Gedenkstättenarbeit im Zeitalter der AfD
                                von Elke Gryglewski								
                                Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 212 - Januar | Februar 2025                            
#UnterDruck
Seit 2017 ist die AfD im Bundestag vertreten, in vielen Landtagen und Kommunen war sie es schon zuvor. Was hat sich dadurch für die Gedenkstättenarbeit verändert? Um diese Frage zu beantworten, ist es sinnvoll einen Blick zurückzuwerfen. Dabei stellen wir fest, dass es seit jeher Angriffe von rechts gegen unsere Arbeit gegeben hat. Diese reichten immer von verbalen Angriffen gegen die Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen bis hin zu versuchten Anschlägen gegen unsere Einrichtungen – wie der Michael Kühnens und seiner sogenannten Werwolf-Gruppe in den 1970er Jahren gegen die Gedenkstätte Bergen-Belsen. Auch rechte, den Holocaust trivialisierende Äußerungen von »ganz normalen« Besucher*innen gab es schon in den 1990er Jahren.

© Mark Mühlhaus / attenzione
Die Stimmung ist eine andere geworden
Nicht ohne Grund entwickelten etliche Gedenkstätten-mitarbeiter*innen Fortbildungskonzepte gegen Stammtischparolen oder überlegten spaßeshalber, wie seinerzeit in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, Publikationen herauszubringen mit Titeln »… was ich schon immer sagen wollte«. Das »spaßeshalber« hat hier eine besondere Bedeutung, denn ja, schon damals waren abwehrende und relativierende Äußerungen von Besucher*innen in Reaktion auf die von uns präsentierte Geschichte ernstzunehmen. Auch damals waren kollegiale Beratungen wichtig, um einen Umgang damit zu finden. Die Grundstimmung war jedoch eine andere: In den 1990er und 2000er Jahren gingen wir noch von einer überwiegenden Zustimmung gegenüber unserer Arbeit aus und schöpften dadurch Kraft für den Umgang mit den sogenannten problematischen Äußerungen und Besucher*innen. Heute aber ist es schwerer geworden, die immer noch bestehenden vielen positiven Reaktionen nicht aus dem Blick zu verlieren.
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Diskursverschiebungen
Angesichts der Sichtbarkeit der heute geäußerten Ablehnung, Hinterfragung und Relativierungen müssen wir uns natürlich fragen, ob »es« schon immer da war, sich aber anders manifestierte und wir – auch aus Selbstschutzgründen – vorgezogen haben, uns auf den vermeintlichen oder tatsächlichen Konsens einer notwendigen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit und seiner Folgen zu fokussieren. Was hat sich also in den letzten Jahren verändert?
Zunächst beobachten wir eine deutliche Verschiebung des Diskurses dahingehend, dass frühere Minderheitenpositionen heute oft zum Mainstream geworden sind. Das mag auch daran liegen, dass wir – nicht zuletzt als Reaktion auf politische Forderungen und Äußerungen der AfD – stärker als früher die Folgen der Geschichte für die Gegenwart zum Thema machen und die Einsprüche gegen unsere Schlussfolgerungen Widerspruch hervorrufen. Es ist einfach zu formulieren, dass die Erinnerung und das Gedenken an die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen wichtig sind – die Zustimmung schrumpft, je konkreter wir für die Gegenwart ableiten, was Menschenwürde oder die Bekämpfung von Antisemitismus, Rassismus und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit bedeutet.
Verrohung und Gewalt
Die vielfach konstatierte Verrohung im Äußern von Kritik ist eine weitere Veränderung: Verbale Angriffe in Form von anonymen Anrufen oder Mails haben deutlich zugenommen und sorgen für Verunsicherung bei Mitarbeiter*innen. Die Anzahl von Sachbeschädigungen in Form von Schmierereien und rechten Aufklebern ist in den Gedenkstätten ebenfalls gestiegen. Am deutlichsten sind die Verschiebungen wahrnehmbar, wo Kollegien sich dezidiert mit demokratischen Bündnissen gegen die AfD positionieren. Dies bekam insbesondere Jens-Christian Wagner, Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, vor den letzten Wahlen in Thüringen zu spüren, als ekelhafte Morddrohungen gegen ihn ins Netz gestellt wurden. Gegen den Sitz der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten gab es einen Anschlag, nachdem wir gemeinsam mit anderen Einrichtungen zum Protest gegen den Landesparteitag der AfD in Celle aufriefen. Diese Angriffe werden nicht unbedingt von Mitgliedern der AfD verübt, eine inhaltliche oder zeitliche Nähe zu Ereignissen im Parteikontext lassen sich aber herstellen. Das erschwert gleichwohl unsere Argumentation erheblich, beziehungsweise – aus anderer Perspektive – verschiebt dieser Umstand die Beweislast in unsere Richtung. Wir sind diejenigen, die Zusammenhänge nachweisen müssen, auch in Situationen, in denen wir zunächst Opferschutz genießen sollten.
