co über eine – wenn auch nur inszenierte – Selbstmäßigung und Selbstverharmlosung. Im Interview mit der »Welt« erklärt Alice Weidel als Bundesvorsitzende im August 2025: »Ich sehe keine Veranlassung zu einer Mäßigung der AfD.« Auf die Frage nach dem gemeinsamen Auftritt des Brandenburger AfD-Chefs Hans-Christoph Berndt mit Martin Sellner auf dem »Compact«-Sommerfest ätzte sie gegen einen »politisierten Verfassungsschutz« und wiederholt: »Die Leute glauben diesen Quatsch auch nicht mehr. Es geht darum, eine politische Konkurrenzpartei auszuschalten.« Diese Haltung impliziert auch die stetige Diskreditierung der Person Krah. Um sie stärker einzubinden, werden die meist jüngeren Akteur*innen aus den Um- und Vorfeldorganisationen belohnt, die Krah massiv kritisiert haben.

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Regierungsbeteiligung und Sturz der Brandmauer
Gerade zu große interne Streitereien jedenfalls sind Fallstricke auf dem Weg der Partei zu weiteren Erfolgen. Einen solchen strebt auch die AfD-Bundestagsfraktion an und legte im Juli »Ideen und Vorschläge zum Strategieprozess« vor. Ziele sind demnach »Einsturz der Brandmauer und Regierungsverantwortung der AfD«. Dazu will die Partei dauerhaft die Stammwähler*innenschaft an sich binden, zu der sie auch Jungwähler*innen zählt. Als »junge Deutsche als Hoffnungsträger einer besseren Zukunft« will sie ein »positives Bild dieser Gruppe« zeichnen. Besonders darauf soll ein Arbeitsschwerpunkt der künftigen Jugendorganisation liegen.
Dafür sollen verstärkt »Frauen, Bürger mit Hochschulreife und Hochschulabschluss, Bürger in Großstädten und Metropolen, Wähler über 60 Jahre und konfessionsgebundene Christen« gewonnen werden. Sie gehören laut Fraktion zu den Gruppen, in denen die Partei »ihr Potenzial nicht ausgeschöpft hat«. Im Bundestag sieht das Papier einen »Kulturkampf« vor, der SPD und Grüne nach links zwingen und die Gegensätze zwischen SPD und Union »unüberbrückbar« machen soll. Während dieser Graben wachse, will die AfD gleichzeitig den Druck auf die Union erhöhen und hofft so auf die Spaltung der aktuellen Regierungskoalition und den »Sturz der Brandmauer«. Der parlamentarische Hauptfeind bleibt die Union, ihre Zerstörung hatte Maximilian Krah bereits 2023 als Ziel ausgegeben. Für die konkrete Umsetzung dieser Strategie werden jetzt vor allem jene verantwortlich sein, die es geschafft haben, durch ihre Kritik Krah als Bauernopfer zu desavouieren. Dazu gehört auch die künftige Jugendorganisation, die dafür weiterhin Scharnier zu rechts­radikalen Netzwerken und Vorfeldorganisationen bleiben wird.

die "neue" Jugend der AfD… www.ardmediathek.de/video/monito…

#AntifaMagazin der rechte rand (@derrechterand.bsky.social) 2025-11-21T10:36:22.347Z

Gedenkstättenarbeit im Zeitalter der AfD

von Elke Gryglewski
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 212 - Januar | Februar 2025

Seit 2017 ist die AfD im Bundestag vertreten, in vielen Landtagen und Kommunen war sie es schon zuvor. Was hat sich dadurch für die Gedenkstättenarbeit verändert? Um diese Frage zu beantworten, ist es sinnvoll einen Blick zurückzuwerfen. Dabei stellen wir fest, dass es seit jeher Angriffe von rechts gegen unsere Arbeit gegeben hat. Diese reichten immer von verbalen Angriffen gegen die Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen bis hin zu versuchten Anschlägen gegen unsere Einrichtungen – wie der Michael Kühnens und seiner sogenannten Werwolf-Gruppe in den 1970er Jahren gegen die Gedenkstätte Bergen-Belsen. Auch rechte, den Holocaust trivialisierende Äußerungen von »ganz normalen« Besucher*innen gab es schon in den 1990er Jahren.

Antifa Magazin der rechte rand
Erinnerungsabeit mit jungen Erwachsenen in der Gedenkstätte Bergen-Belsen.
© Mark Mühlhaus / attenzione

Die Stimmung ist eine andere geworden
Nicht ohne Grund entwickelten etliche Gedenkstätten-mitarbeiter*innen Fortbildungskonzepte gegen Stammtischparolen oder überlegten spaßeshalber, wie seinerzeit in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, Publikationen herauszubringen mit Titeln »… was ich schon immer sagen wollte«. Das »spaßeshalber« hat hier eine besondere Bedeutung, denn ja, schon damals waren abwehrende und relativierende Äußerungen von Besucher*innen in Reaktion auf die von uns präsentierte Geschichte ernstzunehmen. Auch damals waren kollegiale Beratungen wichtig, um einen Umgang damit zu finden. Die Grundstimmung war jedoch eine andere: In den 1990er und 2000er Jahren gingen wir noch von einer überwiegenden Zustimmung gegenüber unserer Arbeit aus und schöpften dadurch Kraft für den Umgang mit den sogenannten problematischen Äußerungen und Besucher*innen. Heute aber ist es schwerer geworden, die immer noch bestehenden vielen positiven Reaktionen nicht aus dem Blick zu verlieren.

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Diskursverschiebungen
Angesichts der Sichtbarkeit der heute geäußerten Ablehnung, Hinterfragung und Relativierungen müssen wir uns natürlich fragen, ob »es« schon immer da war, sich aber anders manifestierte und wir – auch aus Selbstschutzgründen – vorgezogen haben, uns auf den vermeintlichen oder tatsächlichen Konsens einer notwendigen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit und seiner Folgen zu fokussieren. Was hat sich also in den letzten Jahren verändert?
Zunächst beobachten wir eine deutliche Verschiebung des Diskurses dahingehend, dass frühere Minderheitenpositionen heute oft zum Mainstream geworden sind. Das mag auch daran liegen, dass wir – nicht zuletzt als Reaktion auf politische Forderungen und Äußerungen der AfD – stärker als früher die Folgen der Geschichte für die Gegenwart zum Thema machen und die Einsprüche gegen unsere Schlussfolgerungen Widerspruch hervorrufen. Es ist einfach zu formulieren, dass die Erinnerung und das Gedenken an die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen wichtig sind – die Zustimmung schrumpft, je konkreter wir für die Gegenwart ableiten, was Menschenwürde oder die Bekämpfung von Antisemitismus, Rassismus und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit bedeutet.

Verrohung und Gewalt
Die vielfach konstatierte Verrohung im Äußern von Kritik ist eine weitere Veränderung: Verbale Angriffe in Form von anonymen Anrufen oder Mails haben deutlich zugenommen und sorgen für Verunsicherung bei Mitarbeiter*innen. Die Anzahl von Sachbeschädigungen in Form von Schmierereien und rechten Aufklebern ist in den Gedenkstätten ebenfalls gestiegen. Am deutlichsten sind die Verschiebungen wahrnehmbar, wo Kollegien sich dezidiert mit demokratischen Bündnissen gegen die AfD positionieren. Dies bekam insbesondere Jens-Christian Wagner, Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, vor den letzten Wahlen in Thüringen zu spüren, als ekelhafte Morddrohungen gegen ihn ins Netz gestellt wurden. Gegen den Sitz der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten gab es einen Anschlag, nachdem wir gemeinsam mit anderen Einrichtungen zum Protest gegen den Landesparteitag der AfD in Celle aufriefen. Diese Angriffe werden nicht unbedingt von Mitgliedern der AfD verübt, eine inhaltliche oder zeitliche Nähe zu Ereignissen im Parteikontext lassen sich aber herstellen. Das erschwert gleichwohl unsere Argumentation erheblich, beziehungsweise – aus anderer Perspektive – verschiebt dieser Umstand die Beweislast in unsere Richtung. Wir sind diejenigen, die Zusammenhänge nachweisen müssen, auch in Situationen, in denen wir zunächst Opferschutz genießen sollten.

