»Wir bleiben bei unseren Kindern.«

Interview
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 215 - Juli | August 2025

Anfang dieses Jahres tauchten acht im »Budapest-Komplex« beschuldigte Antifaschist*innen nach knapp zwei Jahren auf. Eine von ihnen ist Clara.
Mit ihren Eltern Birgit W. und Hermann W. aus Hamburg sprach Ina Renke von der rechte rand, wie sie mit dieser Situation umgehen und was sie sich von solidarischen Menschen wünschen.

antifa Magazin der rechte rand

drr: Wie geht es euch aktuell?
Birgit: Gerade geht es mir gut. Clara ist jetzt im Knast. Ich weiß, wo sie ist. Wobei es auch schwierig auszuhalten ist, weil ich nicht so weiß, wie sie eigentlich wirklich drauf ist. Aber ich hab einen Weg gefunden, mit der Situation umzugehen.
Hermann: Und einen Weg gefunden, mich in dieser Situation wirksam zu fühlen. Also Sachen zu machen, Öffentlichkeit herzustellen und so das Gefühl zu haben, zu helfen. Die Sorge um die Beschuldigten und natürlich auch unsere Tochter ist immer präsent. Aber wir sind von Anfang an in einem solidarischen, stärkenden Umfeld und das spielt für mich und mein Befinden auch eine große Rolle. Und ich freue mich immer wieder über die breite Solidarität. Das bringt auch uns Eltern sehr viel.

Was hat das mit euch gemacht, als ihr erfahren habt, dass eure Tochter Clara aufgrund eines europäischen Haftbefehls untergetaucht ist?
H.: Das hat ja sogar noch eine Vorgeschichte. Clara ist in Budapest festgenommen worden und hatte die Möglichkeit, zu telefonieren. Dann ist sie freigelassen worden, um Stunden später zu erfahren, dass es einen Europäischen Haftbefehl gibt. Und dass sie deshalb schleunigst das Land verlassen muss und schließlich untergetaucht ist. Das ist schon eine sehr belastende Situation.
B.: Wir waren ziemlich geschockt. Am Anfang dachten wir: Das müssen wir jetzt aushalten. Vielleicht ist in drei Wochen alles vorbei. Wir wurden dann eines Besseren belehrt. Dass wenn sie gefasst wird, eine Auslieferung nach Ungarn sehr wahrscheinlich ist. Und wir wussten, dass in Ungarn bereits Antifas im Knast sind. Und wie geht es einem dann damit? Man kann nicht mehr schlafen. Man hat auch noch nicht so richtige Handlungs­möglichkeiten und wartet immer auf Nachrichten. Wir haben gehofft, dass es Clara gut geht und dass ihr nichts passiert. Anfangs hatten wir die Befürchtung, Nazis könnten sich rächen, wenn sie die öffentlich gesuchten Antifas finden.



Warum seid ihr davon ausgegangen, dass es schnell wieder vorbei sein könnte?
B.: Ehrlich gesagt hab ich gedacht, dass es möglicherweise irgend­etwas zwischen Nazis und Antifas gab. Dass das aber kein Grund sein kann, monate- oder jahrelang verfolgt zu werden oder in den Untergrund zu gehen. Ja, so richtige Vorwürfe kannten wir nicht. Wir hatten auch keinen Haftbefehl gesehen. Wir haben gar nichts gesehen. Ich bin davon ausgegangen, dass es sich irgendwie auflösen wird. Und dann wurde klar, dass sich erst mal gar nichts auflösen wird. Das hieß für uns: Jetzt müssen wir wirklich aktiv werden.

Was heißt das konkret?
B.: Am Anfang war es für uns nicht leicht, aktiv zu werden. Da waren eher die Anwält*innen gefragt. Es gab nur die Möglichkeit, mit Freund*innen und Genoss*innen zu sprechen.

Wie hat euer Umfeld auf das Untertauchen Claras reagiert?
B.: Alle waren geschockt. Nach Ungarn ausliefern?! Das kann nicht sein! Und alle waren von Anfang an stärkend und solidarisch. Das ist bis heute so.

