»Quality Time« für militante Neonazis
von David Janzen
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 209 - Juli | August 2024
#ActiveClubs
Mit dem aus den USA übernommenen Konzept der »Active Clubs« versuchen Neonazis, die Stagnation und Zersplitterung ihrer Szene zu überwinden. Durch eine Mischung aus Kampfsport, Körperertüchtigung und der Betonung einer Gemeinschaft von »weißen Kämpfern« sollen vor allem junge, fitnessaffine Männer angesprochen werden. Offene politische Agitation soll vermieden werden; stattdessen betont man Spaß, Gemeinschaftsgefühl und persönliche Entwicklung.

Obwohl die extreme Rechte in der Bundesrepublik insgesamt im Aufwind ist, scheint der harte Kern der klassischen Neonazi-Szene nicht vom gesellschaftlichen Rechtsruck zu profitieren: »Seit vielen Jahren plätschert unsere Szene quasi ziel- und planlos umher, eine wirklich zielführende Strategie konnte in dieser Zeit niemand präsentieren«, beklagt Patrick Schröder, Betreiber des neonazistischen »FSN-Versands«, YouTuber und stellvertretender Landesvorsitzender von »Die Heimat« in Bayern, in der jüngsten Ausgabe des Szene-Magazins »N.S. heute« (Nr. 41 Mai/Juni 2024). Auch die bisherige Strategie des »Kampfs um die Straße« durch Demonstrationen sieht er als gescheitert an: »Demonstrieren, eingekesselt mit peinlichen Gestalten und ausgebuht von 5.000 Leuten macht keinen Spaß, hier wäre schon vor Ewigkeiten zwingend ein Umdenken erforderlich gewesen.« Auf der Suche nach erfolgreichen Konzepten stieß Schröder auf die US-amerikanischen »Active Clubs« und deren Konzept eines »White Supremacy 3.0.« Schröder plädiert nun für die Gründung solcher Clubs als Ausweg aus der Stagnation: »Wenn wir es schaffen, dass sich Teile unserer Szene hier einfügen und diese Konzeption mittragen, dann wird unsere ‹Widerstandsarbeit› endlich wieder zur ‹Quality Time› – wir werden wieder strategisch an einer Sache werkeln und die aktuell grassierenden Planlosigkeiten beenden.«
Das Original
Die »Active Clubs« wurden in den USA von Robert Rundo ins Leben gerufen, der zuvor in Süd-Kalifornien mit dem »Rise Above Movement« (RAM) den ersten Mixed Martial Arts-Kampfsport-Club der »Alt-Right« gründete, gewalttätige Proteste organisierte und mehrmals wegen seiner Aktivitäten verhaftet wurde. Anfang 2021 startete Rundo zusammen mit dem russischen Neonazi Denis Kapustin, Gründer des Neonazi-Kampfsportlabels »White Rex« und Organisator extrem rechter Kampfsportevents, den »Aktiv Club Podcast« und verbreitete die Idee dieses neuen Netzwerks. Laut dem »Center für Monitoring, Analyse und Strategie« (CeMAS) war die Strategie dabei, »abseits der Aufmerksamkeit der Strafverfolgungsbehörden eine Miliz aufzubauen, die bereit ist, unter Einsatz von Gewalt die ‹weiße Rasse› zu verteidigen«.
Rundo wurde dabei von der europäischen Neonazi-Kampfsportszene und Veranstaltungen wie dem »Kampf der Nibelungen« inspiriert. Gruppen wie »Knockout 51« in Eisenach oder die aufgelöste »Kampf- und Sportgemeinschaft Adrenalin Braunschweig«, deren Protagonist*innen auch unter dem Label »Löwenstadt Fight Club« auftreten, verfolgen auf lokaler Ebene bereits ähnliche Konzepte wie die »Active Clubs« in den USA. Sie sind damit Teil eines größeren globalen Trends innerhalb der extremen Rechten, der Kampfsport und Fitness als Mittel zur Radikalisierung und Vernetzung nutzt. Recht schnell wuchs das Netzwerk in den USA auf inzwischen fast 50 aktive Clubs in 25 Bundesstaaten und breitet sich auch in andere Länder aus. Der Politikwissenschaftler Alexander Ritzman vom transatlantischen Think-Tank »Counter Extremism Project« bezeichnet die »Active Clubs« gar als das »weltweit größte und am schnellsten wachsende Netzwerk der gewaltorientierten extremen Rechten, mit weit mehr als 100 Gruppierungen in mindestens 23 Ländern«.