Normalisierung der AfD
Damit zusammen hängt eine weitere Veränderung: Wir beobachten mit Erschrecken, wie Parlamentsmitglieder der AfD, der Umgang mit ihnen und damit zwangsläufig ihre Aussagen »normalisiert« werden. Waren es zu Beginn ihrer parlamentarischen Laufbahn im Wesentlichen Talkshows, die aufgrund einer vermeintlich interessanteren, weil kontroverseren Diskussion Repräsentant*innen der Partei Raum gaben, sind Interviews an prominenter Stelle im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zum Alltag geworden. Entgegen besseren Wissens wird argumentiert, würde man sie nicht einladen, würden sie sich als Opfer gerieren… was sie in jedem Fall tun. Auch wird oft das Argument genannt, man könne ihre Position angesichts der hohen Wählerzustimmung nicht ausblenden – wobei die Frage offen bleibt, wer dann ihre Äußerungen wahrnimmt. Angesichts der von Anhänger*innen der AfD viel zitierten und ignorierten »Lügenpresse«, zu der die öffentlich-rechtlichen Medien gehören, ist zumindest nachzufragen, welche Zielgruppe dann adressiert werden soll. Was hier beispielhaft für die Medien genannt ist, zeigt sich auch in anderen Kontexten. Angehörige der AfD-Fraktionen werden zu Veranstaltungen geladen und sind – da wo Proporz gefordert ist – oft Mitglieder in Gremien. Damit werden ihnen und vor allem rechtsradikalen Netzwerken, mit denen sie vielfach beispielsweise über ihre Mitarbeiter*innen verwoben sind, ihre »Gegner*innen« quasi auf dem Silbertablett serviert. Dieser Prozess wirkt wie eine Spirale: Ihre Anwesenheit und ihre Äußerungen werden immer normaler und es sind die Betroffenen – hier vor allem Menschen und Institutionen, die die Rechten als nicht zugehörig markieren oder die für andere Werte stehen –, die dagegen auf- und eintreten müssen.

Was tun …?
Welche Konsequenzen sollten wir aus dieser Situation ziehen? Sicherheitsfragen, die uns verstärkt begleiten, möchte ich hier nicht thematisieren. Die Arbeit der Gedenkstätten hat an Bedeutung gewonnen: Es sind die Orte, wo die Ursprünge des undemokratischen Denkens, die ideologischen Grundpfeiler plausibel gemacht werden können. Wohin kann das führen? Wie entwickeln sich Radikalisierungsprozesse? Mehr denn je müssen die Erzählungen zu den historischen Orten und den dort verübten Verbrechen in die Nachkriegszeit und bis in die Gegenwart fortgeführt und nachvollziehbar gemacht werden.
Gleichzeitig sollten Gedenkstätten stärker reflektieren, was es heißt, eine demokratische Institution und ein Ort der Teilhabe zu sein. Wie kann an unseren Orten vermieden werden, dass Angehörige von sogenannten Minderheiten Erfahrungen mit Antisemitismus oder Rassismus machen? Wie werden Ausstellungen diskriminierungskritisch gestaltet, wie wird im Rahmen von (Bildungs-)Angeboten verhindert, Ausgrenzungserfahrungen zu reproduzieren?

Kompetenzen aufbauen, gemeinsam gegen rechts auftreten
Um diese unterschiedlichen Ebenen kompetent zu gestalten, brauchen wir Fortbildungen, die vertiefte inhaltliche Kompetenz ermöglichen, aber beispielsweise auch solche zu diskriminierungskritischen (Bildungs-)Angeboten. Vielerorts werden Forderungen laut, dass sich NS-Gedenkstätten zusätzlich zu ihrer spezifischen Geschichte und ihrem Kontext noch anderen Gewalterfahrungen wie der Geschichte des Kolonialismus oder jenen, aus denen Geflüchtete stammen, zuwenden sollen. Jenseits der Tatsachen, dass wir – wo möglich – Verflechtungen zu anderen Kontexten herstellen und Raum für die unterschiedlichen Perspektiven unserer Besucher*innen geben, müssen wir aber – im Gegenteil – den Fokus verstärkt auf die Geschichte des Nationalsozialismus richten und sie unserem Alleinstellungsmerkmal entsprechend historisch einordnen. Dabei sollten wir darauf achten, Inhalte nachvollziehbar für ein breites Publikum darzustellen.
Angesichts dieser anderen bedeutsamen historischen Komplexe und Zugänge, mit denen ein ganzheitliches Bild dargestellt werden kann, ist es darüber hinaus wichtig, Netzwerke aufzubauen mit Einrichtungen, die über andere, ergänzende inhaltliche oder methodische Stärken verfügen. Teil dieser Netzwerke ist auch die Zivilgesellschaft, mit der die Gedenkstätten gerade in den Regionen vielfach zusammenarbeiten.
Gemeinsam in der Öffentlichkeit gegen rechte Parolen und undemokratische politische Forderungen aufzutreten und gleichzeitig spezifische Angebote vor Ort entsprechend der eigenen Kompetenzen bereitzuhalten – damit können die Gedenkstätten zur Erinnerung an die NS-Verbrechen ihren Auftrag angesichts der gesellschaftlichen Verschiebungen erfüllen: Auf Grundlage ihrer Forschung und ihrer Sammlungen Wissen vermitteln und eine Grundlage für das Gedenken und die Orientierung in der Gegenwart schaffen; »Mahnen« durch öffentliches Eintreten für demokratische Werte und durch das Praktizieren demokratischer Formen.

Elke Gryglewski ist Geschäftsführerin der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten und als Leiterin der Gedenkstätte Bergen-Belsen.

Dubiose Spender für den Wiederaufbau – Stiftung Humboldt Forumvon Philipp Oswalt im #AntifaMagazin »der rechte rand« Juni 2024#BerlinerSchloss #Humboldtforumwww.der-rechte-rand.de/archive/1252…

#AntifaMagazin der rechte rand (@derrechterand.bsky.social) 2025-10-28T12:08:04.201Z

Dubiose Spender für den Wiederaufbau – Stiftung Humboldt Forum

von Philipp Oswalt
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 208 - Mai | Juni 2024

Die Behauptung der »Stiftung Humboldt Forum« im Herbst 2022, es hätte »keinen Hinweis auf rechtsradikale oder gar extremistische Spender« beim Schlossprojekt gegeben und mithin hätten sich Vorwürfe, rechtslastige Akteur*innen hätten daran mitgewirkt, als substanzlos erwiesen, stand von Beginn an auf wackeligen Beinen. Die Aussage beruhte auf einer vom »Förderverein Berliner Schloss« beauftragten Überprüfung der Spender*innen durch den Berliner Anwalt Peter Raue. Wie meine jüngsten Recherchen offenlegten, hatte dieser aber anonyme Spenden in Höhe von insgesamt 25 Millionen Euro gar nicht prüfen können, weil deren Herkunft selbst dem Förderverein unbekannt waren. Letztlich wurde nur ein Bruchteil davon unter die Lupe genommen, nämlich 1,15 Millionen Euro. Das Aufklärungsinteresse der Kanzlei Raue war ohnehin gering, da sie die Inte­ressen ihrer Mandant*innen vertrat, zu denen neben dem Förderverein auch die Familie des Großspenders Ehrhardt Bödecker gehörte, dessen antisemitische Äußerungen den Skandal überhaupt erst verursacht hatten. Anwalt Peter Raue sprach vom »angeblichen« Antisemiten Bödecker und verhinderte über Monate die Veröffentlichung eines ihm bekannten wissenschaftlichen Gutachtens, das den Vorwurf belegte.