Wie erklärt ihr euch diese durchgehend positiven Reaktionen?
H.: Ich glaube, wenn man da steht und sagt, ich hab ein Problem, dann hauen die Leute nicht auch noch drauf. Es ist besser, sich gerade zu machen und zu sagen, wie es ist.
B.: Relativ schnell wurden die Vorwürfe seitens der Verfolgungsbehörden bekannt gegeben. Das wurde medial ziemlich ausgeschlachtet. Und das hat mich und auch die anderen Eltern beeindruckt. Für uns war klar: Wir reden nicht über das, was Clara vorgeworfen wird. Was der ungarische Staat den betroffenen Antifas vorwirft, das müssen wir noch lange nicht glauben. Diese Vorverurteilung lehnen wir ab. Wir bleiben bei uns und bei unseren Kindern. Erst mal sind unsere Kinder bedroht und in
einer richtigen Scheißsituation.


Ihr habt bereits gesagt, dass ihr unterstützende Angebote erhalten habt. Was ist daraus geworden?
B.: Wir hatten zunächst sehr viel, aber eher lockere Unterstützung. Und dann kam Claras Geburtstag. Den nahmen wird zum Anlass, um uns mit einem Essen für den bisherigen Support zu bedanken. Es war ein sehr persönliches Treffen und daraus sind verschiedene Sachen entstanden und das war auch die Basis für die Hamburger Solidaritätsgruppe Family and Friends. Kurze Zeit später wurde Maja verhaftet, im Dezember 2023. Und an diesem Punkt haben wir gesagt: Jetzt ist es Zeit, an die Öffentlichkeit zu gehen.

Was heißt das?
B.: Für uns ist klar, dass wir davon wegkommen müssen, dass nur die beschuldigten Antifas ein Problem haben. Wir müssen das in einen größeren politischen Zusammenhang einordnen, nämlich in den Kampf gegen den Rechtsruck. Und wir haben angefangen Interviews zu geben, Hermann und ich. Und das haben wir zum Teil auch gemeinsam in der Gruppe vorbereitet. Wir versuchen immer, Leute, die ein bisschen mehr zu sagen haben, für die Sache zu sensibilisieren. Ob nun die Linken-Politiker*innen Martin Schirdewan, Martina Renner oder Jule Nagel.
H.: Das ist mühsame Kleinarbeit.
B.: Es ging vor allem darum, die Auslieferung von Maja zu verhindern. Das hat leider nicht geklappt. Und Zaid ist noch immer akut von der Auslieferung bedroht, da er keinen deutschen Pass hat. Und bei den anderen ist sie noch nicht vom Tisch.

Ihr habt bereits mehrfach die anderen Eltern der betroffenen Antifaschist*innen erwähnt. Was bedeutet euch der Austausch untereinander?
B.: Mir bedeutet der Austausch sehr viel, da ich nicht viel sagen muss. Alle wissen voneinander, wie man sich fühlt, wenn das eigene Kind untergetaucht ist. Und da wir alle zur gleichen Zeit vom selben Problem betroffen waren, sind auch diese Phasen recht ähnlich. Also, der erste Schock und diese Verzweiflung. Mal geht es der einen Person schlechter und mal der anderen besser. Da konnte ich mit vielen gut reden.

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Woher nehmt ihr die Kraft und Motivation, euch so intensiv für Clara und die anderen einzusetzen?
H.: Ich finde, dass Nichtstun keine Option sein kann. Wir tun alles für unsere Kinder und dafür, dass der Rechtsruck zurückgedrängt wird. Und das ist ein politisches Anliegen, welches wir die ganze Zeit verfolgen.
B.: Auch die Solidarität und die gemeinsame Stärke geben Kraft. Und zu merken, wir können etwas bewegen, gibt auch Kraft. Was uns außerdem ein Anliegen ist, vielen Menschen deutlich zu machen, was hier schon länger schief läuft.

