Vorwurf Antifaschismus
von Andreas Speit
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 217 - November | Dezember 2025
#Diffamierung

© Mark Mühlhaus / attenzione
Die Bedrohung ist längst anvisiert. Die Feinde wurden unlängst markiert. In der Republik hat eine alte Skepsis neue Präsenz erlangt. Der angedeutete Hauch des Linken ist im wachsenden Verruf. Der Verdacht genügt, um verdächtig zu sein. Die ldeen von Emanzipation über Diversität und Klimaneutralität bis Partizipation erscheinen als staatsgefährdend. Soziale Transferleistungen überlasten den Sozialstaat, betrieblicher Arbeitsschutz führt zu Bürokratie, Geschlechterneutralität zur Sprachverunstaltung, Klimaschutz zur Deindustrialisierung und Teilhabe zu Innovationsflucht. Der Sound eines autoritären Marktradikalismus dominiert. Im Namen der Freiheit wird die Abweichung angefeindet. Den breiten Chor der reaktionären Nostalgie bilden nicht nur die üblichen Verdächtigen. Bei der Präsentation der Studie »Die angespannte Mitte« pointierte Andreas Zick am 6. November: »rechts trendet, links nicht«. Ein Gegner und Chiffre zugleich – darf betont werden – ist zugleich der Antifaschismus.
Der Vorreiter
Das Attentat auf Charlie Kirk auf dem Campus der Utah-Valley-Universität befeuerte die Feindmarkierung. Ohne große Kenntnis über den Attentäter vom 19. September dieses Jahres in Orem (Utah) machte Donald Trump auf »Truth Social« sofort die »radikale Linke« verantwortlich und kündigte an, »die Antifa« als Terrororganisation einstufen lassen zu wollen. Schon 2020 äußerte der US-amerikanische Präsident diese Intention. Am 23. September erfolgte seine Anordnung, »die Antifa« als terroristische Organisation einzustufen. Die Trauerfeier für den radikal christlichen Aktivisten der »Make America Great Again«-Bewegung inszenierten die Organisatoren als ein messianisches Event, indem die ewige Schlacht zwischen dem Hellen und dem Dunklen, dem Guten und dem Bösen beschworen wurde. Die Gedenkfeier im Football-Stadion der Stadt Glendale glich einer Heiligsprechung. Der religiös-patriotische Pathos sprach in Europa die extreme Rechte weniger an. Die politische Argumentation, das heißt die Kampfansagen an alles links des rechten Mainstreams, dienten allerdings auch in Europa als Blaupause.
In den Niederlanden beschloss eine knappe Mehrheit in der Zweiten Kammer einen Antrag der »Partei für die Freiheit« um Geert Wilders, »die Antifa« als Terrororganisation zu verbieten und als »terroristische Organisation« einzustufen. Ein Verbot der »Antifa« kündigte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán an. In Belgien strebt der Vorsitzende der Regierungspartei »Mouvement Réformateur«, Georges-Louis Bouchez, Maßnahmen gegen antifaschistische Strukturen an und in Österreich fordert der Sprecher der größten Parlamentsfraktion, der »Freiheitlichen Partei Österreich«, Ähnliches. Die AfD nutzt die internationale Debatte, um ihre nationalen Interventionen gegen antifaschistische Initiativen und demokratiefördernde Projekte zu erneuern. Ein Anschlag auf ein Fahrzeug des parlamentarischen Geschäftsführers der AfD-Bundestagsfraktion, Bernd Baumann, an dessen Wohnhaus in Hamburg am 3. November dient nicht minder dazu, gleich zu betonen, dieser Angriff sei ein »direkter Angriff auf die Demokratie«, so die AfD-Bundesspitze, Alice Weidel und Tino Chrupalla, in einer gemeinsamen Erklärung. Die Programmatik von der AfD bis zur PVV offenbart, dass nicht allein »die Antifa« anvisiert wird. Sie laufen zudem Sturm gegen »Gender- und Klimawahn«.
Nicht nur Rechtsradikale
Skepsis gegen zivilgesellschaftliche Initiativen hegt aber auch die Union. Im Februar dieses Jahres stellte die Bundestagsfraktion von CDU/CSU eine Kleine Anfrage zur »politischen Neutralität staatlich geförderter Organisationen«. Die 551 Fragen im Namen des späteren Bundeskanzlers Friedrich Merz für die Fraktion offenbarten ein tiefes Unbehagen gegenüber Demokratie-, Umweltschutz-, Medien-. Lebensmittelkontroll-, Tierrechts- und Antirechts-Initiativen. Der Anlass war die öffentliche Kritik an der CDU/CSU im Bundestag, die trotz Zustimmung der AfD einen Antrag zur Verschärfung von Asyl- und Einwanderungsmöglichkeiten eingebracht hatte. Unerwünschte Kritik an einem Tabubruch. Der Antrag der CDU/CSU reihte sich allerdings in die Angriffe von weit rechten Redaktionen ein. Dieser Fragenkatalog stellt, kaum unterscheidbar von AfD-Interventionen, die demokratische Zivilgesellschaft infrage. Die extremen Rechten fühlten sich thematisch bestätigt. Sie setzten »Engagierte unter Druck«, »verbreiteten Angst« und delegitimierten Demokratieförderprogramme, hebt Timo Reinfrank hervor. »Wir erleben eine der gefährlichsten Phasen seit der Gründung der Bundesrepublik«, betont der Geschäftsführer der Amadeu-Antonio-Stiftung. Die Stiftung selbst wird massiv mit einer »orchestrierten Kampagne« der »rechtsalternativen Medien« angegangen.