Die AfD im Boot
Bödeckers Haltung ist keine Ausnahme. Schon seit seiner Gründung hatte der Förderverein Verbindungen in extrem rechte Kreise und keinerlei Interesse, sich klar abzugrenzen. Zum fünfköpfigen Gründungsvorstand des Vereins gehörte 1992/1993 Dieter Lieberwirth als einer der beiden Stellvertreter des Vereinsvorsitzenden Wilhelm von Boddien. Lieberwirth ist schon als Anhänger der NPD öffentlich in Erscheinung getreten und war damals Politiker bei »Die Republikaner«. Ab 1989 saß er für viele Jahre für sie im Stuttgarter Gemeinderat, kandidierte zur Europawahl, 1992 für den baden-württembergischen Landtag und 1996 als Oberbürgermeister Stuttgarts. Zwei Jahrzehnte später arbeitete er als Pressesprecher für die Stuttgarter AfD. Als der Förderverein mit dem Fassadennachbau in Form einer Schlosssimulation im Sommer 1993 große öffentliche Aufmerksamkeit erregte, bat man den Republikaner, sich diskret aus dem Vorstand zurückzuziehen. Dennoch blieb er ein engagiertes Vereinsmitglied, verteidigte von Boddien auf Mitgliederversammlungen gegen vereinsinterne Kritiker*innen und spendete ein Schmuckelement für das Eosander-Portal an der Westfront des Schlosses. Er blieb allerdings nicht der einzige rechtslastige Politiker, der mit dem Verein eng verbunden ist.

Zu den Großspendern gehören neben dem AfD-Politiker Thomas Sambuc auch die »Gesellschaft Berliner Schloss e. V.« – deren dreiköpfigem Vorstand der Berliner AfD-Politiker Daniel Krüger angehört – sowie der AfD-Mäzen Karl-Klaus Dittel. Letzterer leitete über zehn Jahre den regionalen Freundeskreis des Fördervereins in Baden-Württemberg und gründete zugleich den »Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten«, der im großen Umfang Wahlwerbung für die AfD mit rechtlich dubiosen Finanzierungen organisierte.

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Hamburger Verbindungen
Eine andere langjährige Unterstützerin aus dem rechtsradikalen Milieu ist die »Staats- und Wirtschaftspolitische Gesellschaft« (SWG) Hamburg, die kürzlich seitens des dortigen Verfassungsschutzes als gesichert rechtsextrem eingestuft wurde. Bereits 1993 publizierte der ehemalige NS-Kulturfunktionär Niels von Holst in der Zeitschrift der SWG ein Plädoyer für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses, den er zum Zweck der Identitätsbewahrung des vereinten Deutschlands forderte. 2001 veröffentlichte Schlossgroßspender Bödecker an gleicher Stelle sein geschichtsrevisionistisches Pamphlet über die »Antipreußische Gehirnwäsche«. Im selben Heft erschien – neben Texten weiterer rechtsradikaler Autor*innen wie Max Klaar, Wolfgang Venohr und Reinhard Uhle-Wettler – ein Aufsatz von Boddien, in dem er ebenfalls Identitätsfragen beschwor und schrieb: »Ohne das Schloss ist hier alles nichts.« 2007 wurde er dann vom rechtsextremen SWG-Vorsitzenden General a. D. Reinhard Uhle-Wettler zu einem Vortrag geladen. Das Cover des SWG-Magazins von 2015 zeigte ein Rendering des wiederaufgebauten Schlosses und erneut rief das Heft zu Spenden auf. Vorsitzender der SWG war zu dieser Zeit der hochrangige Offizier a. D. Manfred Backerra, der wegen seiner Kontakte ins rechtsextreme Milieu einen Bundeswehr-Skandal verursacht hatte. Auch persönlich spendete Backerra mehrfach für das Schloss und war einer der Unterzeichner der Anzeige des Fördervereins im Januar 1999, die vom »Stern« kritisiert wurde.

Mediale Flankierung
Dritte im Bund ist die neurechte Wochenzeitung »Junge Freiheit« (JF), die auch Bödecker jahrelang eine Bühne als Stammautor geboten hatte. Die Zeitung selbst, ihr Herausgeber Dieter Stein und einige ihrer Autor*innen, unter ihnen Claus Wolfschlag, sind in der Spendenliste für das Berliner Schloss geführt. Wichtiger als deren Geld war aber ihre publizistische Unterstützung des Projekts, zumal der Förderverein in der Leser*innenschaft eine Zielgruppe für sich sah und schon im Jahr 1993 in der Zeitung mit einer großen Anzeige um Spenden und Mitglieder warb. Gemeinsam mit JF-Autor Wolfgang Lasars und dem wegen Volksverhetzung verurteilten Vertriebenenfunktionär Paul Latussek bestritt der damalige Vorsitzende des Fördervereins Wilhelm von Boddien im Februar 1999 ein Seminar bei der »Jungen Landsmannschaft Ostpreußen«. Auch die von der AfD hofierte Autorin Vera Lengsfeld, die 2019 mit dem unter anderem von der JF gestifteten »Gerhard-Löwenthal-Ehrenpreis« ausgezeichnet wurde, ist eine engagierte Unterstützerin der Schlossrekonstruktion. Sie spendete vier Schmuckelemente.

Kein Versehen
Als der Förderverein wegen seiner rechtsradikalen Unter­stützer*innen in die Kritik kam, gab er keine Unwissenheit vor, sondern stellte sich offensiv vor diese. »Wir bekennen uns ohne jede Einschränkung zu unseren Spendern«, verlautbarte Wilhelm von Boddien, mittlerweile Geschäftsführer des Vereins, im Mai 2022 und sprach von »einer Hexenjagd auf unbescholtene Bürger«. Die JF lobte ihn prompt für seine große Standhaftigkeit.
Der Förderverein argumentierte, weder könne noch wolle er rechtsextreme Spender zurückweisen. Schließlich gelte in Deutschland Meinungsfreiheit und nur Spenden von Personen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden oder gerichtlich verurteilt wurden, seien abzuweisen. Den gesetzlichen Spielraum für extrem rechte Positionen wollten der jetzige Vereinsvorsitzende Richard Schröder und der inzwischen verstorbene Unterstützer Bödecker zudem vergrößert wissen, sie kritisieren deren Verfolgung durch den Verfassungsschutz sowie das Verbot der Holocaustleugnung.
Richard Schröder, emeritierter Theologe der Humboldt-Universität zu Berlin und Mitglied der SPD, leugnete in einem Beitrag gar Bödeckers Antisemitismus und warf mir vor, in meinem Artikel für den Tagesspiegel durch angeblich gefälschte Zitate diesen erfunden zu haben. Zudem behauptete er, Rechtsextremismus sei »viel zu schwammig für ein Ausschlusskriterium«. Er nahm die AfD und JF in Schutz und sah auch keine ethischen Standards verletzt, wenn Personen in einer Zeitschrift publizieren, die auch Holocaustleugner*innen ein Forum bietet. Dann ging Schröder noch einen Schritt weiter: Er sah in der Leugnung des Holocausts eine Meinungsäußerung, deren Verbot er als Einschränkung der Meinungsfreiheit problematisierte; eine Äußerung, mit der er Holocaustleugnungen insgesamt relativierte.

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Identitätskampf
Der Verein rief nun einen »Kulturkampf« aus, sprach von »überhitztem Säkularismus«, Verlust »abendländischer Identität«, einem »Akt der Tyrannei«, »kollektiver Amnesie«, »Gehirnwäsche« und kritisierte die »deutschen Leitmedien«. Den Neubau des Schlosses deklarierte er auch als Versuch, sich solchen Fehlentwicklungen entgegenzustemmen. Da wundert die starke Resonanz bei der »Neuen Rechten« wenig. Mit einer Welle von Veröffentlichungen sprangen sie dem Förderverein in dem »totalitären Kampf gegen ‹rechts›« zur Seite, »der noch die bescheidensten Bedürfnisse nach positiver Identifikation mit unserer Herkunft ausmerzen wird«. Die JF machte in ihrem Online-TV den »Kampf ums Berliner Schloss« zum »Thema der Woche«, und übernahm wie auch andere extrem rechte Medien die Behauptung, die Kritik am Antisemitismus von Bödecker gehe auf ein gefälschtes Zitat zurück. Im Juli 2022 stellte das Landgericht Berlin hingegen fest, die entsprechende Bewertung »ergibt sich aus dem Buch Bödeckers« und verhängte gegen Schröder eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung, die ihm untersagt, seine Falschbehauptung über angebliches Mogeln beim Zitieren weiter zu äußern.

