Vom Pfeifen im Walde

von Volkmar Wölk

Magazin »der rechte rand« - Ausgabe 160 - Mai 2016

»Wir sind viele, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut«, tönte es sehr lautstark durch die Straßen Wurzens. Die Landesverbände der NPD und JN hatten zu ihrer 1. Mai-Demonstration in jene nordsächsische Kleinstadt gerufen, die über Jahre den Ruf einer »national befreiten Zone« hatte. Hier hatte die NPD erfolgreich die Jugendkultur dominiert, hatte die Stadt zu einer Angstzone für politische GegnerInnen und unangepasste Jugendliche gemacht, hier hatte sie ihre ersten kommunalpolitischen Erfolge in Sachsen gefeiert. Dass der NPD der zweimalige Einzug in den sächsischen Landtag gelingen konnte, war nicht zuletzt ihrer Rolle in Provinzstädten wie Wurzen zu verdanken.

Die Lautstärke stimmte also bei diesem Aufmarsch. Allerdings lag das vor allem an der guten Lautsprecheranlage. Die Behauptung »Wir sind viele« war allerdings unzutreffend. Die Zählung des Zuges war denkbar einfach: exakt 105 NPD-AnhängerInnen hatten sich auf dem Weg in die Stadt gemacht. Ein schlicht desaströses Mobilisierungsergebnis.

Vorsitzender Frank Franz (links) und Klaus Beier präsentieren das Wahlplakat der NPD

Vorsitzender Frank Franz (links) und Klaus Beier präsentieren das Wahlplakat der NPD

Das Ausmaß des Misserfolges wird noch deutlicher, wenn zwei weitere Faktoren in Sachsen berücksichtigt werden. Einerseits demonstrierte die militant-neonazistische Kleinpartei »Der III. Weg« in Plauen. Rund 700 Personen nahmen an diesem Aufmarsch teil, lieferten sich teilweise militante Auseinandersetzungen mit der Polizei und jenem Teil des politischen Spektrums, der Widerstand nicht auf Mahnwachen beschränkt wissen wollte. Andererseits sprach SPD-Justizminister Heiko Maas bei der DGB-Kundgebung in Zwickau – und wurde schlicht von der deutlichen Mehrheit der Anwesenden mit bekannten Parolen wie »Volksverräter« niedergebrüllt. Verursacher dieser Kaperung einer politischen Veranstaltung waren lokale Gruppen aus dem GIDA-Spektrum wie das »Bürgerforum Zwickau« oder die »Heimattreuen Niederdorf«.

In Sachsen ist die Lage inzwischen so, dass jeder örtliche PEGIDA-Ableger fähig ist, in kurzer Zeit mehr Menschen auf die Beine zu bringen als die NPD mit ihrer Organisationskraft und -erfahrung. Der personelle Aderlass war auch in Wurzen nicht zu übersehen. Maik Scheffler, ehemals Landesgeschäftsführer der Partei, tourt inzwischen als Aussteiger von Veranstaltung zu Veranstaltung. Der ehemalige Landesvorsitzende Holger Szymanski? Verstoßen mit Schimpf und Schande! Der ehemalige Landesvorsitzende und Landtagsabgeordnete Mario Löffler? Ausgetreten. Der Leipziger Kreisvorsitzende und einzige NPD-Stadtverordnete Enrico Böhm? Ausgeschlossen! Ein Teil der wenigen noch verbliebenen Mitglieder deshalb ausgetreten. Faktisch nicht mehr existent auch die beiden ostsächsischen Kreisverbände Görlitz und Bautzen. Die Regionen Vogtland und Erzgebirge werden zunehmend von »Der III. Weg« dominiert. Trotzdem – die sächsische NPD verbreitet eifrig Erfolgsmeldungen. Sogar amtlich bestätigt sei es, dass und wie erfolgreich und gefährlich sie sei. Das Material für diese Prahlerei liefert ihr ausgerechnet das Landesamt für Verfassungsschutz, einmal mehr seine Unfähigkeit einer einigermaßen sachgerechten Analyse der politischen Entwicklung unter Beweis stellend. Triumphierend zitiert die NPD aus dem Jahresbericht der Schlapphüte für 2015. Die Partei sei »die aktivste Kraft innerhalb der rechtsextremis–ti-schen Szene und auch die maßgebliche Triebkraft bei der rechtsextremistischen Anti-Asyl-Agitation«. Und weiter: »Insgesamt 105 der 146 bekannt gewordenen öffentlichen Aktivitäten von Rechtsextremisten in Sachsen, wie Demonstra-tionen, Kundgebungen oder Informationsstände, wurden im Berichtsjahr durch die NPD und ihre Jugendorganisation organisiert bzw. organisatorisch unterstützt.« Die NPD habe sich »zu einem wesentlichen Motor der fremdenfeindlichen Agitation im Freistaat Sachsen entwickelt. Es gelang ihr, mit ihrer subtilen Taktik in verschiedenen Regionen mitunter Zustimmung und Anschluss im regionalen bürgerlichen Lager zu finden.« Besonders gewürdigt wird der neue Landesvorsitzende Jens Baur (Dresden), der als »eine treibende Kraft« bezeichnet wird.

Beeindruckende Zahlen: 105 von der NPD durchgeführte oder maßgeblich unterstützte öffentliche Aktionen. Tot scheint die Partei also noch nicht zu sein. Allerdings ist die Lage in Sachsen inzwischen erstens so, dass bislang nicht aktive RassistInnen nunmehr bei jeder entsprechenden Demonstration auflaufen, egal ob die NPD an der Spitze steht oder ein anderer Verein. Das kann der NPD natürlich bei ihren Reorganisa-tionsversuchen nützen. Allerdings nur dann, wenn sie die Kraft hat, das sympathisierende Umfeld längerfristig an sich zu binden. Genau dort liegt allerdings das Manko. Zum zweiten relativieren sich diese Zahlen noch zusätzlich dadurch, dass sie vom »Verfassungsschutz« kommen, also schlicht falsch sind. Mehr als 700 rassistische Aufmärsche und Kundgebungen hat es im vergangenen Jahr in Sachsen gegeben. Die rassistische Welle in Sachsen benötigt wahrlich keinen zusätzlichen Anschub durch die NPD. So muss davon ausgegangen werden, dass der Geheimdienst die Rolle der NPD nur deshalb hervorhebt, weil diese von Bedeutung sein muss, wenn das Bundesverfassungsgericht sie verbieten soll. Ein maroder Haufen taugt dazu nicht.

Ist die NPD also eigentlich schon tot? Selbstverständlich nicht. Vier Prozent bei den Umfragen in Mecklenburg-Vorpommern lassen den Wiedereinzug in den Landtag als möglich erscheinen. Und dort, wo die lästige rassistische Konkurrenz von der AfD fehlt – zum Beispiel in Büdingen und Wetzlar –, wird sie auch gewählt. Zugegeben: Die Krise der NPD ist eine tiefe. Aber Krisen hat sie in ihrer langen Geschichte schon viele überlebt.