Der argumentative Trick für die erfolgreichen diskursiven Anfeindungen ist ebenso einfach wie falsch. Mit dem Verweis auf eine Neutralität wird eine Radikalität unterstellt. Doch Neutralität bedeutet nicht, bei verfassungsfeindlichen Positionen zu schweigen. Sie verpflichtet auch nicht dazu, bei gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit nichts zu sagen. Der Trick ist insofern eine Täter-Opfer-Umkehr. Sie greift auch, weil zuvor ein weiterer argumentativer Trick wirkt: Die Unterstellung, alle demokratischen Intentionen, Klima- und Genderprojekte seien ideologisch getrieben und hätten keine notwendige Relevanz. Die beschleunigte Globalisierung – mit ihren ökonomischen und ökologischen Herausforderungen – erscheine als ein linkes Projekt, nicht als gegenwärtiger Prozess des Kolonialismus und Imperialismus. Der viel zitierte gesunde Menschenverstand sowie eine ideologiefreie Wahrnehmung würden stattdessen die »richtigen Antworten« für den nationalen Wohlstand garantieren. Aus den sozialen Auseinandersetzungen oder ökologischen Notwendigkeiten werden so Kulturkämpfe. Ein Missbrauchsfall beim »Bürgergeld« oder eine Verkehrsumstellung wegen eines Radwegs genügen als Trigger. Die Verschiebungen ins Kulturelle verschärfen Aggressivität und Eskalation.
Gebrochene Versprechen
In der Studie von Andreas Zick, Beate Küpper, Nico Mokros und Marco Eden stellen die Autor*innen auch für 2024/2025 fest, dass gerade die Abwertung von sozial schwach Gestellten und die Anfeindung von Klimaaktivist*innen seien gestiegen. Diese Diskurse forcieren »Polarisierungsunternehmer«, die nicht die sozialen Fragen stellen und keine Antworten zu realen Verwerfungen geben, warnten schon 2023 Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser in »Triggerpunkte«. Diese »Unternehmer*innen« betonen, die Linke sei stets gegen die »einfachen Leute« und würde nur für jene, die es sich leisten können, »Politik« machen – und sei getrieben von »ideologischem Umerziehungseifer«. Diesen Sound schlagen auch liberale Redaktionen an. Selbstredend moderat und oft rhetorisch fragend. »Selbst schuld?«, fragte Jens Jessen schon im Titel für die Wochenzeitung »Die Zeit« am 28. August und antwortete, die Linke hätte durch überzogene Positionen die Rechte gestärkt. Eine »political correctness«, die »Herren«- und »Zigeuner«-Witze abmahnt oder LGBTQI-Rechte und gleichen Lohn einfordert, sei nun wirklich zu viel. Die Kritik an »political correctness« – seit Jahrzehnten von der »Neuen Rechten« kultiviert – gewann an Schärfe und Zuspruch nicht wegen einer »Überzogenheit«, die stets bei Auseinandersetzungen aufkommt, sondern weil sie die ungelösten Versprechen und enttäuschende Wirklichkeit einer liberalen Demokratie herausfordert. Sie verweist letztlich auf die negative Vergesellschaftung, deren historische Tradition nicht erst in der Romantik und dem Kolonialismus des 19. Jahrhunderts beginnt, sich aber beschleunigt. Im 21. Jahrhundert bestimmen neoliberale Wirtschaftsvorstellungen Mensch und Markt. Ihre Liberalität impliziert jedoch nur eine freie Wirtschaft und keine freie Gesellschaft.
Diese Komplizenschaft von liberalem Wirtschaftsdiktat und autoritärer Leistungsgesellschaft möchten viele »alte weiße Männer« in Politik, Medien und Wirtschaft jedoch nicht als mit ursächlich für rechte Trends und Tendenzen hinterfragt wissen. Rassismus und Rechtsradikalismus/Faschismus erscheinen letztlich als individuelles Phänomen, nicht als gesellschaftliche Option. Eine radikale Marktlogik impliziert jedoch rechte Ressentiments der kollektiven »Wir«-gegen-»Die«-Bildung. Und »Die« sind nicht nur »die Fremden«, sondern auch die »Leistungsschwachen«. Die »Mitte-Studie« stellt wieder fest, ein »radikaler Marktautoritarismus« lehne auch Klimaschutz ab und fordere unter anderem Konkurrenzdenken. Amelie Nickel, Eva Groß und Ilka Kammigran heben in der Studie hervor: »Die in den libertär-autoritären Visionen zentrale Verknüpfung von marktliberalen und autoritären Bestrebungen transportiert ein hyperindividualisiertes Menschenbild und eine Abkehr von der Vorstellung des Individuums als Mitglied einer liberaldemokratischen und solidarischen Gemeinschaft.« Ein Antifaschismus, der zu diesen Prozessen nicht schweigt, muss in dieser Logik niedergebrüllt werden. AfD und Co. brüllen laut, dieselben Inhalte werden von der Union leiser vorgetragen. Einzelne juristische Übergriffe auf antifaschistische Personen und Projekte bilden sich mit dem wachsenden
Chor.
ABO
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In der Union werden allerdings langsam Stimmen lauter, die darauf hinweisen, diese Angriffe aus dem konservativen Milieu würden eine liberale Demokratie nachhaltig gefährden. Die angefeindeten Linken, 68er, Gutmenschen, Klima- und Genderaktive, die mehr Demokratie, Empathie und Ökologie wagen wollen, sind allerdings längst jene, die verstärkt die bestehende Demokratie verteidigen. Sie, wir, bilden die Brandmauer. Ohne Steine aus dem konservativen Milieu dürfte die Mauer noch mehr einfallen.