Stiftungsleitung auf Abwegen
Zwar mussten nun der Förderverein und seine Rechtsaußen ihre Falschbehauptung aus dem Verkehr nehmen, konnten sich aber bald darauf über eine Verständigung mit der »Stiftung Humboldt Forum« freuen. Letztere gelangte zu der Auffassung, der Antisemitismus von Bödecker sei weder rechtsextremistisch noch rechtsradikal und daher hätten sich die zuvor erhobenen Vorwürfe nicht erhärtet und es stünde einer weiteren Zusammenarbeit nichts im Wege. Daraufhin stellte die JF triumphierend fest: »Humboldt-Forum rehabilitiert ‹rechte Spender›«. Die Behauptung, der Verein habe Gelder von »rechten Spendern« angenommen, hätte »sich als unwahr herausgestellt«. Die Stiftungsleitung wolle von ihrer einstigen Forderung, der Verein solle die Spenden der Zeitung wegen Verstoßes gegen ethische Standards zurückzahlen, nichts mehr wissen. Diesen Artikel wiederum übernahm der Förderverein vollständig auf seine Website. Man ist sich wohl einig: Es gibt keine Probleme außer einer »woken« Empörungswelle, die mit falschen Unterstellungen das Schlossprojekt in Misskredit bringen wolle.

Der Text basiert auf einem Auszug aus dem Buch von Philipp Oswalt: »Bauen am nationalen Haus. Architektur als Identitätspolitik«, das letzten Dezember im Berenberg Verlag erschienen ist.

Interview im #AntifaMagazin mit Philipp Oswalt zum Endlos Thema #Humboldtforumwww.der-rechte-rand.de/archive/8609…

#AntifaMagazin der rechte rand (@derrechterand.bsky.social) 2025-10-28T11:52:04.390Z


Den Kipppunkt hinter sich gelassen

von Kai Budler
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 213 - März | April 2025

Mit ihrer aktuellen politischen Ausrichtung läuft die Union ihrer Praxis aus längst vergangenen Tagen hinterher. Ihre Abkehr von einem modernisierten sozial-liberalen Konservatismus ist der Anfang des Traums der AfD von einer Zerstörung der CDU.

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© Kai Budler

»Mir ist es völlig gleichgültig, wer diesen Weg politisch mitgeht«, »Das, was in der Sache richtig ist, wird nicht falsch dadurch, dass die Falschen zustimmen« und »Ich gucke nicht rechts und nicht links. Ich gucke in diesen Fragen nur geradeaus.« Die Sätze von Friedrich Merz vor der Abstimmung mit der AfD im Bundestag am Tag des Gedenkens der Opfer des Nationalsozialismus sind programmatisch für die künftige Ausrichtung und politische Praxis der Union. Den autoritären Kipppunkt hat der CDU-Bundesvorsitzende hinter sich gelassen. Mit seinem »Fünf-Punkte-Plan« zementiert er weiter den Weg der selbst ernannten »Alternative für Deutschland mit Substanz« zu einer Partei des radikalisierten Konservatismus. Es ist die späte Rache einer Reihe von CDU-Funktionär*innen an einem modernisierten sozial-liberalen Konservatismus der vergangenen Jahre und dessen Zerstörung.

Die Vertreter dieser Union machen Justizeinrichtungen vulgär als »Scheiß-Gerichte« verächtlich und missachten öffentlich europäisches Recht. Sie übernehmen extrem rechte Anfeindungen wie gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder beide Kirchen. Sie diffamieren breite zivilgesellschaftliche Demonstrationen gegen rechts und drohen beteiligten Initiativen mit dem Verlust der Gemeinnützigkeit. Markus Söder träumt gar von einer Koalition der »Rückkehr zu einem alten Deutschland« und halluziniert ein »Deutschland der Normalität, der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der einfachen Leute« herbei. Bei der Migrationspolitik orientiert sich die Union offenbar an historischen Vorbildern aus den eigenen Reihen, nämlich Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann mit seinen rassistischen Ausfällen Anfang der 1980er Jahre. Sowie das Geschwafel von einer »kulturellen Überfremdung« vom damaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden Alfred Dregger und die CDU-Kampagne gegen das Asylrecht Anfang der 1990er Jahre mit dem rassistischen Flächenbrand und dem »Asylkompromiss« als Aushöhlung des Rechts auf Asyl. Schließlich die von der Union Ende der 1990er organisierte Unterschriftenaktion gegen die geplante Reform des deutschen Staatsbürgerschaftsrechts und die von Merz initiierte Debatte um eine »Deutsche Leitkultur« als Pflichtenkatalog für Migrant*innen.

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Heute jedoch, in der entgrenzten Debatte um Migration, mit einer derartig populistischen und polarisierenden Politik nachhaltig punkten zu wollen, ist für eine demokratische Partei ein folgenschwerer Irrtum. Bei der Bundestagswahl verlor die CDU mit ihrem zweitschlechtesten Ergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik mehr als eine Million Wähler*innen an die AfD. Im Gegenteil zu einem »alten Deutschland«, in dem es laut Franz Josef Strauß rechts von der Union keine Partei geben durfte, hat die AfD diesen Platz besetzt und schon mit »Deutschland. Aber normal« Söders Träumerei vorweggenommen. Der von Merz vorgegebene Kurs der Union ist ein erster Etappensieg auf dem Weg zu ihrer Zerstörung, die AfD sowie ihr Um- und Vorfeld ihrem »Hauptfeind« wünschen. »Rechte Parteien kommen in Europa dann in die Nähe der Regierung, wenn es keine klassische Christdemokratie mehr gibt«, hatte der jetzige AfD-Bundestagsabgeordnete Maximilian Krah bereits 2023 erklärt.

Ginge es nach ihm, soll die Union in zwei Teile aufgehen, von denen er sich einen »rechtsoffen« wünscht. Dorthin sind einige Konservative mit rasender Geschwindigkeit unterwegs, andere sind bereits angekommen. Sie setzen ihre Axt an der Wurzel des Rechtsstaats an und raunen verschwörungsideologisch von »Schattenstrukturen« und einem »Staat im Staate« im Sinne eines »Deep State«. Mit einem solchen Politikverständnis bliebe für sie als Kooperations- oder Koalitionspartner am Ende nur noch die AfD. Dafür sind die Sätze von Merz auf kommunaler Ebene und in den Landesparlamenten ein Freifahrtschein für CDU-Funktionär*innen bei künftigen Kooperationen mit der AfD. Stets können sie sich auf ihren Bundesvorsitzenden berufen, wenn sie die Stimmen der AfD in Kauf nehmen oder mit der Partei kooperieren. Für gesellschaftliche Erfolge, die in den vergangenen Jahren erstritten wurden, bedeutet der Traum eines »alten Deutschlands« hingegen schon jetzt ganz konkrete Angriffe. Auf diesem Weg dürfte die unverhohlene Bedrohung zivilgesellschaftlicher Initiativen nur der Anfang sein.

Sehr interessantes Interview zu USA und Trumpisten und dem fehlenden Widerstand der Institutionen gegen die Durchsetzung von "Project 2025". Historiker @thomaszimmer.bsky.social bei Ingo Zamperoni.Dazu wäre noch wichtig zu wissen, wie sich das Militär verhält.www.tagesschau.de/tagesthemen/…

#AntifaMagazin der rechte rand (@derrechterand.bsky.social) 2025-10-22T10:13:13.186Z

Der Gescheiterte – Das Versprechen war kein Versprecher

von Andreas Speit
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 216 - September | Oktober 2025

Als Kandidat für den CDU-Parteivorsitz wollte Friedrich Merz einst die AfD-Wahlergebnisse halbieren. Seine Politik als Kanzler scheint den Zuspruch für die extrem rechte Partei zu verdoppeln.