Normalisierung der AfD
Damit zusammen hängt eine weitere Veränderung: Wir beobachten mit Erschrecken, wie Parlamentsmitglieder der AfD, der Umgang mit ihnen und damit zwangsläufig ihre Aussagen »normalisiert« werden. Waren es zu Beginn ihrer parlamentarischen Laufbahn im Wesentlichen Talkshows, die aufgrund einer vermeintlich interessanteren, weil kontroverseren Diskussion Repräsentant*innen der Partei Raum gaben, sind Interviews an prominenter Stelle im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zum Alltag geworden. Entgegen besseren Wissens wird argumentiert, würde man sie nicht einladen, würden sie sich als Opfer gerieren… was sie in jedem Fall tun. Auch wird oft das Argument genannt, man könne ihre Position angesichts der hohen Wählerzustimmung nicht ausblenden – wobei die Frage offen bleibt, wer dann ihre Äußerungen wahrnimmt. Angesichts der von Anhänger*innen der AfD viel zitierten und ignorierten »Lügenpresse«, zu der die öffentlich-rechtlichen Medien gehören, ist zumindest nachzufragen, welche Zielgruppe dann adressiert werden soll. Was hier beispielhaft für die Medien genannt ist, zeigt sich auch in anderen Kontexten. Angehörige der AfD-Fraktionen werden zu Veranstaltungen geladen und sind – da wo Proporz gefordert ist – oft Mitglieder in Gremien. Damit werden ihnen und vor allem rechtsradikalen Netzwerken, mit denen sie vielfach beispielsweise über ihre Mitarbeiter*innen verwoben sind, ihre »Gegner*innen« quasi auf dem Silbertablett serviert. Dieser Prozess wirkt wie eine Spirale: Ihre Anwesenheit und ihre Äußerungen werden immer normaler und es sind die Betroffenen – hier vor allem Menschen und Institutionen, die die Rechten als nicht zugehörig markieren oder die für andere Werte stehen –, die dagegen auf- und eintreten müssen.
Was tun …?
Welche Konsequenzen sollten wir aus dieser Situation ziehen? Sicherheitsfragen, die uns verstärkt begleiten, möchte ich hier nicht thematisieren. Die Arbeit der Gedenkstätten hat an Bedeutung gewonnen: Es sind die Orte, wo die Ursprünge des undemokratischen Denkens, die ideologischen Grundpfeiler plausibel gemacht werden können. Wohin kann das führen? Wie entwickeln sich Radikalisierungsprozesse? Mehr denn je müssen die Erzählungen zu den historischen Orten und den dort verübten Verbrechen in die Nachkriegszeit und bis in die Gegenwart fortgeführt und nachvollziehbar gemacht werden.
Gleichzeitig sollten Gedenkstätten stärker reflektieren, was es heißt, eine demokratische Institution und ein Ort der Teilhabe zu sein. Wie kann an unseren Orten vermieden werden, dass Angehörige von sogenannten Minderheiten Erfahrungen mit Antisemitismus oder Rassismus machen? Wie werden Ausstellungen diskriminierungskritisch gestaltet, wie wird im Rahmen von (Bildungs-)Angeboten verhindert, Ausgrenzungserfahrungen zu reproduzieren?
Kompetenzen aufbauen, gemeinsam gegen rechts auftreten
Um diese unterschiedlichen Ebenen kompetent zu gestalten, brauchen wir Fortbildungen, die vertiefte inhaltliche Kompetenz ermöglichen, aber beispielsweise auch solche zu diskriminierungskritischen (Bildungs-)Angeboten. Vielerorts werden Forderungen laut, dass sich NS-Gedenkstätten zusätzlich zu ihrer spezifischen Geschichte und ihrem Kontext noch anderen Gewalterfahrungen wie der Geschichte des Kolonialismus oder jenen, aus denen Geflüchtete stammen, zuwenden sollen. Jenseits der Tatsachen, dass wir – wo möglich – Verflechtungen zu anderen Kontexten herstellen und Raum für die unterschiedlichen Perspektiven unserer Besucher*innen geben, müssen wir aber – im Gegenteil – den Fokus verstärkt auf die Geschichte des Nationalsozialismus richten und sie unserem Alleinstellungsmerkmal entsprechend historisch einordnen. Dabei sollten wir darauf achten, Inhalte nachvollziehbar für ein breites Publikum darzustellen.
Angesichts dieser anderen bedeutsamen historischen Komplexe und Zugänge, mit denen ein ganzheitliches Bild dargestellt werden kann, ist es darüber hinaus wichtig, Netzwerke aufzubauen mit Einrichtungen, die über andere, ergänzende inhaltliche oder methodische Stärken verfügen. Teil dieser Netzwerke ist auch die Zivilgesellschaft, mit der die Gedenkstätten gerade in den Regionen vielfach zusammenarbeiten.
Gemeinsam in der Öffentlichkeit gegen rechte Parolen und undemokratische politische Forderungen aufzutreten und gleichzeitig spezifische Angebote vor Ort entsprechend der eigenen Kompetenzen bereitzuhalten – damit können die Gedenkstätten zur Erinnerung an die NS-Verbrechen ihren Auftrag angesichts der gesellschaftlichen Verschiebungen erfüllen: Auf Grundlage ihrer Forschung und ihrer Sammlungen Wissen vermitteln und eine Grundlage für das Gedenken und die Orientierung in der Gegenwart schaffen; »Mahnen« durch öffentliches Eintreten für demokratische Werte und durch das Praktizieren demokratischer Formen.