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Mit der Publikation des Artikels von Schröder traten in der Bundesrepublik schnell in mehreren Regionen die ersten »Active Clubs« in Erscheinung. Neben einer zentralen Telegram-Gruppe mit inzwischen mehr als 1.000 Abonnent*innen und einem Versand, der Aufkleber und Flyer zur Verfügung stellt und für die lokalen Gruppen anpasst, zählt die Monitoring-Stelle CeMAS in ihrem aktuellen Report »11 regionale Gruppen auf den Plattformen Telegram und TikTok« auf, dazu mindestens zwei weitere Gruppen, die bisher über keine Online-Präsenz verfügen. Über ihre Social-Media-Kanäle verbreiten die »Active Clubs« vor allem Bilder und dynamisch geschnittene Videos von Kampfsporttrainings oder klandestinen Aufkleberaktionen. Meist scheinen hinter den Clubs eher Einzelpersonen oder nur eine Handvoll Personen zu stehen. Für Schröder ist das allerdings kein Problem: Auch Einzelpersonen, die vor Ort keinen Kontakt zu bestehenden Gruppen oder Parteien haben, sollen »Active Clubs« ins Leben rufen, ein Social-Media-Profil und einen Telegram-Kanal mit einem angepassten Logo erstellen und dann mögliche Mitstreiter*innen direkt ansprechen: in Gyms oder Kampfsportstudios, auf Dorffesten, Deutschrock-Konzerten, unter den Fanszenen im Stadion oder bei Veranstaltungen von AfD, »Identitärer Bewegung«, »Querdenken« und PEGIDA.

Active Instructor Patrick Schröder
Wenn bei der Gründung eines »Active Clubs« jemand mit Kampfsporterfahrung fehle, so Schröder, solle man sich in einem regulären Kampfsportverein entsprechende Kenntnisse aneignen, um sie später an die eigene Gruppe weiterzuvermitteln. Und wenn es bei der Außendarstellung an durchtrainierten Personen fehle, könne man auch mit Filtern arbeiten, um die entsprechende Ästhetik herzustellen. Laut CeMAS nutzen einige »Active Clubs« bereits mit KI erstellte Bilder, um ihre Gruppe »vermutlich größer erscheinen zu lassen, als sie tatsächlich ist«. Mit »20% Jugendlichen«, die AfD wählen, gebe es ein großes Rekrutierungspotential, auch wenn die wenigsten an politischen Debatten interessiert seien: »Aber wie viele schauen dagegen Fußball, Kampfsport, gehen ins Fitnessstudio, unternehmen Reisen etc. und sind zumindest oberflächlich für viele Aktivitäten zu haben?« Dementsprechend mahnt Schröder, man solle nicht «zu politisch« auftreten und mit »Hardcore-Politik« anfangen, sondern eher über Gemeinschaftsgefühl und Sportbegeisterung sprechen und nur beiläufig erwähnen, dass man gegen »Multikulti« sei. In Anlehnung an das Motto »Make fascism fun« der »Active Clubs« in den USA erteilt Schröder die Anweisung: »Habt Spaß: Ausflüge, Paintball, Konzerte etc. – es muss beileibe nicht nur Hardcore-Aktivismus sein. In den Werbevideos darf man auch mal nur abhängen, auch mal lachende Gesichter zeigen, auch dort nicht nur Aktivismus und Ähnliches, Ihr müsst Euch immer merken: Der Feind hasst es, wenn er sieht, dass wir Spaß und eine gute Zeit haben! Potenzielle Zuschauer müssen dagegen merken, dass das echt eine coole Sache ist, bei uns am Start zu sein.«
Auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Martina Renner von Die Linke bewertete die Bundesregierung jüngst, dass das von den »Active Clubs« ausgehende »Gewalt- und Bedrohungspotential« vor dem Hintergrund des »zügig voranschreitenden Ausbaus von Strukturen in Deutschland, der europaweiten und internationalen Vernetzung, einer vergleichsweise hohen Konspirativität bei gleichzeitig starken Rekrutierungsbemühungen junger Männer für das gewaltorientierte rechtsextremistische Spektrum sowie der hohen Gewaltneigung der beiden ideologischen Vordenker des ‹Active Club›-Konzepts potentiell erheblich« sei. Auch das CeMAS befürchtet, dass »die wachsende Zahl von kampfsportaffinen und zum großen Teil auch -erprobten »Active Clubs« in Deutschland zu einem Anstieg rechtsextremer Gewalttaten führen wird«.