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© Roland Geisheimer / attenzione

In den ersten 120 Regierungstagen brach der neue Bundeskanzler einige seiner Wahlkampfversprechen. Das Unions-Dogma »Schuldenbremse« hebelte der CDU-Kanzler nach der Bundestagswahl aus. Statt »No-Gos«, mit denen Friedrich Merz die rot-grün-gelbe Vorgängerregierung fast handlungsunfähig erscheinen ließ, erfolgt jetzt ein »Anything Goes«. Das Lockern der Schuldenbremse löste im konservativen Milieu äußerste Skepsis aus. Kritik wurde ebenso laut bei der später beginnenden »Mütterrente« und der ausbleibenden privaten Strompreissenkung. Wahlkampfversprechen sind eben nur Wahlkampfversprechen. Ein Versprechen, das Merz ebenfalls nicht einhielt, wurde in der Union aber nicht öffentlich thematisiert: Hatte der CDU-Bundesvorsitzende nicht angekündigt, die Wahlergebnisse der AfD »halbieren« zu wollen?

Andienen statt abgrenzen
Diese Frage stellte dem Bundeskanzler auch Diana Zimmermann im ZDF-Sommerinterview vom 31. August 2025 nicht. Im Gespräch wiegelte der Kanzler indes Fragen zu Konflikten mit der SPD-Regierungspartnerin bei der Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik mit Verweis auf den Koalitionsvertrag ab. Bei Nachfragen der Leiterin des ZDF-Hauptstadtstudios wirkte er leicht genervt. Er ließ die Journalistin so dastehen, als wenn ihr das nötige Know-How fehle, um Antworten von ihm erbitten zu dürfen. »This is a man`s world« klang an. Als Macher, Praktiker, als ein Mann, der nun aufräumt, wollte Merz offenbar erscheinen.Eine Diskussion um das Versprechen von der Halbierung wäre da auch irgendwie unpassend gewesen. Zugegeben, dieses Versprechen machte Merz nicht im Kampf um das Kanzleramt, sondern um den Parteivorsitz. 2018 hatte der Kandidat, damals ohne Parteiamt und -würden erklärt – bis heute auf X nachlesbar: »Wir können wieder bis zu 40 Prozent erzielen und die AfD halbieren. Das geht! Aber wir selbst müssen dafür die Voraussetzungen schaffen.« Zudem ist dies auch fast sieben Jahre her. Long time. Politische Grundpositionen und ethische Werte sollten sich allerdings in einer christlichen Union – in den analytischen Perspektiven und deren strategischer Realisierung – nicht auf eine tagespolitische Dimension beschränken.

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In der Ruhe liegt die Kraft und führt zu Über- und Weitblick, scheint Merz derweil ausstrahlen zu wollen. Seine Strategie, um die AfD zu »stellen«, hat der neoliberale Kanzler früh eingeschlagen. Schnell versuchte er, mit der verbalen Radikalisierung der eigenen Ressentiments – einer »Kleine-Paschas«-Rhetorik – vermeintlich konservative Wähler*innen von der AfD für die CDU zurückzugewinnen. Zügig ließ er ohne Rechtsgrundlage Maßnahmen gegen Migration zu – »Grenzen-dicht«-Symbolik. Bereits vor der Bundestagswahl störte sich Ende Januar die Union unter Merz im Bundestag nicht an der Zustimmung der AfD zu ihrem Migrationsantrag, mit dem sie auf Zurückweisungen an den deutschen Grenzen drang. Ein Tabubruch, der den Wortbruch eingekreist hatte.

Normalisierung vorangetrieben
Mit dem »Stellen« blockiert Merz zudem jegliche Verbotsüberlegung. Als ob die Union die AfD nicht ohnehin schon normalisieren würde und prosperieren ließe. Doch hat die AfD die CDU/CSU nicht schon längst da, wo sie sie haben – zerreiben – will? Rhetorisch sind die Schwarzen bei den Blauen Alice Weidel und Tino Chrupalla im Wording gegen Geflüchtete und »Gutmenschen« angekommen. Praktisch ist die CDU/CSU in der Realisierung einer aggressiv-repressiven Einwanderungs- und Asylpolitik angekommen, die auch den extrem Rechten zusagt. Und angekommen bedeutet nicht, dass ein Ende des Wegs zu erwarten ist.



Diese Richtung schlägt die CDU in Begleitung der SPD um Lars Klingbeil ein. Beide Parteien fordert das AfD-Bundesspitzenduo weiter heraus. In alle ihnen hingehaltenen Mikrofone erzählen sie: »Das sagen wir die ganze Zeit. Und wenn die das jetzt sagen, können wir ja nicht radikal, rechtsextrem sein«; und erklären sogleich, dass die angekündigten Maßnahmen nicht ausreichen, sondern weitreichender sein müssten. Die SPD wie die Grünen sind letztlich für die AfD nicht die Hauptfeinde, die Volk und Vaterland verraten – denn das läge diesen »Volksverrätern« schließlich in der DNA. Dem konservativen CDU-Milieu jedoch weniger. Die »Cuckservatives« beklagt das AfD-Spektrum allerdings schon länger. Diese Konservativen würden zwar gegen den Zeitgeist rebellieren, ohne jedoch gegen den Geist der Zeit zu mobilisieren, wie so mancher gegenwärtige Wiedergänger der »Konservativen Revolution« (KR) postuliert. Im »Tagebuch« führt Ernst Jünger diesen antibürgerlichen Konservatismus an: »Wir überlassen die Ansicht, daß es eine Art der Revolution gibt, die zugleich die Ordnung unterstützt, allen Biedermännern«, schrieb der KR-Fundamentalist 1929 und führte weiter aus, dass sie die »echten und unerbittlichen Feinde des Bürgers« seien. Jünger, der »eiskalte Wollüstling der Barbarei« (Thomas Mann), der 1925 auch schrieb: »Ich hasse die Demokratie wie die Pest« wurde nach 1945 von der konservativ-bürgerlichen Mitte der CDU trotz dessen klaren Bekenntnisses mit dem Bundesverdienstkreuz (1977) und einem Bundeskanzlerbesuch (1993) geehrt. In den belesenen Zirkeln in, um und vor der AfD schimmert diese antidemokratische Mentalität mehr als durch. Sie befeuert die tiefe Verachtung gegenüber einer liberalen Demokratie.