Was meinst du damit?
H.: Am Beispiel vom »Budapest-Komplex« oder dem »Antifa-Ost-Verfahren« kann man wirklich gut veranschaulichen, wie weit die Politik nicht nur in Deutschland nach rechts gerückt ist.
B.: Der Verfolgungswahn gegen Linke in diesem Ausmaß. Das Aufbauschen von so ein paar jungen Linken zu brutalen Gewalttäter*innen. Und es wird nicht wirklich in einen politischen Kontext gestellt. Was da geschehen sein soll, wird nicht unter Schlägerei einsortiert, sondern es wird gesagt, es sei Terro­rismus. Wenn du hier tagtäglich von angegriffenen Hausprojekten, Kneipen und ich weiß nicht was hörst und dann sitzen unsere Kinder in Untersuchungshaft. Ich finde, es ist wie so ein kleines Brennglas auf die gesellschaftliche Situation, was sie da machen mit denen.

Gab es Momente, in denen ihr an eure Grenzen gekommen seid?
H.: Ja, manchmal komme ich emotional an meine Grenzen. Und mitunter kommt Verzweiflung auf, dass es sich so anfühlt, als wenn nichts vorangeht. Was wir für einen Aufwand betreiben müssen, um eine breite Öffentlichkeit zu schaffen.
B.: Und dann wird man zwischendurch krank. Sich Pausen zu nehmen, ist auch schwierig. Wir kommen allein schon rein zeitlich an unsere Grenzen.



Was war eurer Auffassung nach die bisher beste Aktion im Zusammenhang mit dem »Budapest-Komplex«?
B.: Die beste Aktion fand am 20. Januar 2025 statt. Das hat mich sehr stolz gemacht: Sieben beschuldigte Antifas, die für sich entscheiden, gleichzeitig an verschiedenen Orten in Deutschland aufzutauchen und sich bei der Polizei zu melden. Und mit der zwei Stunden später durchgeführten Pressekonferenz konnten wir als Eltern und die Anwält*innen bestimmen, was berichtet wird. Es waren nicht die Bundesanwaltschaft, die Polizei und entsprechende Bilder, die hier die Geschichte erzählt haben. All dies wäre nicht so öffentlichkeitswirksam gewesen, wenn es nicht die ganzen Vorarbeiten gegeben hätte.

Es wird davon ausgegangen, dass in nicht allzu ferner Zukunft die Prozesse gegen die im Januar und März 2025 aufgetauchten Antifaschist*innen beginnen werden. Wie blickt ihr darauf und was wünscht ihr euch von solidarischen Menschen?
B.: Es sollte auf jeden Fall eine Prozessbegleitung für die acht Angeklagten geben. Toll wären Berichte von jedem Prozess­tag. Auch sollte es Kundgebungen vorm Gericht geben und es müssten solidarische Menschen im Gerichtssaal sitzen. Briefe schreiben ist auch wichtig. Das läuft ziemlich gut, aber da ist ein langer Atem notwendig.
H.: Wir müssen weiter Öffentlichkeitsarbeit machen, möglichst viele Leute wie Politiker*innen und Künstler*innen mit ins Boot holen. Die Kontakte zur Presse müssen weiter gepflegt werden. Wir werden weiter Veranstaltungen machen. Ich freue mich immer über die Fotos von jungen Leuten mit Transparenten und Feuerwerk wie zum Beispiel bei der Kulturellen Landpartie in Meuchefitz oder vom CSD in Pößneck.

Gibt es noch einen wichtigen Aspekt, den ihr noch nicht genannt habt?
H.: Also ich finde es gut, wenn Menschen ihre Positionen formulieren und üben, sie öffentlich zu vertreten. Und dass sie mit möglichst vielen reden, auch zwischen den Generationen. Ich war total froh, dass ich ungefähr wusste, was Clara so macht und wie sie drauf ist. Und alles kostet viel Geld. Spendet an die Rote Hilfe. (Anmerkung 23. Dezember 2025: Bitte vorher informieren, ob das noch geht.)

Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für eure weiteren Aktivitäten.

Weitere Infos unter
www.kanu.me (Website von Eltern und Angehörigen)
und www.basc.news (Website des Solidaritätsbündnisses).

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