Kulturkampf als Ablenkung
Die Lust an einer antidemokratischen Provokation im vorpolitischen Raum von Republikmüden und -enttäuschten mahnte Hanna Arendt als mitursächlich für das Scheitern der Weimarer Demokratie an. Eine Provokation, die ein Framing ist. Seit Jahren ersetzt die AfD reale Sozialpolitik durch kulturpolitische Provokationen. Diese Kämpfe führt sie so hart und ausdauernd, dass sie als Problem aller Probleme wahrgenommen werden. Ihr Agenda-Setting ist insofern mehr als nur ein Angriff gegen Wokeness oder Vegetarismus oder Sex. Es gelingt allerdings auch, weil Andere außerhalb der Partei diese Themen in deren Wording übernehmen. Im Interview mit der taz griff Robert Habeck jüngst jene Kulturkämpfer*innen ohne AfD-Mitgliedschaft an. Mit dem Streit um eine Regenbogenfahne am Bundestag habe Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) einen Kulturkampf befeuert und damit alle »Fundamentalisten« gegen LGBTQ unterstützt. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) würde derweil mit seinem »fetischhaften Wurstgefresse« alternative Ernährungsweisen angreifen. Einem Großteil der Gesellschaft ist zwar egal, wer wen liebt und wer was isst, die Kulturkämpfer*innen hetzen dennoch unbeirrt weiter – für eine vermeintliche Normalität und angebliche Identität. Diese Kulturkämpfe sind stets Ablenkungsgefechte, warnen Politolog*innen und Soziolog*innen. Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister der Grünen spitzt zu, dass sich nach solchen kulturpolitischen Statements Politiker*innen ereifern könnten, Zeitungen vollgeschrieben würden und in Talkshows gestritten werden könne. »Alle können etwas sagen«, hebt Habeck hervor, »die eigentlich realen Probleme« würden aber nicht diskutiert. Die »Sorgen um die Sicherung des Lebens, Status, Wohnung, Rente, Einkommen, Löhne, Mindestlöhne, hohe Inflation« werden so entsorgt. Da die Bundesregierung in sozio-ökonomischen Themen »notorisch uneins« sei, liefen diese emotionalisierten Empörungsdebatten stets weiter. In der ausgemachten Krise des Sozialstaats ist unlängst Merz zum Kulturkämpfer geworden. Er stellt sich erneut vor die Reichsten der Reichen. Im Sommerinterview versprach er, die Steuern nicht zu erhöhen. Die Wohlstandsverwahrlosten müssen sich also nicht um ihre Pfründe und Privilegien sorgen. Die Höher-, Mittel- und Geringverdienenden tragen weiterhin die steigenden Kosten – auch die massiven Rüstungskosten. Statt durch Steuererhöhungen bei den Besitzhabenden sollen bei Bürgergeldempfänger*innen die nötigen Gelder akquiriert werden. Fünf Milliarden Euro will Merz hier einsparen und spart schon seit längerem nicht mit Mahnungen. Der »Sozialstaat« sei nicht mehr finanzierbar, sagte er und beklagte, es werde zu wenig gearbeitet, zu viele seien krank oder wollten nicht arbeiten. Wer so redet, meint stets die Anderen, die »Faulen« und »Schmarotzer«. Den klassistischen Kulturkampf der Eliten hat Merz aktuell realpolitisch munitioniert. Doch wer muss nochmal kaum oder gar keine Steuern zahlen oder erhält staatliche Subventionen und Bürgschaften? Pardon, es soll keine Neiddebatte angefacht werden. Die Idee einer Besteuerung von Geld statt von Arbeit soll ebenso keine Missgunst schüren. Der Slogan »Die Reichen können wir uns nicht leisten« ist einfach unhöflich.

Zuwachs statt Halbierung
Dieser Weg von realer Sozialpolitik hin zu inszenierten Kulturkämpfen könnte mit erklären, warum die AfD trotz ihrer unsozialen Sozialpolitik erfolgreich ist. Sie hat nicht viel zu einer Politik jenseits neoliberaler Konzepte zu sagen – braucht sie aber auch nicht, da kaum jemand über solidarische Sozialpolitik redet. Die Verzerrung des Diskurses schlägt sich bereits in den Schlagzeilen nieder: »Sogar auf Sylt wird gespart«, titelte der Spiegel am 30. August. Wenn sogar »die Reichen« schon beim Essen- und Trinkengehen sparen, scheint es Deutschland wirklich schlecht zu gehen. Keine Frage nach dem neoliberalen Leitmotiv, Gewinne zu privatisieren und Verluste zu kollektivieren – sollen doch lieber die Ärmsten der Ärmsten aushelfen.

So forcieren Merz und Co die Entsolidarisierung der Gesellschaft. Ihre Hetze gegen »Work-Life-Balance« diskreditiert Sozial- und Arbeitsrechte. Durch eine Entsolidarisierung wird die AfD nicht inhaltlich gestellt. Im Gegenteil: Sozialpolitik mit kulturkämpferischer Rhetorik etabliert die Normalisierung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit weiter. Der AfD kommt Merz so entgegen. Die aktuellen Wahlumfragen deuten an, dass der Kanzler bislang ein Gescheiterter ist. Im November 2018, als er sein Versprechen gab, erreichte die AfD bei Umfragen noch um die 14 Prozent – 2025, jetzt wo Merz es einlösen könnte, ist sie schon bundesweit bei 25 Prozent.

EX #Verfassungsschutz Chef mit extrem Rechter Meinung findet vielleicht Heim ins Reich der AfD? Die sog. #WerteUnion ist es nicht mehr für #Maassen.www.spiegel.de/politik/deut…

#AntifaMagazin der rechte rand (@derrechterand.bsky.social) 2025-10-08T10:55:10.603Z

 

Inhalt Ausgabe 216


Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 216 - September | Oktober 2025

16
Die Unken von Jamel
#Widerstand

Was 2007 als mutige Initiative eines Künstlerehepaars begann,
ist heute Symbol für zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen die extreme Rechte in Mecklenburg-Vorpommern. Jetzt sorgte ein Streit um die Pacht einer Wiese beim Festival »Jamel rockt den Förster« für Ärger.
von Lisa Krug

30
Inseln der Freiheit für rechte Milliardäre
#BigTech

Rechte Tech-Milliardäre träumen von Sonderwirtschaftszonen und Privatstädten ohne staatliche Regulierung. Auch Dank US-Präsident Donald Trump könnte das Realität werden.
von Marianne Esders

36
Die Bombe von Oklahoma
#Terror
Am 19. April 1995 starben bei dem rechten Terroranschlag auf das Alfred P. Murrah Federal Building 167 Menschen. Im offiziellen Trump-Amerika spielt die Erinnerung an den Anschlag von Oklahoma City wenig überraschend keine große Rolle.
von Christoph Schulze

6 Der Gescheiterte – Das Versprechen war kein Versprecher #Merz
von Andreas Speit

8 Magdeburger Machtfragen #SachsenAnhalt
von Friederike C. Domrös und Marcel Hartwig

10 Wie man in Deutschland Verfassungsrichterin wird #Bundesverfassungsgericht
von Klaus Thommes

12 Probelauf zur Systemblockade #Kampagne
von Sören Frerks

14 Die rechte Internationale #MCC
von Ernst Kovahl

20 Interview: »Wir fragen uns, wie lange wir das alles noch aufrechterhalten können«
von Sascha Schmidt, im Gespräch mit Fulda stellt sich quer

22 Partei ohne Mäßigung #AfD
von Kai Budler

24 Silberstreifen an der Ostseeküste #LandtagswahlenMV
von Lisa Krug

26 Der dritte Platz #ImWesten
von Sebastian Weiermann

28 In Mileis Windschatten #Rechtslibertarismus
von Nadja Baumann

32 Maskierte Held*innen #LuchaLibre
von Dorothy Fuentes

34 Ein österreichisches Wochenende #Feindbestimmung
von Alexander Winkler

39 kurz & bündig

40 Mit Rechten reden #Querfront
von Ernst Kovahl

42 Rezensionen

»Quality Time« für militante Neonazis

von David Janzen
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 209 - Juli | August 2024

Mit dem aus den USA übernommenen Konzept der »Active Clubs« versuchen Neonazis, die Stagnation und Zersplitterung ihrer Szene zu überwinden. Durch eine Mischung aus Kampfsport, Körperertüchtigung und der Betonung einer Gemeinschaft von »weißen Kämpfern« sollen vor allem junge, fitnessaffine Männer angesprochen werden. Offene politische Agitation soll vermieden werden; stattdessen betont man Spaß, Gemeinschaftsgefühl und persönliche Entwicklung.

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Patrick Schröder 2019 auf einem Verkaufsstand bei einem Neonazi-Konzert in Themar. © Jan Nowak

Obwohl die extreme Rechte in der Bundesrepublik insgesamt im Aufwind ist, scheint der harte Kern der klassischen Neonazi-Szene nicht vom gesellschaftlichen Rechtsruck zu profitieren: »Seit vielen Jahren plätschert unsere Szene quasi ziel- und planlos umher, eine wirklich zielführende Strategie konnte in dieser Zeit niemand präsentieren«, beklagt Patrick Schröder, Betreiber des neonazistischen »FSN-Versands«, YouTuber und stellvertretender Landesvorsitzender von »Die Heimat« in Bayern, in der jüngsten Ausgabe des Szene-Magazins »N.S. heute« (Nr. 41 Mai/Juni 2024). Auch die bisherige Strategie des »Kampfs um die Straße« durch Demonstrationen sieht er als gescheitert an: »Demonstrieren, eingekesselt mit peinlichen Gestalten und ausgebuht von 5.000 Leuten macht keinen Spaß, hier wäre schon vor Ewigkeiten zwingend ein Umdenken erforderlich gewesen.« Auf der Suche nach erfolgreichen Konzepten stieß Schröder auf die US-amerikanischen »Active Clubs« und deren Konzept eines »White Supremacy 3.0.« Schröder plädiert nun für die Gründung solcher Clubs als Ausweg aus der Stagnation: »Wenn wir es schaffen, dass sich Teile unserer Szene hier einfügen und diese Konzeption mittragen, dann wird unsere ‹Widerstandsarbeit› endlich wieder zur ‹Quality Time› – wir werden wieder strategisch an einer Sache werkeln und die aktuell grassierenden Planlosigkeiten beenden.«

Das Original
Die »Active Clubs« wurden in den USA von Robert Rundo ins Leben gerufen, der zuvor in Süd-Kalifornien mit dem »Rise Above Movement« (RAM) den ersten Mixed Martial Arts-Kampfsport-Club der »Alt-Right« gründete, gewalttätige Proteste organisierte und mehrmals wegen seiner Aktivitäten verhaftet wurde. Anfang 2021 startete Rundo zusammen mit dem russischen Neonazi Denis Kapustin, Gründer des Neonazi-Kampfsportlabels »White Rex« und Organisator extrem rechter Kampfsportevents, den »Aktiv Club Podcast« und verbreitete die Idee dieses neuen Netzwerks. Laut dem »Center für Monitoring, Analyse und Strategie« (CeMAS) war die Strategie dabei, »abseits der Aufmerksamkeit der Strafverfolgungsbehörden eine Miliz aufzubauen, die bereit ist, unter Einsatz von Gewalt die ‹weiße Rasse› zu verteidigen«.
Rundo wurde dabei von der europäischen Neonazi-Kampfsportszene und Veranstaltungen wie dem »Kampf der Nibelungen« inspiriert. Gruppen wie »Knockout 51« in Eisenach oder die aufgelöste »Kampf- und Sportgemeinschaft Adrenalin Braunschweig«, deren Protagonist*innen auch unter dem Label »Löwenstadt Fight Club« auftreten, verfolgen auf lokaler Ebene bereits ähnliche Konzepte wie die »Active Clubs« in den USA. Sie sind damit Teil eines größeren globalen Trends innerhalb der extremen Rechten, der Kampfsport und Fitness als Mittel zur Radikalisierung und Vernetzung nutzt. Recht schnell wuchs das Netzwerk in den USA auf inzwischen fast 50 aktive Clubs in 25 Bundesstaaten und breitet sich auch in andere Länder aus. Der Politikwissenschaftler Alexander Ritzman vom transatlantischen Think-Tank »Counter Extremism Project« bezeichnet die »Active Clubs« gar als das »weltweit größte und am schnellsten wachsende Netzwerk der gewaltorientierten extremen Rechten, mit weit mehr als 100 Gruppierungen in mindestens 23 Ländern«.

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In Deutschland
Mit der Publikation des Artikels von Schröder traten in der Bundesrepublik schnell in mehreren Regionen die ersten »Active Clubs« in Erscheinung. Neben einer zentralen Telegram-Gruppe mit inzwischen mehr als 1.000 Abonnent*innen und einem Versand, der Aufkleber und Flyer zur Verfügung stellt und für die lokalen Gruppen anpasst, zählt die Monitoring-Stelle CeMAS in ihrem aktuellen Report »11 regionale Gruppen auf den Plattformen Telegram und TikTok« auf, dazu mindestens zwei weitere Gruppen, die bisher über keine Online-Präsenz verfügen. Über ihre Social-Media-Kanäle verbreiten die »Active Clubs« vor allem Bilder und dynamisch geschnittene Videos von Kampfsporttrainings oder klandestinen Aufkleberaktionen. Meist scheinen hinter den Clubs eher Einzelpersonen oder nur eine Handvoll Personen zu stehen. Für Schröder ist das allerdings kein Problem: Auch Einzelpersonen, die vor Ort keinen Kontakt zu bestehenden Gruppen oder Parteien haben, sollen »Active Clubs« ins Leben rufen, ein Social-Media-Profil und einen Telegram-Kanal mit einem angepassten Logo erstellen und dann mögliche Mitstreiter*innen direkt ansprechen: in Gyms oder Kampfsportstudios, auf Dorffesten, Deutschrock-Konzerten, unter den Fanszenen im Stadion oder bei Veranstaltungen von AfD, »Identitärer Bewegung«, »Querdenken« und PEGIDA.

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Patrick Schröder bei einer AfD Veranstaltung 2021 in Nürnberg mit Lukas Suttner, seinem späterem Nachfolger als Geschäftsführer bei der »Nemesis Production GmbH« (»Ansgar Aryan« etc.). © Jan Nowak

Active Instructor Patrick Schröder
Wenn bei der Gründung eines »Active Clubs« jemand mit Kampfsporterfahrung fehle, so Schröder, solle man sich in einem regulären Kampfsportverein entsprechende Kenntnisse aneignen, um sie später an die eigene Gruppe weiterzuvermitteln. Und wenn es bei der Außendarstellung an durchtrainierten Personen fehle, könne man auch mit Filtern arbeiten, um die entsprechende Ästhetik herzustellen. Laut CeMAS nutzen einige »Active Clubs« bereits mit KI erstellte Bilder, um ihre Gruppe »vermutlich größer erscheinen zu lassen, als sie tatsächlich ist«. Mit »20% Jugendlichen«, die AfD wählen, gebe es ein großes Rekrutierungspotential, auch wenn die wenigsten an politischen Debatten interessiert seien: »Aber wie viele schauen dagegen Fußball, Kampfsport, gehen ins Fitnessstudio, unternehmen Reisen etc. und sind zumindest oberflächlich für viele Aktivitäten zu haben?« Dementsprechend mahnt Schröder, man solle nicht «zu politisch« auftreten und mit »Hardcore-Politik« anfangen, sondern eher über Gemeinschaftsgefühl und Sportbegeisterung sprechen und nur beiläufig erwähnen, dass man gegen »Multikulti« sei. In Anlehnung an das Motto »Make fascism fun« der »Active Clubs« in den USA erteilt Schröder die Anweisung: »Habt Spaß: Ausflüge, Paintball, Konzerte etc. – es muss beileibe nicht nur Hardcore-Aktivismus sein. In den Werbevideos darf man auch mal nur abhängen, auch mal lachende Gesichter zeigen, auch dort nicht nur Aktivismus und Ähnliches, Ihr müsst Euch immer merken: Der Feind hasst es, wenn er sieht, dass wir Spaß und eine gute Zeit haben! Potenzielle Zuschauer müssen dagegen merken, dass das echt eine coole Sache ist, bei uns am Start zu sein.«
Auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Martina Renner von Die Linke bewertete die Bundesregierung jüngst, dass das von den »Active Clubs« ausgehende »Gewalt- und Bedrohungspotential« vor dem Hintergrund des »zügig voranschreitenden Ausbaus von Strukturen in Deutschland, der europaweiten und internationalen Vernetzung, einer vergleichsweise hohen Konspirativität bei gleichzeitig starken Rekrutierungsbemühungen junger Männer für das gewaltorientierte rechtsextremistische Spektrum sowie der hohen Gewaltneigung der beiden ideologischen Vordenker des ‹Active Club›-Konzepts potentiell erheblich« sei. Auch das CeMAS befürchtet, dass »die wachsende Zahl von kampfsportaffinen und zum großen Teil auch -erprobten »Active Clubs« in Deutschland zu einem Anstieg rechtsextremer Gewalttaten führen wird«.

AfD, Waffen, Schießtraining, Deutsche Schützenbundtaz.de/Sportschuetz…

#AntifaMagazin der rechte rand (@derrechterand.bsky.social) 2025-09-27T14:45:26.815Z

Keine Grenzen

von Robert Andreasch
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 215 - Juli | August 2025

#Prozess

Im »Budapest-Komplex« verhandelt das Oberlandesgericht München seit Februar 2025 gegen die Nürnberger Antifaschistin Hanna S. »Budapest-Komplex«, das heißt: Die illegale Auslieferung von Maja T. aus Deutschland nach Ungarn, mehrere Verfahren in Budapest gegen Antifaschist*innen, eine vom Generalbundesanwalt gegen sechs Betroffene erhobene Anklage in Düsseldorf, eine drohende Auslieferung des Antifaschisten Zaid A., Verhaftungs- und Hausdurchsuchungswellen, Untersuchungshaft und internationale Fahndung gegen linke Aktivist*innen aus ganz Europa und vieles mehr. Alles im Anschluss an antifaschistische Proteste gegen das Neonazi-Event »Day of Honour“ im Februar 2023 in Budapest.

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Antifa-Kundgebung an der JVA Stadelheim zum Prozessauftakt gegen Hanna S.
© Robert Andreasch

Die Erzählung der Staatsanwaltschaft im Münchner Verfahren geht so: Im Februar 2023 habe es eine kriminelle Vereinigung von Antifaschist*innen gegeben. Deren Ziel sei gewesen, »mittels Gewalttätigkeiten gegen der rechten Szene zugehörige Personen deren Aktivitäten weitgehend zu unterbinden und andere abzuschrecken«. Es habe sich entweder um diejenige Vereini­gung gehandelt, die schon 2018 im Raum Leipzig bestanden habe (»Antifa-Ost«). Oder, falls nicht, eben um eine neue Gruppierung. Die nun in München Angeklagte, Hanna S., sei am Wochenende des neonazistischen »Tags der Ehre« – um den 11. Februar 2023 – in Budapest an zwei Attacken auf Rechte beteiligt gewesen. Aus den Platzwunden bei einem Teil der Angegriffenen wurde in der Anklage gegen sie der unbelegte Satz: »Mit dem möglichen Eintreten des Todes hatten sich alle Angreifer abgefunden.« Seitens des Generalbundesanwalts wurde so ein Verfahren, das sonst womöglich ein Amts- oder Landgericht wegen Körperverletzung beschäftigt hätte, hochskaliert: auf eine Anklage wegen Paragraph 129 Strafgesetzbuch und wegen versuchten Mords gegen die heute 29-jährige Kunststudentin. So ein Vorwurf heißt dann auch: Oberlandesgericht, Staatsschutzsenat, Untersuchungshaft. Verhandelt wird in einem unterirdischen Hochsicherheitssaal, der unter die Justizvollzugsanstalt Stadelheim gebaut wurde.

Motivierte Ermittler*innen auf Hochtouren
Die Aktivitäten der Behörden gegen die Beschuldigten haben in den vergangenen zwei Jahren quasi keine Grenzen gekannt. In Budapest ermittelten zeitweise über 50 Beamt*innen, noch am Wochenende des Neonazitreffens haben sich sächsische und thüringische Polizist*innen mit eingeklinkt. Ihr erster Ansatz: In Budapest hängen eine Menge Überwachungskameras: in Bussen und U-Bahnen, in Geschäften und Cafés sowie in den Eingangsbereichen von Wohnhäusern. Wenn auch die angeklagten Taten nicht alle gefilmt wurden, trugen die Ermittler*innen hunderte Videos aus der ganzen Stadt zusammen, auf denen angereiste Antifaschist*innen fast lückenlos über das gesamte Wochenende zu sehen sein sollen. Jemand trägt eine Decathlon-Tüte zur Tür seines Airbnbs herein? Gleich beim Sportwarenhändler auch noch die Videos holen. Die will man alle händisch zusammen­gefügt haben – auch wenn in einem Teil der zur Akte gelangten Videos Personen auffällig oft mit (software-typischen) Kästen umrandet sind. An die Auswertung machte man sich in internationaler Zusammenarbeit von »Soko Linx« aus Dresden, LKA Thüringen und dem Polizeipräsidium Budapest. Sogenannte Super-Recognizer setzten sich dran, man zog Passfotos von den Einwohnermeldeämtern und aus ED-Behandlungen herbei. Man bat bundesweit Staatsschutzdienststellen um Mithilfe, stöberte online, zum Beispiel bei thailändischen Box-Gyms, herum, durchforstete soziale Netzwerke und gab Identifizierungs- und Gesichtsgutachten bei mehreren Landeskriminalämtern in Auftrag. Ein Team um Professor Dr. Dirk Labudde von der Hochschule Mittweida führte unter Zwang eine 3D-Vermessung der Angeklagten durch, um damit angebliche individuelle Bewegungsmuster belegen zu können.

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Überwachung und detailliertes Wissen
Die Überwachungsgesellschaft ist nicht nur in Ungarn Realität. Ein im Prozess verlesenes Behördenzeugnis des Bundesamts für Verfassungsschutz führte detailliertes Wissen auf über feministische Veranstaltungen, ein Kampfsporttraining sowie über die Solidaritätsdemonstration »Wir sind alle Linx« in Leipzig (2020/2021). Es beinhaltete auch Vermerke, für die man offenbar Wohnungen überwacht hatte und Antifaschist*innen mit Autos hinterhergefahren war. Und dann gibt es noch den früheren Beschuldigten, der, so formuliert es eine Polizistin im Prozess, »mit der Staatsanwaltschaft gerne kommuniziert, der auskunftsfähig ist«. Ermittler*innen haben mit hohem Aufwand Daten von PayPal erhoben; andere versuchten, über automatische Kennzeichenüberwachung weiterzukommen. Bei Airbnb fragten sie die Bestandsdaten sowohl für das Budapester »Day of honour«-Wochenende des Jahres 2023 als auch des Vorjahres ab; schließlich auch Buchungsdaten zur thailändischen Insel, von der man das Boxtrainings-Foto gefunden hatte. Bei manchen der als Zeug*innen geladenen Beamt*innen konnte man so etwas wie Genugtuung spüren, es jetzt endlich mal der Szene zeigen zu dürfen. Kaum jemand, der nicht zerknirscht die »unbekannte männliche Person 8« erwähnte, die man bislang nicht habe zuordnen können. Der führende Nürnberger Staatsschützer gab mit seinem vermeintlich detaillierten Wissen über Linke und Antifaschist*innen in Mittelfranken an: Wer in welchem Wohnprojekt wohne, wer mit wem schon mal Beziehungen geführt habe oder aktuell führe, wer in welcher Schicht in welcher Kneipe arbeite. Bei der Mutter eines Beschuldigten wurde ein Fotoalbum aufgefunden? Alle jüngeren Abgebildeten müssen identifiziert werden! »Kontaktpersonen!« heißt das Schlüsselwort, das offenbar die Ausweitung aller Maßnahmen rechtfertigt. Die Behörden können aus einem gut gefüllten Datenbestand schöpfen, zum Beispiel aus der polizeilichen Kontrolle einer anti­faschistischen Busfahrt zum AfD-Bundesparteitag 2017 oder aus einem Nürnberger Graffiti-Verfahren 2023. Warum damals in Bayern bereits sächsische LKA-Beamt*innen einbezogen waren? »Dazu habe ich keine Aussagegenehmigung«, wehrte ein Ermittler ab.

In der von Rechtsaußen aufgeheizten Öffentlichkeit gab es zuletzt eine große, letztlich erfolgreiche Kampagne gegen Hanna S. Die Juryentscheidung, ihr in diesem Jahr den Bundeskunststudierendenpreis zu verleihen, wurde daraufhin ausgesetzt. Lokal hat die extreme Rechte von der Verhandlung dagegen bislang kaum Notiz genommen, lediglich der Allgäuer AfD-
Politiker Wolfgang Dröse schrieb einen kurzen Text im »Freilich-Magazin«. Als die Neonazi-Zeug*innen vernommen wurden, kam niemand mit ihnen mit. Ein Urteil soll nach rund 30 Verhandlungstagen im September verkündet werden.

Anmerkung der Redaktion:
Hanna S. wurde am 26. September 2025 zu 5 Jahren Haft verurteilt.